Der Landtag stimmt der neuen Verfassung einstimmig zu


Handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung, gez. Schriftführer Johann Wohlwend [1]

24.8.1921

Nun folgt die Verhandlung des einzigen Gegenstandes der heutigen Tagesordnung:

Die neue Verfassung.

Der Präsident Walser Friedrich bemerkt einleitend, die Sache sei im Plenum in mehreren nicht öffentlichen Sitzungen behandelt worden. Auch die Verfassungskommission habe sich eingehend damit beschäftigt. [2] Er lese deshalb die einzelnen Artikel nicht mehr vor, sondern rufe nur die Zahl des Artikels auf, dann könne jeder Abgeordnete seine Wünsche vorbringen.

Im Artikel 3 wird vom Abg. Wohlwend auf einen Druckfehler hingewiesen: Vormannschaft statt richtig Vormundschaft. Im Artikel 10 findet Dr. [Eugen] Nipp Tautologien. Der Regierungschef [Josef Ospelt] möchte lieber nichts ändern, der Text sei aus der alten Verfassung herübergenommen, also schon 60 Jahre alt. Dr. [Wilhelm] Beck stellt zum Art. 10 den Zusatzantrag: "Eine solche Massnahme bedarf der nachträglichen Zustimmung des Landtages." Der Antrag erhält nur 7 Stimmen und ist deshalb gefallen. Im Art. 11 wird auf Antrag Professor [Gustav] Schädlers das Wort "Staatsangestellte" in "Staatsbeamte" umgeändert. Im Art. 14 will Peter Büchel das Wort "gesundheitliche" Interessen eingefügt wissen, zieht aber die Anregung zurück, da der Artikel 18 hierauf Bezügliches enthalte.

Der Artikel 16 erhält im ersten Absatz folgende Fassung: "Das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen steht, unbeschadet der Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre, unter staatlicher Aufsicht." Professor Dr. Nipp bemerkt dazu: Dieser Absatz habe des Friedens halber diese Fassung bekommen. Nach genauer Erkundigung und langer Überlegung könne er mit bestem Wissen und Gewissen mit dieser Fassung einverstanden sein. Artikel 16 wird hierauf in dieser Form einstimmig angenommen. Auf Antrag Peter Büchels wird im Art. 18 vor die Worte "Besserung von Trinkern" noch eingefügt "Bekämpfung der Trunksucht". Im Art. 19 wird auf Anregung des Regierungschefs nach "schützt" eingefügt "das Recht auf Arbeit und" die Arbeitskraft.

Peter Büchel beantragt für Art. 26 folgende Fassung: "Der Staat unterstützt und fördert das Kranken-, Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherungswesen." Wird einstimmig angenommen. Im Artikel 27 wird der Druckfehler "berufungsmässig" statt richtig "berufsmässig" beanständet und verbessert.

Beim Art. 28 wünscht Peter Büchel eine Beschränkung des Erwerbes von Gütern. Er führt die Sache näher aus. [Josef] Sprenger unterstützt ihn und sagt, in Triesen bekomme die Fabrikfirma [Jenny, Spoerry & Cie] noch allen Boden. In zehn Jahren habe sie allen, wenn er feil wurde. Der Regierungschef bemerkt, ihm sei die Anregung willkommen, er wolle die Sache vor die Finanzkommission bringen zur Schaffung eines Gesetzes. Auf Antrag Dr. Becks beginnt der letzte Absatz des Artikels 32 wie folgt: "Ungesetzlich oder erwiesenermassen unschuldig Verurteilte haben Anspruch etc." Dr. Nipp und [Emil] Risch betonen besonders, dass die Unschuld klar erwiesen sein soll, deshalb das Wort "erwiesenermassen". Der zweite Absatz des Art. 37 bekommt folgende Fassung: "Die römisch-katholische Kirche ist die Landeskirche und geniesst als solche den vollen Schutz des Staates etc." Art. 37 wird so einstimmig angenommen. Der zweite Satz des Artikels 38 wird so formuliert: "Die Verwaltung des Kirchengutes in den Kirchgemeinden wird durch ein besonderes Gesetz geregelt; vor dessen Erlassung ist das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen." Der Art. 38 wird in dieser Form einstimmig angenommen. Auf Antrag Dr. Becks wird im Art. 43 nach "Rechte" eingefügt "oder Interessen". In Art. 44 wird der Druckfehler "Informationen" richtiggestellt durch das Wort "Formationen". Beim Art. 64 verlangt der Reg.-Chef einen Bedeckungsvorschlag auch vom Landtag und dem Fürsten, nicht bloss beim Volksbegehren. Der Absatz "Ist das Begehren etc." wird dann so formuliert: "Ist das Begehren eines der unter a bis c erwähnten Organe auf Erlassung eines nicht schon durch diese Verfassung vorgesehenen Gesetzes gerichtet, aus dessen Durchführung u.s.w." Mit dieser Änderung wird Art. 64 einstimmig angenommen. Die Aussprache über Art. 66 ergibt folgende Änderungen desselben: Der erste Absatz soll lauten: "Jedes vom Landtage beschlossene, von ihm nicht als dringlich erklärte Gesetz, ebenso jeder nicht als dringlich erklärte Finanzbeschluss, sofern er eine einmalige neue Ausgabe von 10'000 Franken oder eine jährliche neue Ausgabe von 4000 Franken verursacht, unterliegt der Volksabstimmung, wenn der Landtag eine solche beschliesst oder wenn innerhalb 30 Tagen etc." Nach dem zweiten Absatz wird eingefügt: „Der Landtag ist befugt, über die Aufnahme einzelner Grundsätze in ein zu erlassendes Gesetz eine Volksabstimmung zu veranlassen." So geändert, wird Art. 66 einstimmig angenommen. Der Art. 80 gibt in der Aussprache Anlass zu einem Zusatzantrag zum Art. 48. Abg. Schädler sagt, wenn der Landtag mit 8 Stimmen dem Reg.-Chef das Vertrauen ausspreche und es dem Volke nicht gefalle, solle das Volk den Landtag fortschicken können. Der Zusatzantrag zu Art. 48 lautet: "Unter den gleichen Voraussetzungen wie in vorstehendem Absatze können 600 wahlberechtigte Landesbürger oder 4 Gemeinden durch Gemeindeversammlungsbeschlüsse eine Volksabstimmung über die Auflösung des Landtages verlangen." Einstimmig angenommen. Im Art. 86 wird im ersten Absatze der Satz nach dem Strichpunkt als überflüssig gestrichen. Zum Art. 101 sprechen der Reg.-Chef, Risch, Schädler, Dr. Nipp, Dr. Beck. Im ersten Absatz fällt der Nachsatz weg: "dessen Sitz durch das Gesetz bestimmt wird." Im Art. 102 wird anstatt Präsidenten Mitglieder gesetzt. Im Art. 108 werden die Worte "mit Ausnahme des Obersten Gerichtshofes" gestrichen. Im Art. 110 wird unter b) nach dem Worte Gemeindevermögen "und Handhabung" eingefügt. Zum Art. 114 beantragt der Regierungschef die Ergänzung: "Der gegenwärtige Landtag bleibt bis Ende dieses Jahres im Amte." Dieser Antrag wird angenommen.

Hierauf liess der Präsident über die ganze Verfassung abstimmen, indem er die Abgeordneten aufforderte, wer dafür sei, möge sich vom Sitze erheben. Alle erhoben sich und so wurde die neue Verfassung einstimmig angenommen.

Der Regierungschef Ospelt spricht dem Landtage im Namen des Fürsten [Johann II.] den Dank aus und gedenkt des Umstandes, dass ein Mitglied des Fürstenhauses, Prinz Franz senior, die Einigung eingeleitet habe. [3] Der Präsident spricht hierauf das Schlusswort. Wenn wir heute einig geworden seien, so habe das den Grund auch darin, weil wir keine verschiedene Weltanschauung haben. Der erste Dank gebühre dem Fürsten, der uns so viele Volksrechte eingeräumt habe. Auch dem Verfasser [Josef Peer] gebühre Dank. Wir wollen von unsrer neuen Verfassung keinen unnützen Gebrauch machen. Er hoffe, dass Seine Durchlaucht die Sanktion erteile und unser Land unter der neuen Verfassung aufblühe. Hierauf bringt der Präsident ein dreifaches Hoch auf den Fürsten aus, die Abgeordneten stimmen alle begeistert mit ein.

Der Abg. Schädler beantragt hierauf ein Ergebenheitstelegramm an den Fürsten und die Mitteilung an Hochdenselben, dass die Verfassung einstimmig angenommen worden sei. [4]

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[1] LI LA LTA 1921/S04/2.
[2] Die von Regierungschef Josef Peer ausgearbeitete Regierungsvorlage war von Fürst Johann II. am 12.1.1921 "vorsanktioniert" worden (LI LA RE 1921/0963). Den Landtagsabgeordneten ging eine gedruckte, geringfügig veränderte Fassung dieser Vorlage zu (LI LA LTA 1921/L03, o.D.). Der Landtag behandelte den Entwurf am 8.3.1921 und wies ihn der Verfassungskommission zu (LI LA LTA 1921/S04/2). Diese behandelte den Entwurf in zwei ganztägigen Sitzungen vom 15. und 18.3.1921 (LI LA LTA 1921/L03, Kommissionsbericht von Eugen Nipp, o.D). Anfang August nahm die Verfassungskommission einige weitere Änderungen vor, um den Forderungen des Churer Bischofs Georg Schmid von Grüneck entgegenzukommen (LI LA SF 01/1921/134, Ospelt an Bischof Schmid von Grüneck, 5.8.1921). Vor der Landtagsdebatte wurde eine aktualisierte gedruckte Fassung erstellt, in der dann handschriftlich die Beschlüsse des Landtags vom 24.8 nachgetragen wurden (LI LA RE 1921/0963; vgl. auch LI LA LTA 1921/L03). Landtagspräsident Walser informierte die Regierung mit Schreiben vom 24.9.1921 über die Annahme der Verfassung durch den Landtag und kündigte an, dass eine aus Eugen Nipp, Gustav Schädler und Wilhelm Beck bestehende Redaktionskommission der Regierung eine korrigierte Fassung zustellen werde (LI LA LTA 1921/L03).
[3] Am 2.8.1921 traf sich Prinz Franz mit zwölf der 15 Landtagsabgeordneten. Dank seiner vermittelnden Rolle konnte bei diesem Treffen eine Einigung bezüglich der Frage der "Qualifizierung des Landesverwesers" gefunden werden. Anschliessend führten die Abgeordneten die Diskussion unter sich weiter und einigten sich dabei über den Wahlmodus für den Landtag (LI LA SF 01/1921/125, Prinz Franz an Kabinettskanzlei, 2.8.1921).
[4] LI LA RE 1921/3761 ad 963, Telegramm Friedrich Walser und Josef Ospelt an Johann II. in Bad Gastein, 24.8.1921. Der Fürst antwortete ebenfalls per Telegramm und gab seiner Freude über die Annahme der Verfassung Ausdruck (LI LA RE 1921/3777 ad 963, Telegramm Johann II. an Ospelt, 25.8.1921).