Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Verweigerung der Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz nach der lichtensteinischen Grenze


Gedruckter Bericht, gez. Bundespräsident Eduard Müller und Bundeskanzlier Gottlieb Ringier [1] 

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Verweigerung der Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz nach der lichtensteinischen Grenze.

(Vom 19. November 1907.)

Tit.

I.

Mittelst Botschaft vom 16. April dieses Jahres (Bundesblatt 1907, Band III, Seite 107) haben wir Ihnen beantragt, einem Initiativkomitee, vertreten durch die Herren Fridolin Simon, Kantonsrat in Ragaz, und Herrn [Hans Luzius] v. Gugelberg, Ingenieur in Zürich (letzterer später ersetzt durch Herrn alt Regierungsrat [Thomas] Marugg in Fläsch) zu Handen einer zu bildenden Aktiengesellschaft die Konzession für den Bau und den Betrieb einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart (Station der S.B.B. und Rh.B.) über Maienfeld und Ragaz (Station der S.B.B.) nach der lichtensteinischen Grenze beim „Ellhorn" unter den üblichen Bedingungen und mit der besondern Bestimmung zu erteilen, dass auf der Station Ragaz auch bei einer allfälligen Zugsvermehrung alle Züge, welche Personen befördern, anzuhalten haben.

Nachdem in der Folge von verschiedenen Seiten ernste Bedenken gegen die Erteilung der fraglichen Konzession ausgesprochen worden waren, haben wir die Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen ersucht, einlässliche Erhebungen und Berechnungen darüber anzustellen, in welchem Umfange die projektierte Bahnverbindung Schaan - Fläsch - Ragaz - Landquart die schweizerischen Bahninteressen schädige.

Zugleich fragte das Eisenbahndepartement das Initiativkomitee der genannten Schmalspurbahn unter Hinweis auf die gegen die Erteilung der Konzession erhobenen Bedenken an, ob es nicht geneigt wäre, sein Konzessionsgesuch auf die Strecke Ragaz- Landquart zu reduzieren.

Mit Schreiben vom 9. Juli 1907 erklärte jedoch das Initiativkomitee, dass es an dem Projekte lichtensteinische Grenze- Landquart festhalten müsse, weil beim reduzierten Projekte Ragaz-Landquart weder die Gemeinden Maienfeld und Fläsch, noch der Kanton Graubünden sich mit einer Subvention beteiligen würden. Falle aber die finanzielle Mitwirkung der beiden genannten Gemeinden und des Kantons hinweg, so müsste Ragaz seine auf Franken 800,000 angesetzte Beteiligung voraussichtlich annähernd verdoppeln, weil die beiden in Frage kommenden Projekte einer linksrheinischen oder rechtsrheinischen Bahn Ragaz-Landquart Kosten Voranschläge, von Fr. 1,250,000 und Fr. 1,500,000 aufweisen, die aber mit Rücksicht auf die derzeitigen Löhne und Materialpreise noch wesentlich erhöht werden müssten. Diese Mittel aufzubringen, sei aber unmöglich und deshalb würde die Ausführung jedes Projektes einer Verbindung mit Landquart unterbleiben müssen.

II.

In einem einlässlichen Gutachten, d. d. 17. September 1907 empfiehlt die Generaldirektion die fragliche Konzession nicht zu erteilen.

Angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit lassen wir die im Gutachten enthaltenen Ausführungen zum grössern Teile in extenso folgen:

1. Personen- und Gepäckverkehr.

Zur Berechnung des den Bundesbahnen aus dem Bau einer Eisenbahn Schaan-Fläsch-Ragaz-Landquart voraussichtlich erwachsenden Einnahmenausfalls wurde auf Grund der Frequenzangaben für die einzelnen Verkehre die auf die konkurrenzierten Bundesbahnstrecken entfallenden Jahreseinnahmen pro 1906 ermittelt, und sodann die mutmasslichen Verluste auf diesen Einnahmen geschätzt. Diese Berechnungen beziehen sich auf folgende Strecken:

Buchs-Ragaz, Landquart und Chur,
St. Margrethen /oder Buchs -Ragaz, Landquart und Chur,
Rorschach-Ragaz, Landquart und Chur,
Lindau-Rorschach-Ragaz, Landquart und Chur,
Konstanz-Ragaz, Landquart und Chur,
Ragaz-Landquart, bezw. Chur.

Zur Bemessung des Verlustes in den einzelnen Verkehren wurden die Entfernungen von Schaan, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen und Radolfszell bis und ab Ragaz über die projektierte Linie und die über die bestehenden Routen zu Rate gezogen. Bei Berechnung des Verlustes aus den schweizerischen und internationalen Rundreiseverkehren musste auf das Verhältnis zwischen Einnahmen und mutmasslichem Verlust aus dem gewöhnlichen Verkehr abgestellt werden. Nicht berücksichtigt ist in dieser Berechnung der Verkehr von den Bundesbahnen, den schweizerischen Privatbahnen und dem Ausland (Richtung Sargans-Wallenstadt) nach Maienfeld, Landquart loco und Chur loco. Dieser Verkehr dürfte nämlich durch den Bau der projektierten Linie nur in geringem Masse auf der Strecke südlich Ragaz konkurrenziert werden, weil die Benutzung der neuen Linie ein Umsteigen in Ragaz nötig macht.

Der gesamte mutmassliche Verlust im Personen- und Gepäckverkehr stellt sich auf Grundlage des Jahres 1906 auf rund Fr. 115,000 oder auf 1910 (dem Jahre der voraussichtlichen Betriebseröffnung) bei einer Zunahme von rund 3% per Jahr auf rund Fr. 128,000.

Für den Personenverkehr würde also eine neue Verbindung geschaffen, welche den Linien der Bundesbahnen gegenüber durchaus konkurrenzfähig wäre. Die Entfernungen sind, für gewisse Relationen überhaupt kürzer, für andere durchaus zur Aufnahme des Wettbewerbs befähigt. Der Spurwechsel von Normalspur auf Schmalspur und umgekehrt bildet im vorliegenden Falle kein Hindernis, da dieser Wechsel bei Fortsetzung der Reise aus Österreich nach der Rhätischen Bahn so wie so einmal eintreten muss, sei es in Chur oder in Schaan oder (bei Verlängerung der Schmalspur, welche in kürzerer Zeit notwendig kommen wird) in Feldkirch.

Der Umstand, dass die fragliche Bahn als Schmalspurbahn projektiert ist, bildet kein wesentliches Hindernis ihrer Konkurrenzfähigkeit. Die Rhätische Bahn ist ein glänzendes Beispiel, was eine Schmalspurbahn leisten kann. Bei zweckmässiger Wahl des Tracés lässt sich eine durchaus konkurrenzfähige Zugsgeschwindigkeit erreichen. Die Anwendung des projektierten elektrischen Betriebes kann auch in dieser Richtung nur vorteilhaft wirken. Es wäre somit eine gleichwertige Verbindung von der Arlbergbahn einerseits und vom Bodensee anderseits (Süddeutschland und weiter) nach Chur und weiter geschaffen.

Es wäre eine grosse Täuschung, sich durch die Darlegungen des Initiativkomitees beruhigen zu lassen und zu glauben, die Bundesbahnen „seien ganz zweifelsohne im Falle, der vermeintlichen Konkurrenz im Durchgangsverkehr durch entsprechende Gestaltung der Fahrpläne und Anschlüsse entgegenzutreten". Bei Taxgleichheit, — und diese würde ja sicher hergestellt —, wird der vom Ausland herkommende Reisende, der nach Ragaz, Landquart, Davos, St. Moritz etc. will, unzweifelhaft die direkten Wagen der Rhätischen Bahn benützen, welche Verwaltung solche Wagen wohl schon von der Betriebseröffnung an in Schaan bereit stellen würde; ebenso in umgekehrter Richtung. Alle internationalen Schnellzüge würden in Schaan anhalten müssen, die Rhätische Bahn würde ab Schaan ebenfalls Schnellzüge einlegen oder die Schmalspur würde österreichischerseits nach dem Knotenpunkt Feldkirch fortgesetzt. Nichts hindert, die elektrische Schmalspurbahn von Anfang an so zu bauen, dass bedeutende Fahrgeschwindigkeiten erreicht werden können. In Verbindung mit den österreichischen Staatsbahnen und der Regierung des Kantons Graubünden dürfte es ihr ohne Schwierigkeiten gelingen, auch den Fahrplan ihren Zwecken dienlich einzurichten. Auf den Personenverkehr via Arlberg und via Bregenz (für Ost- und Norddeutschland) nach Graubünden und später nach der Ostalpenbahn verlieren die Bundesbahnen allen Einfluss, indem ihre ganze Rheinlinie St. Margrethen-Buchs-Chur umgangen wird. So würden die Bundesbahnen hinsichtlich des Reisenden Verkehrs ganz erheblich konkurrenziert.

2. Güterverkehr.

a. Distanzverhältnisse.

Nach dem Konzessionsgesuch kommen auf der neuen Linie Schaan folgende Distanzen in Betracht:

 

Ragaz

Maienfeld

Landquart

Zizers

Chur

 

Kilometer

 

 

a

b

a

b

a

b

a

b

Schaan-Bestimmung via Fläsch

22

22

24

27

29

32

34

41

43

Die bisherigen Distanzen via Buchs betragen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schaan-Buchs

3

3

 

3

 

3

 

3

 

Buchs-Bestimmung

22

24

 

29

 

33

 

42

 

 

25

27

 

32

 

36

 

45

 

Differenz

3

5

3

5

3

4

2

4

2

a. Direkt über das Verbindungsgeleise Fläsch-Maienfeld.

b. Über Ragaz.

Hiernach ist die neue Linie via Fläsch ab Schaan durchwegs kürzer als die alte via Buchs, auch dann, wenn die Distanzen nicht direkt über das in Aussicht genommene Verbindungsgeleise Fläsch-Maienfeld, sondern über die Abzweigung nach Ragaz berechnet werden.

b. Verkehrszone, Tarifverhältnisse.

In die Verkehrszone der neuen Linie fallen:

1. das Vorarlberg und das ganze durch die Arlberglinie bediente Gebiet;

2. Bayern und anschliessende norddeutsche Gebiete via Lindau;

3. Württemberg und anschliessende norddeutsche Gebiete via Friedrichshafen;

4. Baden etc. und anschliessende norddeutsche Gebiete via Kluftern und Konstanz-See.

Nach der Distanz kann man alles dasjenige Gebiet als unter den Einfluss der neuen Linie fallend betrachten, welches östlich der Linie liegt, für das von Ragaz, Maienfeld, Zizers, Landquart und Chur aus die kürzeste Route über Schaan-Bregenz-Konstanz führt. Diese Linie erstreckt sich von Schaffhausen über Strassburg, Trier, Aachen nach Rotterdam. In der im Dossier befindlichen Karte ist dieselbe genau eingetragen. Aber auch das westlich dieser Linie gelegene Gebiet ist vor Beeinflussung der neuen Bahn nicht sicher. Die ausländischen (badischen, württembergischen, bayerischen und österreichischen) Gütertarife sind so erheblich niedriger als die schweizerischen, dass es der Linie Schaan-Landquart von vornherein leicht gemacht ist, die Konkurrenz aufzunehmen, da ihr eben bis und ab Schaan billige Tarife zur Verfügung stehen.

Auf der Strecke Landquart-Chur ist die Rhätische Bahn s. Z. in der Weise vorgegangen, dass sie ihren Tarif Landquart loco- Chur loco mit jenem der Bundesbahnen Landquart loco-Chur loco gleichgestellt und den so gebildeten Tarif für die über Chur, Richtung Felsberg, hinausgelegenen Stationen in üblicher Weise weiter gebildet hat. Dadurch ergaben sich über Landquart-Rhätische Bahn meistens gleiche und vielfach. sogar billigere Taxen als über Bundesbahn-Chur, und soweit dies nicht der Fall war, wurde die Gleichstellung nachträglich auf dem Rückvergütungsweg bewirkt.

Für die Linie Schaan-Landquart ergibt sich nun folgendes:

Da die österreichischen Taxen bis Schaan vermöge des in Österreich herrschenden Systems der Taxbildung meistens gleich hoch sein werden, wie jene nach Buchs, wird die Rhätische Bahn ohne weiteres dazu geführt werden, Schaan-Ragaz, -Landquart, -Chur etc. mit Buchs (Rheinthal)-Ragaz, -Landquart, -Chur etc. gleichzustellen.

Dabei ergeben sich bei den massgebenden Übergangspunkten Bregenz, Lindau, Innsbruck sowie Wien über Schaan-Fläsch ohne weiteres Zutun mindestens gleiche, vielfach sogar niedrigere Taxen als über die Bundesbahnen. Damit ist für diese die schärfste Konkurrenz geschaffen.

In Betracht fällt ferner, dass mit der Rhätischen Bahn demnächst direkte schweizerische Gütertarife erstellt werden sollen. Dass die gleiche Massnahme bald für das Ausland (Österreich-Ungarn, Deutschland) folgen wird, steht ausser Zweifel. In diesen Tarifen wird auch die Route via Schaan-Fläsch Aufnahme finden, d. h. die direkten Tarife werden auch über diese Route Gültigkeit erlangen. Daher hat es die Rhätische Bahn in Händen, den Verkehr zu dirigieren; es genügt, die Verzollung in Fläsch vorzuschreiben, um den Bundesbahnen den Verkehr zu entziehen, und diese Vorschrift wird leicht zu erzielen sein.

c. Verkehrsquantitäten und Frachtausfall.

Der Verkehr, welcher nach vorstehendem unter den Einfluss der Linie Schaan-Landquart fällt, ist nach genauen Auszügen aus dem offiziellen Verkehrsmaterial für das Jahr 1906 folgender:

 

Tonnen

 

(in beiden Richtungen)

1. Bei Chur loco und transit

23,856 [2]

2. Bei Zizers

103

3. Bei Landquart loco und transit

42,565 *)

4. Bei Maienfeld

305

5. Bei Ragaz

1,453

Total

68,282

rund

68,300

Dieser Verkehr hat den Bundesbahnen rund folgende Brutto-Einnahmen gebracht:

Bei Chur loco und transit

Fr. 208,229 *)

Bei Zizers

Fr. 792

Bei Landquart loco und transit

Fr. 371,245 *)

Bei Maienfeld

Fr. 2,815

Bei Ragaz

Fr.  9,531

Total

Fr. 592,612

rund

Fr. 593,000

Rechnet man dazu eine ist, so erhält man:

 

1910 [3]

 

1915

 

1920

 

Betrag pro 1906

 

593,000

 

593,000

 

593,000

Vermehrung in Prozenten

12

 

27

 

42

 

in Fr.

 

71,160

 

160,110

 

249,060

Total Fr.

 

664,160

 

753,110

 

842,060

Nun ist vorauszusehen, dass allerdings nicht der ganze, unter den Einfluss der Linie Schaan-Landquart fallende Verkehr der alten Route (den Bundesbahnen) auch tatsächlich verloren ginge. Der Verkehr nach und von Ragaz, Maienfeld, Landquart loco und Chur loco würde wohl zu einem wesentlichen Teil den Bundesbahnen erhalten bleiben, da er auf der neuen Route (in Schaan} umgeladen werden müsste. Freilich spielt der Umlad heute keine so grosse Rolle mehr. Bei der Verkehrsteilung Bulle-Romont- Bahn-Greyerzerbahnen ist es bereits ganz ausser Betracht gelassen worden; es werden hier die beiden Linien in dem Sinne als gleichwertig angesehen, dass der Verkehr ganz ohne Rücksicht auf die Spur nach Massgabe der kürzesten Tarifdistanz gefahren werden soll.

Weit stärker gefährdet ist der Verkehr nach und von dem Rhätischen Bahnnetz selbst (Landquart transit und Chur transit), denn bei diesem fällt die Verschiedenheit in der Spur gänzlich ausser Betracht. Irgendwo muss der Verkehr umgeladen werden: ob dies nun in Landquart und Chur oder Schaan, beziehungsweise Feldkirch geschehe, ist vollständig gleichgültig. Es bildet aber bei dem oben ausgewiesenen Verkehr derjenige nach und von dem Rhätischen Bahnnetz den weitaus grössten Teil. Nach den bisherigen Erfahrungen darf angenommen werden, dass den Bundesbahnen, wenn die neue Linie im Wettbewerb freie Hand behält, ungefähr 50 % entzogen werden; das macht im Güterverkehr pro Jahr einen Bruttoeinnahmenausfall von rund

Fr. 332,000 auf das Jahr 1910,
Fr. 375,000 auf das Jahr 1915,
Fr. 421,000 auf das Jahr 1920 bezogen.

d. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der neuen Linie.

aa. Das erschlossene Gebiet.

Als Stationen der neuen Linie kommen in Betracht:

auf lichtensteinischem Gebiet:

1. Schaan
2. Vaduz
3. Triesen
4. Balzers mit Klein-Mels

auf schweizerischem Gebiet:

5. Fläsch
6. Ragaz
7. Maienfeld
8. Jenins
9. Landquart

Von diesen Ortschaften liegen heute schon Schaan, Ragaz, Maienfeld und Landquart direkt an der Eisenbahn; etwas weiter entfernt sind die andern; die Distanzen sind aber nicht sehr gross: für Vaduz von Schaan 3 km., für Balzers von Trübbach 3 km., für Fläsch und Jenins von Maienfeld ebenfalls zirka 3 km. Eine grössere Entfernung von der Eisenbahnstation besteht nur für Triesen, d. h. zirka 7 km. von Schaan oder Sevelen. Es kann also nicht gesagt werden, dass die Linie Schaan-Landquart tatsächlich neues Gebiet erschliesse; sie bringt wohl einige Gemeinden der Eisenbahn etwas näher, darunter sind aber keine bedeutenden auf schweizerischem Gebiet, einzig Fläsch mit 383 Einwohnern.

bb. Die eintretenden Abkürzungen zwischen den an die Linie anschliessenden Gebieten und ihre Wirkung.

Gemäss den unter Ziffer 2a angegebenen Distanzen würde die neue Linie zwischen Schaan-Ragaz, -Maienfeld, -Landquart -Zizers und -Chur Abkürzungen von 2 bis 5 km. bringen. Sind diese Abkürzungen schon an und für sich klein, so wird ihre Bedeutung noch geringer, wenn deren Wirkung auf die Frachtpreise ins Auge gefasst wird. Die neue Linie würde dem Güterverkehr keine Taxvorteile bringen; sie würde auf dem Wege der zu Konkurrenzzwecken vorgenommenen Taxregulierung zu gleichen, aber im allgemeinen zu keinen niedrigeren Taxen gelangen als die heute bestehende Linie. Die neue Linie würde somit volkswirtschaftlich ziemlich unproduktiv bleiben; jedenfalls stünde ihr volkswirtschaftlicher Nutzen, zumal jener für die Schweiz, in keinem richtigen Verhältnis zu dem den Bundesbahnen zugefügten Schaden.

e. Die Zollstation Fläsch.

Wenn der neuen Linie der Wettbewerb frei gegeben wird, würde über dieselbe jedenfalls ein sehr namhafter Güterverkehr geleitet werden, jährlich 30 bis 40,000 t., die alle vom Ausland kommen oder ins Ausland gehen würden. Daraus erwächst der Eidgenossenschaft die Aufgabe, in Fläsch mit erheblichen Kosten ein Hauptzollamt zu errichten und zu unterhalten, ohne dass dem irgend ein Äquivalent gegenüberstünde; denn die Waren, die in Fläsch verzollt würden, kämen, falls die neue Linie nicht erstellt wird, in Buchs, St. Margrethen, Konstanz etc. zur Verzollung, und zwar ohne vermehrte Kosten für Personal, Lokale u.s.w.

f. Resultate.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Ausfall aus dem Güterverkehr für die Bundesbahnen noch viel erheblicher wäre als aus dem Personenverkehr. Auf das Jahr 1910 berechnet, beträgt der Ausfall:

für den Personenverkehr

Fr. 128,000

für den Güterverkehr

Fr. 332,000

Zusammen

Fr. 460,000

Es ist auch zu beachten, dass es sich in der Hauptsache keineswegs um eine Konkurrenz zwischen den Bundesbahnen und einer schweizerischen Nebenbahn handelt, sondern um diejenige zwischen den Bundesbahnen und einer ausländischen Bahn.

Schon die neue Strecke Schaan-Landquart selbst, welche zunächst die Parallelstrecke Buchs-Landquart etc. konkurrenzieren wird, liegt zum grösseren Teil auf ausländischem Gebiet, nämlich

Ausland:

Schaan-FIäsch Grenze 

16 km.

Schweiz:

Fläsch Grenze-Ragaz

6 km.

Schweiz:

Fläsch Grenze-Landquart

11 km.

Zur Alimentierung von 6 und 11 km. neuer schweizerischer Bahnstrecke würde der Verkehr der Schweiz auf 22 km. (Buchs-Ragaz) und 29 km. (Buchs-Landquart) entzogen; somit Verlust für die Schweiz 16 und 18 Nutzkilometer und für die Bundesbahnen 22 und 29 km.

Erheblich ungünstiger gestaltet sich die Sache noch, wenn in Betracht gezogen wird, dass Schaan-Landquart nicht nur Verkehr ablenken wird, der zurzeit über Buchs (Rheintal) ein- und ausgeht, sondern auch Verkehr, der die schweizerischen Linien heute auf den Strecken St. Margrethen-, Konstanz-, Basel etc. bis Landquart etc. alimentiert. Hier sind die Verhältnisse folgende:

 

St. Margrethen

Konstanz

Basel

bis Landquart via S.B.B.

67

112

193

Fläsch Grenze bis Landquart

11

11

11

Die Schweiz verliert:

56

101

182

Das Ausland gewinnt:

 

 

 

a. Schaan-Fläsch Grenze

16

16

16

b. Schaan-Feldkirch u. weiter Rest

40

85

166

Ähnliche Verhältnisse bestehen bei Ragaz, Maienfeld, Zizers und Chur.

Die Bundesbahnen verlieren zudem auch noch denjenigen Teil der Nutzdistanz, der oben der Strecke Fläsch Grenze-Landquart zugewiesen ist (je 11 km.).

3. Garantien gegen Konkurrenzaufnahme.

Es ist nun die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht möglich sei, die drohende Konkurrenz durch schützende Bestimmungen in der Konzession auszuschliessen. Die nähere Prüfung hat ergeben, dass eine solche Garantie nicht gegeben werden kann.

1. Wie schon oben dargetan wurde, bietet das Verbot der Umwandlung der Schmalspurbahn in eine Normalbahn gar keinen Schutz, da die Schmalspurbahn die Konkurrenz in so gefährlicher Weise aufnehmen kann wie die Normalspurbahn.

2. Für den Personenverkehr kann überhaupt keine Schranke aufgestellt werden, da jeder Reisende da fährt, wo es ihm gefällt. Ein Verbot der Erstellung direkter Tarife zwischen der Bahn Landquart-Schaan oder den Rhätischen Bahnen via Schaan-Landquart mit den österreichischen Staatsbahnen wäre mit Rücksicht auf die vielen Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz gar nicht durchzuführen.

3. Für den Güterverkehr wäre eine solche Massnahme zudem auch gesetzlich unzulässig. Einmal steht Art. 1 des schweizerischen Transportgesetzes entgegen, welcher lautet:

„Innerhalb der Schweiz muss von den Eisenbahnen ein direkter Verkehr und ein gegenseitiges Durchgehen der Transportmittel gegen die übliche, nötigenfalls vom Bundesrate festzusetzende Vergütung eingerichtet werden. Von der Verpflichtung, an dem direkten Verkehr teilzunehmen, können einzelne, in ausnahmsweisen Verhältnissen stehende Eisenbahnen vom Bundesrate ganz oder teilweise enthoben werden.

„Die Errichtung eines direkten Verkehrs in diesem Umfang mit ausländischen Eisenbahnen kann nur verlangt werden unter der Voraussetzung, dass diese dazu bereitwillig oder gesetzlich verpflichtet sind.“

Dem Sinne dieser Bestimmung würde es direkt widersprechen, wenn man Landquart-Schaan oder die Rhätische Bahn hindern wollte, in direkten Verkehr mit den österreichischen Staatsbahnen zu treten, falls diese dazu bereit sind.

Sodann bestimmt Art. 5 des internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890:

„Jede nach Massgabe des Art. 1 bezeichnete Eisenbahn ist verpflichtet, nach den Festsetzungen und unter den Bedingungen dieses Übereinkommens, die Beförderung von Gütern im internationalen Verkehr zu übernehmen, sofern
1. der Absender den Anordnungen dieses Übereinkommens sich unterwirft;
2. die Beförderung mit den regelmässigen Transportmitteln möglich ist;
3. nicht Umstände, welche als höhere Gewalt zu betrachten sind, die Beförderung verhindern.“

Angesichts dieser Vorschrift ist die Schweiz nicht in der Lage die Vermittlung eines Konkurrenzverkehrs aus Österreich nach der Rhätischen Bahn durch Erstellung direkter Tarife oder von Reexpeditionstarifen zu hindern.

III.

Wenn wir Ihnen mit Botschaft vom 16. April 1907 die Erteilung der Konzession beantragt haben, so geschah es hauptsächlich aus dem Grunde, weil wir der projektierten Linie Schaan-Landquart hauptsächlich lokalen Charakter beimassen und weil die Gemeinden Landquart, Jenins, Maienfeld, Ragaz und Fläsch ein Interesse an der Verwirklichung dieses Projektes hätten. Allein der diesen Gemeinden erwachsende Vorteil würde mehr als aufgewogen durch die erheblichen Nachteile, welche die projektierte Linie den schweizerischen Bundesbahnen bringen würde.

Aus den sehr einlässlichen Erhebungen der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen geht hervor, dass die projektierte Linie in erheblichem Masse auch dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt wäre. Der infolge dieser Konkurrenz sich ergebende Einnahmenausfall wird, von der Generaldirektion auf das Jahr 1910 berechnet, auf Fr. 460,000 angegeben.

Durch Bundesbeschluss vom 26. September 1907 betreffend die Erteilung von Eisenbahnkonzessionen haben Sie festgestellt, dass die Bundesversammlung befugt sei, auch dann eine Konzession zu verweigern, wenn andere Gründe als die Wahrung der militärischen Interessen es rechtfertigen.

Dieser Fall trifft hier zu, weil, wie oben auseinandergesetzt worden ist, durch die neue Bahn eine sehr empfindliche Konkurrenz für die Bundesbahnen eintreten würde.

Wir kommen daher auf unsern Antrag vom 16. April 1907 zurück und empfehlen Ihnen, auf das Konzessionsgesuch nicht einzutreten.

Wenn Sie die Konzession ablehnen, so wird das Initiativkomitee voraussichtlich trotz der in seinem Schreiben vom 9. Juli dieses Jahres erhobenen finanziellen Bedenken auf das reduzierte Projekt einer Schmalspurbahn Ragaz-Maienfeld-Landquart zurückkommen.

Dieses Projekt würde eine rationelle Lösung bringen. Das Hauptinteresse von Ragaz besteht darin, durch eine Schmalspurbahn mit der Rhätischen Bahn in Landquart in Verbindung gebracht zu werden, wodurch eine direkte Verbindung zwischen Ragaz und den Kurorten des Kantons Graubünden geschaffen wird. Gegen eine Schmalspurbahn Ragaz-Maienfeld-Landquart würde auch die Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen keinen Widerspruch erheben, da der aus dieser Konkurrenzlinie ihnen erwachsende Ausfall nicht von erheblichem Belang sein würde.

Wir empfehlen Ihnen den nachstehenden Beschlussesentwurf, welcher die Ablehnung der Konzession vorsieht, zur Annahme, und benützen auch diese Gelegenheit, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 19. November 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,

Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

______________

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend Verweigerung der Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz nach der lichtensteinischen Grenze.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft,

nach Einsicht

1. einer Eingabe eines Initiativkomitees für eine Eisenbahn von Landquart über Ragaz nach der lichtensteinischen Grenze, vom 27. April 1905;

2. einer Eingabe der Generaldirektion der S.B.B., vom 17. September 1907;

3. einer Botschaft des Bundesrates, vom 19. November 1907,

beschliesst:

Auf das von einem Initiativkomitee, vertreten durch die Herren Fridolin Simon, Kantonsrat, in Ragaz, und alt Regierungsrat Marugg, in Fläsch, vorgelegte Gesuch um Erteilung der Konzession für den Bau und Betrieb einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart (Station der S.B B. und Rh.B.) über Maienfeld und Ragaz (Station der S.B.B.) nach der lichtensteinischen Grenze beim "Ellhorn" wird nicht eingetreten.

 

______________

[1] BBl. 1907, Bd. 6, S. 41-55. - Unter dem Druck der SBB beantragte der Bundesrat im Gegensatz zu seiner ersten Botschaft vom 16.4.1907 nun Nichteintreten auf das Konzessionsgesuch.
[2]Fussnote im Original: „Wie intensiv die Konkurrenz der Rhätischen Bahn auf der Strecke Landquart-Chur den Bundesbahnen gegenüber ist, geht unter anderm zur Evidenz auch aus diesen Verkehrszahlen hervor. Obwohl Chur mit Hintergebiet an und für sich viel bedeutender ist als Landquart mit Hintergebiet, so ist dessen Verkehr fast um die Hälfte kleiner, was eben von der Ablenkung desselben herrührt.“
[3] Fussnote im Original: „Voraussichtlich erstes Betriebsjahr“.