Fürst Franz Josef II. bekennt sich in einer programmatischen Rede zu den Verträgen mit der Schweiz sowie zu freundschaftlichen Beziehungen mit Deutschland


Manuskript der Thronrede von Fürst Franz Josef II. anlässlich der Festsitzung des Landtages zum Gedenken an Fürst Johann II. [1]

2.11.1940

Meine Herren Abgeordneten!

Volk von Liechtenstein!

Im Verlaufe des vergangenen Monats hat die Bevölkerung des Landes in Liebe meines Grossonkels, des Fürsten Johannes II., gedacht, dessen 100. Geburtstag am 5. Oktober wiederkehrte. Ich danke der ganzen Bevölkerung auch namens meines Hauses für dieses liebevolle Gedenken, das ich sowohl als Zeichen der tiefen Verehrung für den Fürsten Johannes, als auch als Zeichen der steten Treue und Anhänglichkeit an mein Haus empfunden habe. Die Bevölkerung des Landes und jener Gegenden, die das Wirken des Fürsten Johannes kennen lernte, hat ihm mit Recht den Beinamen "Der Gute" gegeben; denn sein Wirken während seines langen Lebens war immer darauf gerichtet, Gutes zu tun und zu erweisen. Er war ein würdiger Nachkomme grosser Vorfahren, ein Vorbild kommender Geschlechter und ein würdiger Vertreter der Tradition meines Hauses.

Seine Güte und seine Menschlichkeit waren ihm auch Leitstern als Fürst dieses Landes, dessen Aufstieg durch die Beseitigung von Lehensrechten und dauernden Lasten mit seinem Vater, dem Fürsten Alois II. begann. Fürst Johannes war es dann, der durch seine Massnahmen aus der absoluten Monarchie einen modernen Staat schuf, dem er gleichzeitig durch staatsrechtliche und wirtschaftliche Verträge internationale Anerkennung als Staat verschaffte. Wenige Jahre nach seinem Regierungsantritt legte er die Grundlage für die erfolgreiche Weiterentwicklung der staatlichen Wirtschaft durch die Aufhebung der Militärpflicht im Jahre 1868. [2] Damit wurde das Land von einer dauernden innern Belastung befreit und es wurde möglich, den Bürger nur zu geringen Leistungen an den Staat heranzuziehen. Liechtenstein wollte mit dieser Tat dokumentieren, dass es für ewige Zeiten sich der Austragung von zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen mit Waffengewalt fernhalten wolle. Wir Liechtensteiner danken dem Fürsten Johannes, dass er durch diese Tat Opfer der Bevölkerung an Gut und Blut verhinderte, und wir wünschen, dass auch für die andern Staaten bald die Zeit einer solchen Ordnung kommen möge, wo es gelingt, die bisher unvermeidlichen Auseinandersetzungen mit friedlichen Mitteln zu bereinigen.

Grundlegend für die liechtensteinische Wirtschaft und den Staat war ferner der Abschluss des Zollvertrages [3] mit Österreich im Jahre 1876 und die weitern Verträge über das Post- [4] und Münzwesen und der Staatsvertrag für die Durchleitung der Eisenbahn [5], wodurch Liechtenstein dem internationalen Verkehr erschlossen wurde. Durch den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie nach dem Weltkriege wurde die wirtschaftliche Bindung an den Rumpfstaat Deutsch-Österreich gegenstandslos und es folgte der Abschluss von ähnlichen Verträgen mit der Schweiz, [6] auf denen die liechtensteinische Wirtschaft sich heute aufbaut. Wir anerkennen voll und ganz die Wohltat dieser Verträge gerade in der heutigen Zeit und ebenso, dass bei unserm Vertragspartner das Bestreben obwaltet, die Verträge auszubauen und so zu vertiefen, dass für die Zukunft unserer Wirtschaft sich neue Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Ich kann mit Freude feststellen, dass gerade in jüngster Zeit in so ausgiebigem Masse Arbeits- und Verdienstmöglichkeit unserer Arbeiterschaft geboten wurde. Wir sind unserm Vertragspartner für dieses Verständnis unserer Belange dankbar und wir werden stets bestrebt sein, alle aus diesen Verträgen für uns entstandenen Pflichten loyal zu erfüllen. Es ist mir auch ein Bedürfnis, bei diesem Anlass dankbar daran zu erinnern, wie die Schweizerische Eidgenossenschaft schon während des letzten Krieges unsere Bevölkerung aus freien Stücken mit Lebensmitteln versorgte, dass sie in den schweren Tagen des Rheineinbruches von 1927 in hochherzigster Weise gemeinsam mit unsern Nachbarn in Vorarlberg uns zu Hilfe eilte und immer wieder bei den verschiedensten Anlässen ihre freundschaftliche Gesinnung bezeugte. Liechtenstein, für das sich der Zollvertrag und die andern Verträge günstig auswirkt, fühlt sich heute mit der Schweiz eng verbunden und ist gewillt, mit ihr Freud und Leid zu teilen. Der stete wirtschaftliche Verkehr hat auch die freundschaftlichen Beziehungen und das Verständnis von Volk zu Volk immer enger und tiefer gestaltet.

Im Norden unseres Landes haben sich die staatsrechtlichen Verhältnisse schon zu Lebzeiten des Fürsten Johannes und dann nochmals in der Folgezeit geändert. Der Weltkrieg löste die Monarchie Österreich-Ungarn in ihre Nationalitäten auf und der deutsche Teil betrachtete sich nach dem Wortlaut der Verfassung von 1918 als zum Deutschen Reiche gehörig und hat sich dann nach dem Wiedererstarken des Deutschen Reiches nach dem Jahre 1933 im Frühling 1938 an dieses angeschlossen. Damit war Grossdeutschland, mit dem uns so viele kulturelle und freundschaftliche Beziehungen verbinden, unser nördlicher Nachbar geworden. Wir pflegen und schätzen diese Freundschaft, gleichwie wir auch unsere deutsche Sprache und Kultur hochhalten und bewahren. Gerne erinnere ich mich an meine so freundliche Aufnahme in Berlin im März 1939, [7] bei der mir der Führer und Kanzler des Reiches [Adolf Hitler] Gelegenheit bot, ihm selbst und seinen engsten Mitarbeitern unser freundnachbarliches Verhältnis zu bestätigen. Wir Liechtensteiner als Menschen deutschen Stammes nehmen wie bisher so auch jetzt innigen Anteil an der Zukunftsgestaltung des grossen deutschen Volkes.

Auch auf innerpolitischem Gebiete waren die Massnahmen des Fürsten Johannes von grundlegender Bedeutung. Zu erwähnen ist insbesondere der gründliche und zeitgemässe Ausbau der bürgerlichen, straf- und verwaltungsrechtlichen Gesetzgebung und als Krönung des fürstlichen Wohlwollens für das Land die Verfassung vom Jahre 1921, [8] die dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes in Landesangelegenheiten den breitesten Rahmen gab. Das Volk von Liechtenstein hat in weiser Selbstzucht, wenn auch manchmal nach lautem Streit der Meinungen, von diesen Rechten Gebrauch gemacht. Die staatsbejahenden Parteien haben bei der Ausübung der Volksrechte das ihre zur Wahrung der Interessen des Landes beigetragen und haben sich in Anbetracht der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Verhältnisse zu engster Zusammenarbeit gefunden. Ich bin sicher, dass Fürst Johannes diese Zusammenarbeit zum Wohle des Landes von Herzen begrüsst haben würde, denn sein sehnlichster Wunsch war der Friede im Lande und dessen Wohlergehen.

Für die innere Wirtschaft des Staates und die liechtensteinische Volkswirtschaft wurden unter dem Fürsten Johannes die Grundlagen gelegt. Den äussern Rahmen - die wirtschaftlichen Verträge mit den Nachbarn - habe ich bereits erwähnt. Damit Hand in Hand gingen der Bau und Ausbau von Verkehrswegen, die Regulierung des Rheines, die Versorgung mit elektrischem Strom und Wasser, das Verbauen von Rüfen, die Schulordnung, Förderung des Gesundheitswesens und viele Massnahmen zur Hebung von Land- und Forstwirtschaft, Handel und Verkehr. Am Ende seines Lebensweges sah Fürst Johannes das grösste Werk des Landes, den Wunschtraum der Liechtensteiner durch Jahrzehnte, den Bau des Binnenkanals der Verwirklichung entgegengehen. Mit diesem Werke wurde das Fundament der liechtensteinischen Wirtschaft - die Landwirtschaft - gesichert und verbreitert und wenn die damit geschaffenen Möglichkeiten intensiv ausgenutzt werden, ist nicht nur die Selbstversorgung gewährleistet, sondern das ganze wirtschaftliche Leben des Landes wird einen grossen Aufschwung nehmen.

Wenn wir die Tätigkeit des Fürsten Johannes als Fürst dieses Landes betrachten, so finden wir, dass unter seiner Regierung die Eigenstaatlichkeit in besonderem Masse ausgebaut wurde.

Unsere Aufgabe ist heute: Die Eigenstaatlichkeit des Landes in seinem Geiste zu festigen und zu erhalten und zum Wohle des Landes und des Volkes anzuwenden. Nur in Erfüllung dieser Aufgabe erfüllen wir unsere Pflicht gegenüber unserer Heimat. Es freut mich hier feststellen zu können, dass ich im Gespräche mit Menschen aller Schichten der Bevölkerung immer und immer wieder erfahren habe, dass dieser Wille unerschütterlich in den Liechtensteinern lebt.

Wenn heute in Europa wieder die Kriegsfackel lodert und Not und Tod ihr Gefolge sind, so danken wir dem Allmächtigen, dass er unsere Heimat davon verschonte und wir bitten ihn, dass er uns weiter in seinem Schutz behalten und den Völkern der Erde recht bald wieder einen dauernden Frieden schenken möge. Dem Andenken des Fürsten Johannes aber geloben wir, alles für die Erhaltung der Selbständigkeit unseres Landes zu tun, die Verträge mit der Schweiz getreu zu erfüllen und mit dem Deutschen Reiche freundnachbarliche Beziehungen zu pflegen. Wir wollen arbeiten, unermüdlich arbeiten am Wohle unserer Heimat, damit wir, wenn, wie wir hoffen, bald der Friede wiederkehrt, soweit es in unsern bescheidenen Kräften liegt, helfend mitarbeiten können am Wiederaufbau Europas. In den weltgeschichtlichen Tagen, wie wir sie heute erleben, legt sich allenthalben Ungewissheit auf Staaten und Völker. Aber so drückend diese sein mag, so stark und tief ist mein Vertrauen auf eine glückliche Zukunft unserer Heimat. Im vollen Bewusstsein der Verantwortung, die auf mir ruht, ist es mein unerschütterlicher Wille, als Fürst dieses Landes in ständiger Zusammenarbeit mit meiner Regierung das Geschick unserer Heimat in fester Hand und das innere Leben des Staates stets und immer in geordneter Bahn zu halten und die Beziehungen nach aussen so zu regeln, wie es das Wohl des Staates erfordert. Ich habe Treue meinem Volke geschworen und erwarte, dass das Volk auch mir die geschworene Treue hält. Folgen Sie mir alle voll Vertrauen, denn all mein Tun und Lassen ist einzig bestimmt vom Bestreben, unsere über alles geliebte Heimat aus den gegenwärtigen Wirrnissen in eine glückliche Zukunft zu führen.

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[1] LI LA RF 201/043/005. Der Text der Thronrede wurde von der Kabinettskanzlei noch am 2.11.1940 der Regierung übermittelt (LI LA RF 201/043/004). Die Thronrede ist vor dem Hintergrund der liechtensteinisch-schweizerischen Besprechung vom 15.10.1940 zu sehen (LI LA RF 232/166 (c)). Vgl. LI LA LTP 1940/095.
[2] LI LA RE 1868/0118.
[3] Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen König von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souveränen Fürsten von Liechtenstein vom 2.12.1876 über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5.6.1852 gegründeten Österreichisch-Liechtensteinischen Zoll- und Steuervereines, LGBl. 1876 Nr. 3.
[4] Übereinkommen zwischen der k. k. österreichischen und der fürstlichen liechtensteinischen Regierung vom 4.10.1911 betreffend die Verwaltung des Post- und Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1911 Nr. 4.
[5] Gesetz vom 14.1.1870 (Bewilligung Eisenbahnbau Feldkirch-Buchs), LGBl. 1870 Nr. 1.
[6] Vgl. insbesondere den Vertrag vom 29.3.1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24.
[7] Der Berlin-Besuch des Fürsten fand am 2./3.3.1939 statt.
[8] Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15.