Das fürstliche Appellationsgericht stützt die Verurteilung von Xaver Beck aus Triesenberg wegen Wildfrevels und verbotenen Waffentragens


Maschinenschriftliche Urteilsausfertigung des fürstlichen Appellationsgerichtes zuhanden des fürstlichen Landgerichtes, gez. Hermann von Hampe [1]

19.4.1909, Wien

Das fürstlich Liechtenstein'sche Appellationsgericht in Wien hat in der Strafsache des Xaver Beck, No. 156 in Triesenberg das Urteil des fürstlichen Landgerichtes Vaduz vom 29. Oktober 1908 Z. 444 S.S., [2] mit welchem Xaver Beck des Jagdfrevels nach § 13 des Jagdgesetzes vom 3. Oktober 1872, L.G.B.l. No. 3, [3] und der Übertretung des verbotenen Waffentragens nach § 7 des Waffengesetzes vom 12. Juli 1897, L.G.B.l. No. 2, [4] begangen dadurch, dass er am 1. Oktober 1908 in dem vom fürstlichen Forstärar gepachteten Jagdgebiete "Valorsch" unbefugterweise die Jagd ausgeübt und dabei widerrechtlich eine Schusswaffe benützt beziehungsweise getragen hat, schuldig erkannt und nach § 13 Absatz 1 des Jagdgesetzes zu einer Geldstrafe im Betrage von 100 Kronen zu Gunsten des landschaftlichen Armenfondes oder im Uneinbringlichkeitsfalle zu Arrest in der Dauer von einem (1) Monate, ferner nach § 10 des Waffengesetzes [5] zu einer Geldstrafe im Betrage von 30 Kronen zu Gunsten desselben Armenfondes oder im Uneinbringlichkeitsfalle zu Arrest in der Dauer von sechs (6) Tagen sowie zum Ersatze der Strafkosten, dann zum Ersatze von 245 Kronen an das fürstliche Forstärar verurteilt und womit der Verfall des beschlagnahmten Gewehres ausgesprochen wurde, über Berufung [6] des Beschuldigten im Punkte Schuld und Strafe sowie im Ausspruche über den Ersatz der Strafkosten und den Verfall des beschlagnahmten Gewehres zu bestätigen, im Punkte der zivilrechtlichen Ansprüche aber dahin abzuändern befunden, dass Xaver Beck nur schuldig sei, dem fürstlichen Forstärar den Betrag von 91 Kronen zu ersetzen, mit dem Mehranspruche aber das fürstliche Forstärar auf den Zivilrechtsweg gewiesen werde. Dies aus nachstehenden Erwägungen:

Der Schuldspruch des ersten Richters [Carl Blum] erscheint auf Grund des Ergebnisses der gepflogenen Erhebungen und des Geständnisses des Beschuldigten vollkommen gerechtfertigt und wird auch von dem Beschuldigten nicht angefochten. Was die vom Erstrichter ausgesprochene Strafe anbelangt, so fand das Berufungsgericht, dass dieselbe der Schwere der Schuld entsprechend bemessen wurde, nachdem zwar die in der Begründung des erstrichterlichen Urteiles angeführten Erschwerungsumstände, aber keine wirklich in Betracht kommende Milderungsumstände vorliegen.

Das Berufungsgericht fand insbesondere in Übereinstimmung mit dem ersten Richter, dass dem Geständnisse des Beschuldigten ein besonderer Wert nicht beigelegt werden kann, nachdem der Beschuldigte angesichts seiner Beobachtung durch den fürstlichen Jäger [Karl] Friak und angesichts der Auffindung des von dem Wildfrevel herrührenden Fleisches füglich nicht leugnen konnte.

Der Erstrichter hat auch mit Recht das Zusammentreten zweier strafbarer Handlungen angenommen, nachdem die Übertretung des verbotenen Waffentragens nicht an und für sich durch den § 13 des Jagdgesetzes konsumiert erscheint, da ja die in letzterer Gesetzesstelle behandelte Übertretung auch von jemandem begangen werden kann, der zum Waffentragen an und für sich berechtigt wäre; ebensowenig durfte die Vorbestrafung wegen Holzfrevels, [7] also einer gleichfalls auf Gewinnsucht zurückzuführenden und dem Jagdfrevel ähnlichen Strafhandlung, sowie der durch die berufene Ortsvorstehung konstatierte schlechte Leumund [8] ausseracht gelassen werden.

Es erscheint daher die vom Erstrichter verhängte Strafe als angemessen und ebensowenig konnte die gesetzliche Folge der Verurteilung, nämlich die Verpflichtung zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens und der Verfall des beschlagnahmten Gewehres vom Berufungsgerichte aufgehoben werden. Dagegen fand das Berufungsgericht, dass im Zuge des Strafverfahrens nicht jene Voraussetzungen bewiesen wurden, welche die Zuerkennung des vollen, von dem geschädigten fürstlichen Forstärar beanspruchten Schadens per 250 Kronen beziehungsweise restlicher 245 Kronen rechtfertigen könnten. Erwiesen ist nämlich nur die unbefugte Erlegung eines Hirschtieres in dem angenommenen Gewichte von 80 Kilogramm, gegen welch' letztere Annahme auch vom Beschuldigten ein Einwand nicht erhoben wurde. Da nun der fstl. Forstverwalter [Julius Hartmann] laut J.A. 12 [9] selbst zugibt, dass Hirschwildpret zu 1 Krone 20 Heller per Kilogramm im Inlande verkauft wird, so konnte wohl auch nur dieser Einheitspreis der Schadensbemessung zugrunde gelegt werden, nachdem ein Beweis dafür, dass das Wildpret bei Erlegung durch die fürstliche Forstverwaltung selbst zu höherem Preise etwa in das Ausland abgesetzt worden wäre, nicht vorliegt. 80 Kilogramm zu 1 Krone 20 h. – ergeben 96 Kronen, wovon die für einen Teil des Wildpretes erlösten 5 Kronen in Abzug zu bringen sind. Dass für das verkaufte Wildpret kein höherer Betrag als 5 Kronen erlöst wurde, hat der Beschuldigte zu verantworten, da nach Aussagen des fürstlichen Forstverwalters ein höherer Erlös unter den gegebenen Umständen nicht zu erzielen war.

Was aber die weiteren Ansprüch[e] des fürstlichen Forstärars anbelangt, nämlich den Ersatz des Wertes für ein nach der Annahme des fürstlichen Forstamtes vorhanden gewesenes und eingegangenes Kalb sowie den Ersatz für den Entgang einer weiteren Fortpflanzung des erlegten Hirschtieres, so beruht dieser Anspruch eben nur auf Annahmen, die aber rechtlich nicht erwiesen sind, und wenn es auch mit Rücksicht darauf, dass in dem Gesäuge des erlegten Hirschtieres Milch gefunden wurde, mit der grössten Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, dass das Tier noch mit einem Kalbe gegangen ist, so ist noch nicht erwiesen, dass dieses Kalb auch wirklich eingegangen ist, da es immerhin möglich wäre, dass das Kalb sich bereits allein fortbringen konnte; ebensowenig ist in anfechtbarer [!] Weise nachgewiesen, dass das erlegte Hirschtier weitere Kälber zur Welt gebracht hätte.

Die auf diese Punkte gestützten Schadenersatzansprüche, nämlich der Wert des Kalbes per 30 mal 1 Krone 60 h, also 48 Kronen und 74 Kronen konnten demnach im Strafverfahren nicht zugesprochen werden und musste die fürstliche Forstverwaltung diesfalls auf den Zivilrechtsweg gewiesen werden.

Hievon wird das fstl. Landgericht unter Bezugnahme auf seinen Bericht vom 23. November 1908 Z. 476 S.S. [10] und unter Rückschluss der vorgelegten Akten ./. zur weiteren Verfügung insbesondere auch zur Verständigung der fürstlichen Forstverwaltung in die Kenntnis gesetzt. [11]

Fürst Liechtenstein'sches Appellationsgericht:

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[1] LI LA J 007/S 028/111 (Aktenzeichen des fürstlichen Appellationsgerichtes: Z. 14639./1908/39 jud. Aktenzeichen des Landgerichtes: 204 Sts.). Eingangsstempel des Landgerichtes Vaduz vom 23.4.1909. Vermerk von Landesverweser Karl von In der Maur: "gesehen". Weitere Urteilsausfertigung in LI LA J 010/AG 1908/12. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Schreiben der Regierung an die k.k. Finanzbezirksdirektion in Feldkirch vom 10.10.1908 betreffend die Assistenzleistung der k.k. Finanzwachabteilung im Steg zum Zwecke der Hausdurchsuchung bei Xaver Beck am 2.10.1908 (LI LA RE 1908/1701 ad 0001). 
[2] Vgl. LI LA J 007/S 028/111 (Aktenzeichen des Landgerichtes: 444 Sts.).
[3] § 13 Abs. 1 des Jagdgesetzes sah für die unberechtigte Jagdausübung eine Geldbusse bis zu 50 Gulden und im Falle der Zahlungsunfähigkeit Arrest bis zu einem Monat vor. – Zur Umrechnung von Gulden in Kronen siehe § 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 17.8.1900 betreffend Einführung der Kronenwährung als Landeswährung, LGBl. 1900 Nr. 2.
[4] Nach § 7 des Waffengesetzes waren – abgesehen von den Fällen, in welchen das Waffentragen durch die erwiesene Notwendigkeit, einer drohenden Gefahr zu begegnen, gerechtfertigt erschien – ohne behördliche Bewilligung nur bestimmte Personengruppen zum Waffentragen befugt, z.B. Schützen eines behördlich genehmigten Schiessstandes oder Jagdpächter und deren Gäste.
[5] § 10 des Waffengesetzes sah für Übertretungen 24stündigen bis 14tägigen Arrest oder Geldstrafe von 1 bis zu 50 Gulden vor. Ausserdem war jedesmal auf Verfall der betreffenden Waffen und Munitionsgegenstände zu erkennen.
[6] Vgl. die undatierte Berufungsausführung, welche beim Landgericht am 19.11.1908 einlangte (LI LA J 007/S 028/111 (Aktenzeichen des Landgerichtes: 476 Sts.)).
[7] Vgl. das Vorstrafen-Verzeichnis vom 22.10.1908 mit Verweis auf das Urteil des Landgerichtes vom 4.4.1908 unter LI LA J 007/S 028/111. 
[8] Vgl. das Leumundszeugnis der Gemeindevorstehung Triesenberg vom 24.10.1908 (ebd., Aktenzeichen des Landgerichtes: 437 Sts.), worin es u.a. heisst: "Genannter Xaver Beck steht im Rufe eines Wilderers."
[9] Vgl. das gerichtliche Einvernahmeprotokoll von Hartmann vom 21.11.1908 über die in der Berufungsausführung aufgestellte Schadensberechnung (ebd., ohne Aktenzeichen).
[10] Vgl. LI LA J 010/AG 1908/12. 
[11] Vgl. den diesbezüglichen Erledigungsvermerk des Landgerichtes vom 23.4.1908. Das für verfallen erklärte Gewehr wurde am 20.1.1910 der Forstverwaltung in Vaduz ausgefolgt (LI LA J 007/S 028/111 revers (Aktenzeichen des Appellationsgerichtes: Z. 14639./1908/39 jud. Aktenzeichen des Landgerichtes: 204 Sts.)). 1923 war Xaver Beck erneut der Übertretung des Jagd- und Waffengesetzes angeklagt, er wurde jedoch freigesprochen: Vgl. das Urteil des Landgerichtes vom 17.8.1923 (LI LA J 007/S 051/080 (ON 21)).