Die Bürgerpartei reagiert erbost auf einen Artikel in der NZZ zum Abstimmungsergebnis über das Lawenawerk, weil die Regierungspartei den Parteikonflikt in die ausländische Presse trage


"Eingesandt" in den Zürcher Nachrichten, nicht gez.  [1]

26.9.1925

Aus der Politik des Fürstentums Liechtenstein

(Eingesandt)

Die „Neue Zürcher Zeitung“ enthält in Nr. 1443 einen Bericht aus Liechtenstein, der nicht unwidersprochen bleiben darf. [2] Er stellt die Volksabstimmung vom 13. d. M. betreffend den Bau des Lawenawerkes als einen Erfolg der Regierung und der Volkspartei und als Niederlage der Bürgerpartei dar, bringt mehrere unwahre Darstellungen, wie sie das Organ der Liechtensteinischen Regierung, die Liechtensteiner (früher Oberrheinischen) Nachrichten, ebenfalls gebracht hat, setzt die Opposition in ganz falsches Licht und lobt die „segensreiche Arbeit“ der jetzigen Regierung. Kurz der Bericht trägt den inländischen Parteikampf in die ausländische Presse, wobei es interessant ist, festzustellen, dass sich die herrschende Mehrheit im Inlande Christlich-soziale Volkspartei nennt, besonders auch die Interessen der Arbeiter zu vertreten vorgibt, im Auslande aber die sog. Mittelstandskongresse besucht und in erster Linie freisinniger Organe für ihre Ergüsse sich bedient. Erschien aber im Laufe der Zeit der eine oder andere Artikel in der Auslandpresse, der der in Liechtenstein herrschenden Mehrheit nicht recht ins Konzept passte, so war man im Regierungsblatte gleich mit den schwersten Vorwürfen zur Hand, man schädige das Ansehen des Landes vor dem Auslande.

Auf Seiten der Opposition hat man versucht, den tatsächlich bestehenden starken Riss zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition vor dem Auslande möglichst wenig zu zeigen und ging aus diesem Grunde über manche die Regierung einseitig hervorhebende und mit Seitenhieben auf die Bürgerpartei durchsetzte Berichte ausländischer Blätter, die zweifellos direkt oder indirekt von Vaduz stammten oder angeregt waren, hinweg.

Gegenüber dem offenkundig aus Kreisen der Liechtensteinischen Regierungsmehrheit stammenden oder wenigstens inspirierten oben angeführten Berichte der „N.Z.Z.“ ist es aber nicht mehr möglich, länger zu schweigen. Bemerkt sei noch, dass seit den letzten Landtagswahlen infolge des Majorzsystems mehr als 40 Prozent der oberländischen Wähler im Landtage keinerlei Vertretung haben.

Und dies vorausgeschickt zum Artikel selbst:

Es heisst dort, dass die Regierung bei der Volksabstimmung vom 13. September einen befriedigenden Sieg errang. Von einem Siege, geschweige denn von einem befriedigenden Siege kann wohl doch wohl kaum die Rede sein. Denn von 1845 abgegebenen Stimmen lauten nur 957, also nicht ganz 52 Prozent auf Ja. Die Bürgerpartei hat aber überhaupt nicht gegen den Bau des Werkes Stellung genommen, diesen vielmehr noch am Tage vor der Abstimmung als Notwendigkeit betont, hat aber allerdings sich gegen die vorgelegene Überstürzung gewendet, weil zwischen dem Landtagsbeschluss, der die Volksabstimmung anordnete, und dessen Vollzug nur 4 Tage Zeit waren, dabei aber noch mehrere Fragen ungeklärt waren, so die Frage, ob es möglich sei, die zur Erzielung einer Rentabilität nötigen Mehreinnahmen zu erzielen (vergl. Seite 3 des Gutachtens des Herrn Ing. [Fritz] Bösch, Zürich), und die nähern Bedingungen des Landesanleihens wurden erst über Aufforderung des oppositionellen Liechtensteiner Volksblattes bekannt gegeben.

Vollkommen falsch ist, dass, wie der „N.Z.Z.“-Bericht sagt, der Wortführer der Bürgerpartei bei einer Versammlung gesagt habe, man bezweifle die Rentabilitätsberechnung nicht. Der betreffende Redner sagte, dass er über die Rentabilität nicht spreche (vergl. auch Gutachten  Bösch). Das ist doch ein wesentlicher Unterschied. Von der behaupteten, ungewohnt hitzigen Kampagne war bei der Abstimmung nichts zu sehen; selbe wickelte sich vielmehr in aller Ruhe ab.

Dass eine einseitige Parteiwirtschaft derzeit im Lande besteht, darüber ist kein Zweifel. Die sämtlichen vom jetzigen Landtage gewählten Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen sind, soweit Inländer in Frage kommen, stark überwiegend mit ausgesprochenen Volksparteilern besetzt und seither vom Landtage gewählte Kommissionen und Körperschaften (z.B. die Gesundheitskommissionen und der Landesschulrat) sind wenn möglich noch einseitiger besetzt.

Die Regierung habe mit starker Hand die Steuergesetzgebung geregelt, heisst es weiter. Ja es wurde ein ganz modernes Steuergesetz nach einem Entwurfe des Herrn Professors [Julius] Landmann, Basel geschaffen, dessen Annahme seinerzeit gerade deshalb erfolgte, weil auch die Bürgerpartei im Bewusstsein, dass eine Neuregelung der Steuergesetzgebung nötig sei, die Annahme empfahl. Das Gesetz hat aber – und zwar zum grösseren Teile aus Gründen, auf die man seitens der Bürgerpartei öfters hinwies – nicht befriedigt und musste in mehreren Punkten geändert werden. Wie haben sich aber die heute massgebenden Persönlichkeiten vor 4 Jahren in der Opposition verhalten? Als im früheren Landtage ein Gesetz über die provisorische Regelung der Lohnsteuer beschlossen wurde, haben der jetzige Landespräsident Dr. Wilhelm Beck und der jetzige Regierungschef G. [Gustav] Schädler dagegen gestimmt, und als im gleichen Jahre ebenfalls zur Sanierung der Landesfinanzen ein liechtensteinischer Zolltarif mit durchaus sehr niederen Ansätzen, die aber gleichwohl einen Reinertrag etwa in der Höhe des Pauschales aus dem Zollvertrage brachten, beschlossen wurde, haben ebenfalls gerade diese zwei Herren und nur diese dagegen gestimmt; kurz, sie haben in der Opposition gegen das gestimmt, was dem Lande die unbedingt notwendigen Mittel zu seiner Existenz schaffen sollte. Die damalige Opposition, heute Regierungspartei, hat in den Jahren 1918 bis 1920 sich nicht gescheut, Demonstrationen wiederholt und in grösseren Umfange zu veranstalten und dadurch den Kredit und das Ansehen des Landes zu schädigen, während die Bürgerpartei gerade diese Mittel trotz sich bietender günstiger Gelegenheiten bisher in der Opposition stets abgelehnt hat.

Gerade weil die Bürgerpartei als Opposition – aus Rücksichten des Staatswohles und zur Förderung der schon von ihr als Mehrheitspartei angestrebten, aber von den Spitzen der damaligen Opposition, die heute nun am Staatssteuer sind, bekämpften Sanierung der Landesfinanzen – immer zurückgehalten hat und hierin bis an die Grenzen der Selbstverleugnung gegangen ist, glaubt man nun, dieser Opposition es bieten zu dürfen, sie vor dem Auslande in ein schiefes Licht zu setzen. Wenn die heute herrschende Mehrheit den Kampf gegen die Opposition ins Ausland tragen will, so braucht die Opposition dies von ihrem Standpunkte aus nicht zu scheuen, sofern mit der Wahrheit umgegangen wird.

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[1] Zürcher Nachrichten 26.9.1925 (LI LA SgZs 26.9.1925).
[2] NZZ vom 17.9.1925.