Albert Schädler als Berichterstatter der Gewerbekommission beantragt die Genehmigung der abgeänderten Regierungsvorlage zur neuen Gewerbeordnung durch den Landtag


Gedruckter Kommissionsbericht an den Landtag, nicht gez. [1]

o.D. (vor dem 16.12.1909)

1. Regierungsvorlage: Gesetz betreff. Erlassung einer neuen Gewerbeordnung

(Berichterstatter: Dr. Alb. [Albert] Schädler)

Die bei uns jetzt noch in Gesetzeskraft bestehende alte Gewerbeordnung vom Jahre 1865, [2] welche in der Hauptsache der österreichischen Gewerbeordnung vom Jahr 1859 [3] entnommen ist, entspricht unseren zeitgemässen Bedürfnissen schon längst nicht mehr. Die in derselben enthaltene sehr weitgehende Gewerbefreiheit ist in unseren Nachbarstaaten durch neue, innert der letzten 30 Jahre eingeführten Gesetze sehr eingeschränkt worden. [4] An ihre Stelle traten humanitäre Arbeiterschutzbestimmungen, die Forderung des Befähigungsnachweises für verschiedene Gewerbe, die Ausdehnung der Konzessionspflicht und der obligatorische Beitritt zu den gewerblichen Genossenschaften.

Diese fortschrittlichen Neuerungen, welche durch die mächtige industrielle Entwicklung der Kulturstaaten notwendig wurden und zur Lösung der sozialen Frage viel beigetragen haben, haben nun auch in dem uns vorliegenden Gesetzentwurfe mit Rücksichtnahme auf die besonderen Verhältnisse unseres kleinen Landes ihren Platz gefunden.

Der Entwurf wurde in einer Reihe von Kommissionssitzungen, wozu zeitweise auch der Gewerbeinspektor von Vorarlberg [Hubert Stipperger], [5] welcher den Entwurf gemeinschaftlich mit der fstl. Regierung ausgearbeitet hatte und mehrere Vertreter unserer Industrie und unseres Gewerbes beigezogen worden waren, einer gründlichen Prüfung und Beratung unterzogen. [6]

Das neue Gesetz schliesst sich in formeller Hinsicht an die Systematik der gegenwärtig geltenden liechtenst. Gewerbeordnung an. Die darin enthaltenen Neuerungen folgen zum grossen Teil den in der neuen österreichischen Gewerbeordnung vom 5. Februar 1907 [7] enthaltenen Gesetzesbestimmungen. Um die wichtigsten in dem Gesetzentwurfe [8] enthaltenen neuen Bestimmungen und Ergänzungen ersichtlich zu machen, seien folgende Punkte hervorgehoben:

1. Der Befähigungsnachweis, d.h. der Nachweis der genügenden Ausbildung für den selbständigen Betrieb eines Gewerbes.

Für Gewerbe, zu deren Ausübung eine blosse Anmeldung genügt, wird laut § 11 des Entwurfes in der Regel der Nachweis über die ordentliche Beendigung des Lehrverhältnisses und über eine mindestens zweijährige Verwendung als Gehilfe in dem betreffenden Gewerbe verlangt. Um jedoch in dieser Hinsicht die Durchführung des Gesetzes besonders zur Übergangszeit nicht zu erschweren, werden der Gewerbebehörde sowohl im § 11 und weiter noch ergänzend im § 21 Kompetenzen eingeräumt, in gegebenen Fällen von einzelnen Belegen anzusehen.

Für Gewerbe, deren Ausübung an eine behördliche Bewilligung (Konzession) gebunden ist und zwar für das Baumeister-, Maurermeister- und Zimmermannsgewerbe, für die Ausführung von Beleuchtungsanlagen und von Wasserleitungen: für das Rauchfangkehrergewerbe und die Ausübung des Hufbeschlages wird im § 13 eine besondere Befähigung gefordert, welche in den folgenden §§ 14–17 näher beschrieben wird. Auch hier ist unsern speziellen Bedürfnissen dadurch Rechnung getragen, dass z.B. für die Ausführung von einfachen Baulichkeiten die Konzession in beschränktem Umfang unter leichteren Bedingungen erteilt werden kann.

Bekanntlich enthält die neue österreichische Gewerbeordnung bezüglich des Befähigungsnachweises viel schärfere Bestimmungen. Für unsere einfachen ländlichen Verhältnisse dürften jedoch die diesbezüglichen Vorschriften des Entwurfes weit vorzuziehen sein.

Die Einführung des Befähigungsnachweises auch in der eingeschränkten Form ist sicherlich ein wichtiger Fortschritt und zugleich auch ein wirksamer und wohlverdienter Schutz für den tüchtigen Handwerker und Gewerbsmann.

2. Die Konzessionspflicht für die Ausübung bestimmter Gewerbe wird in dem neuen Gesetze (§ 13) auf mehrere Gewerbe ausgedehnt, für welche in der alten Gewerbeordnung bloss die Anmeldung genügte. Es sind dies: das Baumeister-, Mauermeister- und Zimmermannsgewerbe sowie sonstige Bauunternehmungen; die Ausführung von Beleuchtungsanlagen und von Wasserleitungen; endlich ausser dem bisher schon der Konzessionspflicht unterworfenen Gast- und Schankgewerbe, der Detailhandel mit geistigen Getränken. Letztere Bestimmung entspricht einem wiederholt vom Landtage ausgesprochenen Wunsche und wird durch die im § 18 enthaltenen Erfordernisse noch näher präzisiert.

Im § 19 sind für die Genehmigung von Betriebsanlagen (Fabriken etc.) weitergehende und zeitgemässe Bedingungen gesetzlich festgelegt.

3. Handlungsagenten, Feilbieten im Umherziehen und Aufsuchen von Bestellungen. Die §§ 26 und 27 des Entwurfes enthalten in Bezug auf die genannten Gewerbe sehr zweckmässige, dem Schutze unseres Kleinhandels dienende Bestimmungen. Handlungsagenten dürfen demnach Bestellungen auf Waren nur bei Gewerbetreibenden, in deren Geschäftsbetrieb Waren der angebotenen Art Verwendung finden, aufsuchen. Das Feilbieten im Umherziehen und ebenso das Aufsuchen von Bestellungen wird hingegen an die allgemeinen Hausiervorschriften gebunden. Es wäre sehr wünschenswert, wenn unser Hausiergesetz demnächst einer zweckentsprechenden Reform unterzogen würde. [9]

4. Schutzbestimmungen. Die in den §§ 45–49 enthaltenen Schutzbestimmungen betreffen hauptsächlich die Fabriken und sind zum grössten Teil schon längst in Übung. Es handelt sich hier in der Hauptsache um die gesetzliche Festlegung der bestehenden Übung.

5. Sonn- und Feiertagsruhe. Auch hier wird die bereits bestehende Übung gesetzlich festgelegt (§ 51), dass an Sonntagen und gebotenen Feiertagen die gewerbliche Arbeit im Allgemeinen zu ruhen hat. Die Gestattung bestimmter Arbeiten und Verrichtungen, welche vorgenommen werden müssen, wird durch die bestehenden oder noch zu ergehenden polizeilichen Vorschriften geregelt.

6. Lohnwesen. §§ 52–54. Auch diese Bestimmungen sind meistens der bisherigen Übung entnommen. Hervorzuheben wären ausserdem: die Vorschrift im § 52, wonach die Arbeiter nicht gezwungen werden dürfen, ihre Bedarfsartikel aus bestimmten Verkaufsstätten zu beziehen und die im § 53 enthaltenen Bestimmungen über die Heranziehung des Arbeitslohnes zur Sicherstellung dritter Personen.

7. Krankenversicherung. Das neue Gesetz verpflichtet jeden Gewerbetreibenden, sein Hilfspersonal bei einer mit behördlich genehmigtem Statut versehenen Krankenkasse zu versichern. Bei den Fabriken ist das bekanntlich schon längst der Fall. Im weitern werden die Mindestleistungen fixiert, worauf ich in diesem Bericht bei Erörterung der Amendierungsvorschläge [10] zurückkommen werde.

8. Unfallversicherung. Diese besteht auch schon längst bei den fabrikmässigen Betrieben, nun wird dieselbe als Pflicht gesetzlich festgelegt und auch auf die Inhaber von Gewerben, mit deren Ausübung eine besondere Gefahr für die Arbeiter verbunden ist, insbesondere auf die Inhaber von Steinbrüchen, Baugewerben und von Betrieben, in welchen Motoren oder Dampfkessel verwendet werden, ausgedehnt. Demnach haben die genannten Inhaber von Unternehmungen und Gewerben das gesamte Arbeitspersonal gegen Betriebsunfälle bei einer in- oder ausländischen in Liechtenstein zugelassenen Anstalt zu versichern. Die weiteren diesbezüglichen Bestimmungen werden bei Besprechung der Abänderungsvorschläge noch erörtert werden.

9. Genossenschaften. Ganz neu ist die in dem Entwurfe (§§ 74–77) vorgesehene obligatorische Einführung von Genossenschaften für die Gewerbetreibenden. Die hauptsächlichsten Bestimmungen über die Organisation, über die Obliegenheiten und über die erforderlichen Eigenschaften des Statuts der Genossenschaft sind in dem Entwurfe vorgezeichnet. Bei unseren kleinen Verhältnissen kann es sich wohl nur um die Schaffung einer Genossenschaft bzw. eines Genossenschaftsverbandes handeln, worin die einzelnen Gewerbe in entsprechenden Fachsektionen ihre Vertretung haben. Es wird zweckentsprechend sein, bei der Bildung von Fachsektionen verwandte Gewerbe zusammenzufassen. Der Genossenschaftsverband hat edle Zwecke, er soll den Gemeingeist pflegen, die Standesehre erhalten und heben, und die humanitären, wirtschaftlichen und Bildungsinteressen seiner Mitglieder und Angehörigen fördern. Es wird wohl auch bei uns, wie anderwärts, einige Zeit vergehen, bis sich das Genossenschaftswesen zu einer lebensfähigen und allgemein nützlichen Institution durchgerungen hat. Um das Ziel rascher zu erreichen, wird da die Aufklärung der Gewerbetreibenden und die Erteilung praktischer Winke durch erfahrene Genossenschaftsinstruktoren notwendig sein. – Die rührige Tätigkeit unseres landwirtschaftlichen Vereins mit seiner praktischen Organisation dürfte da in gewissem Sinne vorbildlich sein und lässt auch ein entsprechendes Aufblühen der gewerblichen Genossenschaften erhoffen. –

Nach diesen in Kürze geschilderten Hauptpunkten des neuen Gesetzes ist leicht erkennbar, dass die Reform unserer Gewerbeordnung eine gründliche ist und den heutigen zeitgemässen Anforderungen auch im grossen und ganzen entspricht.

Bei der kommissionellen Beratungen wurden im Einvernehmen mit dem Regierungsvertreter [Karl von In der Maur] eine Reihe von Änderungen des Entwurfes beschlossen, die Ihnen nachfolgend mitgeteilt werden mit dem Antrage, die Regierungsvorlage mit diesen Abänderungen anzunehmen. Soweit es sich nur um stilistische Verbesserungen handelt, führe ich diese ohne weitere Bemerkungen an; eigentlichen Änderungen sachlicher Natur wird jedoch die Begründung beigesetzt.

§ 3 in der dritten Linie soll stehen statt „statt kompetenten Behörde" besser „zuständigen Behörde".

§ 5 in der dritten Linie statt „qualifizierten Geschäftsführer" richtiger „befähigten Geschäftsführer".

§ 7. Zwischen dem zweiten und dritten Absatz ist einzuschalten:

Im Falle der Verurteilung durch ein richterliches Erkenntnis ist die Ausschliessung nur für die Dauer der gesetzlichen Straffolge wirksam."

Diese Ergänzung ist notwendig, um Missdeutungen zu vermeiden. Sie ist dem § 6 der österreichischen neuen Gewerbeordnung entnommen.

§ 10. Im zweiten Absatz, fünfte Linie soll es heissen statt „kompetenten Behörde" besser „zuständigen Behörde".

§ 13. Statt „Genehmigung" soll es im Titel „Bewilligung" heissen.

Ferner soll es am Schluss von Punkt b) statt „Die Hilfsarbeiter gefährden" heissen: „Die Hilfsarbeiter zu gefährden oder zu belästigen geeignet sind."

§ 16. Dritte Linie ist zu ergänzen „oder noch ergehenden besonderen Vorschriften."

§ 17. Dritte Linie ist zu ergänzen statt „oder der" richtiger „beziehungsweise über die mit Erfolge abgelegte Hufbeschlagsprüfung."

§ 18. Ist nach dem letzten Absatz beizufügen:

„Vor Erteilung der Konzession hat die Gewerbebehörde die Gemeindevertretung des Standortes zu hören."

Dieser Zusatz ist berechtigt und findet sich auch in dem diesbezüglichen Paragraphen der neuen österr. Gewerbeordnung.

§ 19. An Stelle des zu streichenden vierten Absatzes soll es heissen:

„Die Gewerbebehörde hat sodann von amtswegen, nötigenfalls im Wege der kommissionellen Verhandlung, alle massgebenden Umstände zu erheben, die etwa vorgekommenen Einwendungen gründlich zu erörtern, deren Beilegung zu versuchen und die Entscheidung zu treffen, wobei insbesondere darauf zu sehen ist, dass für Kirchen und Schulen und andere öffentliche Anstalten aus diesen Betriebsanlagen keine Störung erwachse und dass nicht etwa schon die Anlage der Arbeitsräume die Sicherheit und Gesundheit der in denselben beschäftigten Personen gefährde; die zu diesem Zwecke etwa nötigen Bedingungen und Beschränkungen inbetreff der Einrichtung und des Betriebes der Anlage sind die Entscheidung aufzunehmen."

§ 27. Absatz 2 soll in anderer jedoch dem Sinne nach gleicher Form heissen:

„Die gleichen Vorschriften unterliegt das Aufsuchen von Bestellungen beziehungsweise die Aufnahme von Aufträgen für ein Gewerbe bei solchen Personen, welche mit dem betreffenden Artikel weder Handel treiben, noch denselben in ihrem Gewerbe verwenden."

§ 29. Sechste Linie (§ 13) ist in die siebte Linie hinter „ist" einzufügen.

§ 31. Zweiter Absatz, erste Linie statt „Der Regierung kommt zu" richtiger „Die Regierung ist berechtigt".

§ 32. Dritte Linie statt „bei beabsichtigter Einstellung diese" richtiger „die beabsichtigte Betriebseinstellung."

§ 37. Erster Absatz, vierte Linie ist „Leumunds" zu streichen und in der fünften Linie nach Dienstzeugnissen in Klammer „Arbeitsbüchern" einzufügen.

Der zweite Absatz ist zu streichen und statt dessen folgende Fassung aufzunehmen:

„Unternehmer, welche Arbeitnehmer ohne solche Ausweise in Verwendung nehmen, oder welche es an der nötigen Sorgfalt dadurch fehlen lassen, dass sie übelbeleumundete der öffentlichen Ordnung gefährliche Ausländer beschäftigen, machen sich strafbar; sie haften samt den Arbeitnehmern dem früheren Dienstgeber für den durch eigenmächtigen Austritt des Arbeitnehmers erwachsenen Kosten nach Massgabe des § 1302 des bürgerlichen Gesetzbuches. [11] Dem früheren Dienstgeber steht auch das Recht zu, den Wiedereintritt des eigenmächtig ausgetretenen Arbeitnehmers zu fordern."

Es ist aus der Änderung dieses Paragraphen ersichtlich, dass auch rücksichtlich der Ausländer von der Beibringung eines Leumundszeugnisses abgestanden wird; andererseits wurde ab er im zweiten Absatz neu bestimmt, dass Unternehmer, welche es an der nötigen Sorgfalt dadurch fehlen lassen, dass sie übelbeleumundete, der öffentlichen Ordnung gefährliche Ausländer beschäftigen, sich strafbar machen. Nach Ansicht ihrer Kommission dürfte mit dieser Änderung das Richtige getroffen sein. Die Forderung des Leumundszeugnisses hätte speziell unseren Fabrikunternehmern recht grosse Umständlichkeiten verursacht und ihnen die Anstellung fremder Arbeiter bedeutend erschwert.

§ 40. Fünfte Linie. Hinter „besorgen" ist einzuschalten „die angeordneten Sicherheitsvorschriften zu befolgen". In der vierten letzten Zeile ist für „Gehilfen" richtiger „Arbeitnehmer" zu setzen.

§ 48. Zweite und dritte Linie ist „innerhalb einer Arbeitsschicht" zu streichen und statt dessen am Schlusse beizufügen: "wovon tunlichst eine Stunde auf die Mittagszeit entfallen soll. Bei besonderen Verhältnissen können die Pausen abgekürzt oder verlegt werden (§ 50)."

Die Rücksichtnahme auf allfällige besondere lokale Verhältnisse gaben Anlass zu dieser Abänderung.

§ 49. Am Schlusse des Paragraphen ist folgender Ergänzungsabsatz beizufügen:

„Die Einführung regelmässiger Tag- und Nachtschichten bedarf einer besonderen Bewilligung der fürstl. Regierung."

Der § 49 hat als § 50 der § 51 zu folgen, weil derselbe auch noch zu den Schlussbestimmungen gehört. Dagegen hat der § 50 folgerichtig als § 51 zu gelten.

§ 53. Am Schlusse des Absatzes 2 soll es anstatt „doch hat er usw." heissen: „bei vorkommenden Streitigkeiten gelten die im § 69 enthaltenen Bestimmungen."

Der letzte Absatz wird in folgender Abänderung empfohlen:

„Die Heranziehung des Arbeitslohnes zur Sicherstellung der Ansprüche dritter Personen ist nicht statthaft; ausgenommen von dieser Bestimmung sind die Sicherstellung und exekutive Einbringung der Steuern und öffentlichen Aufgaben, der auf dem Gesetz beruhenden Ansprüche auf Leistung des Unterhaltes sowie die Kosten für die streng nötigen Kleidungsstücke und Nahrungsmittel mit Ausschluss der Getränke."

Die zuletzt genannte Erweiterung der Sicherstellung ist vollauf berechtigt und dient dem Schutze unseres Kleinhandels.

§ 54. In der vierten Linie ist nach „wohltätigen Zweck" in Klammer einzuschalten (z.B. bei den Fabriken den Betriebskrankenkassen).

§ 69. Dritte Linie soll es statt „der Lehrherr" heissen „der Gewerbsinhaber".

Der zweite Absatz soll lauten:

„Gegen dasselbe steht den Beteiligten durch 8 Tage die Berufung an die Regierung und im weiteren Rechtszuge binnen 8 Tage an die politische Rekursinstanz offen."

§ 71. Krankenversicherung.

Im Punkt 2 ist in der dritten Linie nach „beträgt" anzufügen: „50 % des aus dem Mittel von 8 Wochen sich ergebenden Lohnes, jedoch nicht weniger als".

Im Punkt 3 ist dem zweiten Absatze folgendes beizufügen:

Unter Familie werden Eltern, Mann, Frau und Kinder verstanden, soweit sie mit dem Erkrankten im gemeinsamen Haushalt leben und von ihm erhalten werden; im Falle eines Rekurses steht der fürstl. Regierung die endgültige Entscheidung zu."

Diese Ergänzungen sind begründet in dem Umstande, dass die im Entwurfe vorgesehenen Taggelder von 1 K 30, 1 K und 80 h für verschiedene Arbeiterkategorien (z.B. Bauhandwerker etc.) offenbar zu niedrig gegriffen wären, weshalb es sich empfiehlt, das Minimum prozentual festzulegen. Der zweite Nachsatz betreffend Definition der Familie ist notwendig, um missbräuchliche Deutungen zu verhindern.

Notwendig wird es sein, dass auch die in unserm Lande bestehende allgemeine Krankenkasse ihre Statuten den Bestimmungen des § 71 anpasst, damit das zur Versicherung verpflichtete Hilfspersonal der Gewerbetreibenden dieser Kasse beitreten kann. In Betracht kommen in dieser Hinsicht selbstverständlich nur die Arbeiter in nicht fabrikmässigen Betrieben.

§ 72. Unfallversicherung. Der in wesentlichen Punkten abgeänderte § 72 hat nach dem Kommissionsantrag folgenden Wortlaut:

„Die Inhaber von Unternehmungen, welche mehr als 10 Arbeiter verwenden, sowie die Betriebsinhaber von Gewerben, mit deren Ausübung eine besondere Gefahr für die Arbeiter verbunden ist, insbesondere die Inhaber von Steinbrüchen, Baugewerben und von Betrieben, in welchen Motoren oder Dampfkessel verwendet werden, haben das gesamte Arbeitspersonal gegen Betriebsunfälle zu versichern.

Die Versicherung hat sich auf die nachstehenden Mindestleistungen zu erstrecken, welche beim Eintritt eines Betriebsunfalles zu gewähren sind:

1. Die Kosten der Krankenpflege und die Verabfolgung von Taggeldern bis zum Abschluss des Heilungsverfahrens in dem unter § 71 dieses Gesetzes angegebenen Ausmass.

2. Eine Abfindung in der Höhe des 1000fachen Tagesverdienstes der verunglückten Person bei vollständiger Erwerbsunfähigkeit beziehungsweise eines entsprechend geringeren Betrages bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit, welche Abfindung nach Einstellung der unter Punkt 1 erwähnten Unterstützungen flüssig wird.

3. Eine Abfindung in der Höhe des 1000fachen Tagesverdienstes für die Hinterbliebenen (Witwer oder Witwe, Kinder unter 16 Jahren oder dauernd erwerbsunfähige Kinder) im Fall, als die verunglückte Person mit Tod abgegangen ist; falls aber die mit Tod abgegangene Person unverehelicht oder kinderlos verwitwet, jedoch Kind eines überlebenden nachweisbar unterstützungsbedürftigen Vaters oder einer überlebenden nachweisbar unterstützungsbedürftigen Mutter war, eine Abfindung in der Höhe des 500fachen Tagesverdienstes der verunglückten Person.

An Stelle der unter Punkt 1 verzeichneten Leistungen kann auch die Versicherung auf eine Rente von 90 Prozent des Arbeitsverdienstes für die Dauer des Heilungsverfahrens treten.

Die einmalige Abfindung kann unter besonderen Umständen in eine entsprechend hohe Invalidenrente beziehungsweise in eine entsprechend hohe Rente für die Hinterbliebenen umgewandelt werden.

Bei Eintritt eines Betriebsunfalles werden die statutarischen Leistungen von der Krankenkasse vorschussweise gegeben und steht derselben der Ersatzanspruch bis zur Höhe der im Punkt 1 verzeichneten Mindestleistung an die Versicherungsanstalt zu.

Die Versicherung kann bei einer in- oder ausländischen, in Liechtenstein zugelassenen Anstalt erfolgen.

Die Versicherungsbeiträge werden von den Unternehmern getragen, solange der Prämiensatz nicht über 15 ‰ des Arbeitslohnes steigt; ist der Prämiensatz höher, so können die Hilfsarbeiter bis zur Höhe von 40 % der Beiträge herangezogen werden; der Beitrag des Unternehmers darf jedoch auch in einem solchen Fall nie weniger als 15 ‰ des Arbeitslohnes betragen."

Der Entwurf unterscheidet sich von dieser amendierten Fassung in zwei wesentlichen Punkten. Erstlich basierte er in Punkt 2 und 3 auf dem Rentenprinzip, während im jetzigen Abänderungsantrag eine entsprechende Abfindung zur Grundlage genommen wird. Zweitens wird im Schlussabsatze des Entwurfes für alle Unternehmer gleichmässig bestimmt, dass auf dieselben 90 Prozent und auf die Arbeiter 10 Prozent der Versicherungsbeiträge zu entfallen haben; die von der Kommission abgeänderte Fassung schreibt hingegen vor, dass die Versicherungsbeiträge, solange der Prämiensatz nicht über 15 ‰ des Arbeitslohnes beträgt, von den Unternehmern allein zu tragen sind; und dass nur dann, wenn der Prämiensatz höher ist, d.h. wenn es sich in der Regel um wesentlich höhere Gefahrenklassen (wie Bauhandwerker, Steinbrecher) handelt, auch die Hilfsarbeiter zum Mittragen bis zu 40 % herangezogen werden können. Diese abgeänderten Bestimmungen entsprechen unsern jetzigen Bedürfnissen. Tatsächlich haben unsere Fabriksunternehmer bisher stets die Unfallprämien allein bezahlt, eine Inanspruchnahme der Arbeiter zur Mittragung dieser Prämien hätte also die Lage des Arbeiters verschlechtert. Zudem sind die Prämiensätze für die Fabrikarbeiter der Textil-Industrie relativ sehr niedrig und werden auch dort, wo gesetzlich die Arbeiter zur Mittragung herangezogen werden könnten, in der Regel von den Unternehmern allein getragen. Anders verhält es sich bei den höheren Gefahrenklassen. Während z.B. bis jetzt die Fabrikunternehmer ihre Arbeiter gegen Unfall zu einem Prämiensatze von 9 ‰ (einer sogar nur von 6 ‰) versichert haben, beträgt die Prämie für die Bauarbeiter eines hiesigen Unternehmers 67 ‰ des Arbeitslohnes. Es wäre nun unbillig, und würde auch nicht einmal von den Bauarbeitern selbstgewünscht werden, dass diese sehr hohe Prämie vom Unternehmer allein oder fast allein getragen würde. Deshalb ist es begründet, dass in solchen Fällen die Beiträge bis zur Höhe von 40 % auch von den Arbeitern verlangt werden können. – Was nun die im Entwurfe zuerst vorgeschlagene Invalidenrente betrifft, so mag diese gegenüber der im Antrag statuierten Abfindung Manches für sich haben. Aber bei unseren speziellen Verhältnissen (innert fast 30 Jahren kam unter den Fabrikarbeitern in Liechtenstein ein einziger Todesfall durch Unfall vor) ist jedoch das Abfindungsverfahren, das immerhin als Mindestleistung den 1000fachen Tagesverdienst zur Grundlage hat, vorzuziehen. Die Rentenversicherung ist zudem erheblich teurer und hätte ohne Heranziehung der Fabrikarbeiter zur Mittragung der Beiträge billigerweise nicht durchgeführt werden können. –

Etwas, was über den Rahmen der vorliegenden Gewerbeordnung vorläufig hinausgeht, wäre die gesetzliche Einführung der Alters- und Invalidenversicherung [12] speziell für die Fabriksarbeiter. Für eine solche Versicherung würde auch der Arbeiter gerne seine Jahresbeiträge bezahlen in der Hoffnung, in alten Tagen und im arbeitsunfähigen Zustande eine ihm rechtlich zustehende Alters- oder Invalidenrente zu erhalten. Es sei hier auf diese sehr wünschenswerte Einrichtung speziell aufmerksam gemacht und sowohl der f. Regierung als auch dem Landtage warm empfohlen, in dieser Richtung vorzuarbeiten, im in Bälde eine unseren Verhältnissen entsprechende Versicherung dieser Art ins Leben rufen zu können.

§ 75. In der achten Linie des ersten Absatzes soll es statt „Fachvorstände" heissen „Sektionsvorstände".

§ 77. Im dritten Absatz letzte Zeile soll es statt „Ordnungsstrafen" heissen „Ordnungsbussen".

§ 78. Am Schlusse des ersten Absatzes ist „mit Ausnahme der Strafsachen" zu streichen und statt dessen einzufügen: „soweit durch dieses Gesetz nichts anderes bestimmt ist."

In letzter Linie vom dritten Absatz soll statt „Genehmigung" stehen „Bewilligung".

§ 84. In der ersten Zeile ist nach „im § 77" einzufügen „al. 3 dieser Gewerbe-Ordnung."

§ 85. Sub b) soll es statt „mit Geldbussen" heissen „mit Geldstrafen".

§ 86 Sub b) soll es am Ende zweiter und im Anfang dritter Linie statt „früher die Genehmigung" heissen „vorher die Bewilligung".

§ 89. Im zweiten Absatz, zweite Linie ist nach „findet diese" einzufügen „Entziehung" und am Ende des Absatzes statt „wird" zu setzen „würde".

Für das Einführungsgesetz werden folgende Änderungen beziehungsweise Ergänzungen vorgeschlagen:

Nach „Wir Johann II. … verordnen" wäre einzuschalten: „in der Absicht, die Vorschriften über die Ausübung von Gewerben den geänderten Zeitverhältnissen anzupassen."

Art. 1 wird beantragt in folgender Form: „Nachfolgende Gewerbeordnung hat mit 1. Jänner 1911 in Kraft zu treten."

Diese Bestimmung rechtfertigt sich aus dem Umstande, dass zur Durchführung der neuen gewerberechtlichen Vorschriften Vorbereitungen verschiedener Art nötig sind. Der Hinweis auf die Einführung des Genossenschaftswesen dürfte in dieser Richtung genügen.

Art. 5 sub g) muss es heissen: „die Ausübung der Heilkunde, des Apotheker- und Veterinärwesen:"

Art. 9 hat richtiger zu lauten: „Mit dem Vollzug dieses Gesetzes ist die f. Regierung beauftragt."

 

______________

[1] LI LA LTA 1909/L01 (Punkt 1 der Tagesordnung seitens des Landtagspräsidiums für die auf den 16.12. und 18.12.1909 anberaumten Landtagssitzungen). Veranlasst durch eine Petition des liechtensteinischen Gewerbevereins an den Landtag vom 30.10.1907, in welchem auf die Dringlichkeit einer Gewerbereform hingewiesen worden war, hatte dieser in seiner Sitzung vom 18.12.1907 eine Gewerbekommission, bestehend aus den Abgeordneten Albert Schädler, Franz Schlegel, Friedrich Walser und Lorenz Kind, eingesetzt (vgl. hiezu LI LA RE 1907/1298). Der vorliegende Kommissionsbericht stammt dagegen von einer Siebnerkommission, welcher vom Landtag in der Eröffnungssitzung vom 25.10.1909 zur Beratung des von der Regierung vorgelegten Entwurfes für eine neue Gewerbeordnung gewählt worden war und folgende Mitglieder umfasste: Albert Schädler, Friedrich Walser, Lorenz Kind, Franz Schlegel, [Franz] Xaver Bargetze, Jakob Kaiser und Franz Josef Beck (vgl. das Protokoll der genannten Landtagssitzung unter LI LA LTA 1909/S04/2). Die Regierungsvorlage findet sich unter LI LA LTA 1909/L02. In den öffentlichen Landtagssitzungen vom 16.12. und vom 18.12.1909 wurde der Gesetzentwurf in der von der Kommission beantragten Fassung behandelt und mit weiteren Änderungen und Ergänzungen einstimmig angenommen (vgl. LI LA LTA 1909/S04/2). Vgl. den Bericht von Landesverweser Karl von In der Maur an Fürst Johann II. vom 21.4.1910 über die Modifikation der Vorlage (LI LA RE 1909/2116 ad 0704). Siehe das Gesetz vom 30.4.1910 betreffend Erlassung einer neuen Gewerbeordnung, LGBl. 1910 Nr. 3. Vgl. in weiterer Folge das Gesetz vom 13.12.1915 betreffend die teilweise Abänderung der Gewerbeordnung, LGBl. 1915 Nr. 14.
[2] Vgl. die Gewerbeordnung vom 16.10.1865, LGBl. 1865 Nr. 9.
[3] Vgl. das Kaiserliche Patent vom 20.12.1859, womit eine Gewerbe-Ordnung für den ganzen Umfang des Reiches, mit Ausnahme des venetianischen Verwaltungsgebietes und der Militärgränze, erlassen, und vom 1.5.1860 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird, öst. RGBl. 1859 Nr. 227.
[4] Vgl. das Gesetz vom 15.3.1883 betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, öst. RGBl. 1883 Nr. 39; das Gesetz vom 8.3.1885 betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, öst. RGBl. 1885 Nr. 22, sowie das Gesetz vom 23.2.1897 betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, öst. RGBl. 1897 Nr. 63.
[5] Vgl. in diesem Zusammenhang den von Stipperger am 19.6.1910 in Vaduz gehaltenen Vortrag über die neue liechtensteinische Gewerbeordnung (LI LA RE 1910/1196 ad 0873). Dieser arbeitete auch einen Entwurf für das Statut der zu gründenden Gewerbegenossenschaft samt einem Statut für die Gehilfenversammlung aus (Schreiben von Stipperger an die Regierung vom 17.6.1910 (LI LA RE 1910/1128 ad 0873).
[6] Vgl. hiezu den Bericht von Landesverweser Karl von In der Maur an Fürst Johann II. vom 30.9.1909 über die Genese des Gesetzentwurfes (LI LA RE 1909/1363 ad 0704). Erwähnenswert ist der Umstand, dass der Entwurf auch der Handels- und Gewerbekammer in Feldkirch zur Begutachtung vorgelegt wurde (diesbezügliche Stellungnahme an die liechtensteinische Regierung vom 13.3.1909 unter LI LA RE 1910/0704).
[7] Vgl. das Gesetz vom 5.2.1907 betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, öst. RGBl. 1907 Nr. 26.
[8] Vgl. die bereits erwähnte Regierungsvorlage unter LI LA LTA 1909/L02.
[9] Vgl. das Hausiergesetz vom 14.7.1870, LBGl. 1870 Nr. 5, bzw. das Gesetz vom 11.1.1916 betreffend die Erlassung neuer Hausiervorschriften, LGBl. 1916 Nr. 2.
[10] Amendement: Zusatzantrag.
[11] ABGB, eingeführt in Liechtenstein durch Fürstliche Verordnung vom 18.2.1812 (LI LA RB G1 1812).
[12] Vgl. das Gesetz vom 14.12.1952 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, LGBl. 1952 Nr. 29, sowie das Gesetz vom 23.12.1959 über die Invalidenversicherung, LGBl. 1960 Nr. 5.