Der neu gegründete Liechtensteinische Arbeiterverband gibt sich Statuten


Handschriftliche Statuten, gez. Verbandsvorstand Friedrich Kaufmann [1]

2.2.1920, Vaduz

Statuten des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes

A) Name u. Umfang des Verbandes

Die Organisation führt den Namen: „Liechtensteinischer Arbeiterverband“.

B) Das Mitgliedsrecht

Das Mitgliedsrecht im Liechtensteinischen Arbeiterverbande können alle im In- u. Auslande befindlichen Liechtensteinischen Arbeiter und die im Liechtensteinischen Staatsbereiche arbeitenden Ausländer erwerben.

C) Aufgabe des Vereins

a. Der Liechtenst. Arbeiterverband hat die Aufgabe, die Lebenshaltung seiner Mitglieder auf eine möglichst moralisch hohe Stufe zu bringen und ihnen dauernd einen menschenwürdigen Anteil an den Errungenschaften der Kultur zu sichern. In den Vordergrund stellt der Verband die Vertretung der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder durch die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, so weit sie unsern Verhältnissen anpassend, gerecht sind.

b. Zur Erfüllung dieser Aufgabe legt der Verband allen Mitgliedern strenge Pflichten auf, vor allem Ehrenhaftigkeit und die Bekundung unverbrüchlicher Solidarität „aller gegen alle“.

Jedes Mitglied muss es sich zur Aufgabe machen, durch sein Verhalten innerhalb und ausserhalb seiner Verbandstätigkeit das Ansehen des Liechtenst. Arbeiterverbandes nach bester Möglichkeit zu fördern, für die Ausbreitung und Kräftigung des Verbandes zu wirken und alle agitatorischen u. organisatorischen Massnahmen durch seine Mithilfe zu verstärken. Den Mitgliedern gegenüber übernimmt der Verband die Pflicht, seiner materiellen und moralischen Kraft entsprechend alle Einrichtungen zu treffen, die zur Pflege und Durchführung der genannten Aufgabe nötig sind.

D) Gliederung des Verbandes

a. Die Grundlagen des Verbandes bilden die Ortsgruppen, deren Gebiet nach wirtschaftlichen u. organisatorischen Rücksichten abzugrenzen sind. Grundsätze für die Abgrenzung gelten: In jeder Gemeinde darf nur eine Ortsgruppe bestehen. Doch können Berufsgruppen gebildet werden. Die weiblichen zahlen die Hälfte der festgesetzten Beiträge. Die Gruppenvorstände gehören dem Centralvorstande an.

Sollte wegen Mangel an Mitgliedern das Zustandekommen einer Ortsgruppe nicht möglich sein, so könnten in diesem Falle sich zwei oder mehrere Gemeinden zu einer Ortsgruppe zusammenschliessen.

b. Die einzelnen Arbeiter gehören in der Regel zu der Ortsgruppe, in deren Gebiet sie wohnen. Über Ausnahmen entscheidet der Verbandsvorstand auf Antrag der Ortsgruppe.

c. Sollten sich Berufsinteressen fühlbar machen, so haben die betreffenden Mitglieder ihre Wünsche u. Anträge dem Centralvorstand schriftlich einzureichen, dem dann die Pflicht obliegt, die nötigen Massnahmen zu treffen.

d. Jede Ortsgruppe wählt einen Ausschuss bestehend aus drei Personen: Einen Vorsitzenden (Vorstand der Ortsgruppe), einen Kassier u. einen Schriftführer.

e. Betreff Wahlen: Die Wahlen finden jährlich einmal statt. Sie können vorgenommen werden, nachdem die alten Verwaltungsbeamten mit der Hauptkasse abgerechnet haben, müssen aber bis spätestens 1. Februar erfolgt sein. Jede Neuwahl des Vereinsvorstandes muss innert 8 Tagen angezeigt werden.

E) Centralverwaltung

a. Der Liechtenst. Arbeiterverband hat zur Führung aller Verbandsgeschäfte einen Vorstand.

b. Die Mitglieder des Verbandes sind für ihre Tätigkeit dem Gesamt-Verbande verantwortlich.

c. Die Wahl des Verbandsvorstandes erfolgt am Verbandstag.

d. Wählbar ist jedes Mitglied des Verbandes, auch wenn es am Verbandstag nicht anwesend ist.

e. Die Amtsdauer des Verbandsvorstandes währt von einem Verbandstag auf den anderen.

f. Es ist jährlich ein Verbandstag abzuhalten u. zwar im Februar.

g. Der Verbandsvorstand besteht aus dem Verbands-Präsident, Vice-Präsident, aus dem Kassier u. dem Schriftführer, die als solche am Verbandstage gewählt werden. Die übrigen Mitglieder bestehen aus den Vorsitzenden der jeweiligen Orts- u. Berufsgruppen.

h. Die Geschäftsführung obliegt dem Vorstand gemeinsamm und zwar entscheidet die Mehrheit der Stimmen der Anwesenden. Ein Widerspruchsrecht gegen die Ausführungsbeschlüsse des Vorstandes steht dem einzelnen Verbandsmitgliede nicht zu. Sollten sich Widersprüche ergeben, so wäre unverzüglich ein ausserordentlicher Verbandstag einzuberufen, durch den die Entscheidung vollzogen wird.

i. Der Verbandsvorstand hat die Aufgabe, den Verband nach innen u. aussen zu vertreten u. zwar:

den Verband, Staatsregierungen, Behörden u. Drittpersonen gegenüber, ebenfalls die Aufrechterhaltung der Verbandsstatuten zu überwachen sowie alle statutenmässigen Beschlüsse zu veröffentlichen resp. zu vollziehen. Ferner: Die Verbandstage, ordentliche u. ausserordentliche, einzuberufen, den Verbandsmitgliedern Bericht zu erstatten sowie Bestimmungen zu treffen über Ort und Zeit der Verbandstage, ein entsprechendes Wahlreglement aufzustellen behufs Wahl der Delegierten und für deren Einladung zu sorgen, so dann die Kassaangelegenheiten zu regeln u. den jährlichen Kassabericht aufzustellen u. zu veröffentlichen, Erhebung über Lohn- und Arbeitsverhältnisse zu veranstalten und zu veröffentlichen.

Verbandsvermögen

a. Die Einkünfte des Liechtenst. Arbeiterverbandes bestehen aus den von den Mitgliedern einzahlenden Wochenbeiträge, sonstigen Zuwendungen, Geschenken, Legaten u. aus den Kapitalzinsen.

b. Das Vermögen ist unteilbar.

c. Soweit das Vermögen nicht für laufende Ausgaben verwendet werden muss, ist dasselbe sicher und zinstragend anzulegen.

d. Sollte sich der Verband auflösen, zudem ¾ der Stimmen erfordert werden, so fällt das Vermögen, wenn sich innert 10 Jahren auf diesen Grundlagen lt. der Statuten kein neuer Verein gründet, Notdürftigen im gewerblichen Fortbildungswesen zu.

e. Beiträge: Die wöchentlichen Beiträge werden auf 1 Kr. [Krone] festgesetzt bis zur Valutaregulierung.

Aufnahmebedingungen u. Verhaltensmassregeln

a. Bedingungen für die Aufnahme in den Verband und den Verbleib in demselben ist die rechtsverbindliche Anerkennung des Statuts u. der von den Verbandsinstanzen erlassenen Bedingungen.                            

b. Die Beitrittserklärungen werden in den Zweigvereinen durch den Vereinsvorsitzenden oder einen vom Vereinsvorstand Beauftragten entgegengenommen.

c. Die Aufnahme kann von dem von dem Vorsitzenden des Vereins oder dem vom Vereinsvorstand Beauftragten verweigert werden, wenn gegen den sich zur Aufnahme Meldenden die begründete Annahme geltend zu machen ist, dass er seine Mitgliedschaft gegen die Interessen des Verbandes missbrauchen oder durch sein Verhalten die Interessen u. das Ansehen des Verbandes schädigen werde.

d. Wiederholter Beitritt: Wer aus dem Verband ausgeschlossen worden ist, kann nur durch besonderen Beschluss der jeweiligen Ortsgruppe, wo sich der zur Aufnahme Meldende das letzte Jahr aufgehalten hat, wieder aufgenommen werden. Die Wiederaufnahme darf nur erfolgen, wenn der Ausgeschlossene das Bestreben zeigt, seine Vergehen wider die Organisation wieder gut zu machen.

e. Verlust der Mitgliedschaft: Mitglieder, die länger als zwei Monate mit ihren Beiträgen im Rückstand sind, werden aus der Mitgliedschaft gestrichen, wenn sie nicht begründete Gesuche um Stundung eingereicht haben. Die zwei monatliche Frist ist verflossen, wenn die jeweilige neunte Beitragswoche nicht bezahlt ist.

Wer sich Handlungen zu schulden kommen lässt, die dem Interesse des Verbandes entgegenwirken, wird entweder mit einer Rüge in der Mitglieder-Versammlung od. mit einer Geldbusse und im schlimmsten Fall mit dem Ausschluss aus dem Verband bestraft. Das Ausschlussrecht steht nur dem Ausschuss der Ortsgruppe und dem Verbandsvorstand zu.

Dem mit Strafe Bedrohten soll tunlichst Gelegenheit gegeben werden, sich verteidigen zu können. Die Verhängung der Strafe soll durch geheime Abstimmung erfolgen.

Rechtsschutz

Der Verband ist bestrebt, seinen Mitgliedern nach Möglichkeit Rechtsschutz zu gewähren; jedoch entscheidet von Fall zu Fall der Centralvorstand u. ist die Höhe der Gewährung mit der Verbandskassa in Einklang zu bringen.

Allfällige Erweiterungen u. Abänderungen der Statuten bleiben dem jeweiligen Beschlusse des Verbandstages vorbehalten.

Der Verbandsvorstand

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[1] LI LA RE 1920/1044. Die Statuten wurden von der Regierung am 11.3.1920 genehmigt. Stenographische Bemerkung. – Vgl. L.Vo., Nr. 10, 4.2.1920, S. 2 („Gründungsversammlung des Liechtensteinischen Arbeitervereins“); O.N., Nr. 10, 4.2.1920, S. 2 („Arbeiterverein“).