Die Hofkanzlei fragt an, ob die österreichische Regierung mit der Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien einverstanden ist


Note der Hofkanzlei, gez. Hermann von Hampe, Leiter der Hofkanzlei, an das Staatssekretariat des Äussern (das deutschösterreichische Staatsamt für Äusseres) in Wien (Kopie zuhanden der Regierung) [1]

26.4.1919, Wien

Unter Bezugnahme auf die beiden mündlichen Unterredungen, die im Auftrage Seiner Durchlaucht, des regierenden Fürsten Johannes II. von Liechtenstein, Seine Durchlaucht Dr. Prinz Eduard Liechtenstein mit dem Herrn Unterstaatssekretär Minister a.D. Dr. [Franz] Klein zu führen die Ehre hatte, beehrt sich die fürstliche Hofkanzlei Nachstehendes dem geehrten Staatssekretariate zur Kenntnis zu bringen.

Im Herbste 1918 trat als unvermeidliche Folge der in Österreich-Ungarn und Deutschland erfolgten politischen Umwälzungen auch im Fürstentum Liechtenstein eine Strömung zu Tage, welche auf eine demokratischere Gestaltung der Verfassung und mancher bestehender Einrichtungen gerichtet war. Seine Durchlaucht, der regierende Fürst begegnete diesen Wünschen mit weitgehendstem Wohlwollen und entsandte seinen Neffen, den Prinzen Karl von und zu Liechtenstein zwecks Einleitung entsprechender Verhandlungen in das Fürstentum. Eines der Hauptdesiderata des Landes bildete das unter dem Schlagworte "Liechtenstein den Liechtensteinern" in der Öffentlichkeit und in den Liechtensteinischen Zeitungen immer wieder zum Ausdrucke kommende Bestreben, die Liechtenstein’sche Verwaltung und Rechtssprechung vollkommen selbständig im Lande auszugestalten und die Souveränität des Landes mehr zur Geltung zu bringen. Insbesondere der seit Jahren bestehende Gebrauch der Betrauung eines ehemaligen österreichischen Staatsbeamten mit dem Posten eines Landesverwesers sollte eine Abänderung erfahren. Als Ergebnis der gegenständlichen Besprechungen [2] sicherte der Fürst dem Lande die künftige Ernennung des Landesverwesers als obersten Chef der Regierung im Einvernehmen mit dem Landtage zu und erfolgte über Wunsch des Landes die Betrauung des Prinzen Karl mit diesem Posten. [3] In gleicher Weise gewährte der Fürst dem Landtage das Recht, die bisher von ihm ernannten zwei Regierungsräte, welche dem Landesverweser als Regierungsorgane zur Seite stehen, aus sich zu wählen. Der von der Minorität ausgesprochene Wunsch, dass die drei vom Fürsten ernannten Mitglieder des 15köpfigen Landtages in Hinkunft entfallen sollten, fand nicht die Zustimmung der Majorität, es wurde jedoch die Angelegenheit dahin geordnet, dass in Hinkunft diese Ernennung von Abgeordneten auf Grund eines durch kollegialen Beschluss der Regierung dem Landesfürsten gemachten Vorschlages zu erfolgen habe. In den allerletzten Tagen hat der Landtag einer heute eingelangten Nachricht [4] zufolge beschlossen, dass künftighin der Landtag unter Voraussetzung des Einverständnisses Seiner Durchlaucht des Fürsten aus zwei vom Landesfürsten ernannten, sowie 13 vom Volk zu wählenden Abgeordneten bestehen solle, einem Wunsche, den der Fürst zweifellos gewähren wird. Die von einzelnen Abgeordneten gewünschte Herabsetzung der Wahlfähigkeit und Grossjährigkeit auf 21 Jahre wurde unterdessen mittelst Volksabstimmung vom 2. März 1919 abgelehnt. [5] Anlässlich der Beschlussfassung über die Grundlinien der in Ausarbeitung befindlichen Verfassungsänderungen für das Fürstentum hat der Landtag auch beschlossen, dass bei Anstellung von Beamten künftig der Grundsatz zur Anwendung kommen möge, dass der Bewerber die liechtensteinische Staatsbürgerschaft besitze. [6]

Die Vertretung der diplomatischen Interessen des Fürstentumes wurde, wie dem geehrten Staatssekretariat bekannt ist, bisher vom k.u.k. österr.-ung. Ministerium des Äussern übernommen, wie ja auch die k.u.k. auswärtigen Vertretungen den Angehörigen des Fürstentums diplomatischen und konsularischen Schutz Österreich-Ungarns gewährten. Nachdem die österreichisch-ungarische Monarchie in eine Reihe von Teilstaaten zerfallen ist, bedarf diese Angelegenheit ebenso wie eine Reihe anderer, durch welche das Fürstentum staatsrechtlich und wirtschaftlich in engster Verbindung mit der bestandenen Monarchie gestanden ist, einer neuerlichen Regelung. Die Vertretung dieser Angelegenheiten erfolgte bisher durch die fürstliche Hofkanzlei in Wien. Es entsprach dies jedoch mehr einem Usus als der Verfassung des Landes, da ja die Hofkanzlei verfassungsgemäss keine verwaltungsrechtliche Funktion besitzt, sondern lediglich vielmehr ähnlich der Kabinettskanzlei des früheren Kaisers von Österreich die oberste Hofbehörde des souveränen Fürsten und Verwaltungsamt seines in Österreich gelegenen Besitzes ist, und die Vertretung des Landes nach aussen dem mit Ministerverantwortlichkeit versehenen Chef der Regierung, dem Landesverweser obliegt.

Es macht sich daher der Wunsch nach der Schaffung einer diplomatischen Vertretung in Wien und damit zugleich auch bei jenen Regierungen, in deren Territorien das Fürstentum, beziehungsweise sein Souverän besondere wirtschaftliche Interessen besitzen, also Prag und Bern, immer mehr geltend.

Die fürstliche Hofkanzlei beehrt sich daher die ergebene Anfrage zu stellen, ob es der geehrten deutschösterreichischen Regierung genehm wäre, wenn Seine Durchlaucht, der regierende Fürst von Liechtenstein in Wien eine fürstliche Gesandtschaft errichten würde, welche die Aufgabe hätte, die bisher von der fürstlichen Hofkanzlei geführten diplomatischen Verhandlungen mit der deutschösterreichischen Regierung über die Deutschösterreich und dem Fürstentum gemeinsamen Fragen zu führen. Die fürstliche Hofkanzlei erlaubt sich mit Beziehung auf den in den obbezogenen Unterredungen von Herrn Dr. Klein vertretenen Standpunkt ausdrücklich zu betonen, dass der betreffende Gesandte weder mit der Verwaltung des fürstlichen Vermögens in Österreich, noch mit der Führung von Verwaltungsgeschäften des Landes in der bei der Hofkanzlei ihren Sitz habenden fürstlichen politischen Rekursinstanz, beziehungsweise dem fürstlichen Appellationsgerichte befasst wäre, sondern ihm lediglich die diplomatische Vertretung des Landes und seines Souveräns zu obliegen hätte.

Nach Einlangen der prinzipiellen Zustimmung der geehrten deutschösterreichischen Regierung zu vorliegendem Vorschlage [7] wird die fürstliche Hofkanzlei sich erlauben, um das Agrément für die in Frage kommende Persönlichkeit anzusuchen.

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[1] LI LA SF 01/1919/ad 17. Aktenzeichen der Hofkanzlei: Nr. 4981. Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: Nr. 3/2 vom 26.IV.19. Die Abschrift, die der Regierung durch die Hofkanzlei mit Begleitschreiben vom 26.4.1919 übermittelt wurde (LI LA SF 01/1919/017), wurde vom Empfänger mit zahlreichen Anstreichungen und Korrekturen versehen. Eine weitere Kopie der Note unter LI LA V 003/1165.
[2] Prinz Karl verhandelte vom 6.-9.12.1918 mit Landtagsvertretern. Als Ergebnis resultierte ein 9-Punkte-Programm, das am 10.12.1918 vom Landtag beschlossen wurde (LI LA SF 01/1918/044, Landtagspräsident Albert Schädler an Prinz Karl, 10.12.1918). Johann II. erteilte den Landtagsbeschlüssen am 13.12.1918 die Zustimmung (LI LA RE 1918/5491 ad 4851, Johann II. an Landtag, 13.12.1918).
[3] Prinz Karl wurde von Johann II. am 13.12.1918 zum Landesverweser ernannt (LI LA SF 01/1918/039, Kundmachung, 13.12.1918; LI LA RE 1918/5491 ad 4851, Johann II. an Landtag, 13.12.1918).
[4] LI LA LTA 1919/S04, Landtagsbericht über die Sitzung vom 16.4.1919.
[5] Die Vorlage über die Herabsetzung des Grossjährigkeits- und Wahlfähigkeitsalters wurde mit 44 % Ja gegen 56 % Nein verworfen.
[6] LI LA SF 01/1918/044, Landtagspräsident Albert Schädler an Prinz Karl, 10.12.1918.
[7] Österreich stimmte der der Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien am 2.5.1919 grundsätzlich zu (LI LA LI LA V 003/1165, Note des deutschösterreichischen Staatsamts für Äusseres an die Hofkanzlei, 2.5.1919).