Ein anonymer Auslandliechtensteiner in St. Gallen nimmt Stellung zu den demokratischen Umbrüchen in Europa und berichtet, dass Wilhelm Beck in der Landtagssitzung vom 24.10.1918 eine parlamentarische Regierung gefordert habe


Bericht im St. Galler Tagblatt, gez. mit Georg Pergant [1]

23.10.1918

Der Jubel der Seligen

(Korr.)

Während die deutschen Bundesstaaten Preussen, Bayern, Baden, Sachsen und Mecklenburg und auch das Reich selbst in fieberhafter Eile bemüht sind, ihre rückständigen politischen Einrichtungen zeitgemäss umzugestalten, und Österreichs junger Kaiser [Karl I.] die gesamte habsburgische Monarchie kurzerhand auf den Kopf stellt, um den stürmischen Wünschen seiner Völker zu willfahren, während sogar Regierungen, die seit langem gewöhnt waren, mit den Parlamenten zusammenzuarbeiten, heute eifrigst bemüht sind, die demokratischen Einrichtungen noch weiter auszubauen; also zu einer Zeit, wo der demokratische Gedanke, vorwärts getrieben durch die übermächtige Stosskraft des amerikanischen Geistes, durch ganz Europa seinen Siegeslauf nimmt, blüht im kleinen State Liechtenstein der reinste Absolutismus ruhig weiter.

In der letzten Landtagssitzung vom 14. Oktober beantragte der Abgeordnete Dr. [Wilhelm] Beck (ein Nachkomme der freien Walser von Triesenberg) mit Hinweis auf die jüngsten Ereignissen in Deutschland und Österreich die Einrichtung einer parlamentarischen Regierung und begründet seinen Antrag unter anderem auch mit dem Missbrauch, der sich in das bisherige System eingeschlichen habe, indem der Regierungschef alle seine Entschliessungen aus sich allein fasse und alles selbst besorge, statt sich verfassungsgemäss vorher mit den ihm beigegebenen Landräten zu beraten. Auf diese Weise sei den letztern jeder Einfluss auf die Verwaltung des Landes versagt und die ganze Regierung auf eine Persönlichkeit gestellt. Dieser vollkommen berechtigte und zweifellos zeitgemässe Antrag des Abgeordneten Dr. Beck wurde vom Regierungschef schroff zurückgewiesen. Der Antrag bedeute einen Eingriff in die Rechte der Krone, da dem Landesfürsten allein die Organisation der Staatsbehörden obliege. Auch müsse er dem Antrag jede innere und äussere Berechtigung absprechen. Ferner sei es nicht Sache eines Abgeordneten, sich über Zurücksetzung der Landräte zu beklagen, wenn diese selbst sich nicht dazu veranlasst sähen usw.

Wie man sieht, hat der totgesagte Absolutismus eine neue, wenn auch bescheidene Heimstätte gefunden im Ländchen Liechtenstein, dem Geburtslande eines Peter Keiser [!].

Georg Pergant

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[1] St. Galler Tagblatt 23.10.1918