Die Neuen Zürcher Nachrichten meinen, dass Meldungen der Schweizerischen Depeschenagentur aus Liechtenstein mit Vorsicht aufgenommen werden sollten, da diese parteipolitisch geprägt seien


Zeitungsbericht, nicht gez. [1] 

Mit Vorsicht aufzunehmen! 

Man schreibt uns aus dem st. gallischen Rheintal: 

Die Meldungen der Schweizerischen Depeschenagentur über die politischen Vorgänge im Lande Liechtenstein sind mit Vorsicht aufzunehmen. Der liechtensteinische Mitarbeiter der Schweizerischen Depeschenagentur bedient seine Leser einseitig im Sinne der Volkspartei. So wird in der neuesten Meldung versucht, die liechtensteinische Bürgerpartei als tadelnswert erscheinen zu lassen, weil diese mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft in die dreigliederige Regierung eine Vertretung, und zwar eine von ihr selbst zu bestimmende Vertretung verlangt. Dieses Begehren ist aber durchaus berechtigt. Nachdem die Bürgerpartei bis an wenige Dutzend Stimmen gleich stark aus den letzten Wahlen hervorgegangen ist wie die regierende Volkspartei, hat sie doch gewiss das Recht von drei Mitgliedern der Regierung eines für sich zu verlangen. Und wenn sie dabei ihr Selbstbestimmungsrecht wahrt und sich nicht von der Gegenpartei den Vertreter vorschreiben lässt, so befindet sie sich erst recht wieder im vollen Recht. Es ist unbegreiflich, dass sich die liechtensteinische Volkspartei aller Demokratie zuwider noch immer nicht dazu aufraffen kann, das freie Vertretungsrecht der andern Partei anzuerkennen. Da liegt die wahre Schuld der unerquicklichen politischen Zustände im Fürstentum Liechtenstein. Die Schweizerische Depeschenagentur sollte sich hinfort vor einseitigen Darstellungen hüten.

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[1] Neue Zürcher Nachrichten 22.4.1925 (LI LA SgZS 1925)