Ein Arbeiter beklagt sich über das Festhalten von ca. 80 liechtensteinischen Arbeitern durch das österreichische Militär in Südtirol


Eingesandt eines liechtensteinischen Arbeiters, gez. F.B. [1]

16.10.1915

Vaduz (Einges.)

Erlebnisse der Arbeiter im Tirol.

In Nr. 39 dieses Blattes sind Mitteilungen des k. k. Landesverteidigungs-Kommandos für Tirol an die fstl. Regierung veröffentlicht. Dazu möchten wir noch einige Berichtigungen anbringen:

Am 12. Juli 1915, als die italienischen Granaten sausten, wollten etwa 80 Mann von Sexten abreisen. Sie wurden aber unter allerlei Drohungen mit Militär 2 Tage zurückbehalten. Bis 27. Juli 1915 mussten sie weiter arbeiten. Italienische Granaten vertrieben uns vom Mittagessen und nach Sexten. Granatsplitter als Andenken wurden mitgenommen. In Sexten verweigerte man uns die Zurückgabe der Pässe. Ingenieur Spritzer wollte uns unter allen Umständen zur Weiterarbeit verhalten. Da wir die Weiterarbeit gänzlich verweigerten, mussten wir vom 27. bis 31. Juli unter grosser Gefahr und militärischer Aufsicht auf eigene Kosten leben.

An 31. Juli um ½ 1 Uhr fand vor der Post unsere „Vergatterung" (militärische Aufstellung) statt und von 14 Soldaten in die Landesschützenkaserne nach Silian abtransportiert. Eine halbe Stunde nach unserem Abmarsche beschossen die Italiener Sexten. Es gab sogar Tote: die Post wurde vollkommen zerstört. Ohne etwas zum Essen zu bekommen, wurden wir am 1. August morgens wieder „vergattert" und unter militärischer Bedeckung mit Sack und Pack ins Feld geführt. Wir verweigerten, die Päcke anzunehmen, weshalb diese 5 Tage in Silian zurückblieben. Mittags im Feld angekommen, erhielten je 5 Mann von uns ein saures Brot und am Abend erst ein wenig Suppe und Fleisch. Im Feld verweigerten wir die Arbeit bis 4. August, weil wir ausser die Kriegszone wollten. Nachher wurden wir mit 20 Soldaten gewaltsam zur Arbeit verhalten. Wir Arbeiter sind heute noch der Ansicht, dass wir zwangsweise zurückbehalten und zur Arbeit gezwungen wurden.

Mit der Misshandlung war es nicht gerade so arg, jedoch machten einige von uns mit dem Gewehrkolben ungarischer Soldaten Bekanntschaft. – Betreffs Beschwerden wurde uns wenig Gehör geschenkt. Ingenieur Döderer wollte sie selbst ordnen!

Die Aufbesserung der Kost von Gruppe B auf A besteht darin: auf 5 Tage ein halbes Kommisbrot mehr, aber um die Hälfte weniger und schlechteres Fleisch als vorher; und von einem Kostgeld von 1.52 Kr. auf 2.47 Kr. (Warum gerade ungerade Preise?) Ingenieur Döderer und die Geniedirektion versprachen uns Gemüse und Kartoffeln; wir erhielten sie aber nie. Solche leeren Versprechungen wurden uns von Ing. Spritzer und Ing. Döderer oft gemacht. Alle unsere Bitten um Kostaufbesserung blieben unerfüllt.

In den Dienst sind wir von Ing. Spritzer eingestellt worden; wie wir dann ohne unser Wissen und Willen plötzlich beim Staat unter Ing. Döderer angestellt wurden, ist uns heute noch ein Rätsel.

Die Behandlung durch Döderer war nicht immer human. Seine Grüsse an die Arbeiter waren: Fleissig arbeiten, oder ich ziehe Ihnen die ganze Schicht (den ganzen Tag- oder Wochenlohn) ab; ich lasse Sie anbinden, einsperren usw.

Ing. Spritzer hat uns freien Ein- und Austritt aus dem Arbeitsverhältnis und freie Fahrt zugesagt. Einigen Austretenden hat er aber das Fahrgeld abgezogen. Von Herrn Spritzer sind wir auf eine mit dem Dienstverhältnisse unvereinbare Art behandelt worden. Unter die Militärverwaltung und unter Ing. Döderer sind wir nur gewaltsam gekommen. Wie kann man da ernstlich von einer Kündigung reden?

Schreiber dieses hat nicht übertrieben und es können nötigenfalls noch mehr und beschämendere Tatsachen angeführt werden. Wahr muss wahr bleiben. Allen, die uns aus unserer misslichen Lage geholfen haben, danken wir bestens, besonders auch der fstl. Regierung. Wer uns nur falsche Auskunft gab, dem sind wir keinen Dank schuldig. Wir bedauern nur dass einige Arbeiter durch ihr Benehmen und ihre Redensarten im Lande selbst den Eindruck erwecken, es sei nicht so schlimm gewesen. Die roten Backen aber rühren nicht vom Dienst her!

F. B.

 

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[1]  O.N. 16.10.1915, S. 2 f.