Der Auslandliechtensteiner Wilhelm Karl Schlegel verlangt von der liechtensteinischen Regierung Schritte beim Schweizer Bundesrat, um den Schutz durch das schweizerische Konsulat in München zu ermöglichen


Schreiben von Wilhelm Karl Schlegel, gez. ders., an die Regierung [1]

12.11.1918, München

Nach der Corruption [2] des alten Österreich hat der Ausland Liechtensteiner keinen Consular-Schutz mehr. [3] 

Ich habe bei dem hiesigen Schweizer Consul, mir persönlich bekannten Consul Dr. [Gustav] Hegi angefragt, ob ich dort den Schutz und die Unterstützung für eventuelle Gefahren in der gegenwärtigen bewegten Zeit [4] finden könnte. Er hat mir gerathen, dass ich der f. l. Regierung nahelegen soll, beim Schweizerischen Bundesrate deshalb nachzusuchen und auf dessen Instruction gerne bereit dazu wäre. [5]  

Ich versuche deshalb diesbezügliche Schritte zu tun oder mir andere geeignete Sicherheiten für meine Person (u. Gattin [Theresia geb. Mohrnhofer]) und mein Eigentum zu bieten.

Ich möchte aber nach mehrfachen bitteren Erfahrungen in den letzten Kriegsjahren, die ich mit den miserablen Zuständen an dem früheren österreichischen Consulat in München und Zürich machen musste, davor dringend warnen, dieser Behörde weitere Vertretung anzuvertrauen.

Ihrer baldigsten Instruction harrend

Hochachtungsvollst 

NB [Nota bene]. Welche Garantien bestehen für die Zinsauszahlung und Sicherung der von Liechtensteiner in auswärtigen Staaten angelegten Gelder. Werden diesbezügliche Schritte von der f. Regierung und vom Landtage gemacht oder sind wir darin schutz- und wehrlos? [6]

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[1] LI LA RE 1918/4943. Das Schreiben langte am 15.11.1918 bei der Regierung ein. In den liechtensteinischen Landeszeitungen war schon zuvor die Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung im Auslande durch die Schweiz - oder durch Schweden – gefordert worden: Vgl. O.N., Nr. 6, 9.2.1918, S. 1 („Liechtensteiner im Auslande"); O.N., Nr. 8, 23.2.1918, S. 3 („Unsere Interessen-Vertretung im Auslande"); L.Vo., Nr. 36, 6.9.1918, S. 2 („Unsere Vertretung im Auslande"). – Der liechtensteinische Zahnarzt Wilhelm Karl Schlegel hatte sich 1896 in München niedergelassen.
[2] „Corruption" wird hier im Sinne von Verderben verwendet: Österreich-Ungarn hatte am 3.11.1918 in der Villa Giusti den Waffenstillstand mit den Alliierten unterzeichnet. Dieser beendete die Kämpfe an der Italienfront.
[3] Österreich-Ungarn hatte 1880 die diplomatische Interessenvertretung Liechtensteins im Ausland übernommen. Erst 1919 wurden liechtensteinische Gesandtschaften in Wien und Bern eingerichtet.
[4] Am 7.11.1918 stürzten revolutionäre Kräfte in Bayern im Rahmen der Novemberrevolution die Monarchie. Bayern wurde zum Freistaat erklärt.
[5] Die Schweiz nahm gemäss einer Auskunft des österreichisch-ungarischen Aussenministeriums vom 5.3.1918 kriegsbedingt die österreichischen und liechtensteinischen Interessen in Frankreich wahr (Beilage zu LI LA V 003/0044).
[6] Wilhelm Beck antwortete Schlegel mit Schreiben vom 20.11.1918, dass die „Landesregierung" für dessen Anregungen danke und an die Lösung dieser Fragen herantreten werde, sobald die internationale Lage dies ermögliche (LI LA RE 1918/4943 revers).