Initiativbegehren auf Erlass eines Gesetzes betreffend Beschränkungen bei Lohnpfändungen


Initiativbegehren einer Initiantengruppe um Robert Negele zuhanden der Regierung (Abschrift) [1]

20.10.1936, Triesen

Wir melden hiermit im Sinne Art. 64 der Verfassung [2] und des Gesetzes betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten vom Jahre 1922, L.G.Bl. Nr. 28, folgendes formuliertes

Initiativ-Begehren

an:

Gesetz

betreffend Existenzminima bei Lohnpfändungen etz.

Dem nachstehenden, vom Landtage in seiner Sitzung vom ... gefassten Beschlusse erteile Ich Meine Zustimmung.

Einziger Artikel

Bei Lohnpfändungen gelten folgende Existenzminima Ansätze:

für männliche, ledige Personen, monatlich 150 Fr.

für weibliche, ledige Personen, monatlich 120 Fr.

für Ehepaare ohne Kinder, monatlich 200 Fr.

für je 1 Kind von 1-6 Jahren 20 Fr.

für je 1 Kind von 6-14 Jahren 30 Fr.

für je 1 Kind von 14-20 Jahren 45 Fr.

Es ist darauf zu achten, dass bei Preisänderung auch diese Skala proportional darnach zu richten ist.

Im Sinne der Erhöhung fallen in Betracht:

  1. Durch ärztl. Zeugnis nachgewiesene Krankheit von Familiengliedern und dadurch entstehenden Mehrauslagen für Wartung, Pflege, Arzneien, Apotheker etz.
  2. Ausgabe für Beiträge an Sterbe-, Alters- und Krankenkassen, Prämien für Lebensversicherung, wenn die Rechte aus einem Versicherungsvertrag unpfändbar sind, ferner: Schulgelder für Kinder und Auslagen für Lehrmittel, Kosten für höhere Schulung der Kinder, Lehrgeld für die Berufslehre von Kindern. Bis zu einem billigen Grade allf. Miete oder Abzahlung von Möbeln.
  3. Ausgaben für Fahrgeld und Beköstigung, wenn die Arbeitsstelle auswärts ist.
  4. Benützung und Anschaffung eigenen Werkzeuges zur Berufsausübung.
  5. Gewisse Berücksichtigung der Art des Berufes in Hinsicht auf Kleider und Kleiderersatz.
  6. Unterstützungspflicht weiter in der Familie lebenden Personen: Eltern, Pflegekinder, Nichterwerbsfähige, bei Witwern mit Kindern die Ausgabe für die Führung der Haushaltung durch fremde Personen.
  7. Schon im Monat der Pfändung vorauszusehende Änderungen wie Geburt, Umzug etz.

Im Sinne der Reduktion fallen in Betracht:

  1. Weitere Einnahmen des Schuldners als seine persönlichen, wie Erwerb von Ehefrau und minderjährigen Kindern, solange sie in der Haushaltung sind; Nutzniessung am Frauen- oder Kindervermögen, Mietzins aus Untermiete und Kostgeld (beschränkt), Akkordzulagen etz.
  2. Böswilligkeit, notorisches Schuldenmachen.
  3. Allf. Dienstkleider, Dienstwohnung, Trinkgelder, Beköstigung durch den Arbeitgeber. In beschränktem Masse der Entstehungsgrund der Forderung wie Alimenten, Lieferung notwendiger Lebensmittel etz.
  4. Reisespesenvergütung (Differenz in der Selbstverköstigung).

Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft.

Vaduz, den ...

gez.

Begründung

Unsere Betreibungsgesetze sind veraltet und entsprechen keineswegs mehr auch nur im entferntesten den Anforderungen, welche an ein gerechtes Betreibungsgesetz gestellt werden müssen. Besonders in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sind die bestehenden, mangelhaften Gesetze untragbar.

In allen umliegenden Kulturländern sind Betreibungsgesetze, [3] in welchem ein Existenzminima bei Lohnpfändungen vorgesehen ist, welche speziell in Zeiten der grossen Arbeitslosigkeit besonders den bedrängten Schuldnern sehr zu gute kommen, und vor allem eine übertriebene wie besonders bei uns übliche Kostenmacherei gesetzlich ausschliesst.

Die Betreibungsgesetze in der Schweiz, mit welcher wir im Zollvertragsverhältnisse leben, weisen noch weitgehendere Vorteile in Bezug Existenzminima bei Lohnpfändungen auf, als in gegenständlicher Initiative gefordert wird.

Einer den tatsächlichen Verhältnissen gerecht werdenden Feststellung des unumgänglich Notwendigen sollen nun endlich durch dieses Begehren verankert werden.

Diese Gesetzesvorlage stellt den Zwangsbedarf dar und fasst alle jene Bedürfnisse, die zur dauernden Fristung des Daseins und zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit unter dem durch den Kulturstand gegebenen Verhältnissen als unentbehrlich angesehen werden müssen.

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Wir ersuchen die fürstliche Regierung, dieses Initiativbegehren der gesetzmässigen Behandlung zuzuführen. [4] 

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[1] LI LA RF 165/063/001.
[2] Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15.
[3] Vgl. das schweizerische Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11.4.1889 in der Fasssung vom 1.11.1932, hg. von der Schweizer Bundeskanzlei 1932 (LI LA RF 165/063/002) oder das österreichische Bundesgesetz vom 11.7.1922 über Beschränkungen der Exekution (BGBl. 460/1922).
[4] Der Landtag verabschiedete in der öffentlichen Sitzung vom 2. und 3.3.1937 ein Gesetz betreffend Beschränkungen bei Lohnpfändungen, das allerdings weit tiefere Ansätze für das unpfändbare Existenzminimum fixierte als der Vorschlag der Initianten (LI LA LTP 1937/039, LGBl. 1937 Nr. 5).