Der Schweizerische Bundesrat genehmigt die Vereinbarung vom 28. Dezember 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über die Regelung der fremdenpolizeilichen Beziehungen


Protokoll der Bundesratssitzung vom 26. Dezember 1923 [1]

2785. Fremdenpolizei-Vereinbarung und Zusatzerklärung mit Liechtenstein [2]

Justiz- und Polizeidepartement

Antrag vom 21. Dezember 1923

Mit dem Inkrafttreten des Zollvertrages mit Liechtenstein werden die Zollorgane von der schweizerisch-liechtensteinischen Grenze an die liechtensteinisch-vorarlbergische Grenze verlegt. Für die Ausübung der fremdenpolizeilichen Grenzkontrolle an jener kommen also die Zollorgane nicht mehr in Betracht und die Ausübung durch besondere Organe wäre zu kostspielig. Es wurde deshalb auch auf sie verzichtet (Art. 33 Zollvertrag). Die Einzelheiten, welche sich daraus ergeben, sind in der vorgelegten Vereinbarung und Zusatzerklärung näher geregelt:

An der schweizerisch-liechtensteinischen Grenze findet keine fremdenpolizeiliche Grenzkontrolle statt (Art. 1 Vereinbarung). Liechtenstein wird vom Standpunkt des Grenzübertritts als schweizerisches Gebiet behandelt. Wer in der Schweiz oder in Liechtenstein ist, kann ohne weiteres in den ändern Staat übertreten. Hingegen finden die schweizerischen Bestimmungen betreffend Grenzübertritt etc. gemäss der Verordnung vom 29. November 1921 über die Kontrolle der Ausländer auch auf Liechtenstein Anwendung, wenn die Einreise dorthin über die liechtensteinisch-österreichische oder die schweizerisch-österreichische, -deutsche, -französische, -italienische Grenze erfolgt (Art. 2 und 3 Vereinbarung). Für Liechtensteiner genügt hiefür der Nachweis der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit; für die ändern Ausländer ist das schweizerische Einreisevisum oder das liechtensteinische Rückreisevisum erforderlich, sofern die Schweiz den Betreffenden gegenüber nicht auf das Visum verzichtet hat. Dieser Verzicht betrifft auch die Einreise nach Liechtenstein. Demgegenüber wird die Schweiz bei den betreffenden Staaten dafür einkommen, dass dieselben wie von Schweizern auch von Liechtensteinern das Visum nicht mehr verlangen. Zwischen der Schweiz und Liechtenstein wird auf das Visum, ausgenommen im kleinen Grenzverkehr, auch für den Grenzübertritt zwecks Arbeitsannahme verzichtet (Ziff. 1 Zusatzerklärung).

In der Erteilung von Aufenthalt ist Liechtenstein frei (Art. 4 Vereinbarung). Der Zentralstelle steht kein Einspracherecht zu; sie erhält lediglich orientierungshalber Mitteilung von den liechtensteinischen Entscheiden betreffend Erwerbstätigkeit und längerm Aufenthalt. Die Regelung des Aufenthaltsverhältnisses hat auch in Liechtenstein mit der Anmeldung zu erfolgen (Art. 2, lit. a, Vereinbarung).

Nach den schweizerischen Bestimmungen erfolgt im Grossgrenzverkehr die Erteilung der Bewilligung zur Erwerbstätigkeit mit der Aufenthaltsbewilligung. Im kleinen Grenzverkehr kommt letztere nicht in Betracht, da die Aufenthaltsdauer in der Regel nur 1 Tag beträgt. Für die Arbeitsannahme im Kleingrenzverkehr ist deshalb die selbständige Bewilligung der zuständigen Behörde vorgesehen (Art. 5, Abs. 2, Vereinbarung).

Die gegenseitige Berücksichtigung von Arbeitern wird durch Art. 5, Abs. 1, Vereinbarung und Ziff. 2 Zusatzerklärung näher umschrieben. Letztere ist in Übereinstimmung mit dem liechtensteinischen Vertreter wie folgt zu interpretieren: „Die beiden Staaten sichern sich tunlichstes Entgegenkommen bei der Behandlung von Gesuchen ihrer Angehörigen um Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsannahme zu. Dieser soll in der Regel nur wegen schwerer Arbeitslosigkeit verweigert werden.“

Hinsichtlich der Wegweisung wird Liechtenstein einem Kanton gleichgestellt. Desgleichen finden die schweizerischen Strafbestimmungen auf Liechtenstein Anwendung. Auch besteht die Rekursmöglichkeit, soweit Verfügungen eidgenössischer Fremdenpolizeibehörden mit Bezug auf Liechtenstein in Frage kommen. Aus einem Staat Ausgewiesene soll der andere Staat nicht bei sich aufnehmen (Art. 6 und 7 Vereinbarung). Ferner ist vereinbart, dass sich die beiden Staaten unerwünschte Ausländer nicht zuschieben (Art. 8 Vereinbarung). Liechtenstein wird zudem dafür Sorge tragen, dass die schweizerischen Fremdenpolizeibestimmungen nicht durch liechtensteinische Einbürgerungen umgangen werden (Ziff. 3 Zusatzerklärung). Es benützt den Schweizerischen Polizeianzeiger (Art. 9 Vereinbarung) und teilt der Schweiz seine jeweiligen Bestimmungen über Fremdenpolizei und Einbürgerung mit (Art. 10 Vereinbarung).

Liechtenstein wie auch die Kantone St. Gallen und Graubünden, welchen Vereinbarung und Zusatzerklärung unterbreitet worden sind, haben sich mit denselben einverstanden erklärt.

Antragsgemäss wird beschlossen:

1. Die Entwürfe einer Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein über die Handhabung der Fremdenpolizei im Fürstentum Liechtenstein und der Zusatzerklärung werden genehmigt.

2. Der Vorsteher des Politischen Departements wird ermächtigt, die Vereinbarung und die Zusatzerklärung im Namen des Schweizerischen Bundesrates zu unterzeichnen und mit dem liechtensteinischen Vertreter auszutauschen.



 

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[1] CH BAR E 1004 1/289. Textwiedergabe nach der Edition DDS Bd. 8, Nr. 307, S. 822 f.
[2] Zuständiger Departementschef war Giuseppe Motta. Für Liechtenstein unterzeichnete Emil Beck. Die Vereinbarung wurde im letzten Moment behandelt: Zustimmung des Bundesrats am 26.12.1923, Untrzeichnung am 28.12.1923 in Bern und Inkrattreten am 1.1.1924 (zusammen mit dem Zollvertrag). Die Vereinbarung wurde von Seite Liechtenstein weder im LGBl. noch in den amtlichen Publikationsorganen (Landeszeitungen) publiziert, sondern erst im Rechenschaftsbericht für das Jahr 1923, S. 20-23.