Die Abgeordneten der Volkspartei machen den Landtag vor der Abstimmung über den Vertrag mit dem Konsortium betr. private Produktion und Vermarktung der liechtensteinischen Briefmarken beschlussunfähig, indem sie die Landtagssitzung verlassen


Traktandum 1 der Landtagssitzung vom 11. November 1919, handschriftliches Protokoll, gez. Johann Wohlwend und Wilhelm Beck[1]

11.11.1919

1. Projekt einer liechtensteinisch-österreichischen Gruppe über den Vertrieb der neu herzustellenden liechtensteinischen Briefmarken

Dieses lautet dahin, dass das Land den Vertrieb der Marken dieser Gesellschaft übergibt, die in der ganzen Welt zu diesem Zwecke eine Propaganda ins Werk setzt. Die Gesellschaft verpflichtet sich, durch unauffällig betriebene Auslandpropaganda den Markenvertrieb so zu gestalten, dass dem Lande jährlich zum mindesten 400‘000 Kr. beziehungsweise bei Währungsänderung Franken Reingewinn bleiben. Zur Sicherstellung dieses Mindestreingewinnes verpflichtet sich die Gesellschaft eine Kaution von 250‘000 Kr. zu stellen. Als Gegenleistung für den Vertrieb und die Weltpropaganda beansprucht die Gruppe 20 % des Nennwertes der verkauften Marken. Der Vertrag soll auf die Dauer von 10 Jahren abgeschlossen werden. Markenskizzen mit künstlerischen Aufnahmen aus dem Lande liegen vor. Die künstlerischen Entwürfe werden auf Kosten der Gesellschaft hergestellt. –

Anschliessend erwähnt der Vize-Präsident [2][Fritz] Walser, dass die Gesellschaft zu weiterem Entgegenkommen sich bereit erkläre, sie setze die Vertragsdauer auf 6 Jahre und die Entschädigung auf 10 % herab und erhöhe die jährlichen 400‘000 Kronen auf 600‘000 Kronen beziehungsweise Franken. Herr Walser liest die Eingabe an den Landtag selbst vor und eröffnet die Debatte. –

Regierungskommissär Prinz Karl [von Liechtenstein] empfiehlt den Antrag wärmstens, das Land habe gar kein Risiko und könne dadurch auch fremde Valuta bekommen. Er habe kein Bedenken dagegen, dass auch Landesbeamte beteiligt seien. Nach der Verfassung wäre er nicht verpflichtet gewesen, die Sache vor den Landtag zu bringen, er hätte es mit den Regierungsräten tun können, er wolle aber so grosse Geldsachen vor die Öffentlichkeit bringen.

Abg. [Gustav] Schädler hält hierauf eine Rede und führt darin Folgendes aus: Die Ausführungen des Herrn Regierungschefs hätten manches für sich. Die Einladung zur Sitzung sei erst am Samstag, also vor drei Tagen, gekommen. Er hätte lieber mehr Zeit gehabt zum Studium dieser Frage. Wie er gehört habe, sei in der Kommission bestimmt worden, die Sitzung sei erst in 14 Tagen oder drei Wochen. Warum habe man keine Konkurrenz ausgeschrieben und warum brauchte man eine vertrauliche Besprechung im Engel? Alles solle offen behandelt werden im Landtage, die Steuern werden auch öffentlich besprochen. Jeder Abgeordnete hätte das Vertragsformular bekommen sollen. Man solle nicht nur vorlesen und abstimmen, man dürfe schon noch debattieren, hier an der Stätte des freien Wortes. Er protestiere gegen die zu kurzfristige Anberaumung der Sitzung und verlange, dass dieser Protest ins Protokoll aufgenommen werde. Man komme nicht mehr mit dem Markenhandel der Negerrepubliken. Andre Staaten suchen auch etwas herauszubringen, so habe Bayern 5 kursierende Ausgaben mit 22 Werten. Wir hätten bloss 6 Werte. Jetzt werde Obst, Schnaps, Gewerbe, Grund und Boden, überhaupt alles Mögliche besteuert und wir hätten nicht bloss 10, sondern 11 Millionen Schulden. Deshalb sollen auch wir möglichst viel aus dem Markengeschäft herauszubringen suchen. Monopole dieser Richtung seien nicht sehr beliebt. Die Tragweite dieser Sache werde erst klar, wenn man mit Fachmännern darüber rede. Wir wollen nicht ohne weiteres hineinfallen. Man solle die Sache richtig studieren und nicht heute schon abstimmen. Redner bringt dann das jedem Abgeordneten zugegangene Projekt des Briefmarkensammlers Otto Bickel in München zur Sprache und erklärt es genau. Was Fachleute zu dieser Sache sagen, sei für uns ein Wegweiser. Wir Vertreter des Landes müssten prüfen. Es sei ein Märchen, wenn man glaube, nur ein Künstler könne das. Wir wollen keine fremden Herren, sondern Liechtensteiner, der Staat solle da alles haben. Wenn der Staat etwas vergebe, solle Konkurrenz sein. Klischees sollen nur unter strenger Kontrolle des Landes gemacht werden. Untersuchung von Fälschungen wäre sehr schwer. Das Land solle alles verdienen. Durch unkluges Handeln rufe man nur einen Skandal im Lande. Er stimme gegen jede Steuer, wenn diese Einnahmsquelle nicht vollständig erschlossen werde. In der Geheimsitzung habe er nichts zu tun gehabt, denn man habe früher eine solche arg übel aufgenommen.

Vizepräsident Walser weist den Vorwurf, dass er die Sitzung zu rasch einberufen habe, zurück. Er liest den § 12 der Geschäftsordnung [3] vor, wonach der Vorsitzende berechtigt ist, Ort und Zeit der Sitzung zu bestimmen. Schädler habe behauptet, man habe eine Geheimsitzung gehabt, dies sei gar nicht wahr, es sei eine vertrauliche Vorbesprechung gewesen, zu welcher alle Abgeordneten eingeladen waren.

Abg. [Gustav] Schädler meint, es wäre keine Dringlichkeit vorhanden gewesen.

Abg. Regierungsrat [Johann] Wanger sagt, der Inlandsvertrieb sei ja frei und wenn der Auslandsvertrieb etwas ergeben soll, so müsse Propaganda gemacht werden, was wir nicht wohl können. Zu den Aufstellungen Bickels habe er kein grosses Vertrauen, man habe gesagt, er sei ein Schwärmer. Wanger vertritt den Standpunkt, wenn das Land den Inlandsverschleiss frei habe, könne demselben nichts entgehen.

Abg. [Emil] Risch bringt vor, es sei ihm aufgefallen, dass die Gesellschaft von 20 % auf 10 % und von 10 Jahren auf 6 heruntergegangen sei. Das wäre nicht geschehen, wenn keine Opposition gewesen wäre. Wir seien nicht für das Konsortium da, sondern für das Land. Wenn ein Wiener Künstler die Entwürfe nicht mache, mache es ein anderer. Der Her Landesverweser habe gesagt, man könne den Beamten ein solches Nebengeschäft nicht verbieten, aber früher seien doch solche Verbote gemacht worden. Redner führt ein Beispiel an und meint, die Gesellschaft mache ein Bombengeschäft.

Vizepräsident Walser entgegnet: Nach Risch wäre die Gesellschaft nur auf Grund der Opposition heruntergegangen, das sei nicht wahr, er habe im Landesinteresse mit den Herren selbst gemarktet in der Kommission. Man habe sich dann geeinigt, es dem Landtag so vorzulegen.

Abg. Dr. [Wilhelm] Beck führt des längeren aus: In der Kommission sei gesagt worden, man wolle die Sache nicht überstürzen. Auf seine Anfrage, wann Sitzung sei, habe es geheissen in etwa 3 Wochen. Warum solle die Sache so schnell geschehen und warum habe man eine Geheimsitzung im Engel gehabt. Dringlich sei es keineswegs. § 12 spreche gegen den Vorsitzenden. Man hätte die Sache vorher den Abgeordneten in die Hände geben sollen, sie seien ja Laien. Er habe früher immer drauf hingewiesen, wieviel Tausende wir aus Marken verdienen könnten, dann sei man immer mit dem Ansehen des Staates gekommen, man dürfe es nicht treiben wie eine Negerrepublik. Es handle sich nur um Eigenbetrieb oder Verpachtung. Er möchte die Gesellschaft unter die Lupe nehmen. Beamte sollen nicht daneben Privatgeschäfte treiben, wir dürfen keine Bresche legen in den Beamtenstand. Über die Wiener Herren wollen sie Aufschluss, man brauche Liechtenstein nicht als Ausbeutungsobjekt zu betrachten. Er bezeichne es als eine Keckheit, wenn Beamte mit dem Lande Geschäfte machen wollen. Wenn nicht rechtlich, so sei es doch tatsächlich ein Monopol. Er erstaune, dass der Herr Regierungschef eine Gesellschaft empfehle, die sie nicht einmal kennen. Er beantrage, die Entwürfe im Ausschreibungswege einholen zu lassen. Die Sache solle gründlich geprüft und an die Kommission zurückgewiesen werden. Man wisse nicht, wie es mit der Post stehe, man mache das Hintere vor dem Vorderen. Wenn man den Bauer schröpfe und überall Abgaben fordere, erkläre er, falls nicht das Briefmarkengeschäft voll ausgenützt werde, dass er gegen die Steuererhebung sei.

Abg. [Emil] Risch fragt an, warum eine Eingabe, die aus Deutschland eingelangt sei, nicht vorgelegt werde.

Der Vorsitzende [Fritz Walser] sagt, ihm sei nichts davon bekannt. Bickels Antrag fasse er nicht als ernst auf. Er liest hierauf die Teilnehmer der Gesellschaft vor und bemerkt, von einem Monopol könne hier keine Rede sein.

Abg. [Gustav] Schädler: Bezüglich Bickels wisse er nicht, ob die Angaben richtig seien, aber man solle die Sache prüfen. Unsre Marke werde sicher Propaganda machen. Man solle heute nicht abstimmen, es wollen ja alle das Beste.

Abg. Peter Büchel bemerkt, man hätte deshalb keinen solchen Lärm machen müssen; er wolle auch das Beste des Landes. Wenn sich die Herren hätten informieren wollen, so hätten sie es in der Vorbesprechung leicht tun können. Er stelle den Antrag, die Sache heute zu erledigen.

Abg. G. Schädler entgegnet, wenn man sich orientieren wolle, gehe man nicht zudem, der Geschäfte machen möchte, das tue kein Bauer. Über parlamentarisches Benehmen brauche man ihn nicht zu belehren, er habe schon mehr gesehen als Peter Büchel.

Landesverweser Prinz Karl sagt, er verstehe es nicht, warum die Sache verschleppt werden solle und was Dr. Beck nun noch wolle.

Abg. [Johann] Wanger: Er sei davon überzeugt, dass jede Verzögerung Geldverlust bedeute, er möchte die Sache wie Peter Büchel heute zum Entscheid bringen.

Abg. [Josef] Marxer meint, jetzt habe man Aussicht auf Geld, das Land habe dabei gar kein Risiko, er habe die Ansicht, man solle die Sache erledigen, denn man wisse nicht, was das Land im Eigenbetrieb herausbringe.

Landesverweser Prinz Karl fügt noch bei, er habe nicht recht verstanden, wie Schädler und Dr. Beck die Steuer verweigern wollen, wenn diese Sache angenommen würde; es wäre ja unverantwortlich.

Abg. Kanonikus [Johann Baptist] Büchel lobt die Mitglieder der Gesellschaft, es sei kein Monopol, es handle sich bloss um 6 Jahre. Er sei für Erledigung der Sache, es sei eine Einnahme, die dem Lande zugute komme, auch könne er mitteilen, dass noch zwei Mitglieder aus Liechtenstein dem Konsortium beitreten können, wenn sie guten Ruf haben und zuverlässig gesinnt seien.

Abg. [Emil] Risch fragt, warum man hier noch die Gesinnung untersuchen solle, beim Steuererheben schaue man auch nicht darauf.

Abg. [Johann] Wanger beantragt noch, Fritz Walser solle nach Wien fahren und betreffs Postabkommen ein Ja oder Nein holen, damit man wisse, woran man sei.

Abg. G. Schädler stellt hierauf den Antrag, das Projekt sei an  die Finanzkommission zurückzuweisen; diese solle von mehreren Künstlern Entwürfe zu liechtensteinischen Briefmarken einholen, damit man die besten auslesen könne, und die Frage prüfen, ob das Land den Markenvertrieb selbst in die Hand nehmen solle oder diese Sache einer Gesellschaft übertragen wolle.

Abg. Kanonikus Büchel fragt an, wer wolle dann Kunstrichter sein. Professor Luigi Casimir sei ein erstklassiger Künstler und als solcher auch dem Fürsten bekannt, man könne ihm vertrauen.

Bei der Abstimmung fiel der Antrag des Abgeordneten G. Schädler mit 6 Stimmen gegen 9 durch.

Hierauf verliest der Vizepräsident Walser folgenden formulierten Antrag: „Der Landtag beschliesst: Die fürstliche Regierung wird ermächtigt, mit der handelsgerichtlich zu protokollierenden Gesellschaft Verkaufsstelle internationaler Postwertzeichen“ auf Grund der vorliegenden Bedingungen einen definitiven Vertrag zum Abschluss zu bringen und diesen Vertrag vor der Unterzeichnung der Finanzkommission zur Einsicht vorzulegen.“

Vor der Abstimmung über diesen Antrag verliessen die sechs Abgeordneten der Volkspartei Gustav Schädler, Dr. Beck, [Josef] Gassner, [Emil] Risch, [Josef] Sprenger und [Albert] Wolfinger den Saal und machten dadurch den Landtag beschlussunfähig. [4]

Der zweite Punkt der Tagesordnung „Antrag der Finanzkommission betreffend Ausgabe von Notgeld“ konnte deshalb nicht mehr verhandelt werden und die Sitzung wurde daher geschlossen.

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[1] LI LA LTP 11.11.1919 (LI LA LTA 1919/S4). Anwesend waren alle Landtagsabgeordneten sowie Regierungskommissär Karl von Liechtenstein.
[2]
Das Wort „Vize“ wurde nachträglich eingefügt. Albert Schädler demissionierte am 16.4.1919, worauf Fritz Walser als Vizepräsident die Funktionen des Landtagspräsidenten übernahm. Zum Landtagspräsidenten wurde Walser erst am 25.11.1919 gewählt.
[3] § 12 der Geschäftsordnung des Landtags vom 29.3.1863 lautete: „Der Präsident, welcher die Geschäfte des Landtages leitet und den Vorsitz in demselben führt, bestimmt, wenn die Versammlung keinen Beschluss darüber gefasst hat, die Zahl und Zeit der ordentlichen Sitzungen, nach Mass, Menge und Dringlichkeit der Geschäfte.“
[4] Gemäss § 4 der Geschäftsordnung des Landtags vom 29.3.1863 mussten zur Gültigkeit von „Landtagsverhandlungen“ zwei Drittel der Mitglieder (d.h. 10 der 15) anwesend sein. LGBl. 1863 Nr. 1)