Die Regierung äussert gegenüber Fürst Franz Josef II. Vorbehalte gegen die Errichtung einer Gesandtschaft in Bern


Memorandum der Regierung, ungez. [1]

9.6.1944

Bemerkungen zum Plane der Errichtung einer Gesandtschaft in Bern in der Kriegs- und Übergangszeit

  1. Beziehungen zu Deutschland
    Wir haben die Befürchtung, dass die Errichtung einer Gesandtschaft einseitig in Bern als eine Annäherung an die Westmächte gedeutet werden könnte. Nachdem die Gesandtschaft nicht mit einem Routinier besetzt werden soll, wird das Misstrauen noch verstärkt. Da jeder Schritt der Diplomaten in Bern ausspioniert wird, könnte nicht verborgen bleiben, dass der liechtensteinische Gesandte engeren Kontakt -- Zweck der Errichtung der Gesandtschaft -- mit den Alliierten nimmt. [2] Das könnte Rückwirkungen haben auf das Land und die Stellung des Fürsten. [3]
  2. Eine einseitige Errichtung einer Gesandtschaft ohne auch eine solche zu empfangen, könnte möglicherweise die Ansicht über die Souverainität Liechtensteins negativ beeinflussen. 
  3. Beziehungen zu den Alliierten
    Nach völkerrechtlichen Grundsätzen ist der Gesandte in seiner Tätigkeit auf den Empfangsstaat beschränkt, mit anderen Worten: um mit den Alliierten in offiziellen Kontakt zu kommen, müssten wir Gesandtschaften in den alliierten Hauptstädten errichten. Nachdem also ein offizieller Verkehr mit den Alliierten über eine Gesandtschaft in Bern unmöglich ist, und der Kontakt nur inoffiziell gepflogen werden kann, ist es empfehlenswerter, diesen inoffiziellen Kontakt in weniger auffälliger Form z.B. auf gesellschaftlicher Basis herzustellen.
  4. Für den Verkehr mit der Schweiz hat sich der heutige Zustand des direkten Verkehrs vollauf bewährt. Wenn dieser Verkehr über eine Gesandtschaft gehen müsste, was die Schweiz wahrscheinlich im Interesse der Einheitlichkeit und des vollen Überblickes über die gegenseitigen Beziehungen verlangen würde, würde der Verkehr sich ausserordentlich komplizieren u. es brauchte hiezu bei der Gesandtschaft in Bern einen Personalstab, der nicht unbedeutend ist. [4]
  5. Vorschläge: Mit Rücksicht auf das Vorangeführte wird vorgeschlagen, a) sich auf einen inoffiziellen Beobachterposten in Bern zu beschränken und sich der Bereitwilligkeit der Schweiz zu versichern, die Interessen des Landes und des Fürsten nachdrücklichst zu vertreten oder zu sondieren, ob eine Attachierung eines Liechtensteiners an die Schweizerische Gesandtschaft in Washington oder London möglich wäre.
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[1] LI HALV, Karton 630, Akt Errichtung der liechtensteinischen Gesandtschaft Bern 1944 (d). Handschriftliche Betreffangabe von Franz Josef II.: "Résumé der Vorsprache der Regierung bei mir".
[2] Tatsächlich bemühte sich Franz Josef II. seit Sommer 1943, zur Wahrung seiner Interessen in der Nachkriegszeit direkte Kontakte zu Grossbritannien und den USA zu knüpfen. Vgl. DDS, Bd. 14, Nr. 410, sowie die Korrespondenz in LI HALV, Karton 630, Akt Errichtung der liechtensteinischen Gesandtschaft Bern 1944.
[3] Handschriftliche Randbemerkung von Franz Josef II.: "unrichtig".
[4] Handschriftliche Randbemerkung von Franz Josef II.: "??".
[5] Handschriftliche Randbemerkung von Franz Josef II.: "unmöglicher Vorschlag".