Josef Peer lehnt eine Berufung nach Vaduz in einer untergeordneten Stellung ab


Maschinenschriftliche Teilabschrift einer Eingabe von Josef Peer vom 16.3.1920, nicht gez. [1]

 

Nach dem 16.3.1920, Wien

Auszug aus dem Promemoria des Hofrates Dr. Josef Peer vom 16. März 1920

III. Darüber, dass meine Berufung nach Vaduz aus Gründen, die teils in den im Lande obwaltenden Verhältnissen, teils in meiner Person liegen, vorläufig nur eine provisorische sein könnte, besteht eine Verschiedenheit der Auffassungen wohl nicht. Diesem notwendig provisorischen Charakter meiner Berufung und meinem bereits geäusserten Wunsch nach Wahrung meiner erworbenen Rechte auch für die Zukunft könnte durch eine im Einvernehmen mit Seiner Exzellenz, meinem Herrn Präsidenten [2] und mit der österreichischen Staatskanzlei zu erwirkende Beurlaubung von meinem jetzigen Dienste [3] gegen Carenz der Gebühren unter Wahrung aller mir erwachsenen Gehalts-, Rangs- und Vorrückungsrechte und Pensionsansprüche Rechnung getragen werden. Überdies kann der provisorische Charakter meiner Berufung in dem von Seiner Durchlaucht, dem regierenden Fürsten [Johann II.] an mich zu erlassenden Auftrage geeignet zum Ausdrucke kommen.

IV. Die Durchführung auch nur der wichtigsten oben ad I A [4] erwähnten Aufgaben greift tief in alle Funktionen des innerstaatlichen Lebens, wie auch in das privatwirtschaftliche Tun und Lassen aller Einzelnen ein; sie wird Regierungshandlungen auslösen, die sich nach Zahl und Umfang derzeit gar nicht vorausbestimmen lassen.

Schon aus diesem Grunde erscheint es mir als ausgeschlossen, dass der zur Lösung dieser Aufgaben Berufene sich mit dem oder neben ihm stehende Regierungschef in die diesem normal zukommende Gewalt teilen soll, weil eine solche Teilung der Geschäfte der Regierungsgewalt Kompetenzkonflikte oder Lahmlegungen unvermeidlich nach sich ziehen müsste. 

Die Bevölkerung des Landes hat sich in verschiedene Parteien [5] gespalten, die in ihren Ansichten über die Durchführung der als notwendig erkannten Reformen nicht unerheblich auseinandergehen. Eine gedeihliche Führung der mit diesen Parteien zu pflegenden Unterhandlungen wird nur demjenigen möglich sein, der ihnen mit der ganzen, nur dem Regierungschef eigenen Autorität gegenübertreten kann, zumal nach meiner vieljährigen, in öffentlichen Stellungen [6] verschiedener Art gewonnenen Erfahrung die vorwiegend ländliche Bevölkerung ein einerseits recht feines, und andererseits die Ergebnisse der Verhandlungen nachhaltig beeinflussendes Empfinden dafür hat, ob derjenige, welcher die Verhandlungen führt, ausser der als selbstverständlich vorauszusetzenden Objektivität auch die Macht besitzt, die durch die Verhandlungen anzustrebende Einigung zwischen Regierung und Parteien zur Wirklichkeit werden zu lassen.

Endlich kommt nach den mir von Seiner Durchlaucht Prinz Eduard gemachten Eröffnungen in Betracht, dass im Hinblicke auf den Gesundheitszustand Seiner Durchlaucht, des derzeitigen Landesverwesers, Prinz Karl, auch für die Besorgung normaler Regierungsgeschäfte nicht immer ausreichend Vorsorge getroffen erscheint. 

Aus allen diesen Gründen könnte ich mir einen gedeihlichen Erfolg meiner Berufung und meiner Tätigkeit, im Lande nur dann erwarten, wenn ich dorthin mit allen dem Regierungschef zustehenden Rechten und zukommenden Vorzügen berufen werde. Wenn ich es ablehnen müsste, in irgend einer untergeordneten oder einer Nebenstellung nach Vaduz zu gehen, so brauche ich als Hofrat des Verwaltungsgerichtshofes den Vorwurf der Unbescheidenheit umsoweniger zu befürchten, als meines Wissens bisher – Seine Durchlaucht Prinz Karl bleibt bei diesem Vergleiche als Mitglied des regierenden Hauses ausser Betracht – auf die Stelle des Landesverwesers stets Herren berufen worden sind, die in der österreichischen Beamtenhierarchie einen weit niedrigeren Rang bekleideten. [7]

 

Das meine Berufung nur in einer Form vor sich gehen kann, welche jede gebotene Rücksicht auf den Rang, die Person und die Stellung Seiner Durchlaucht, des Prinzen Karl, nimmt, ist selbstverständlich. Wenn es mir gestattet ist, in dieser Richtung einen Vorschlag zu erstatten, ginge er dahin, dass Seine Durchlaucht, Prinz Karl, zur Wiedererlangung seiner Gesundheit die Erteilung eines längeren Urlaubes und die Bestellung eines Stellvertreters bei Seiner Durchlaucht, dem regierenden Fürsten, in Antrag bringt.

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[1] LI LA SF 01/1920/062. Stempel der fürstlichen Kabinettskanzlei. Vollständiges Exemplar unter der Signatur LI LA V 003/1188 (Aktenzeichen 211/2). 
[2] Wohl der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes Karl Grabmayr.
[3] Peer war seit dem 1.10.1917 als Richter am österreichischen Verwaltungsgerichtshof tätig.
[4] Insbesondere die Frage der Valutaregulierung und die Verfassungsrevision.  
[5] Christlich-soziale Volkspartei und Fortschrittliche Bürgerpartei.
[6] Etwa als Landeshauptmann-Stellvertreter von Vorarlberg (1902-1909), als Bürgermeister von Feldkirch (1901-1909) oder als Präsident der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer (1911-1917).
[7] Leopold von Imhof beispielsweise war vor seiner Ernennung zum liechtensteinischen Landesverweser 1914 Ministerialsekretär im österreichischen Innenministerium.