Die Schwestern vom Kostbaren Blute im Institut Gutenberg, welches im Auftrag des Fürsten an die Gemeinde Balzers verkauft werden soll, beharren auf der Gründung eines Landeswaisenhauses und schlagen ausserdem die Errichtung eines Armenhauses vor


Maschinenschriftliche Abschrift eines Schreibens der fürstlichen Forst- und Domänenverwaltung Vaduz, gez. Julius Hartmann, an die fürstliche Kabinettskanzlei [1]

11.8.1924

Gegenstand: Abverkauf von Gutenberg an Gemeinde Balzers

Kabinettskanzlei!

Der ergebenst Gefertigte erlaubt sich über Auftrag von Seiner Durchlaucht des Herrn Prinzen Alois von und zu Liechtenstein im Sinne des Hochdemselben von der Kabinettskanzlei übergebenen Reskriptes Folgendes zu berichten:

Am 14. Juli l.J. wurde von Seiner Durchlaucht dem Herrn Prinzen Alois in Anwesenheit des Gefertigten mit dem Herrn Vorsteher von Balzers [Gebhard Brunhart] betreffs käuflicher Überlassung des hochfürstlichen Besitzes in Gutenberg an die Gemeinde Balzers vor dem Institutsgebäude verhandelt und hiebei hervorgehoben, dass vor Abverkauf mit den ehrwürdigen Schwestern vom kostbarsten Blute in Gutenberg [2] ein denselben zusagender Ausgleich geschaffen werden müsse. Vorsteher Brunhart von Balzers äusserte sich hierauf, dass diesbezüglich mit den ehrwürdigen Schwestern mehrmals Ausgleichsversuche gemacht wurden, jedoch seien dieselben bis heute ohne nennenswerten Erfolg geblieben. Nach längerer Beratung wurde dann beschlossen, auf den 15. Juli l.J. um 9 Uhr abends den verstärkten Gemeinderat einzuberufen, um in Anwesenheit des Gefertigten entgiltig beraten zu können, wieweit den ehrwürdigen Schwestern entgegenzukommen wäre, um einen denselben zusagenden Ausgleich herbeizuführen. Der verstärkte Gemeinderat hat nun um die genannte Zeit eine Sitzung abgehalten und von 12 Anwesenden mit 11 Stimmen (die 12. war leer) folgenden Antrag gefasst:

Die Gemeinde Balzers wäre bereit, beim Kauf des Besitzes von Gutenberg 20‘000.- Franken in baar zu bezahlen. Für den restlichen Betrag von 25‘000.- Franken erbittet die Gemeinde eine unverzinsliche Stundung auf 10 Jahre. Dagegen verpflichtet sich die Gemeinde Balzers, den ehrwürdigen Schwestern gegen einen den jeweiligen Zinsfuss von 20‘000 Franken gleichkommenden Betrag, welcher momentan bei 6 % 1200.- Franken als jährlichen Mietzins ergibt, das ganze fürstliche Anwesen in Gutenberg auf 10 Jahre mietweise zu überlassen. Sollte die Gemeinde Balzers nach Ablauf dieser Mietperiode genanntes Anwesen zu Gemeindezwecke noch nicht dringend benötigen, so wäre selbe bereit, diesen Besitz auf eine weitere Anzahl von Jahren unter denselben Bedingungen an die ehrwürdigen Schwestern zu verpachten.

Die ehrwürdigen Schwestern müssten sich aber verpflichten, die Gebäulichkeiten auf eigene Kosten entsprechend instand zu halten, wie auch alle hierauf sich ergebenden Lasten wie Steuern, Feuerversicherungsprämie, Wasserzins, Lichtzins etz. aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

Der Gefertigte war dann am darauffolgenden Tage, also am 15. Juli l.J., [3] mit dem Herrn Vorsteher von Balzers bei den ehrwürdigen Schwestern von Gutenberg, um auf Grund des vom verstärkten Gemeinderat beschlossen Antrages einen beidseitig zusagenden Ausgleich anstreben zu können. Die ehrwürdige Schwester Oberin [Anna Berger] äusserte sich jedoch gleich bei Beginn der Verhandlungen dahin, dass sie auf gar keine diesbezüglichen Vereinbarungen eingehen könne, bevor sie nicht eine schriftliche Entscheidung beziehungsweise Weisung in dieser Angelegenheit von Höchst Seiner Durchlaucht dem regierenden Fürsten [Johann II.] durch Seine Durchlaucht dem Herrn Prinzen Alois erhalten habe. Die Schwester Oberin behauptet, dass das Institut Gutenberg zur gegebenen Zeit als Landeswaisenhaus bestimmt werde beziehungsweise in Aussicht genommen sei und machte dem Herrn Vorsteher gegenüber folgenden Vorschlag:

Die Gemeinde Balzers könne durch Kauf Besitzerin des in Frage stehenden Anwesens werden und verbleiben, jedoch müsse das Institutsgebäude der Verwendung eines Landeswaisenhauses zugeführt werden. Um in diesem Falle auch der Gemeinde Balzers entgegenzukommen, wäre aus dem Waschhaus, welches sich in der Ebene westlicherseits unterhalb des Institutsgebäudes befindet, durch Umbau ein Armenhaus zu errichten. Die ehrwürdigen Schwestern würden sich dann verpflichten, die Führung des Waisen- wie auch des Armenhauses ohne jede Gewinnabsicht zu übernehmen.

Vorsteher Brunhart antwortete hierauf, dass er nicht in der Lage sei, hierüber eine Antwort zu geben und behauptet, dass der Gemeinde Balzers der fürstliche Besitz in Gutenberg ohne besondere Bestimmung, das Institutsgebäude als Landeswaisenhaus zu verwenden, käuflich in Aussicht gestellt sei. Auch sei bereits durch die Bürgerversammlung ein verstärkter Gemeinderat gewählt worden, welcher den Ankauf des genannten Besitzes im Sinne des Kabinettskanzlei-Reskriptes vom 30. Mai 1924, Nr. 54/3, [4] beschlossen habe und nun beauftragt sei, den Kauf vertragsmässig durchzuführen und die nötigen Geldmittel zu beschaffen.

Seine Durchlaucht der Herr Prinz Alois würde sehr begrüssen, wenn dem Wunsche der ehrwürdigen Schwestern möglichst entsprochen werden könnte, jedoch war Hochderselbe dem Gefertigten gegenüber der Anschauung, dass eine Rückgängigmachung dieser Verkaufsangelegenheit nicht mehr leicht möglich wäre, weil die Gemeinde Balzers bezüglich des Ankaufes von Gutenberg bereits einen verstärkten Gemeinderat gewählt habe und die erwähnte Rückgängigmachung möglicherweise unliebsame Aufregung in der Gemeinde hervorrufen könnte.

Der ergebenst Gefertigte stellt nun im Hinblick auf das Gesagte die höfliche Bitte, bei Höchst Seiner Durchlaucht dem Landesfürsten gütigst erwirken zu wollen, dass der ehrwürdigen Schwester Oberin Anna Berger von der Kongregation der ehrwürdigen Schwestern vom kostbarsten Blute in Gutenberg in Willfahrung des von ihr gestellten und im vorstehenden Bericht erwähnten Wunsches, durch Seine Durchlaucht den Herrn Prinzen Alois die endgiltige Entscheidung beziehungsweise Weisung in der schwebenden Angelegenheit gnädigst übermittelt werde. [5]

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[1] LI LA RE 1924/2434 (Aktenzeichen der Forst- und Domänenverwaltung Vaduz: Zl. 377/1924).
[2] Die Schwestern vom Kostbaren Blut hatten sich mit Bewilligung der liechtensteinischen Regierung vom 11.9.1920 in Gutenberg niedergelassen. Die Genehmigung erfolgte zur Errichtung einer Haushaltungsschule und unter der Bedingung, dort innerhalb von 3 Jahren ein Waisenhaus zu gründen, sofern die Gemeinden Interesse zeigen sollten (LI LA RE 1920/4100 ad 1062). Hierzu wurde der Kongregation aus Rankweil das fürstliche Anwesen in Gutenberg, das vormalige Institut Gutenberg mit verschiedenen Grundstücken, von der fürstlichen Domänenverwaltung um einen jährlichen Zins von 100 Franken verpachtet.
[3] Hier müsste es wohl 16. Juli l.J. heissen.
[4] Wie aus dem Schreiben der Kabinettskanzlei an Regierungschef Gustav Schädler vom 30.5.1924 hervorgeht, war Fürst Johann II. geneigt, das Institutsgebäude und das dazu gehörige Wirtschaftsgebäude samt Garten und Wiesen der Gemeinde Balzers um 45‘000 Franken zu verkaufen: „Vor Abverkauf müsste aber mit den ew. Schwestern ein denselben zusagender Ausgleich geschaffen bzw. auch auf die vertragsmässig festgelegte Kündigungsfrist von der Dauer eines Jahres hinsichtlich des mit demselben bestehenden Pachtvertrages Rücksicht genommen werden“ (LI LA RE 1924/2699 ad 2434 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: No. 54/3))
[5] Vgl. das Antwortschreiben der Kabinettskanzlei zuhanden der Domänenverwaltung Vaduz vom 20.8.1924, in welchem das Entgegenkommen der Gemeinde Balzers – im Sinne des Beschlusses des verstärkten Gemeinderates vom 15.8.1924 – gegenüber der genannten Kongregation als „genügend“ befunden wurde (LI LA RE 1924/3971 ad 2434 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: No. 54/7)). Vgl. in weiterer Folge auch das Schreiben von Regierungschef Schädler an die Kabinettskanzlei vom 6.9.1924 (LI LA RE 1924/3971 ad 2434).