Vertreter aller politischen Gruppierungen treffen sich auf Einladung der Regierung zu einer Lagebesprechung


Protokoll, ungez. [1]

11.10.1940

Protokoll

über die interparteiliche Sitzung vom Freitag, den 12.10.1940 nachmittags 4 Uhr.

Anwesend: Reg.Chef Dr. [Josef] Hoop, Reg.Chefstellvertreter Dr. [Alois] Vogt, Landtagspräsident [Anton] Frommelt, Rechtsagent Louis Seeger, Dr. Otto Schädler (im 2. Teil der Besprechung), Dr. Richard Meier, Dr. Martin Risch, Dr. Alfons Goop und Dr. Sepp Ritter.

Reg.Chef eröffnet die Besprechung und gibt bekannt, dass die Regierung es für zweckmässig gehalten habe, die Vertreter der in Liechtenstein bestehenden Parteien bezw. politischen Gruppen zu einer Besprechung der Lage und der Ziele der einzelnen Gruppen einzuladen. Diese Besprechung erscheine geradezu geboten durch die gereizte Stimmung der Bevölkerung, die sich durch das Erscheinen der Zeitung "Der Umbruch" noch verschärft habe. [2] Ausserdem seien durch die Schaffung einer Presse der volksdeutschen Bewegung auch aussenpolitische Rückwirkungen entstanden, die sich durch den Abzug von Geldern usw. bemerkbar machen. Die Regierung wäre deshalb dankbar, wenn die Volksdeutsche Bewegung hier klar ihre Ziele umschreiben würden, damit evtl. beruhigende Erklärungen der Öffentlichkeit abgegeben werden könnten.

Dr. Goop: Er habe eigentlich wenig zu sagen. Er möchte nur feststellen, dass die fürstliche Regierung eingeladen habe, um Landesfragen zu besprechen. Er erkundigt sich auch, wer als Vertreter der Regierung anzusehen sei.

Reg.Chef erwidert, dass er, Dr. Vogt und Reg.Rat Frommelt als Vertreter der Regierung und zugleich der respektiven Parteien anzusehen seien.

Dr. Goop: Ich sehe 2 weitere Herren hier, Dr. Richard Meier und Dr. Risch, deren Anwesenheit mir nicht klar ist.

Dr. Vogt: Die Regierung habe die Einladung an die Union, die Bürgerpartei und die Gruppe Dr. Meier und die volksdeutsche Bewegung ergehen lassen. Die Frage Dr. Goop's klinge frappierend und eher geziert, denn auch ihm seien die Ziele dieser Bewegung bekannt.

Dr. Goop erklärt sich nicht befriedigt und gibt seinem Befremden über die Anwesenheit Dr. Meier's und Dr. Risch's Ausdruck.

Reg.Chef: Die Einladung aller politischen Parteien und Gruppen und damit auch der sogenannten Gruppe Dr. Meier sei durchaus vernünftig und wenn man Landesfragen gemeinsam besprechen wolle, auch notwendig. Es könne begründeter Weise an diesem Vorgang nicht ausgesetzt werden.

Dr. Meier führt aus, dass sich seine Gruppe "Nationale Bewegung" genannt habe. Diese soll eine Brücke bilden zwischen Union und Bürgerpartei und sie sei bestimmt, alle jene Teile des Volkes zu erfassen, die heute vielleicht in einer Partei nicht mehr festen Rückhalt besitzen. Im übrigen habe die VDB von ihrer Existenz Kenntnis gehabt, denn sie seien in der letzten Nummer des Umbruch's ausdrücklich angeführt worden. [3]

Dr. Goop nimmt die Ausführungen zur Kenntnis. Die VDB solle sich nun also ausziehen. Der Zweck der heutigen Besprechung könne nur sein, die Regierung nachdrücklich zu ersuchen, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, zugleich Unordnung und Schlägereien zu verhindern und allen Gruppen die gesetzlichen Freiheiten und Rechte zu gewähren. Nachdem die VDB jedoch als letzte zu den Besprechungen eingeladen worden sei, sehe er keine Veranlassung, über die Ziele seiner Bewegung zu sprechen und er macht den Vorschlag, die Regierung, die historischen Parteien und die nationale Bewegung möchten zuerst ihr Erklärungen über ihre politischen Ziele abgeben.

Reg.Chef erklärt sich mit diesem Vorgehen einverstanden und bemerkt, dass die Regierung und die beiden Koalitionsparteien, die Bürgerpartei und die Vaterländische Union, auf dem Boden der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Landes stehen und gewillt seien, ihre Politik nach diesen Grundsätzen zu führen. Je nach den Notwendigkeiten, die sich aus den jeweiligen Verhältnissen ergäben, werde die Regierung, die Bürgerpartei und die Vaterl. Union ihre Beschlüsse über die von ihnen einzuschlagende Politik fassen und dabei nur das Wohl des Landes berücksichtigen.

Dr. Vogt: Was die Politik der Parteien anbelange, habe er den Erklärungen des Reg.Chefs nichts weiter beizufügen und schliesse sich seiner Meinung an. Für die Regierung aber wolle er noch folgendes feststellen. Die Regierung sei besorgt für restlose Disziplin und Ordnung. Sie sei bewusst, dass Reibereien, gleich von welcher Seite sie veranlasst seien und aus gleich welchem Grunde, dem Lande nur schaden, innenpolitisch wie aussenpolitisch, jetzt oder in Zukunft. Die Regierung sei gewillt, die Leitung und Führung des Landes mit dem Fürsten [Franz Josef II.] durchaus in der Hand zu behalten auch zu jenem Zeitpunkte, da eine Neuordnung Europas uns eine von gegenwärtigen verschiedene Haltung nahe legen könnte. Oberster Leiter der liechtensteinischen Geschicke sei der Fürst, auch einzig zuständig in der Führung der Aussenpolitik. Die Regierung trachte darnach, alles zu tun, um dem Fürsten seine Entscheidungen zu erleichtern und zu ermöglichen. Es könne nur Gegenwartspolitik geführt werden, wobei die Regierung entschlossen sei, alle Massnahmen zu treffen, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten und sich im Rahmen der Verfassung und der Gesetze zu bewegen.

Dr. Meier: Wir teilen den Standpunkt der Regierung und der historischen Parteien. Die Nationale Bewegung habe nur einen Zweck, die Leute zu erfassen, die von den Parteien nicht gefasst werden, möchte aber zum vorneherein gegen das Bestreben Stellung nehmen, die Liechtensteiner in 2 Klassen zu teilen, deutsche und antideutsche. Die Liechtensteiner seien alle deutsch. Auf die Akademiker, die in den verschiedenen politischen Gruppen stehen, hinweisend erklärte er, dass diese es ganz selbstverständlich gefunden hätten, in Deutschland zu studieren, dort habe man seine Verbindungen und Beziehungen, man habe die Ferien in Deutschland verbracht und so fort. Von irgend einer Gegnerschaft sei keine Spur.

Dr. Goop sagt, dass er für die VDB durchaus beruhigende Erklärungen abgeben könne. Sie gehe nur verfassungsmässig ihren Weg und werde nie einen anderen Weg gehen. Es sei Sache des Fürsten und des Volkes, die Zukunft Liechtensteins zu gestalten und wir werden uns immer den Entscheidungen des Fürsten unterstellen. Was die Zeitung betrifft, so sei eine Schädigung des Landes durch ihre Schreibweise nur möglich, wenn ihr Inhalt falsch interpretiert werde. Gegen den Vorwurf, sie seien Landesverräter, wehre er sich energisch. Sie seien ebenso gute Patrioten und Liechtensteiner, als alle anderen. Allerdings wollen sie mit einem System abfahren, das sich überholt habe. Der Kampf jedoch werde auf rein geistiger Fläche ausgetragen. Im übrigen aber lehne er es ab, über die Ziele und Arbeitsmethoden der VDB mit sich reden zu lassen, auch jeden Verschmelzungsversuch mit den Parteien weise er zurück. Er verlange volle Rechtsgleichheit für seine Bewegung. Im Interesse des Landes verlange er die Aufhebung des Versammlungsverbotes. Eine allerdings nicht aktuelle Forderung sei Reformierung der Pfadfinder, die unter englischem Einfluss stünden und dem deutschen Volke in Liechtenstein schädlich seien.

Dr. Meier vermisst in den Erklärungen von Dr. Goop das Wort Selbständigkeit und Unabhängigkeit wenigstens im politischem Sinne.

Dr. Goop Ich habe bereits ausgeführt, dass wir der Ansicht sind, dass einzig und allein der Fürst über diese Dinge zu entscheiden hat. Der Fürst wird, wenn die Zeit gekommen sein wird, die Sache selber in die Hand nehmen und mit dem Deutschen Reich die Verhandlungen führen. Wir erachten ihn als Repräsentanten unserer Aussenpolitik. Im übrigen sind wir keine Revolutionspartei.

Dr. Vogt: Ich glaube, wir müssen die Frage etwas konkreter stellen. Sie ist zwar gegenwärtig nicht aktuell, aber nachdem sie schon angezogen ist, stelle ich sie trotzdem. Wäre die VDB bereit, wenn der Fürst den Wirtschaftsanschluss macht, diesen anzuerkennen?

Dr. Goop: Selbstverständlich mit Freuden.

Dr. Meier: Wenn die VDB die Mehrheit besitzt und die Ansicht hat, dass ein wirtschaftlicher oder politischer Anschluss sich aufdränge, wird sie das in legaler Form machen?

Dr. Goop: Ja, nur mit dem Fürsten und im Rahmen der Gesetze und der Verfassung.

Frommelt: Darf ich die Frage konkret stellen?

Dr. Goop: Ich lehne Kreuzverhöre ab. Ich habe meine Erklärungen klar abgegeben.

Frommelt: Ich möchte die Frage gleichgültig, ob sie mir beantwortet wird oder nicht. Wir sollten aus dem Formalismus herauskommen. Ich frage: Ist heute der Wirtschaftsanschluss mit der Schweiz tragbar oder ist dieser Zustand zu ändern.

Dr. Goop: Unsere Statuten fordern eine Neuorientierung nach Norden. [4] Es könne sich nur fragen, wie die VDB sich gegenwärtig zu dieser Frage einstelle. Er antworte: Das sei Sache des Fürsten und des Volkes. Wenn Fürst und Volk der Ansicht sind, wird es geschehen früher oder später. Wir sind keine Putschpartei. Die VDB ist zunächst keine aussenpolitische Bewegung, sondern nur innenpolitisch. Wir haben weder in der Zeitung noch sonst einen "Sofortanschluss" an das Reich gefordert und werden es auch in Zukunft nicht tun.

Dr. Meier: Wie lässt sich ermitteln, was der Wille des Volkes ist? Durch Abstimmung?

Dr. Goop: Nein, da ist nicht mehr Zeit. Der Fürst wird den richtigen Zeitpunkt schon erkennen. Der Fürst ist halber Partner in der Ausübung der verfassungsmässigen Rechte hinsichtlich der Aussenpolitik.

Reg.Chef stellt zur Diskussion, ob irgend eine Mitteilung über die heutige Unterredung der Öffentlichkeit übergeben werden soll.

Dr. Goop ist damit einverstanden, wenn es für zweckmässig gehalten werde.

Dr. Vogt: Nicht beantwortet ist die Frage bezgl. der Pfadfinder. Ich gedenke keinen Einfluss auf die Pfadfinderbewegung zu machen, solange sie sich im Rahmen der Gesetze hält. Ich halte auch eine Reformierung nicht für notwendig, da die Organisation auf der absteigenden Linie sich bewegt.

Präsident und Dr. Schädler diskutieren weiter die Frage der Pfadfinder, die jedoch von Dr. Goop, wie schon erwähnt, als nicht aktuell bezeichnet wird.

Reg.Chef weist auf Verhältnisse zur Schweiz hin, das getrübt werden könnte durch die Arbeit der VDB.

Dr. Schädler: Wenn so ungeduldig, wie es gegenwärtig geschieht, für den Wirtschaftsanschluss an Deutschland gearbeitet werde, untergräbt man die Voraussetzungen des Zollvertrages. Er finde es nicht für notwendig, wenn gegenwärtig Unruhe in diesen Fragenkomplex hereingetragen werde. Die Neuordnung Europas komme so rasch, dass man ruhig zuwarten könne.

Dr. Vogt gibt namens der Union noch folgende Erklärung ab: Die Union ist gewillt, den bisherigen aussen- und innenpolitischen Zustand des Landes solange aufrecht zu erhalten und an der Aufrechterhaltung zu arbeiten, als dies im wirklichen Interesse des Landes liegt und betrachtet die Aufrechterhaltung dieses Zustandes als im Interesse von Liechtenstein gelegen und ist in diesem Sinn bereit, loyal mitzuarbeiten. Die Union erklärt aber auch, dass sie nicht gewillt ist, eine Politik zu führen, die gegen das Interesse des deutschen Reiches gerichtet ist und die dem Charakter unseres Volkes abträglich wäre.

Dies aus 2 Gründen:

  1. weil eine solche Politik gegen das Reich aus Vernunftsgründen abzulehnen ist und
  2. aus dem Bewusstsein heraus, dass es den Liechtensteinern mit ihrem durchaus deutschen Charakter und ihrer deutschen Abstammung nicht zusteht, eine Politik zu betreiben, die den Interessen des deutschen Volkes und seiner Gedankenwelt abträglich oder zuwider wäre.

Reg.Chef erklärt für die Bürgerpartei, dass diese ihre Einstellung zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen staatlichen Bindungen beibehalte, aber andererseits auch je und je betont habe und gewillt sei, mit dem deutschen Reiche die beste Beziehung zu unterhalten, da dies im wohlverstandenen Interesse des Fürstentums Liechtenstein gelegen sei.

Dr. Vogt empfiehlt, die gegenseitige Fühlungnahme aufrecht zu erhalten und meint, einstweilen von Erklärungen in der Presse absehen zu wollen.

Frommelt befürwortet ebenfalls weitere Konferenzen, womit sämtliche Anwesenden einverstanden sind.

Reg.Chef bittet die Vertreter der VDB, alles zu unterlassen, was eine Trübung des Verhältnisses zur Schweiz bedeuten könnte.

Dr. Goop erklärte sich damit einverstanden, was die VDB allerdings nicht hindern könne, über die wahren Verhältnisse in Deutschland und Liechtenstein zu schreiben.

Dr. Vogt wünscht, dass die Schweiz u. v.a. schweiz. Behörden Einrichtungen ausserhalb der Diskussion gelassen werde, womit Dr. Goop ebenfalls einverstanden ist.

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[1] LI LA J 007/S 078/358/044. Das Protokoll ist datiert auf Freitag, 12.10.1940. Der 12.10.1940 war jedoch ein Samstag, die Sitzung dürfte somit am 11.10.1940 stattgefunden haben. 
[2] Die Erstnummer des "Umbruchs" erschien am 5.10.1940.
[3] Umbruch, Nr. 1, 5.10.1940, S. 1 ("Umbruch und Neuordnung!").
[4] LI LA J 007/S 078/358/Beilage zu 033.