Matthias Erzberger schildert seine Bemühungen, Liechtenstein dem Heiligen Stuhl zu schenken, damit der Papst wieder als Souverän auftreten könne


Buchauszug „Erlebnisse im Weltkrieg“, Erinnerungen von Matthias Erzberger [1]

1920

[…] Es wurde dann an die Wiedererrichtung des Fürstentums Brixen gedacht. Das Grundprinzip musste sein, dass der Papst ein Territorium erhielt, um ganz frei als weltlicher Souverän dazustehen. Aber Brixen und Salzburg konnten aus innerpolitischen österreichischen Gründen nicht in Betracht kommen. Denn wenn man einmal daran ging, einen Kleinstaat für den Heiligen Vater zu schaffen, so war es naheliegend, an einen schon bestehenden Kleinstaat zu denken.

In den nun folgenden Erörterungen wies ich auf das Fürstentum Liechtenstein hin, in der Weise, dass das Fürstentum Liechtenstein Seiner Heiligkeit als souveräner Staat übergeben würde, ein Staat, der an die neutrale Schweiz grenze und daher immer von allen Mächten erreicht werden könne. Um zum Ziel zu gelangen, müsse der Fürst von Liechtenstein erblicher Reichsverweser bleiben und alle Würden und Vorzüge des Souveräns behalten. Die Idee ist zunächst in allen beteiligten Kreisen äusserst freundlich aufgenommen worden Die Abtretung sollte sich in Form eines Geschenkes an die Kirche vollziehen. Der Heilige Stuhl selbst sollte mit der eventuellen Regierung des Landes nichts zu tun haben, sondern als Zeichen der Dankbarkeit sollte die Familie des Fürsten zum erblichen Reichsverweser ernannt werden und der Reichsverweser in der Kirche den Rang eines Kardinalbischofs erhalten; wenn möglich sollte die Regelung noch während des Krieges vollzogen werden. In Wien selbst wurde inzwischen von kirchlicher und politischer Seite eifrig gearbeitet, um durch Fühlung mit dem Hause Liechtenstein und dem Hof den Boden vorzubereiten. Die Fühlungnahme mit dem Hof war wegen einer Reihe von Fragen notwendig, namentlich auch, um ein Entgegenkommen des Hauses Liechtenstein durch einen Akt des österreichischen Hofes und Staates auszuzeichnen. In einer Denkschrift, die dem Kaiser Karl und den politischen Stellen überreicht wurde, legte ich unter anderem die Notwendigkeit dar, dem Papste eine „reale, an den Besitz eines eigenen Staates geknüpfte Souveränität wiederzugeben, die allein ihm in der ganzen Welt durch ihr blosses Dasein ohne die Notwendigkeit künstlicher Konstruktion die Unterlage für seine ganze internationale Stellung verschaffen kann. Wer dem Papste diese reale Souveränität wieder verschafft, erweist dem Papste, der Kirche, ja der ganzen Welt einen Dienst, der hinter dem eines Pippin nicht im mindesten zurücksteht.“ Der Papst müsse in Rom als Souverän residieren können, er sei der Bischof von Rom, darum sei in Rom die Lösung zu suchen, und sie müsse dort gefunden werden. Die Verhandlungen zwischen dem Vatikan und dem Quirinal hätten zu keinem praktischen Ergebnis geführt; die italienische Regierung wolle von sich aus nur eine vorhandene Souveränität anerkennen, die sie weder verleihen, noch erweitern, noch auch schmälern könne. Sie wolle aber nicht von sich aus Seiner Heiligkeit ein souveränes Territorium zur Verfügung stellen. Würde aber Liechtenstein dem Papste übergeben, so sei die weltliche Souveränität auch für die italienische Regierung da und die Regelung in Rom viel leichter gegeben.

Auf Grund dieses Gedankenganges führte ich in Wien an Ostern 1916 eingehende Besprechungen mit den massgebenden Kreisen; sowohl in kirchlichen wie in politischen Kreisen fand ich weitestes Entgegenkommen. Grosse Schwierigkeiten entstanden aber bei den Aussprachen mit Mitgliedern des Hauses Liechtenstein. Es ergab sich als Resultat der Besprechungen, dass die Familie Liechtenstein zum Verzicht auf ihre Souveränität im Gebiet des Fürstentums bereit sein würde, wenn ihre Souveränität auf andere Weise erhalten bliebe. Letzteres konnte am besten auf dem von mir hingewiesenen Wege einer Vergrösserung durch Zuschlag anderer in der österreichischen Monarchie gelegener Liechtensteinscher Güter erreicht werden. In der nun von mir für den Wiener Hof ausgearbeiteten Denkschrift sprach ich mich gegen die auch angeregte Teilung des Fürstentums Liechtenstein in einen päpstlichen und einen fürstlich Liechtensteinischen Staat aus, empfahl aber eine Vergrösserung des heutigen Fürstentums Liechtenstein unter gleichzeitiger Abtretung des Fürstentums in seinem heutigen Umfang an den Heiligen Stuhl. Die Lösung konnte nur der Kaiser von Österreich geben. Der bayerische Ministerpräsident [Graf Georg von Hertling] schrieb mir, dass der ganze Plan durch die Ausführungen meiner Denkschrift einer praktischen Bearbeitung näher gerückt sei. Von massgebender österreichischer politischer Seite fand der Plan eine Ergänzung dahin, für das neue Fürstentum Liechtenstein entweder „einen an den Grenzen der Monarchie gelegenen Gebietsteil oder eine Insel auszuscheiden“. Das Verhalten eines Teiles der Glieder des Hauses Liechtenstein [2] hat den Eindruck erweckt, dass der Plan nicht so leicht durchgeführt werden könne, obwohl gerade österreichische Hofkreise sich weiter um denselben lebhaft bemühten. Daher blieb die Angelegenheit unerledigt, bis wenig mehr als 24 Monate später das Haus Liechtenstein seine Souveränität verlor, [3] ohne dass ein welthistorischer Akt damit verknüpft gewesen wäre. Ohne eine den Papst befriedigende Lösung der Römischen Frage wird Europa keinen dauernden Frieden und die Welt keinen wahren Völkerbund haben.

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[1] Matthias Erzberger: Erlebnisse im Weltkrieg, Berlin 1920, S. 135-137.
[2] Ablehnend verhielt sich insbesondere Fürst Franz I. von Liechtenstein, der Bruder des regierenden Fürsten  Johann II.
[3] Gemeint ist wohl der gescheiterte Versuch Liechtensteins dem Völkerbund beizutreten. Die Souveränität Liechtensteins an sich wurde jedoch mit der Ablehnung des Beitrittsgesuchs nicht bestritten.