Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über den angekündigten Besuch eines Cousins aus Amerika, die Errichtung eines Bienenhäuschens beim Roten Haus in Vaduz, die Arbeit in den Weinbergen, den angestrebten Anschluss des Oberlandes an das Eisenbahnnetz sowie den Beitrag über Josef Gabriel Rheinberger im Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Vaduz, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

19.03.1904 („Josefi“), Vaduz

Lieber Herr Vetter!

Ihr liebes, herzi-
ges Brieflein mit welcher Freude
es im "roten Haus" empfangen
wurde, kann ich Ihnen nicht sagen.
So viel, viel [2] haben Sie uns da-
mit geschenkt. Dies liebe, liebe
Brieflein war lange Zeit, der Mit-
telpunkt der Freude, zuerst bei je-
dem Einzelnen in uns. Haus u.
dann bei allen Mitverwandten.
Nehmen Sie Dank, von ganzem
Herzen Dank, lieber Herr Vetter!
Es freut uns vor Allem Ihr Wol-
befinden, Ihre erstaunliche, körper-
liche u. geistige Frische in Ihrem
schönen Alter, in dem Sie so viel
geleistet, wie wol selten Jemand [3]
u. verlangend regt sich der Wunsch
in uns, Ihnen doch wieder näher sein zu
dürfen, – näher einem so selten
edlen Herzen. – Läge doch zwischen
Liechtenstein u. Amerika nicht die-
ser Weg, – wie wunder-, wunder-
schön müsste das sein hie u. da
zu Ihnen kommen zu dürfen, Sie er-
zählen zu hören. – Ganz, ganz
mäuschenstill wollten wir Ihnen
zu hören, denn ungleich fesselnd u.
lieb können Sie das. Ihre gewiss
reichen Erfahrungen in Ihrem
tatkräftigen Wirkungskreise wie
interessant müsste das sein, Sie
persönlich davon erzählen zu
hören u. unterdessen bei Ihnen sit-
zen dürfen. – Mit grossem, regem
Interesse suchen wir aus Ihrem
trauten Brieflein ein jedes Ihrer
lieben Kinder kennen zu lernen, –
Sie sind ein sehr, sehr glücklicher
Vater u. Grossvater, lieber Herr Vetter, [4]
der lb. Gott hat Ihnen in Ihren braven,
intelligenten Kindern der irdischen
Schätze höchste geschenkt. – Ich
freue mich unendlich Sie alle einst
zu sehen, wenn auch erst im Himmel.
Sagen Sie jedem Einzelnen einen
treulichen, innigen Gruss aus Ihrer
alten Heimat, den Gruss der Liebe
von Egon [Rheinberger], Olga [Rheinberger] u. Emma, die am
liebsten alle Vetterchen u. Bäschen
aus Amerika miteinander einmal
im „roten Haus“ willkommen heissen
durften. – A was für eine Lust
müsste das sein! – Einer grossen
Freude aber berauben Sie uns, lieber
Herr Vetter, der Freude Ihres uns so
besonders lieben [5] Bildes, dieses Bil-
des nach dem wir verlangt Jahre
lang. Wenn man kein Mütterchen u.
kein Väterchen mehr hat, –  dann leuch-
tet’s einen entgegen wie ein wärmen-
der Sonnenstrahl einen lb. Angehöri-
gen, der d. geliebten Eltern [Peter Rheinberger, Theresia Rheinberger [-Rheinberger]] noch ge-
kannt einmal wenigstens sehen zu [6]
dürfen. Und nun entziehen Sie uns
hartherzig diese Freude. – Aber ich werde
Sie dennoch zu gewinnen wissen, lieber
Herr Vetter, in ganz Liechtenstein
finde ich schon noch eines Ihrer
lb. Bildlein, zu erst werde ich dem-
nächst auf der Post Anfrage halten.
Hurrah! wenn ich’s erreiche!

Für das Bild Ihrer lb. Enkelin „Mil-
dred Heintz“ vielen Dank, es muss
ein liebes Schätzle sein. In Ameri-
ka, nicht wahr, legt man sehr
viel Wert auf Aufwand u. Äusser-
lichkeit, alle amerikanischen Pho-
tographien die ich bisher noch gese-
ehen, erinnern daran. Ich liebe so sehr
alles Einfache [7], dass ich immer wieder
auf Widerspruch stosse. – Doch nicht
nur der Natur, auch der Kunst muss
im Leben Rechnung getragen werden u. die-
ser Gedanke versöhnt mich wieder vis-
à-vis von viel Äusserlichkeit die
[8] mit meiner vielleicht unrichtigen
Vorliebe für die Einfachheit leicht
in Fehde gerät. – Eine Ihrer [9]
lb. Mitteilungen tat uns aufrichtig
erfreuen: der in Aussicht gestellte
Besuch einer Ihrer lb. Söhne. Aber –
aber, lieber Herr Vetter, – ich fürchte –
ich fürchte – wird es Ihrem Herrn
Sohn nicht zu einfach bei uns sein?
Sollten Sie ihn nicht ein wenig
vorbereiten? Die amerikanischen
Verhältnisse müssen den liechten-
steinischen natürlich längst
voran sein u. diese amerikani-
schen Photographien v. Herren u.
Damen sehen sich alle furchtbar
„nobel“! an. – Verzeihen Sie, meine
Furcht ist gewiss kindisch u. viel-
leicht steckt auch noch sogar der
pure Stolz dahinter, – Stolz-, Vater-
landsliebe für unsre liebe, kleine
süsse Heimat, wenn auch noch in
ihrem uhrwüchsigen, einfachen
Zustand. Also darf sich Ihr lb.
Sohn, auf den wir uns riesig
freuen, nicht enttäuschen, od. ab- [10]
schrecken lassen. – Melden Sie ihm
unsere Freude, unser herzlich' Will-
komm
[11]! Kommt seine lb. Frau nicht
auch mit? Hu, – aber die ameri-
kanischen Damen – die tun noch
viel nobler!! – Vielleicht täte sie
warten bis nächstes Mal? – Seien
Sie mir doch nur ja nicht böse,
liebster Herr Vetter, ich bin nämlich
auch noch etwas schüchtern. – Wenn
Sie [12] kämen, lieber, lieber Herr Vetter da
täte ich mich schon nicht fürchten, –
da wär’s mir, ob ein Stückchen von
uns. geliebten Eltern wiedergekommen –
u. da wollen Sie uns nicht einmal
Ihr Bildlein gönnen. –

Vaduz wird hetzt mit dem beginnenden
Frühling ein erneuert' Paradies-
lein, o so lieblich schön wie ein
Frühling in Vaduz! Heimweh, bitter
Heimweh ergriffe mich, müsste ich
dessen Ferne leben. – Die Blümlein
blühen schöner in unser lb. Heimat u. die Vöglein singen [13]
süsser, als Alles, was ich schon
gesehen. – Im anstossenden Torkel-
gebäude, da hat d. Bruder [Egon Rheinberger] ein
Bienenhäuschen angebracht, diese
Bienlein summen u. schnurren schon
so emsig bis auf’s Schloss hi-
nauf. – Mit diesem Bienenhäuschen
ist es uns. selg. lieben Mütterlein
schlimm gegangen. Bruder Egon schlau
u. spass haft, wie er ist, entdeckte
eines Tages auf d. Esterrich oben
den Webstuhl der Grossmutter u. den andern Tag, als
Mütterchen zum Fenster hinaus schaute,
o des Schreckens! Des Entzetzens!
aber das Hände über dem Kopf zu-
sammen schlagen half auch nicht mehr –
aus Grossmütterchen’s Webstuhl war
ein kühnes Bienenhäuschen gewor-
den. – Seitdem schleppen uns diese
Bienlein Honig heim, mehr als wir
im Haushalt brauchen. –

Fast so emsig u. hurtig wie diese
sind jetzt die Vaduzer jetzt in den Wein-
bergen daran, das ist ein Leben um’s [14]
„rote Haus“ herum, als ob es gälte im
April zu ernten. – Nachdem näm-
lich das letzte Jahr ein ausser-
gewöhnlich
[15] gutes an Quanti- u. 
Qualität war, bemühen sich die Leute
doppelt darum, während man die letzten
Jahr 10. schon bedenklich Reben aus-
zureissen begonnen. – Haben Sie auch
schon von den unternehmenden [16] Liech-
tensteinern gehört, wie sie sich im
Stillen mit d. gewichtigen Plänen
einer Eisenbahn vorbereiten? [17] Einst-
weilen aber dürfte es bei Plänen
bleiben. – Sie käme durch Vaduz – Bal-
zers bis Sargans im Anschluss der
Rätischen-Bahn. – Mitfolgend sende
ich Ihnen, lb. H. Vetter ein Jahrbuch d.
Historischen Verein’s Liechtenstein, das
Sie vielleicht ein wenig interessieren
dürfte, besonders d. darin enthaltene
Biographie v. Onkel Josef [Josef Gabriel Rheinberger]. [18]
Unser Bruder ist auch in d. Verein u.
im Begriffe für d. nächsten Jahrgang
zu schreiben. [19] – Und nun, lieber, lieber
H. Vetter schreiben Sie uns doch bitte, bit-
te bald, recht bald u. erzählen Sie uns v. Ihren [20]
Lieben, womit Sie
dem „roten Haus“ einen
wahren Jubel bereiten.

Nehmen Sie unsre
Liebe u. Anhänglichkeit /

Ihre ergeb.

Olga, Egon,
Emma Rheinberger [21]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Unterstrichen.
[3] Seitenwechsel.
[4] Seitenwechsel.
[5] Unterstrichen.
[6] Seitenwechsel.
[7] Unterstrichen.
[8] Durchstreichung.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Unterstrichen.
[12] Unterstrichen.
[13] Seitenwechsel.
[14] Seitenwechsel.
[15] Unterstrichen.
[16] Durchstreichung.
[17] Die für Liechtenstein unbefriedigende Streckenführung der Eisenbahn führte 1881-1884, 1903-1907 und 1926 zu erfolglosen Bemühungen, Vaduz, Triesen und Balzers an das Schienennetz anzuschliessen. Vgl. HLFL, Bd. 1, S. 175-176 („Eisenbahn“).
[18] Vgl. Anton Hinger: Josef Rheinberger. Eine kurze Biographie. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 3 (1903), S. 165-187.
[19] Vgl. Egon Rheinberger: Die Burg Vaduz. In. Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 4 (1904), S. 145-168.
[20] Seitenwechsel.
[21] Die Textpassage „Lieben, womit … Emma Rheinberger“ ist auf der 1. Seite des Briefes hinzugefügt.