Brief Josef Renners mit Fragen zu Patituren von Rheinberger und über Renners berufliche und private Situation.


Bludenz, 16.3.92.

Hochverehrter Herr Professor!

Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen zum herannahenden Namensfeste[1] meine aufrichtigsten Glück- und Segenswünsche übermittle. Möge Sie der liebe Gott zum Segen wahrer Kunst noch recht oft dieses schöne Fest erleben lassen! Da ich eben vom Studium Ihrer Klavier-Orgel (ist No. 15[2] schon erschienen?) und Kirchenwerke zu dem der Orchesterwerke übergehen möchte, so wäre ich für geneigte Auskunft, wo die Partituren von op. 10,[3] 18, 79, 87, 94, 139, sowie der Quartette op. 89 und 147 erschienen sind, sehr dankbar. Auch würde mich sehr interessieren, ob die Instrumental- Messe und wo? schon herausgekommen ist.

In meiner Einsamkeit, wo ich soviel wie gar keine Gelegenheit habe, Musik im edelsten Sinne des Wortes zu hören, bin ich ganz auf das häusliche Studium angewiesen. Zum Glück ist meine liebe Frau mit einer sympathischen, volltönenden Altstimme (bis f) begabt, und so können wir wenigstens das grosse Gebiet des einstimmigen Liedes uneingeschränkt pflegen. Von Ihren Liederheften singt sie mit Vorliebe op. 41, 55, 136 und 157. Die Liederhefte op. 4, 22, 26, 57, 128 sind mir leider ihrem Verleger nach nicht bekannt.

Die Kousine meiner Frau, M. Theimer in Reichenberg, Böhmen, eine ausgezeichnete Pianistin, spielte jüngst in einem Konzert Ihre schöne Klaviersonate op. 99,[4] worüber sich die Kritik sehr anerkennend äussert. Von den Marianischen Hymnen[5] besitze ich bis jetzt 4 Nummern, sollte inzwischen eine neue herausgekommen sein?

In der Votivkirche in Wien, wo bekanntlich jetzt für Wien die beste Kirchenmusik anzutreffen ist, kommen in diesem Jahr 2 Offertorien von meiner Arbeit, Reges Tharsis und Scapulis suis, zur überhaupt ersten Aufführung. So unbedeutend dies an sich ist, mir war es doch ein süsser Trost in meiner Weltabgeschiedenheit und ein neuer Antrieb für weitere Versuche meines schwachen Talentes!

Doch, verehrter Meister, entschuldigen Sie, dass ich es wieder gewagt habe, Ihre kostbare Zeit so in Anspruch zu nehmen. Es drängt mich eben dazu, mich Ihnen von Zeit zu Zeit zu nahen, Ihnen, zu dem ich so verehrend und dankbar aufblicke, aufs neue meine Liebe und Anhänglichkeit zu bezeigen.

Meine Segenswünsche wiederholend, bin ich Ihr sehr ergebener Schüler

Josef Renner jun.

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[1] zum herannahenden Namensfeste = 19. März
[2] r. 15 = 15. Orgelsonate D-dur, op. 165, erschien 1892 bei Rob.Forberg, Leipzig.
[3] op. 10 = Wallenstein-Sinfonie
op. 18 = Ouvertüre "Zähmung der Widerspenstigen"
op. 79 = Fantasie (für Orchester)
op. 87 = Sinfonie F-dur ("Florentiner")
op. 94 = Klavierkonzert As-dur
op.139= Nonett
op. 89 = Streichquartett c-moll
op.147 = Streichquartett F-dur
Z. 21f: op. 41 = "Zeiten und Stimmungen" 7 Lieder
op. 55 = "Liebesleben" Liederzyklus
op.136 = "Aus verborgenem Thal" Liederzykius
op.157 = Sechs religiöse Gesänge
op. 4 = Fünf Lieder
op. 22 = Vier Gesänge
op. 26 = Sieben Lieder
op. 57 = "Wache Träume" 7 Lieder u. Gesänge
op.128 = Vier elegische Gesänge
[4] Klaviersonate op. 99 = 2. Klaviersonate in Des-dur, komponiert 1876
[5] Von den Marianischen Hymnen = Sechs Marianische Hymnen für 1, 2 oder 3 Frauenstimmen mit Orgel (oder Klavier), op. 171