Der Landtag diskutiert über die Schaffung einer Bürgerwehr


Handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung, gez. Landtagspräsident Friedrich Walser und Schriftführer Gustav Schädler [1]

25.11.1919

V. Traktandum: Bürgerwehr

Der Präsident referiert einleitend. [2] Dann führt Abg. Schädler aus, dass gewiss Ruhe und Ordnung das erste seien in einem Staate, aber man könne in guten Treuen verschiedener Meinung sein. Er frägt an, warum kein genauer Kostenvoranschlag präsentiert werde. Man spreche von weit über 40'000 K Auslagen. Auch dürfte die Auswahl der Leute nicht parteiisch vor sich gehen; es seine eine Ausschreibung zur Anmeldung erforderlich. Es sei auffallend, dass man die von den Delegierten beider Parteien gemachte Erklärung in einer Eingabe, dass man keine Bürgerwehr brauche, [3] heute nicht vorlege. An die Banden von Dieben und Einbrechern aus Vorarlberg glaube er nicht. Manche sagen, einige Herren hätten so abgewirtschaftet, dass sie nun einer Leibgarde bedürfen. Andere bringen die Neuerung mit der Verfassungsreform in Zusammenhang. In der vorliegenden Form sei er gegen die Bürgerwehr. Der Präsident sagt, die Bürgerwehr würde hoffentlich nicht viel gebraucht. Schlecht beleumundete Leute könne man doch nicht brauchen. Die Kosten könne er nicht genau angeben. Dr. [Wilhelm] Beck will zuerst einen Finanzplan in der Sache, sodann solle frisch heraus gesagt werden, wozu man die Bürgerwehr wolle. Die Ausrede, es könnten Räuber aus Vorarlberg zu uns kommen, müsse festgenagelt sein. Ob man etwa die Verfassung im Schatten der Bajonette so zurechtdrechseln möchte, dass sie würdig werde den alten Zuständen? Es scheine, dass sich einige Herren nicht mehr sicher fühlen. Selbstverständlich sie auch er für Ruhe und Ordnung, aber statt der Bürgerwehr wäre es besser, endlich einmal Wirtschaftsabkommen zu schliessen. Gewehre bringen den Hungernden kein Brot. Er erhebe Protest gegen einen solchen Antrag. Fritz Walser bemerkt, dass die Finanzer nun nicht mehr da seien, weshalb statt ihrer etwas geschaffen sein müsse, das für Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung angerufen werden könne. Der Landesfürst [Johann II.] habe bei Auflösung des Zollvertrages [4] das gewünscht. 5 Polizisten nützen uns nichts. Die Regierung brauche Schutz. Reg.-Rat [Franz Josef] Marxer: 5 Polizisten mehr kosten zuviel, das sei der billigste Weg. Eine Bande aus Vorarlberg könnte uns vor sich herjagen. Die Gewehre seien eine gute Geldanlage. Wegen der Verfassung solle man keine Gespenster an die Wand malen. Abg. [Albert] Wolfinger ruft: Wir wollen Brot, keine Gewehre! (Mächtige Bravos im Zuhörerraum. Der Präsident rügt die Kundgebungen des Publikums abermals und droht zum letztenmal mit Leerung des Zuhörerraums.) Abg. Dr. Beck sagt weiter, eine Kapitalanlage sei es auch, wenn man den Kindern zu essen gebe. Noch nie sei ein so reaktionärer Antrag im Landtag eingebracht worden. Es sei gescheiter, daran zu denken, ob und wie wir unsere Selbständigkeit wahren können. Schaffe man lieber eine bessere Währung! Viele Leute haben nichts zu essen, was müssen diese denken, wenn man ihnen statt Brot Munition und Waffen gibt! Der Präsident frägt, wie man dann den Schmuggel eindämmen könne. Dr. Beck fährt fort: Die Regierung solle einmal die Vertrauensfrage stellen! Wenn die Regierung das Vertrauen des Volkes nicht mehr haben sollte, so könne es die Bürgerwehr nicht bringen. Reg.Rat Marxer: Er wisse auch, dass man Brot brauche. Den Kauf von Waffen habe er nicht als Kapitalanlage empfohlen, er meinte nur, das Geld sei nicht hinausgeworfen. Der Reg.-Kommissär Prinz Karl führt aus, dass Dr. Beck zum Fenster hinausgesprochen habe. Es sei zur übereilten Kündigung des Zollvertrages gekommen, weil unter der Luziensteig die Finanzwache angegriffen worden sei. In den O.N. [Oberrheinischen Nachrichten] habe man beständig gegen den Zollvertrag gehetzt. Er habe die Wahl der Regierungsräte sofort durchgeführt [5] und am 2. März sei es zur gewünschten Volksabstimmung gekommen. [6] Dann sei die Neutralität angegriffen worden, bes. in Schweizerzeitungen. Die Hetze müsse aufhören. Warum habe man soviel Volk hieherbestellt? Es sei Methode in diesen Angriffen. Ruhe und Ordnung sei nötig. (Bravos). Abg. Dr. Beck verwahrt sich energisch, dass er der Hetzer sei. Er rede nicht zum Fenster hinaus. Die Widersetzlichkeiten verurteile er auch. Die Behauptung, dass er im Auslande gehetzt habe, weise er unbedingt zurück. Er bedaure sehr, dass der Reg.-Kommissär eine solche Rede gehalten habe. Was wurde denn von anderer Seite den Depeschenagenturen übergeben! Da er diese unerhörten Angriffe als Beleidigung auffasse, trete er ab. (Grosser Beifall). Der Präsident ersucht die Zuhörer, den Saal zu verlassen. Dies geschieht sofort. Auf Antrag Büchel Peter wird die Sitzung abgebrochen.

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[1] LI LA LTA 1919/S04.
[2] Die Regierung hatte dem Landtag Ende August beantragt, eine Bürgerwehr zu schaffen (LI LA LTA 1919/L34/1, Landesverweser Prinz Karl an Landtag, 27.8.1919). Der Landtag erklärte sich in der Sitzung vom 28.8.1919 mit diesem Antrag einverstanden und beauftragte die Finanzkommission, die näheren Vorschriften auszuarbeiten (LI LA LTA 1919/S04). Die Finanzkommission stellte darauf den Antrag, 150 Mann anzuwerben und 150 Gewehre anzuschaffen (LI LA LTA 1919/L01, Tagesordnung der Landtagssitzung vom 25.11.1919).
[3] LI LA RE 1919/5491 ad 4151, Bürgerpartei und Volkspartei an Regierung, 7.11.1919.
[4] Liechtenstein hatte im August 1919 den Zollvertrag mit Österreich gekündigt. Vgl. LI LA RE 1919/3979 ad 4/3761, Prinz Eduard an Theodor von Ippen, 12.8.1919.
[5] LI LA LTA 1918/S04/2, Landtagsprotokoll vom 17.12.1918.
[6] Am 2.3.1919 fand eine Volksabstimmung über die Erhöhung der Zahl der Landtagsabgeordneten und die Herabsetzung des Wahlrechtsalters statt. Beide Vorlagen wurden vom Volk verworfen. Die Ansetzung der (von der Verfassung nicht vorgesehenen) Volksabstimmungen war auf Druck der Volkspartei erfolgt.