Die Volkspartei fordert ultimativ eine Erhöhung der Zahl der Landtagsabgeordneten des Oberlands


Maschinenschriftliches Schreiben der Delegierten der Volkspartei des Oberlandes, gez. Wilhelm Bürzle, Georg Vogt, Albert Vogt, Emil Kindle, Heinrich Beck, Alois Schädler, ... (Unterschrift unleserlich), Franz Wille und Stefan Ritter, an den Landtag [1]

6.3.1919, Vaduz

Die heute persönlich erschienenen Delegierten der Volkspartei des Oberlandes lassen Ihnen hiemit folgendes

Ersuchen:

überreichen.

  1. Durch den Ausfall der Volksabstimmung hat das Volk bekundet, dass die Zahl der Volksabgeordneten nicht erhöht werden soll. Wohl hat das Oberland mit einem Mehr von rund 200 Stimmen für die Erhöhung gestimmt, das Unterland überwiegend dagegen. [2]
    Die heute erschienenen Delegierten ersuchen gestützt auf die Wähler unter Hinweisung auf den volkstümlichen Zug der Zeit auf das anerkannt berechtigte Begehren um demokratischen Ausbau unserer Verfassung darum, dass ein Abgeordneter im Oberlande wie im Unterlande die gleiche Seelenzahl im Landtage vertrete. [3]
    Es ist mit einer demokratischen Verfassung unvereinbar, dass in Bezug auf die politische Berechtigung für Landessachen zwei verschiedene berechtigte Volksklassen bestehen. Niemand im Lande kann es gerechterweise gutheissen, dass die Oberländer Männer sind, deren Stimme politisch weniger wert sein soll, als die eines Unterländers. Für die Tragung der Landeslasten (Steuern, Abgaben u.s.w.) werden die Oberländer und Unterländer gleichgehalten. Wer gleiche Pflichten hat, soll gleiche Rechte haben.
    Wir appellieren an den Gerechtigkeitssinne der Unterländer und ihre Abgeordneten. Was wir verlangen ist ein gleiches Recht für alle.
  2. Wir ersuchen um schleunigsten volkstümlichen Verfassungsausbau, der auch Volksabstimmungen kennt. Durch das Hinausschleppen der Revision wird die Ruhe im Lande nicht gefördert, wohl aber mehr und mehr untergraben.
  3. Wir ersuchen um sofortigen Bescheid, ob unserem Ansuchen entsprochen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, so bitten wir die Herren Oberländer Abgeordneten ihre Mandate niederzulegen und auf die Auflösung des Landtages zu dringen. [4]
    Die Herren müssen sich ja selbst mit Rücksicht auf das Oberländer Abstimmungsergebnis sagen, dass die grosse Mehrheit der Oberländerwähler sich nicht mehr als politisch minderberechtigte Bürger behandeln lassen wollen.
    Wir appellieren an das Herz und den Verstand der Oberländer Abgeordneten, dass sie für diese Bitte eintreten und allenfalls den Entscheid ihren Wählern überlassen.
  4. Sollte keinem unserem Ansuchen entsprochen werden, wälzen wir alle Verantwortung wegen Vorkommissen auf den Landtag ab. Wir sind dann nicht mehr in der Lage, das Begehren um autonome Trennung der Verwaltung für die beiden Landschaften, ebenso wie die Entfremdung zwischen ihnen aufzuhalten, was wir zwar für unsere Verhältnisse nicht wünschen.
    Uns liegt die Ruhe und das Wohl des Landes am Herzen. Wir verlangen aber eine Gesundung unserer politischen Zustände, indem ein Oberländer nicht nur dieselben Lasten wie ein Unterländer, sondern auch die gleichen politischen Rechte hat.
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[1] LI LA LTA 1919/L11. Das Schreiben wurde veröffentlicht in L.N., Nr. 16, 12.3.1919, S. 1f. ("zu unserer Verfassungskrise"); L.Vo., Nr. 21, 15.3.1919, S. 1 ("Ein Kulturdokument"). Die Delegierten sind im Schreiben nicht näher bezeichnet. Es dürfte sich u.a. um Wilhelm Bürzle und Albert Vogt aus Balzers, Heinrich Beck und Alois Schädler aus Triesenberg, Franz Wille aus Vaduz und Stefan Ritter aus Schaan handeln.
[2] In der Volksabstimmung vom 2.3.1919 war die Erhöhung der Zahl der Landtagsabgeordneten mit 711 Ja gegen 863 Nein abgelehnt worden. Das Oberland stimmte der Vorlage mit 585 Ja zu 395 Nein zu (L.Vo., Nr. 18, 5.3.1919, S. 1 ("Die Volksabstimmung")).
[3] Der Landtag setzte sich aus sieben Abgeordneten des Oberlands, fünf des Unterlands sowie drei fürstlichen Abgeordneten zusammen. Die Volkspartei war der Meinung, dass das Oberland, das eine weit höhere Bevölkerungszahl aufwies als das Unterland (5'325 zu 2'960), untervertreten sei. Ein Oberländer Abgeordneter vertrete 825 Einwohner, ein Unterländer 620. Vgl. z.B. O.N., Nr. 10, 19.2.1919, S. 1f. ("Mehr Volksabgeordnete").
[4] Landtagspräsident Albert Schädler brachte das Schreiben der Volksparteidelegierten dem Landtag in der Sitzung vom 6.3.1919 zur Kenntnis. Dieser überwies das Gesuch der Verfassungskommission. Darauf erklärten die Abgeordneten Wilhelm Beck, Emil Risch, Josef Sprenger, Josef Gassner und Albert Wolfinger ihren Rücktritt (LI LA LTA 1919/S04).