Die Schweiz hält an der Anwendbarkeit sämtlicher Clearingabkommen mit Drittstaaten, namentlich mit Deutschland, auf Liechtenstein fest


Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die Regierung, gez. Giuseppe Motta [1]

26.2.1936

Bezugnehmend auf die Note vom 3. d.M. [2] betreffend Anfrage einer liechtensteinischen Aktiengesellschaft über die Anwendung des schweizerisch-deutschen Verrechnungsabkommens vom 17. April 1935 [3] auf Liechtenstein beehrt sich das Eidgenössische Politische Departement der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung mitzuteilen, dass durch Notenwechsel zwischen der Schweiz und Liechtenstein [4] sämtliche Clearingabkommen, die die Schweiz mit dritten Staaten abgeschlossen hat und noch abschliesssen wird, in gleicher Weise auch auf das Gebiet des Fürstentums anwendbar erklärt wurden. Für Deutschland enthält der in der Note zitierte Art. VI des Abkommens über den deutsch-schweizerischen Verrechnungsverkehr vom 17. April 1935 die Regelung dieser Frage.

Aus diesem Artikel VI ergibt sich, dass das deutsch-schweizerische Verrechnungsabkommen tale quale als Ganzes mit sämtlichen Anlagen auch für Liechtenstein gilt. Die Anlagen A bis F bilden einen integrierenden Bestandteil des Abkommens. Es kann daher kein Zweifel darüber bestehen, dass die Anlage F, d.h. das sogenannte Zinsenabkommen, das die Überweisung von Zinsen und Gewinnanteilen nach Deutschland regelt, für das Gebiet des Fürstentums ebenfalls Geltung hat.

Eine einzige Einschränkung des Geltungsbereichs von Art. VI ergibt sich aus der im Zeichnungsprotokoll zur Anlage C (Transfer- und Fundierungsabkommen) enthaltenen Klausel, dass die Bestimmungen dieser Anlage C auf das Fürstentum nur anwendbar sind, soweit es sich um Forderungen und Wertpapiere handelt, die im Eigentum von natürlichen Personen mit ständigem Wohnsitz im Fürstentum Liechtenstein oder der Sparkasse für Liechtenstein (Liechtensteinische Landesbank) in Vaduz oder der Bank in Liechtenstein A.G. in Vaduz stehen. Die juristischen Personen des Fürstentums, mit Ausnahme der beiden genannten Banken, fallen nicht unter das Transfer- und Fundierungsabkommen. Im übrigen gilt aber das Verrechnungsabkommen mit seinen sämtlichen Anlagen für die liechtensteinischen juristischen Personen genau gleich wie für die natürlichen Personen mit ständigem Wohnsitz im Fürstentum.

Eine Veranlassung, aus Billigkeitserwägungen die liechtensteinischen juristischen Personen von den Pflichten des Zinsenabkommens zu entbinden, dürfte daher kaum vorliegen, da das Fürstentum wirtschaftlich aus dem Verrechnungsabkommen die gleichen Vorteile wie die Schweiz geniesst. Es zieht Nutzen vom Waren-, vom Reise- und, soweit natürliche Personen und die beiden Landesbanken in Frage stehen, auch vom Transfer- und Fundierungsabkommen.

Die Ausnahme der liechtensteinischen juristischen Personen vom Transfer- und Fundierungsabkommen bedeutet ausserdem nur scheinbar eine Schlechterstellung dieser Gesellschaften gegenüber den schweizerischen juristischen Gesellschaften, da die in Liechtenstein domizilierten juristischen Personen überwiegend fremde Finanz- und Holdinggesellschaften sind, die somit, auch wenn das Transfer- und Fundierungsabkommen auf sie anwendbar wäre, gleich wie die in der Schweiz domizilierten fremden Finanz- und Holdinggesellschaften auf Grund der Bestimmung in Abschnitt II Ziffer 4 des Transfer- und Fundierungsabkommens vom Transfer von Zinsen und Gewinnerträgnissen ohnehin ausgeschlossen wären, weil nach dieser Bestimmung Finanz- und Holdinggesellschaften am Zinsentransfer nur teilnehmen können, wenn an ihren Ansprüchen ein vorwiegend schweizerisches Interesse besteht. Wenn die liechtensteinischen Finanz- und Holdinggesellschaften mit Rücksicht auf ihre Aussschliessung vom Transfer- und Fundierungsabkommen von den Pflichten des Verrechnungsabkommens befreit würden, so könnten mit gleichem Recht die in der Schweiz domizilierten nichtschweizerischen Finanz- und Holdinggesellschaften, die am Zinsentransfer nicht teilnehmen können, die gleiche Sonderbehandlung für sich beanspruchen.

Endlich sind den zuständigen schweizerischen Behörden ausser einigen vereinzelten Hinweisen auf die Auslegung des deutsch-schweizerischen Verrechnungsabkommens keine eigentlichen Klagen hinsichtlich Schwierigkeiten, die die Handhabung dieses Abkommens insbesondere für die liechtensteinischen Holdinggesellschaften mit sich gebracht haben, zugekommen.

Das Departement benützt gener auch diesen Anlass, um die Fürstliche Regierung erneut seiner ausgezeichneten Hochachtung zu versichern. [5]

 

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[1] LI LA RF 136/459/138. Aktenzeichen: B.14.2.Liecht.5. - JV.
[2] Siehe LI LA RF 136/459/135.
[3] Siehe dt. RGBl. 1935 Teil II S. 406.
[4] Vgl. die Kundmachung vom 1. Februar 1933 betreffend die Anwendung der von der Schweiz getroffenen Clearing-Abkommen auf Liechtenstein, LGBl. 1933 Nr. 5 (Österreich, Ungarn, Bulgarien, Jugoslawien, Rumänien). Hinsichtlich der Anwendbarkeit des deutsch-schweizerischen Abkommens über den Verrechnungsverkehr vom 26. Juli 1934 auf Liechtenstein siehe die Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die liechtensteinische Regieurng vom 31. Juli 1934 (LI LA RF 136/459/061).  
[5] Eine Abschrift dieses Schreibens erging seitens der Regierung am 4. März 1936 an die Sparkasse Vaduz, Dr. Alois Ritter, Dr. Ludwig Marxer, Dr. Helmuth Merlin und Guido Feger (LI LA RF 136/459/140).