Regierung und Landesschulrat veranstalten zur Erinnerung an das 50jährige Regierungsjubiläum des Fürsten Johann II. ein grosses Fest für die Schuljugend in Vaduz


 Bericht im "Liechtensteiner Volksblatt", nicht gez. [1]

9.7.1909

ll. liechtensteinisches Jugendfest zur Erinnerung an das 50jährige Regierungs-Jubiläum Seiner Durchlaucht des Fürsten Johann II., abgehalten in Vaduz am 5. Juli 1909

Gegen 1 Uhr waren die Schüler und Schülerinnen sämtlicher Lehranstalten Liechtensteins teils zu Fuss, teils auf festlich geschmückten Wagen unter Führung der betreffenden Herren Lokalschulinspektoren und der Lehrpersonen, sowie der Mitglieder der Ortsschulräte auf dem Festplatze ("Hauptmannsbündt" [2]) in Vaduz eingetroffen. Nach einem Begrüssungsliede wurde den Kindern eine kleine Erfrischung gereicht und Herr fstl. Kabinettsrat [Karl] v. In der Maur hielt folgende, eindrucksvolle und mit grossem Beifall aufgenommene Ansprache:

Liebe Schuljugend!

Am 12. November 1908 waren es 60 Jahre, seit unser allgeliebter Landesfürst die Regierung des Fürstentums und die Verwaltung der ausgedehnten Besitzungen des fürstlichen Hauses angetreten hat. Dieser denkwürdige Moment ist im Lande und weit hinaus über die Grenzen desselben mit grösster Begeisterung gefeiert worden. Auch in allen Schulen unseres Landes fanden Schulfeste statt, bei denen Euch die Bedeutung und das Wirken des Fürsten eingehend dargestellt wurde; zur Erinnerung an den hochbedeutsamen Tag sind Euch später patriotische Schriftchen als Geschenk eingehändigt worden.

Die Landesschulbehörde hat überdies beschlossen, der Schuljugend noch eine besondere Freude zu machen durch Veranstaltung eines allgemeinen Jugendfestes; so seid Ihr denn, liebe Kinder, heute in Vaduz zusammengekommen, um gemeinsam in fröhlicher Stimmung die Erinnerung an das fürstliche Regierungsjubiläum und an unseren gnädigsten Landesfürsten zu begehen.

Der Fürst ist ein Freund der Schule, für die er überaus viel getan hat; er hat die Schuljugend in sein edles Herz eingeschlossen; er wünscht, dass sie sich in jeder Hinsicht gedeihlich entwickle, damit sie in der Lage ist, sich dereinst nützlich zu betätigen.

Vergesset nie, liebe Kinder, dass Ihr nur dann brauchbare Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden könnt, wenn Ihr immerdar, schon von Jugend auf, Eure Pflicht tut.

Wir Menschen sind alle verschieden und verschieden sind auch die Pflichten jedes Menschen. Eines aber soll allen Menschen gemeinsam sein, das Bewusstsein der Pflicht, das Streben, die Pflicht zu erfüllen.

Unser Fürst bietet Euch allen ein erhabenes Beispiel und ein grosses Vorbild treuester Pflichterfüllung; er ist gerecht, edel, gütig, milde, hilfsbereit, voll Mitgefühl gegen fremdes Ungemach, ein wahrer Fürst von Gottes Gnaden.

Ein Volk, das einen solchen Fürsten sein eigen nennt, ist zu beneiden. Ahmt den Fürsten nach, jeder in seinem eigenen Kreise, ehret ihn, indem Ihr seinen Wünschen nachlebt, die stets nur auf das Wohl der Allgemeinheit und des Einzelnen gerichtet sind.

Erhebet Euch, liebe Kinder!

Aus 2000 Kinderkehlen und aus 2000 Kinderherzen erschalle einstimmig der Ruf zum Himmel:

Seine Durchlaucht unser glorreich regierender Fürst und Herr Johann II., den uns die göttliche Vorsehung noch lange erhalten wolle, er lebe hoch, hoch, hoch!

Nachdem das brausende "Hoch", in welches nicht nur die Schuljugend, sondern auch die ausserdem noch ungemein zahlreich anwesenden Festgäste — es dürften deren wohl gegen 2000 gewesen sein — verklungen und mit Begeisterung der Gesamtchor: "Heil unserm Fürsten" vor dem auf der hübsch gezierten Bühne angebrachten, von Josef Verling aus Vaduz angefertigten Fürstenbilde, gesungen war, wurde ein Huldigungs-Telegramm an Seine Durchlaucht abgesendet, welches der Fürst am nächsten Tage in überaus gnädiger Weise zu beantworten geruhte.

Der nach Absingung des Liedes programmgemäss folgende Festzug mit den 16 schön geschmückten Standarten und ebenso vielen Fahnen bot ein gar farbenreiches Bild; sämtliche Knaben trugen nach Form und Farbe verschiedene Papiermützen, die Mädchen bunte Fähnchen und die meisten Haarschmuck aus Rosen, Nelken, Epheu etc. Unter Böllerknall und den Klängen der Musiken von Vaduz, Triesen und Gamprin, welche auch während der Mahlzeiten und den Spielen mit allseitigem Applaus konzertierten, bewegte sich der Zug vom Festplatze durch das "Aeule" am Regierungsgebäude vorbei, wo auf dem geschmückten Balkon die Mitglieder des Landesschulrates sich eingefunden hatten und sämtliche Fahnen die Ehrenbezeugung leisteten; durch den "Altenbach" und die neue "Egertenstrasse" zum "Löwen" und wieder auf den Festplatz zurück. Die meisten Bewohner derjenigen Häuser, an denen der Zug vorbeiging, hatten sich in dankenswerter Weise um deren Dekorierung bemüht, die vielfach recht geschmackvoll war. Nach der Hauptmahlzeit lauschte man der in bekannt meisterhafter Weise vorgetragenen Festrede des Herrn Schulkommissärs Kanonikus [Johann Baptist] Büchel.

Diese Ansprache hatte folgenden Wortlaut:

Liebe Kinder! Meine Worte seien euch gewidmet. Das heutige Fest ist der letzte Ausklang, der letzte, schönste Feierklang des Jubelfestes, das wir im letzten Jahre aus Anlass des 50jährigen Regierungsjubiläums unseres allgeliebten Fürsten Johannes II. gefeiert haben. Damit die Erinnerung an dieses Jubiläum und an den Jubel, der die Herzen der Liechtensteiner durchbebte, noch lange nicht verloren gehe, damit auch die späteren Zeiten noch davon erzählen hören, solltet auch ihr, liebe Kinder, einen besonderen Freudentag haben. Ihr werdet ja noch länger leben als wir Alten, die wir schon graue Haare haben. Ihr könnt dann auch denen, die nach uns kommen werden, erzählen von unserem guten Fürsten Johannes II. und von dem Jubeljahre und von dem Kinderfeste, das ihr als Kinder am 5. Juli 1909 miteinander gefeiert habt.

Wir Liechtensteiner sind ein glückliches Volk, denn der liebe Gott hat uns einen herzensguten Landesvater gegeben und ihn uns nun schon fünfzig Jahre erhalten.

Der liebe Gott hat uns aber auch ein schönes und glückliches Heimatland gegeben. Unser kleines Vaterland ist ein schönes Land. Es gleicht einem Edelstein, der von Diamanten eingefasst ist. Das schöne und fruchtbare Tal, in dem die mannigfaltigsten Früchte gedeihen und die Traube reift im Sonnenglanz, ist der Edelstein, und die grünen Alpen und die schneebedeckten Firnen darüber, die sind die liebliche und grossartige Einfassung dieses Edelsteines. Die Fremden, die hierher kommen, sind ganz bezaubert von der Schönheit unseres Landes. In einem Liede heisst es von demselben:

Wie lieb bist du; dich preisen alle Zungen,
Du lichter Stern, so traulich, klein und schön!
Von deiner Schönheit hehren Macht bezwungen
Dich liebet stets, wer einmal dich gesehn.

Zu der schönen Lage, oben am schönen deutschen Rheine, mitten in einer hehren, himmelanstrebenden Alpenwelt, kommt das milde Klima, unter dessen Einflusse der fruchtbare Boden Früchte aller Art hervorbringen kann.

Wir sind ein glückliches Völklein; denn wir Liechtensteiner leben mit einander in schönster Harmonie, in Frieden und Eintracht. Ein Abbild dieser schönen Eintracht ist euer heutiges Fest, wo die Kinder aus allen Gemeinden des Landes so friedlich und fröhlich beisammen sind. In andern Ländern ist das nicht immer so. Dort gibt es unter den Bewohnern oft viele Parteien, die einander befehden und das Leben verbittern. Wir Liechtensteiner leben miteinander im schönsten Frieden.

Wir sind das glücklichste Volk der Welt, das einzige, das kein Militär hat. Die Leute in den andern Staaten müssen Soldaten haben und müssen dafür ungeheuere Summen ausgeben. Dieses viele Geld müssen die Leute zusammensteuern und manche müssen ihre Steuer mit harter Arbeit verdienen. Wir Liechtensteiner brauchen für solche Zwecke kein Geld auszugeben, wir können unsere Kronen anders verwenden. Und nicht nur das! In anderen Ländern müssen die Jünglinge gerade in ihren schönsten Jahren zu den Soldaten gehen und dann Jahre lang vom Vaterhause fernbleiben. Sie können nichts verdienen in dieser Zeit! Im Gegenteil, ihre Eltern und Geschwister müssen noch für sie verdienen und ihnen Geld nachschicken. Und wenn dann die Jünglinge fortziehen müssen unter die Soldaten, dann schaut manche Mutter mit Tränen in den Augen ihrem scheidenden Sohne nach und kümmert sich um ihn Tag und Nacht. Bei uns ist das nicht so. Unsere Jünglinge können ruhig im Elternhause bleiben, die Eltern in der Arbeit unterstützen und verdienen für die Familie.

Wir Liechtensteiner sind ein glückliches Volk, denn wir leben in einfachen, bescheidenen Verhältnissen. Wir haben keine Reichtümer und machen keinen grossen Staat. Wir wissen aber auch nichts von der Not und dem Elend, das an manchen Orten ist. Das sind aber gerade die allerglücklichsten Menschen, die bescheiden leben, mit wenigem zufrieden sind und ihr tägliches Brot mit ihrer täglichen Arbeit verdienen. Nicht in den Palästen der Reichen wohnt das Glück, sondern in den bescheidenen Hütten zufriedener Menschen, die sagen und singen können:

Freund, ich bin zufrieden, geh' es wie es will,
Unter meinem Dache leb' ich froh und still.

So könnte ich noch verschiedenes aufzählen, was wir vor andern Staaten voraus haben. Das wissen die Leute in den andern Ländern aber auch und wenn man im Ausland sich als Liechtensteiner zu erkennen gibt, dann rufen die Leute einem gleich zu: O, ihr Liechtensteiner, ihr seid ein glückliches Volk!

Und wem haben wir das alles zu verdanken? Dem, der die Schicksale der Menschen leitet, dem Vater im Himmel. Seine Vorsehung hat unser kleines Land immer so wunderbar in ihren Schutz genommen, dass es nicht den grossen Staaten, die es umgeben, zum Opfer gefallen ist.

Seht da droben die Burg Vaduz, die ehrwürdig in ihrem Alter auf uns herabschaut. Aus diesem Schlosse mit seinen altersgrauen Mauern schaut eine Geschichte von 6 Jahrhunderten auf uns herab. Da droben sassen einst die Grafen, die über dieses Land geherrscht haben. Jedes Jahrhundert regierten wieder andere Grafen und ein Geschlecht löste das andere ab. Ihr Grösseren wisst es aus der Geschichte, wie die ersten Grafen, die von Werdenderg-Sargans das Schloss erbaut haben, wie dann nach einander die von Brandis, von Sulz, von Hohenems da droben hausten, und wie dann Schloss und Land an die Fürsten von Liechtenstein gekommen sind.

So hat das Ländchen wechselvolle Schicksale gehabt. Der liebe Gott aber, der dieses Ländchen lieb gehabt hat, wie seinen Benjamin, hat auch immer dafür gesorgt, dass es im Wogendrange der Zeiten nicht untergegangen, sondern trotz seiner Kleinheit von jedem anderen Land unabhängig geblieben ist. Der liebe Gott hat es auch gefügt, dass es vor 200 Jahren unter das glorreiche und gut katholische liechtensteinische Fürstenhaus gekommen ist.

Dafür sollt ihr, liebe Kinder, der gütigen Vorsehung dankbar sein. Ihr sollt dafür auch stets gute Liechtensteiner sein. Nur Zehntausend haben das Glück, Liechtensteiner zu heissen und zu sein. Zeiget euch, liebe Kinder, stets dieses Namens würdig und machet eurem Vaterlande Ehre. Seid gehorsam euren Vorgesetzten, und wo immer ihr später hinkommt, haltet euch ferne, weit ferne von Menschen, die über die Obrigkeiten losziehen und euch die Liebe zu Fürst und Vaterland aus dem Herzen reissen wollen. Das sind keine guten Menschen. Seid arbeitsam; die Arbeit adelt den Menschen. Seid sparsam und genügsam; die Verschwendung ist die Mutter der Armut. Seid friedfertig gegen eure Mitmenschen. Vor allem seid auch gute, fromme Christen; ein guter Christ ist auch ein guter Bürger.

Und dann seid eurem lieben Heimatlande stets treu zugetan. Felsenfest wie da droben auf dem Fels die alte Burg, die den Stürmen von Jahrhunderten getrotzt hat, sei eure Liebe und Anhänglichkeit an euer kleines, schönes und glückliches Heimatland. Und nun zum Zeichen, dass ihr das gelobet, stimmt mit mir ein in den Ruf: O Gott, mit deiner Hand schütze auch fürder mein Vaterland! Unser Heimatland lebe hoch!

Dem nun folgenden Gesamtchor: "Ich hab' mich ergeben" schlossen sich mehrere Liedervorträge und Deklamationen an. Auf dem Spielplatz (Marktplatz) entwickelte sich nun ein mannigfaltiges Treiben: Hübsche Mädchenreigen mit Gesang und Musik wechselten ab mit Turnübungen der Knaben; ganz besonders fesselten die Vorführungen des Töchterinstitutes Gutenberg und der Landesschule; das Sacklaufen und das Klettern verursachten vielstimmige Lachsalven und Bravorufe und mit begreiflichem Stolze liessen sich die Sieger mit einer hübsch gefassten Liechtensteiner Krone dekorieren.

Wegen vorgerückter Zeit mussten die Spiele unterbrochen werden und es konnten auch nicht mehr alle Liedervorträge stattfinden, die noch in Aussicht genommen waren. Bei einer nochmals gereichten Erfrischung liess man dem Festjubel die Zügel schiessen. Aus vollem Herzen erklang das "Hoch", welches Herr Lehrer [Josef] Frommelt dem Herrn fstl. Kabinettsrate v. In der Maur als dem Veranstalter dieses schönen Festes und als dem Freunde und Förderer der Schule brachte und mächtig erbrauste unter Böllersalven und Musikbegleitung der Schlusschor: "Oben am deutschen Rhein".

Die muntern Scharen zogen mit den Schul- und Jugendfreunden wieder heim und werden das schöne und seltene Fest zeitlebens in der angenehmsten Erinnerung behalten.

Um das Zustandekommen und Gelingen dieses Festes hat sich zunächst ein grösseres Komitee unter dem Vorsitze des Hrn. Dr. Rud. [Rudolf] Schädler bemüht, welches Komitee sich in mehrere Unterabteilungen gliederte: das Dekorationskomitee unter Leitung des Herrn Egon Rheinberger, das Bau- und Wirtschaftskomitee; Lehrer arbeiteten mit Eifer die Einzelnheiten des Festprogrammes aus; Frauen und Mädchen betätigten sich in den einzelnen Gemeinden an der Herstellung von Kränzen und Tannengewinden; die Festwirte [Johann] Nigg und [Alois] Seger taten ihr Bestes — alle seien in den Dank eingeschlossen, der ihren vielen Bemühungen gebührt.

______________

[1] L.Vo., Nr. 28, 9.7.1909, S. 1-2.
[2] Heute überbaute Wiese im Städtli in Vaduz, nördlich der Post, östlich an der Äulistrasse. (Stricker, Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 2, S. 313-314).