Friedrich Walser wird als Zeuge über die Ereignisse des Novembers 1918 vernommen


Maschinenschriftliches Protokoll der Zeugeneinvernahme des Landtagsabgeordneten Friedrich Walser vor dem Landgericht, gez. ders. sowie Landrichter Julius Thurnher und Amtsschreiber Alois Ospelt [1]

3.6.1919

Vor dem fürstlichen Landrichter Dr. Julius Thurnher und dem Amtsschreiber Alois Ospelt.

Über Vorladung erscheint Friedrich Walser, 48 Jahre alt, kath., verehl., Postmeister und Landtagsabgeordneter in Schaan, gibt nach Wahrheitserinnerung als Zeuge vernommen an:

Dr. Martin Ritter kam im letzten Jahre öfters nach Liechtenstein. Ich kannte ihn von Jugend auf und [er] war manchmal in meinem Gasthaus. [2] Er sprach oft davon, was man im Lande anders machen könnte und sollte und trat nach den letzten Landtagswahlen, also etwa vor Jahresfrist, [3] an mich mit dem Ansinnen heran, ich möchte sämtliche Landtagsabgeordnete zu einer Besprechung zusammen rufen, damit man ihnen verschiedene Aufklärungen geben könnte, wie man in Liechtenstein auf eine grünen Zweig komme. Einzelheiten teilte er mir nicht mit, wenigstens erinnere ich mich nicht mehr richtig. Ich nahm die Sache nicht in die Hand.

Es kam der Zusammenbruch, mit ihm auch in Liechtenstein wie anderwärts eine Menge von Gerüchten, beunruhigenden Nachrichten, die Furcht, Liechtenstein werde von Militär, das in Vorarlberg demobilisiert werden sollte, überschwemmt, verwirrte die Köpfe und liess Besorgnisse eintreten, die sich zum Glücke dann als trüglich erwiesen. In dieser schlimmsten Zeit kam Dr. Ritter nach Liechtenstein. Er war Abend für Abend bei mir und hat immer auf mich eingeredet, was man machen sollte, jetzt sei der Zeitpunkt da für uns Liechtensteiner, die Regierung selbst in die Hand zu nehmen. Er machte den Plan, wie sich dies am leichtesten durchführen lasse. Zunächst meinte er, man solle dem Landesverweser Baron [Leopold] von Imhof das Misstrauen aussprechen und ihn zum Rücktritt bewegen. Er sagte dann auch zu mir, die Partei des Dr. [Wilhelm] Beck [4] sei ganz damit einverstanden. Ich sollte ihm nur helfen, die übrigen Landtagsabgeordneten für diese Idee zu gewinnen. So sprach er immer wieder und ich musste ihm versprechen, ihn zu den Abgeordneten Peter Büchel und Josef Marxer zu begleiten. Andern Tags reute mich die Zusage fast wieder, da kam mir aber Ritter mit dem Vorwurf der Feigheit und ging ich mit zu Marxer. Ritter teilte uns damals mit, der Landesverweser habe dem Dr. Beck gegenüber bereits Rücktrittsgedanken geäussert, doch sei es notwendig, dass der Landtag etwas mache, das schien uns selbstverständlich, dass der Landtag in einem solchen Momente die Pflicht hätte, die Regierung zu übernehmen, wenn der Landesverweser in einem Zeitpunkte zurücktrete, wo man mit dem Fürsten [Johann II.] nicht [in] Verbindung treten könne.

Dr. Ritter sagte dann am Abend, nun sei Imhof bereit zurück zu treten, und glaublich tags darauf telefonierte er mir von Vaduz, ich solle mich selbst davon überzeugen, dass dies richtig sei und nach Vaduz zum Landesverweser kommen. Ich ging dann mit Dr. Beck ins Regierungsgebäude, traf dort Sanitätsrat Dr. [Albert] Schädler und gingen wir zusammen zum Landesverweser. Das war am 6. November. Baron von Imhof schlug zunächst vor, er sei nunmehr bereit, zur Regierung die Landräte beizuziehen und eine Verfassungsänderung dahin zu befürworten, dass diese Landräte vom Landtag gewählt werden könnten. Dr. Beck erklärte dann meines Erinnerns, damit sei es zu spät, heute verlange das Volk mehr, es müsste wie überall auch Liechtenstein von Inländern regiert werden. Baron von Imhof ging darauf ein und erklärte, wenn man ihm persönlich kein Misstrauen entgegenbrächte und keine Vorwürfe machte, so wäre es für ihn keine Schande abzudanken, denn den Wunsch der Liechtensteiner, dass Liechtensteiner auch die Regierung führten, finde er berechtigt. Ich war eigentlich damals etwas erstaunt, dass die Sache nicht so glatt ging, wie ich gedacht und wie ich es nach den Angaben Dr. Ritters erwartet hatte. Es wurde dann ausgemacht, dass man auf andern Tags eine Landtagssitzung einberufe [5], dort wollte Baron von Imhof die Vertrauensfrage stellen.

Mit Dr. Ritter und Dr. Beck besprach ich dann nachher noch die Lage und beschlossen wir, der Landtag solle nunmehr eine provisorische Regierung wählen. Dr. Ritter sollte Vorsitzender (Landammann) werden, Dr. Beck und Emil Batliner Regierungsräte.

Zu meiner persönlichen Überraschung stellte dann des andern Tages in der Landtagssitzung [6] der zurückgetretene Landesverweser den Antrag auf Wahl eines Vollzugsausschusses.

Noch vor der Sitzung trafen wir Abgeordnete uns. Mehrere wussten nämlich überhaupt noch nichts, um was es sich handle, und mussten wir ihnen die Sache erst klar machen. Dr. Ritter war damals auch dabei.

Gesprächsweise sagte Dr. Ritter häufig um auf mich einzuwirken, wenn der Landtag nicht mitmache, dann komme es ohne Landtag, die Balzner liessen sich nicht mehr halten, es habe sich ein Organisationskomitee der Volkspartei gegründet, sie hätten die Mehrheit des Oberlandes hinter sich und wenn der Landtag das Heft in der Hand behalten wolle, müsse er die Regierung in die Hand nehmen. Wie sich aus dem, was ich sagte, klar ergibt, war Dr. Ritter die Seele dieses Unternehmens. Von ihm stammt der Plan, er setzte auch alles zur Durchführung in Bewegung. In Liechtenstein wäre es niemanden eingefallen, die Regierung auf diese Art zu stürzen.

Gesprächsweise äusserte sich Dr. Ritter mir gegenüber etwa in dem Sinne:

Wenn das Land die fürstlichen Güter und Wälder hätte, wäre es fein heraus.

Als er von Wien zurückkehrte, zeigte er mir den Wortlaut eines Telegramms, das er nach Wien gesandt hatte. [7] Ungefähr des Inhaltes, die neue Regierung wolle vom Fürsten bestätigt werden, sonst werde er dafür sorgen, dass Liechtensteiner Verhältnisse in der Presse des In- und Auslandes entsprechend klar gestellt werden. Ich sagte noch zu ihm, das sei Revolverspiel.

Bei der Sitzung am 2. Dezember [8] sollte der Landtag, richtiger sämtliche vom Volke gewählte Abgeordnete ihre Mandate niederlegen und sollte dies dem Fürsten mitgeteilt werden. Der Grund wäre der gewesen, dass dem Willen des Volkes entgegen die provisorische Regierung nicht bestätigt worden sei.

Das Schriftstück war von Dr. Ritter verfasst.

Vorgelesen, genehmigt und gefertigt.

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[1] LI LA J 007/S 046/047/14. Die Zeugeneinvernahme erfolgte im Rahmen der Untersuchungen zur Privatklage Martin Ritters gegen Eugen Nipp, Redakteur des "Liechtensteiner Volksblatts", wegen angeblich ehrverletzender Äusserungen im "Liechtensteiner Volksblatt".
[2] Walser führte mit seiner Frau Julia, geb. Wachter-Wölfle das Gasthaus „Post" in Schaan.
[3] Die Wahlen fanden statt am 11./18.3.1918.
[4] Die Christlich-soziale Volkspartei.
[5] Folgt gestrichen: "und dort nach Rücktritt des Landesverwesers eine".
[6] Vgl. LI PA Quaderer, Nachlass Wilhelm Beck, handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung vom 7.11.1918; ebd., stenographisches Protokoll der Landtagssitzung vom 7.11.1918; L.Vo., Nr. 46, 15.11.1918, S. 3f. ("Zur Landtagssitzung vom 7. des Monats"). Ein offizielles Protokoll existiert nicht.
[7] Nicht aufgefunden. Ritter soll nach übereinstimmenden Aussagen verschiedener Zeugen insgesamt drei Telegramm an den Fürsten gesandt haben, in denen er die Bestätigung des Vollzugsausschusses forderte. Die Telegramme waren jedoch bereits 1919/20 weder bei der Hofkanzlei, noch bei der Gesandtschaft Wien oder unter den Privatpapieren des Fürsten auffindbar (LI LA J 007/S 046/047/34, Landgericht an Appellationsgericht, 20.10.1918; LI LA J 007/S 046/047/35, Appellationsgericht an Landgericht, 29.12.1918; LI LA J 007/S 046/047/35, Landgericht an Gesandtschaft Wien, 22.1.1919; LI LA V 003/1198).
[8] Vgl. LI LA PA 001/0021/08, Bericht von Martin Ritter über die Vorbesprechung des Landtages vom 2.12.1918, 3.12.1918.