Johannes Ude wird aus Liechtenstein ausgewiesen


Amtsvermerk von Regierungschef Josef Hoop, ungez. [1]

o.D. (14.9.1932)

Amtsvermerk

Heute Vormittag sprachen beim Gefertigten während der Landtagssitzung vor Professor Dr. [Johannes] Ude von Graz, Baumeister Josef Hilti von Schaan sowie Regierungschef-Stellvertreter Dr. [Ludwig] Marxer von Vaduz.

Professor Ude und Baumeister Hilti ersuchten, nachdem Letzterer dies schon gestern gegenüber Regierungsrat [Peter] Büchel getan hat, [2] um die Bewilligung, Vorträge über freiwirtschaftliche Themen zu halten. Der Gefertigte erklärte, dass er Herrn Professor Ude ersuche, von diesen öffentlichen Vorträgen Abstand zu nehmen, da wir es nicht im Interesse unserer Staatswirtschaft gelegen halten, dass solche Ideen, wie sie der Freiwirtschaftsbund teilweise besitzt, Fuss fassen. Zudem werden manche der Doktrinen des Freiwirtschaftsbundes in der Bevölkerung falsch verstanden. Die Regierung müsse deshalb verbieten, dass Professor Ude öffentlich auf diesem Gebiete Propaganda treibe. Liechtenstein könne sich nicht zu einem Experiment in seinem Sinne hergeben. Zudem habe der Bischof von Chur [Laurenz Matthias Vincenz] gestern erklärt, dass er nicht wünsche, dass Professor Ude in Liechtenstein rede, es bestehe somit ein oberhirtliches Redeverbot, dem sich auch Professor Ude in unserem Bistum beugen müsse. Diesem Standpunkte des Bischofs schliesse sich die Regierung vollinhaltlich an.

Professor Ude erklärte, der Bischof von Chur gehe ihn nichts an, er habe ihm nichts zu befehlen. Der Gefertigte erklärte, er werde dies dem Bischofe von Chur melden und den Standpunkt des Bischofs in dieser Frage zu erfahren suchen. Auf die Einladung, er möchte diese Ideen in seinem Heimatlande zur Anwendung zu bringen suchen, erklärte er, in Österreich dürfe er nicht reden, sein Bisch[of] Pawlowsky [Ferdinand Stanislaus Pawlikowski] habe ihm Redeverbot erteilt und sämtliche österreichischen Bischöfe hätten sich in dieser Massnahme seinem Bistumsoberen angeschlossen. Diese Massregelung in Österreich sei aber eine Ungerechtigkeit, die sein Bischof gemacht habe, denn sie seien ganz conträre Naturen, sein Bischof z.B. rauche gern, trinke gern, verteidige die Reglementation der Prostitution u.s.w., er aber sei von alle dem ein ausgesprochener Gegner. Der Gefertigte erklärte, es hätte keinen Wert für uns auf alle diese Sachen und auf eine Erörterung der Prinzipien der Freiwirtschaft einzugehen, wir würden an unserem Redeverbote jedenfalls festhalten. Darauf fragte Professor Ude: "Aber wenn ich dennoch rede?" Der Gefertigte erklärte, dann werden wir es zu verhindern wissen. Selbst auf ein höfliches Ersuchen, von seinem Vorhaben abzustehen, erklärte Professor Ude, dass er das nicht könne. Darauf erklärte ich neuerdings: Wir verbieten ihm in öffentlichen Versammlungen zu reden, ob er sich diesem Verbote der Regierung fügen wolle. Professor Ude erklärte, er könne das nicht versprechen, er müsse sich erst mit seinen Freunden in Liechtenstein besprechen.

Der Gefertigte gab den eben versammelten Landtagsabgeordneten in diesem Sinne Aufklärung über die Aussprache mit Professor Ude und fand bei sämtlichen Abgeordneten die Zustimmung, dass dem Redeverbote mit allen Mitteln Nachachtung verschafft werde. [3] Nachdem für heute Abend Professor Ude bereits eine öffentliche Versammlung nach Ruggell einberufen hat, hätte der Gefertigte polizeiliche Vorkehrungen zu treffen gehabt, dass Ude das Verbot nicht übertrete. Es bestand die Gefahr, dass es dabei wie bei jedem ähnlichen Anlass zu Misshelligkeiten und Unannehmlichkeiten kommen würde, die am allerwenigsten Professor Ude willkommen hätte sein können. Deshalb erachtet es der Gefertigte für besser, dass vorbeugend gehandelt werde und es nicht erst zu einem Auftreten Udes kommen dürfte.

Heute mittags um 1 Uhr telefonierte der Gefertigte zu Baumeister Josef Hilti, Schaan, wo sich Professor Ude vermutlich aufhielt. Tatsächlich war er dort und ich ersuchte ihn nochmals am Telefon um die Zusage, von seinem öffentlichen Auftreten in Liechtenstein bis auf Weiteres abzusehen. Professor Ude erklärte, das tue er nicht. Er gebe diese Erklärung nicht. Darauf ersuchte ich ihn, das Land heute noch bei erster Gelegenheit zu verlassen. Darauf erklärte er, auch das tue er nicht. Hierauf ging der Gefertigte mit Landweibel [Gebhard] Walser nach Schaan, liess durch Landweibel Walser Professor Ude in das Amtszimmer des Ortsvorstehers [Ferdinand Risch] kommen, wiederholte die obigen Aufforderungen, die Prof. Ude wieder rundwegs ablehnte. Hierauf erklärte ich: Unter diesen Umständen erkläre ich ihn als aus dem Lande bis auf Weiteres mit sofortiger Wirksamkeit ausgewiesen und erteilte Landweibel Walser den Auftrag, Professor Ude sofort in sein Heimatland zu überstellen. [4] Professor Ude ging mit Landweibel Walser zu Hilti, holte seine Effekten und fuhr mit dem Auto auf die österreichische Grenze. Gleichzeitig verständigte der Gefertigte sämtliche Grenzübertrittsstellen, dass Professor Ude des Landes verwiesen sei wegen beharrlicher Widersetzlichkeit gegen die Anordnungen der Behörden und dass er nicht mehr zum Grenzübertritt zugelassen werde, im Weigerungsfalle aber sofort die Regierung zwecks Inhaftierung verständigt werden möge.

Anwesend bei der Eröffnung der Ausweisungsverfügung waren: Ortsvorsteher Ferdinand Risch von Schaan, Regierungsrat Büchel von Mauren sowie Landweibel Walser.

______________

[1] LI LA RF 129/247/062.
[2] Zur Vorsprache Hiltis, die wohl bereits am 12.9.1932 stattgefunden hatte, vgl. LI LA RF 129/247/061 (irrtümlicherweise datiert auf 11.9.1932).
[3] Nicht erwähnt im Protokoll der Landtagssitzung vom 14.9.1932 (LI LA LTP 1932/133-137).
[4] Der mündliche Ausweisungsbefehl wurde noch am 14.9.1932 durch eine schriftliche Verfügung bestätigt (LI LA RF 129/247/004).