Die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien ersucht die deutsche Regierung um den Bezug von Kunstdünger und Koks im Kompensationsweg gegen die Lieferung von Vieh


Maschinenschriftliche Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard von Liechtenstein, an die deutsche Regierung, über den deutschen Geschäftsträger in Wien, Wilhelm von Stolberg-Wernigerode [1] 

14.8.1919, Wien

Im Auftrage meiner Regierung [2] beehre ich mich, an die Deutsche Regierung die ergebene Anfrage zu stellen, ob die Deutsche Regierung geneigt und in der Lage wäre, die Deckung des an sich geringen Bedarfes des Fürstentumes Liechtenstein an Kunstdünger und Koks im Kompensationswege zu übernehmen.

Die liechtensteinische Landwirtschaft leidet seit geraumer Zeit infolge des Fehlens künstlicher Düngemittel schwere Not. Vor dem Kriege und noch während der ersten Zeit des Krieges wurden für die liechtensteinische Landwirtschaft jährlich grosse Mengen derselben durch die Thomasphosphatfabriken, Gen.m.b.H. in Berlin W. 35 und das Kalksyndikat G.m.b.H. in Berlin S.W. Dessauerstrasse 28/29 [Kalisyndikat GmbH] aus Deutschland eingeführt. Im Verlaufe des vergangenen Krieges war es nicht mehr möglich, Düngemittel von auswärts hereinzubekommen. Auch die zuletzt im vergangenen Frühjahr in dieser Richtung unternommenen Schritte scheiterten sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Der dringendste Bedarf der Landwirtschaft des Fürstentumes beträgt 40 Waggons Thomasschlaken.

Desgleichen muss die fürstliche Regierung der Beschaffung von Kohle für die kommende Heizperiode ihr Augenmerk zuwenden. In früheren Jahren wurden die im Lande benötigten Kohlen von Vorarlberger Grossfirmen gekauft, wo es sich wiederum zum grossen Teile um Deutsche Ware handelte. Unter den obwaltenden Verhältnissen muss es wohl als ausgeschlossen gelten, aus Österreich Kohlen zu beziehen. Auch die in Böhmen erzeugte Kohle wird sich für Zwecke des Fürstentumes wenig eignen, da für das Land vorzüglich Koks in Betracht kommt. Benötigt werden nach einer vorläufigen Schätzung (nach dem letztjährigen Bezuge) etwa 25 Waggons Koks. Besonders gedient wäre den Verbrauchern, wenn Zechenkoks in Nussgrösse geliefert werden könnte.

Für die Lieferung beider Artikel durch Deutschland ist die fürstliche Regierung bereit, im Kompensationswege liechtensteinisches Vieh nach Deutschland zu exportieren, wobei die fürstliche Gesandtschaft darauf hinzuweisen sich erlaubt, dass das liechtensteinische Vieh vor dem Kriege von deutschen Händlern sehr gesucht war, dass es sich fast ausschliesslich um hochwertiges Zuchtvieh handelt und dass im Lande schon seit Jahren keine ansteckende Viehseuche mehr herrschte.

Die fürstliche Regierung glaubt daher die Ansicht vertreten zu dürfen, dass dieser Austausch nicht nur zum Vorteile des Fürstentumes, sondern in gleichem Masse zu dem Deutschlands gereicht und beehre ich mich, meiner zuversichtlichen Erwartung einer entgegenkommenden Aufnahme meines Ersuchens Ausdruck zu geben. Ich wäre namentlich in der Frage der Kunstdünger-Lieferung für eine möglichst rasche aufrechte Erledigung dankbar, da die bedrängte Landwirtschaft des Fürstentumes eine Düngung des Bodens gleich nach der im Zuge befindlichen Ernte erfordert, zumal im Lande früher Frost die späte Einackerung unmöglich macht.

Was die Lieferung von Koks anbelangt, so wird die fürstliche Regierung sofort nach der Mitteilung, dass die deutschen Behörden mit der kompensationsweisen Abgabe prinzipiell einverstanden sind, den Bedarf des Landes definitiv feststellen und werde ich der Deutschen Regierung die nötigen Angaben ungesäumt zugehen lassen. [3]

Der fürstliche Gesandte:

______________

[1] LI LA V 003/0638 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft: 225/2). Mundiert und expediert durch Josef Martin am 14.8.1919. Abschrift der Note unter LI LA SF 13/1919/3982. Prinz Eduard teilte der liechtensteinischen Regierung am 14.8.1919 mit, dass der deutsche Geschäftsträger Stolberg-Wernigerode eine rasche Erledigung sowie eine energische Förderung der Angelegenheit zugesagt habe (LI LA V 003/0638r (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 225/2)).
[2] Die liechtensteinische Regierung hatte mit Schreiben vom 6.8.1919 die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien ersucht, mit den deutschen Behörden baldigst Verhandlungen anzubahnen, damit das im Fürstentum benötigte Koks aus Deutschland im Kompensationsverkehr gegen Vieh bezogen werden könne (LI LA V 003/0637; Aktenzeichen der Gesandtschaft: 227/1. Aktenzeichen der Regierung: 3800). Ein gleichgelagertes Schreiben an die Gesandtschaft betreffend den Bezug von deutschen Düngemitteln war am 2.8.1919 ergangen (LI LA V 003/0638; Aktenzeichen der Gesandtschaft: 225/1. Aktenzeichen der Regierung: 3755).
[3] Mit Note vom 19.9.1919 teilte der deutsche Geschäftsträger in Wien Stolberg-Wernigerode dem liechtensteinischen Gesandten Prinz Eduard mit, dass es der deutschen Regierung leider nicht möglich sei, die Lieferung von Koks in das Fürstentum Liechtenstein und zwar auch nicht im Kompensationswege zu übernehmen. Der Reichskommissar für die Kohlenverteilung habe ausgeführt, dass die Lage in der deutschen Inlandsversorgung, besonders in Süddeutschland, derart unbefriedigend sei, dass er die Übernahme nicht verantworten könne. Auch dort, wo schon staatliche Kompensationsverträge bestünden, wie z.B. mit der Schweiz, könnten die deutschen Brennstofflieferungen nur zu einem Bruchteil ausgeführt werden, sodass auch aus diesem Grunde die Übernahme neuer Verpflichtungen ausgeschlossen erscheine. Wegen der gewünschten Lieferung von Kunstdünger behielt sich die deutsche Regierung eine weitere Mitteilung vor (LI LA V 003/0638; Aktenzeichen der deutschen Botschaft: D 1120. Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft: 225/4). Am 22.10.1919 teilte die deutsche Botschaft in Wien dem liechtensteinischen Gesandten Prinz Eduard mit, dass die deutsche Regierung dem Wunsch der liechtensteinischen Regierung auf Lieferung von 40 Waggons Thomasschlacke aus Deutschland zur Zeit leider nicht nachkommen könne, da die Produktion an Thomasmehl aus dem linksrheinischen Gebiet nur in ganz geringem Umfang der deutschen Landwirtschaft zugeführt werden könne und diese in erster Linie ihren dringendsten Bedarf erhalten müsse. Aus dem gleichen Grunde habe auch dem Wunsch Österreichs auf Zuteilung von 100 Waggons Thomasmehl nicht entsprochen werden können (LI LA V 003/0639; Aktenzeichen der deutschen Botschaft: D 1409. Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft: 366/3).