Die liechtensteinische Regierung ersucht die fürstliche Gesandtschaft in Wien um Sondierungen zwecks Änderung des Handelsabkommens mit Österreich vom April 1920


Handschriftliches Konzeptschreiben von Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien [1]

12.5.1921

Schon seit längerer Zeit macht sich in den Kreisen der l. Gewerbetreibenden das Bestreben geltend, dass den zwischen dem F.L. u. der Republik Österreich abgeschlossenen Abmachungen über den Handelsverkehr (L. LGBl. Nr. 2 Jg. 1920) [2] eine Änderung erfahren sollte, um die Einfuhr aus Österreich nach Liechtenstein zum Schutze des einheimischen Gewerbes mit einer Einfuhrtaxe belegen zu können. [3]

Tatsächlich leiden verschiedene Gewerbszweige unter dem gegenwärtigen Zustande sehr schwer und eine Abhilfe tut wirklich not. Da aber auch auf die Verbraucher Rücksicht genommen werden muss, ist eine Anwendung des letzten Absatzes des Art. 6 der Abmachungen [4] nicht angängig, wogegen eine Änderung des Art. 2 Absatz 1 [5] in dem Sinne sich notwendig erweist, dass die Einfuhr verschiedener Waren aus Österreich mit einer angemessenen Einfuhrabgabe belegt werden kann.

Ferner erscheint es notwendig, zu erreichen zu suchen, dass seitens Österreichs die Bewilligung zur valutaabgabefreien Ausfuhr von Rundholz oder wenigstens von rohem Schnittmaterial erteilt werde, damit die Verarbeitung des Holzes im Lande selbst durch das einheimische Gewerbe erfolgen kann, da gerade die holzverarbeitenden Gewerbe unter dem gegenwärtigen Zustande sehr schwer leiden.

Hiebei wird bemerkt, dass schon durch viele Jahre vor dem Kriege das Nutzholz zu einem sehr beträchtlichen Teile entweder als Rundholz oder roh geschnitten aus Österreich bezogen wurde.

Die f. Gesandtschaft wird ersucht, ehestens mit der österreichischen Regierung in dieser Richtung Fühlung zu nehmen und das Ergebnis dieser Fühlungnahme tunlichst bald anher bekannt zu geben.

Ein Entgegenkommen Österreichs dürfte namentlich in ersterer Hinsicht, im Hinblicke auf die seitens Österreichs zur Einhebung gelangenden hohen Zölle unschwer zu erreichen sein, u. in letzterer Hinsicht (abgabefreie Ausfuhr von Rundholz u. rohem Schnittmateriale) dürften die alten geschäftlichen Beziehungen doch Rücksicht verdienen. [6]

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[1] LI LA RE 1921/2061 ad 0998. Reingeschrieben von David Strub am 14.5.1921. Gleichzeitig erging seitens der Regierung ein Erlass an alle liechtensteinischen Ortsvorstehungen, demzufolge diese im Einvernehmen mit den Gemeinderäten Stellung zur Einhebung von Einfuhrtaxen nehmen sollten (ebd.). Seitens der Vertreter der Gewerbetreibenden wurden wirksame Einfuhrtaxen verlangt und zwar besonders auf die Einfuhr von Erzeugnissen der Flaschner, Bau- und Möbelschreiner, Sattler, Zimmerei, Schlosser, Kupferschmiede, Schuster, Schneider, Wagner, Schmiede, Küfer, dann für Ofnereiwaren und Brot, das in grösseren Mengen zur Einfuhr gelange. Seitens der Vertreter der Verbraucher wurde dagegen gewünscht, dass für Erzeugnisse der Flaschnerei, Zimmerei, der Bau- und Möbelschreiner, der Schlosser und für Ofnermaterial keine Einfuhrtaxe erhoben werde. – Der Landtag hatte in der öffentlichen Sitzung vom 12.3.1921 den Beschluss gefasst, die Regierung um Verhandlungen mit beiden Interessentengruppen unter Bezug von Landtagsvertretern zu ersuchen, um so Unterlagen und Richtlinien für allenfalls mit der österreichischen Regierung zu pflegenden Unterhandlungen zu erhalten (Schreiben von Landtagspräsident Friedrich Walser an die Regierung vom 13.3.1921 (LI LA RE 1921/1028 ad 0998)). Vgl. auch den Bericht vom 23.5.1921 über die Stellungnahmen der liechtensteinischen Ortsvorstehungen zur Einhebung von Einfuhrtaxen für Fertigprodukte (LI LA RE 1921/2246 ad 0998/2061).
[2] Vgl. die Verordnung vom 1.5.1920 betreffend die Abmachungen über den Handelsverkehr zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich, LGBL. 1920 Nr. 2, bzw. den Notenwechsel zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein vom 22.4.1920 betreffend die Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen, öst. BGBl. 1921 Nr. 136.
[3] Vgl. das Ersuchen einer Gruppe von Bauhandwerkern an den Landtag vom 6.3.1921 um Einfuhrbeschränkung für fertige Bauschreiner- und Zimmerarbeiten aus Österreich (LI LA RE 1921/1028 ad 0998). Vgl. in diesem Zusammenhang die Gegeneingabe einer liechtensteinischen Konsumentengruppe an Regierung und Landtag vom 11.3.1921 (LI LA RE 1921/0998).
[4] Art. 6 Abs. 3 des genannten Abkommens legte fest, dass weitere Ein- und Ausfuhrverbote Platz greifen könnten, sofern sie durch Erfordernisse der eigenen Volkswirtschaft während der Nachkriegszeit bedingt wären.
[5] In Art. 2 Abs. 1 des genannten Abkommens gab Liechtenstein die Zusicherung, Einfuhr- und Ausfuhrabgaben gegenüber Österreich nicht einzuheben.
[6] Der liechtensteinische Gesandte in Wien, Prinz Eduard, teilte der liechtensteinischen Regierung am 19.5.1921 mit, dass er sofort mit der österreichischen Regierung im Sinne des Auftrages Verhandlungen einleiten werde. Er könne diese jedoch nicht im kurzen Wege mit dem Handelsministerium beginnen, sondern er müsse sich mit einer entsprechenden Note an das Aussenministerium wenden (LI LA RE 1921/2302 ad 0998). - Vgl. in diesem Zusammenhang das Gesetz vom 1.12.1921 betreffend die Regelung der Ein-, Aus- und Durchfuhr von Waren, LGBl. 1921 Nr. 25 idF LGBl. 1922 Nr. 3) sowie den Notenwechsel zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein vom 30.12.1921 über die Abänderung des Notenwechsels vom 22.4.1920 betreffend die Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen, B. G. Bl. Nr. 136 von 1921, öst. BGBl. 1922 Nr. 17.