Dr. Albert Schädler adaptiert auf Wunsch der Regierung die österreichischen Vorschriften zur Bekämpfung von Typhus auf liechtensteinische Verhältnisse


Maschinenschriftliche Abschrift der österreichischen Vorschriften mit handschriftlichen Korrekturen von Dr. Albert Schädler [1]

1904

Aus Anlass des Auftretens von Typhus sind folgende Massnahmen zur Durchführung zu bringen:

1.) Es ist in geeigneter Weise im Orte zu verlautbaren, in welchen Häusern Typhus herrscht und sind die Ortsbewohner, besonders aber jene Personen, welche die Pflege der Kranken besorgen, zu belehren, dass den Stuhlentleerungen der Kranken die grösste Ansteckungsgefahr anhaftet.

Nicht nur durch Berührung mit diesen Ausscheidungen der Kranken, sondern auch durch Genuss von Wasser oder Speisen, welche mit solchen Ausscheidungen in Berührung gestanden, wird Typhus übertragen. Um sich daher vor der Typhusansteckung zu schützen, muss man sich vor der Beschmutzung mit Ausscheidungen Typhuskranker hüten, beziehungsweise muss jede Beschmutzung sofort durch Reinigung und Desinfektion unschädlich gemacht werden. Der Genuss verdächtigen Trinkwassers oder verdächtiger Speisen muss ängstlich vermieden werden; zum Trinken, Waschen und Kochen soll nur gekochtes, beziehungsweise solches Wasser verwendet werden, das vom behördlich bestellten Sanitätsorgane [2] als unverdächtig bezeichnet worden ist. Einige Nahrungsmittel sind besonders im rohen Zustande geeignet, den Typhuskeim zu übertragen, und sollen daher, um etwa ihnen anhaftende Krankheitskeime sicher zu vernichten, zu Zeiten, wo Typhus besteht, nur in gut gekochtem Zustande genossen werden. Zu diesen Nahrungsmitteln gehören namentlich Milch, Fleisch, Fische, Gemüse und Obst. Ganz besonders sorgfältige Behandlung erheischt die Bett- und Leibwäsche der Kranken.

Jede Krankheit des Magens oder des Darmes steigert die Empfänglichkeit für eine Typhusansteckung. Es ist daher zu Zeiten des Herrschens von Typhus sehr gefährlich, sich durch unmässiges Essen oder Trinken oder durch Genuss besonders schwer verdaulicher Speisen eine Magen und Darmerkrankung zuzuziehen.

Das wirksamste Mittel gegen alle Infektionskrankheiten, also auch gegen Typhus, besteht in der peinlichsten Reinhaltung des Körpers, der Wäsche und Kleider, wie besonders auch der Wohnungen; häufiges Waschen und Baden, häufiger Wäschewechsel, sowie die grösste Reinlichkeit in den Wohnräumen sind daher dringendst zu empfehlen.

2.) Der Typhus pflegt unter nachstehenden Erscheinungen aufzutreten: Nach mehrtägigem leichten Unwohlsein entwickelt sich ein mehr oder minder heftiges Fieber, von grosser Abgeschlagenheit, häufig von Kopfschmerzen begleitet. Manchmal erfolgt Erbrechen oder ist wenigstens Brechreiz vorhanden. Seltener ist die Erkrankung schon zu ihrem Beginne von flüssigen Stuhlentleerungen begleitet. Die Ortsbewohner sind daher zu verpflichten, sofort nach dem Einritte solcher Erscheinungen den Arzt zu Rate zu ziehen, damit derselbe die Art der Erkrankung feststelle, die Behandlung einleite und Verhaltensmassregeln für die Kranken sowie die übrigen Hausgenossen erteile. Auch soll bei Berufung des Arztes gleichzeitig auch die Anzeige an den Gemeindevorstand erstattet werden.

3.) Tritt in einer Haushaltung Typhus auf, so müssen sofort jene Massnahmen getroffen werden, welche geeignet sind, eine Weiterverbreitung auf andere Hausgenossen und auf andere Personen überhaupt zu verhindern. Die wichtigste dieser Massnahmen ist Isolierung der Kranken von den übrigen Familien- und Hausgenossen. Der Kranke ist zu diesem Zwecke in einem eigenen, von den übrigen Wohnräumen getrennten Zimmer, das gut heiz- und lüftbar ist, unterzubringen. Aus diesem Zimmer sollen vorher alle entbehrlichen Möbelstücke, namentlich gepolsterte, nicht waschbare entfernt werden. Dieses Zimmer soll fernerhin nur von der mit der Wartung betrauten Person betreten, von den übrigen Familienmitgliedern oder Fremden aber ganz gemieden werden. [3]

Der Kranke muss sein eigenes Ess- und Trinkgeschirr und Waschzeug erhalten, welches erst, wenn die Krankheit abgelaufen ist, nach gründlicher Desinfektion wieder in allgemeinen Gebrauch gezogen werden darf.

Die Pfleger müssen grösste Reinlichkeit beobachten; sie sollen ein eigenes Oberkleid tragen, das beim Verlassen des Krankenzimmers abzulegen ist. Nach jeder Hilfeleistung beim Kranken, wobei eine Beschmutzung möglich war, müssen sich die Pfleger die Hände gründlich reinigen und desinfizieren. Im Krankenzimmer dürfen sie weder essen noch trinken.

Das Krankenzimmer soll täglich feucht aufgewischt und fleissig gelüftet werden. Der Herkunft der Typhusansteckung ist bei jedem neueintretenden Falle sorgfältig nachzuforschen, damit die hienach notwendigen Massnahmen nach Gutachten des behördlichen Sanitätsorganes [4] getroffen werden können. Hierüber ist auch jedesmal bei Vorlage der Krankheitsanzeige oder des Wochenberichtes zu berichten.

4.) Da die grösste Ansteckungsgefahr den Entleerungen der Kranken anhaftet, so müssen dieselben vor ihrer Beseitigung in den Abort oder durch Vergrabung fern von Wohnstätten und Brunnen desinfiziert werden. Zu diesem Zwecke ist das Nachtgeschirr oder die Leibschüssel vor der Benützung mit 5 %iger Carbolsäure oder 2 %iger Lysollösung oder Kalkmilch zu beschütten und das Gefäss nach der Entleerung mit diesen Mitteln neuerdings gründlich zu reinigen. Ein halbes Liter Kot oder Harn erfordert mindestens 1 ½ Liter der bezeichneten Desinfektionsmittel.

5.) Unreinlich gehaltene Aborte leisten der Verbreitung des Typhus den meisten Vorschub. Es ist daher zu sorgen, dass die Aborte in reinlichem Zustand erhalten werden. Aborte und Senkgruben in Häusern, wo Typhus herrscht, sind täglich mit reichlichen Mengen von Kalkmilch zu desinfizieren. Insbesondere die Abortsitze sind zu reinigen. Die Personen, die das Reinigen der Aborte besorgen, müssen sich darnach sorgfältig die Hände reinigen. Senkgruben und Misthaufen sind ausgiebig mit Kalkmilch zu desinfizieren und muss ihr Inhalt nach Ablauf der Erkrankung auf die Felder verführt, entleert und eingeackert werden.

6.) Leib- und Bettwäsche der Kranken ist nach Gebrauch in reichlich 5 %iger Carbolsäure, 2 %iger Lysollösung oder Kalkmilch einzuweichen und erst nach 24 stündigem Liegen in diesen Flüssigkeiten der Reinigung zuzuführen. Das Wohnzimmer der Kranken ist nach Krankheitsablauf frisch zu tünchen, der Fussboden mit heisser Lauge aufzuwaschen. Bettgestell und Möbel sind mit 5 %iger Carbolsäurelösung abzuwaschen. Das Bettstroh ist zu verbrennen, Matratzen mit 5 %iger Carbolsäurelösung scharf abzureiben und zu lüften. Dort, wo Dampfdesinfektionsapparate zur Verfügung stehen, sind Bettzeug und Kleider des Kranken der Dampfdesinfektion zuzuführen. Die zur Desinfektion (Seite 4 u. 6) notwendigen Stoffe werden den betroffenen Parteien unentgeldlich beigestellt. [5]

7.) Die Brunnen in Häusern, wo Typhus herrscht, sind, falls ein Verdacht der Verunreinigung besteht, zu sperren und erst wieder zu eröffnen, bis sie geräumt und alle bei denselben vorfindlichen Übelstände gründlich beseitigt sind.

8.) Schulkinder, die mit den Kranken in gemeinsamer Wohnung wohnen, sind vom Schulbesuche fernzuhalten.

9.) Wenn sonst noch Übelstände im Hause bestehen, sind dieselben [über Anordnung der behördlichen Sanitätsorganes] zu beseitigen.

10.) Bei Eintritt von den durch Typhus veranlassten Todesfällen ist die Seite 6) näher beschriebene Desinfektion genau durchzuführen. Die üblichen Gebete und Trauerbesuche dürfen nicht in dem Hause, in welchem die Leiche liegt, abgehalten werden. [6]

 

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[1] LI LA RE 1904/1449 ad 1377 (ohne Datum). Dr. Albert Schädler machte der Regierung den Vorschlag, die Merkblätter des deutschen Reichsgesundheitsamtes zur Bekämpfung von Typhus, Diphterie und Tuberkulose an die Geistlichen, Ortsvorsteher und Lehrer in Liechtenstein zu verteilen. Landesverweser Karl von In der Maur schickte darauf Albert Schädler die österreichischen Vorschriften und ersuchte ihn, diese auf liechtensteinische Verhältnisse zu adaptieren, was dieser mit dem hier edierten Dokument machte. Ungeachtet dessen wurden 1905 die reichsdeutschen Merkblätter gemäss ursprünglichem Vorschlag von Albert Schädler verschickt.
[2] Gestrichen: „vom Gemeindearzt“ und ersetzt durch „vom behördlich bestellten en Sanitätsorgane“ (mit roter Tinte).
[3] Gestrichen: „Wenn nicht anders möglich, hat die Isolierung der Kranken im Notspitale zu erfolgen“.
[4] Gestrichen „Gemeindearztes“ und ersetzt durch „behördlichen Sanitätsorganes“ (mit roter Tinte).
[5] Mit roter Tinte neu eingefügt: „Die zur Desinfektion (Seite 4 u. 6) notwendigen Stoffe werden den betroffenen Parteien unentgeldlich beigestellt.“
[6] § 10 ist mit roter Tinte hinzugefügt. § 10 der Rezeptionsvorlage lautet: „Bei Eintritt von Todesfällen ist nach § 8 der Totenbeschauordnung vorzugehen.“