Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über das Heimweh, seine Gesundheit und seinen arbeitsreichen Tagesablauf, die schlechte Weinernte wegen der Beerenfäule in Nauvoo, die Verständigungsschwierigkeiten mit seinen nur Englisch sprechenden Enkeln, den Tod eines Enkels, die Berichte aus Lourdes, das katholische Leben in Nordamerika sowie den geplanten Besuch seines Sohnes Franz Rheinberger in Liechtenstein


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Arosa [1]

17.09.1905, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbgr. [2]

Liebe Emma [3]!

Am 12t erhielt ich Ihr liebes Schreiben. Es
freute mich, und betrübte mich, Ihrer Krankheit
wegen. Sie sind mir wirklich lieb geworden, und
alles, was Ihren Frieden und Wohlbefinden stört,
geht mir nache. Von Herzen bitte ich die liebe
Mutter Gottes, dass [4] Sie für [5] Sie Gesundheit und
baldige Rückkehr zu Ihren Lieben erwirken möge.

Bekämpfen Sie ihr Heimweh. Ich selbst fühlte es
nie, den ich fand mich in meinen Verhältnissen daheim
so unbehaglich, dass ich, wie [Friedrich] Schiller [6] in seinem Auswanderer
Lied, dachte: Fort, nur fort, und wenn ich es auch nicht
besser dort, wenn ich es nur anderst finde. Aber mein
Bruder Joseph [Josef Rheinberger] [7] starb am Heimweh in Lindau [8],wo er das
Schlosser-Handwerk erlernen sollte. Denken Sie an
Ihre Frau Tante [Fanny Rheinberger [-Hoffnaass, geb. Jägerhuber]], wo sie in ihrer /: Heimkehr :/ sagt:
O, dass die Seele mit Geduld ertrüge, was ihr Gott beschied
zu ihrem Heil. – Ich freue mich über diese Frau, und ehre
sie ihrer schönen Gedanken wegen, und Ihnen danke
ich für deren Zusendung. Ich habe sie nicht nur in meinem
Schrank, sondern mehr in meinem Herzen eingeschlossen. [9]
So halten Sie den Gott zu Liebe muthig aus.

Ich selbst bin gesund und zu jeder Arbeit viel fächiger,
als Leute meines Alters gewöhnlich sind. Um ½ 5 Uhr
Morgens bin ich auf, mache mir zu essen, und bin um
6 Uhr im Feld, und arbeite da, wenn meine Taglöhner
gegen 11 Uhr es zu heiss finden und davon gehen bis den anderen
Tag, immer fort, so, dass ich manchmal den vorüber Fahrenden
auffällig bin. Nicht Einen [10] Tag fehle ich. Aber ferne
ist es mir, mich damit zu rühmen, den ich bin immer ein
schwacher Mensch gewesen. Jeden Abend danke ich dem
himmlischen Vater für seine Hilfe, und jeden Morgen bitte ich
Ihn darum für den angefangenen Tag.

Ich bin am Sammeln der Trauben, dabei sind die Kosten
grösser, als die Freude. Die Frauen verlangen 1 Thaler pr Tag
oder wir können sie hangen lassen. Das ist die Sprache
der Arbeiter gegen die Arbeitgeber, und dazu wählen sie immer
eine Zeit, wo man sie nicht entbehren kann. Jede Traube
muss ausgesucht werden. Würmer, unmässige Stürme und
Regen mit Hagel, sprengten die reifenden Beeren,
und da sie nicht austrocknen konnten, verfaulte alles, was
beschädiget wurde. Sie würden sich wundern, wenn Sie
stellenweise den Boden bedeckt mit Beeren sechen würden. [11]  

In Amerika [12] ist alles möglich, Heil und Unheil folgen
in stetem Wechsel. Aber, dass auch bei Euch die Traubenfäule
sich zeigt, wundert mich. So fieng es auch bei uns an. Die
Beeren wurden bläulich grau, vertrockneten und fielen ab.
So gieng es einige Jahre, dan hörte diese Art Fäule auf, und
die noch bösere, die wir jetzt haben erschien.

Sie stellen sich das Verhältniss zwischen Grosseltern und
Enkeln gar schön vor; ich wollte es wär so! Aber, wenn
ich Ihnen sage, dass wir einander nicht verstehen –
Ich kann nicht viel englisch [13], und die Anderen kein Wort
deutsch. So ist es nicht allein in meinem Haus, sondern in
Tausenden eingewanderter Leute. Es ist ein schmerzlicher
Mangel. Indessen ist wenig zu besorgen. Der ältere
Sohn ist bei den Eltern seiner Mutter, und besucht eine höchere
Schule. 3 sind bei der Mutter daheim. Die Frau ist klug
und gut, und spricht deutsch. Ihre Eltern kommen von Cöln [14].
Ihr Vater ist Bezirksrichter, der älteste Bruder Advokat [15]
und daher hat sie keinen Mangel an gutem Rath.

Meine noch lebenden Kinder sind gesund und gut gestellt.
Die Maria [16] sandte mir im Juny [17] frische Kirschen von
der Ausstellung in Portland, Oregon [18], [19] eine Entfernung von
mehr als 3000 Meilen [20], und sie kamen ziemlich wohlerhalten an. [21]

Mein Franz [Rheinberger] hat sein Bübchen wieder verloren, und der Schmerz
war gross. Der Keuchhusten kam an das Mädchen /. Dorothea [22] ./
von ihm kam es auf den Kleinen, und der erlag ihm.
Es ist das 2t Bübchen, das er verliert. Das Erste war eine
Frühgeburt; dieses war ein schönes, kräftiges Kind und lebte
1 ½ Jahr. Er wird in kurzer Zeit mit Frau und Töchterchen
hier sein, die kleinen Leichname mit sich bringen und hier auf
eigener Friedhofstelle beisetzen. Vor Einem Jahr sagte ich
ihm: sieche, ich habe hier so viel gearbeitet, und alles ist schön
und gut; aber ich bin alt, und wenn ich wegfalle, wird
alles um halben Werth versteigert, und ich habe für Andere
geschaft. – Seine Erwiederung war: Mach Dir keine Sorgen,
wenn so etwas geschieht, übernehme ich alles, verkaufe, was
mir zu viel, und behalte die Heimath [23] für mich.
Das freute mich, den meine Heimath ist mir so lieb, dass ich sie
dass ich sie einem Fremden nicht gönnen mag.

Ihre Berichte über Lourdes [24] sind schön und erhebend, und Sie
sind glücklich die Erinnerung daran mit durch’s Leben zu nehmen.
In Nordamerika [25] kann sich katholisches Leben nicht nach Gebühr
entwickeln. Wir sind eingeklemmt zwischen Protestan. [26]
Seckten, und Milionen [27] ungetaufter und vollkommen religionsloser [28]
Menschen, die nur das goldene Kalb anbeten. [29]

Ich las über die Erstechung Lourdes [30], und wie der damalige
Pfarrer den ersten Plan [31] zur Errichtung einer Kirche daselbst zerriss
und den Baumeister [32] aufforderte den schönsten Tempel zu
Ehren der Himmelskönigin hier zu errichten, ohne Rücksicht auf
die Kosten. Der Franz wird Euch besuchen, sobald die Verhältnisse
es gestatten, und vielleicht auch die Anna [33] mit ihrem Mann.
Die Mittel sind auf beiden Seiten kein Hinderniss. [34]

Ich lege Ihnen einen Ausschnitt
aus dem, Ohio Waisenfreund [35], [36] bei. [37] Diese Leute, die im Reichthum
untergehen, trauern auch nicht um das Geld, aber – einstens
wegen ihres Geldes, für das sie nur Eitelkeiten eingetauscht.

Gottes Segen mit Ihnen, und die Liebe Mutter Gottes
erbitte bei Ihrem Sohn, unserem Herrn Ihre Gesundheit
und Rückkehr in das alte, liebe rothe Haus.

Herzliche Grüsse für Fräulein Olga [Rheinberger] [38] und Herrn Egon Rbrgr. [Egon Rheinberger] [39].

Gruss für die Bertha [Schauer] [40] und Schwestern und für die Frau Rhbrger. [Laura Rheinberger [-Wolfinger]] [41]
in Löwen. Amen [42].  A. Rheinberger [43]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/08. Brief in Kurrentschrift. Vgl. das Schreiben der Emma Rheinberger an Alois Rheinberger vom 28.8.1905 unter LI LA AFRh Ha 18.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[5] Durchstreichung.
[6] In lateinischer Schrift.
[7] In lateinischer Schrift.
[8] In lateinischer Schrift.
[9] Seitenwechsel.
[10] Unterstrichen.
[11] Seitenwechsel.
[12] In lateinischer Schrift.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[15] In lateinischer Schrift.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] In lateinischer Schrift.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] The Lewis and Clark Centennial Exposition.
[20] In lateinischer Schrift.
[21] Seitenwechsel.
[22] In lateinischer Schrift.
[23] Heimat: Hier im Sinne von Haus oder Gut.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] In lateinischer Schrift.  
[26] In lateinischer Schrift.
[27] In lateinischer Schrift.
[28] In lateinischer Schrift.
[29] Seitenwechsel.
[30] In lateinischer Schrift.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] In lateinischer Schrift.
[33] In lateinischer Schrift.
[34] Es folgt eine Fehlstelle im Papier.
[35] In lateinischer Schrift.
[36] Diese Zeitschrift erschien zwischen 1874 und 1953, zunächst in Pomeroy, Ohio.
[37] Der Ausschnitt liegt nicht mehr bei.
[38] In lateinischer Schrift.
[39] In lateinischer Schrift.
[40] In lateinischer Schrift.
[41] In lateinischer Schrift.
[42] In lateinischer Schrift.
[43] In lateinischer Schrift.