Agatha Hälmli rechtfertigt sich für ihre Bemühungen, zwei tschechische Jüdinnen vor dem Konzentrationslager zu retten


Bericht von Agathe Hälmli zuhanden des Sicherheitskorps [1]

28.7.1945, Vaduz

Unter Bezugnahme auf die Vorladung vom 23. Juli bestätige ich Ihnen Folgendes:

Im Frühjahr 1942 kam der Neffe des Herrn Fritz Deutsch, liechtensteinischer Staatsbürger, Herr Dr. Harry Beckmann, geb. 23. Oktober 1910, aus der Tschechoslovakei schwarz über die Grenze bei Schaanwald. Er hatte sich dabei eine Krampfadernverletzung zugezogen, und Herr Dr. H. [Helmuth] Merlin, der hier die Interessen des 1940 nach Argentinien ausgewanderten Herrn Fritz Deutsch vertritt, beauftragte mich, die Kaution von Fr. 300.- ins Spital nach Grabs zu bringen.

Dr. Harry Beckmann erzählte mir, wie schlecht es seinen Leuten gehe, dass sie in Gefahr stünden, ins Konzentrationslager zu kommen, und dass ich ihm bitte behilflich sein möchte, die Verbindung mit dem Manne aufzunehmen, der ihn selbst in einem Kohlenwagen über die tschechische Grenze gebracht habe, weil er bereit sei, auch seine Mutter und Tante herzubringen. Anhand der Korrespondenz habe ich jetzt festgestellt, dass es sich um Willi Jedlicka, Prag VIII, Schustergasse Nr. 16, gehandelt hat. Ich nahm auch die Verbindung mit Frau Gisa Beckmann (geb. 24. November 1889), Mutter des Herrn Dr. Harry Beckmann und Schwester des Herrn Fritz Deutsch auf. Mittlerweise hatte sie mir auch geschrieben, dass die Söhne ihrer Schwester (Martha Beckmann, geb. 8. Juli 1891) Georgy und Ferry Beckmann, im Konzentrationslager von den Deutschen umgebracht wurden. Man habe es ihrer Schwester amtlich bestätigt, sie hätten Angst, speziell aus dem Grunde, weil sie Verwandte im feindlichen Ausland (England) hätten und weil ihr Sohn geflohen sei, denn solche Leute sperren die Deutschen in Konzentrationslager. Ehe ich es nicht dringend brauchte, habe ich immer auf dem gewöhnlichen Postweg über die Zensur geschrieben, aber nun bat ich Herrn Mario Matarrese, den ich von der Zahnfabrik Ramco A.G., Schaan, her kannte, mir 2 oder drei Briefe herunterzunehmen. Diese Briefe waren bestimmt für Frau Gisa Beckmann, Willi Jedlicka (genannt Onkel Willi) und die Braut des Herrn Karl Beckmann, Nini Essler, Brünn. Die Korrespondenz befindet sich zum grössten Teil bei mir. Jedenfalls geht daraus ganz einwandfrei hervor, dass es sich lediglich um die Rettung der beiden Damen gehandelt hat, und um gar nichts anderes. Die Korrespondenz steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Ich schliesse sie nicht sofort bei, weil Ihr Herr [Karl] Gantner mir sagte, Sie brauchen Sie im Moment noch nicht.

Nachdem die ganze Angelegenheit nahezu drei Jahre zurückliegt, kann man selbstverständlich nicht von mir erwarten, dass ich mich genau des Wortlautes einer jeden Postkarte erinnere, die ich geschrieben habe.

Beide Damen hatten übrigens doch nicht den Mut zu kommen, als es noch Zeit war, sie kamen dann ins Konzentrationslager Swatorborschütz bei Gaya, Internierungslager 13/I, zuletzt nach Theresienstadt, und sind laut authentischem Bericht am 18. Oktober 1944 mit einem sogenannten “Blitztransport” deportiert worden. Seither fehlt von ihnen jede Spur.

Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ich mich der beiden Damen lediglich aus Menschlichkeitsgründen angenommen habe - gekannt habe ich sie persönlich nicht - um sie vor dem Los zu bewahren, das sie nunmehr doch erlitten haben, dass ich absolut kein Entgelt dafür bezogen habe, und dass ich während des ganzen Krieges niemals deutschen Boden betreten habe.

Die ganze Aktion habe ich übrigens im Einvernehmen mit meinem Chef, Herrn Dr. iur. H. M. Merlin, durchgeführt. [2]

Dass ich im Dienste der Gestapo gestanden hätte, ist eine gemeine Verleumdung. [3] Ich habe da ein sehr reines Gewissen. Ich habe während des ganzen Krieges eine absolut gegenteilige Gesinnung an den Tag gelegt. Die beiden Damen waren reinrassige Jüdinnen, und es wäre sehr unlogisch, dass ich mich um ihre Rettung ganz unentgeltlich bemüht hätte, wenn ich im Dienste der Gestapo gestanden hätte. Einer solchen Verlogenheit bin ich gar nicht fähig.

Ich bitte Sie daher in aller Form um Aufklärung und entsprechende Berichtigung. [4]

Hochachtungsvoll

 

 

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[1] LI LA RF 230/478d/001. Eingangsstempel des Sicherheitskorps: Eingelangt am 1.8.1945. E.Nr. 838.
[2] Dies wurde von Merlin gegenüber der Polizei bestätigt (LI LA RF 230/478d/002).
[3] Karl Kriener, der ehemalige Gestapochef in Feldkirch, gab gegenüber der liechtensteinischen Polizei an, dass Hälmli für die Gestapo gearbeitet habe. Das Sicherheitskorps leitete darauf eine Untersuchung ein (LI LA V 005/1945/838).
[4] Die Regierung beschloss am 8.11.1945, das Verfahren gegen Hälmli einzustellen (LI LA RF 230/478d/003).