Gegen die Rotter-Attentäter Peter Rheinberger, Rudolf Schädler, Eugen Frommelt und Franz Roeckle wird Anklage erhoben


Anklageschrift des ausserordentlichen Staatsanwaltes Dr. Josef Lenzlinger [1]

4.5.1933

An das fürstlich liechtensteinische Kriminalgericht in Vaduz

Der Unterfertigte erhebt hiemit als a.o. Staatsanwalt des Fürstentums Liechtenstein vor dem fürstl. Kriminalgericht gegen

1.) Rheinberger Peter, des Egon und der Marie geb. Schädler, geboren am 18. Januar 1913 in Vaduz, dort zuständig, Student, katholisch, ledig, nicht vorbestraft,

2.) Schädler Rudolf, des Dr. Rudolf und der Marie geb. Marxer, geboren am 31. März 1903 in Vaduz, dort zuständig, Hotelbesitzer in Vaduz, katholisch, ledig, nicht vorbestraft,

3.) Frommelt Eugen, des Johann und der Luise geb. Allgäuer, geboren am 18. September 1907 in Rankweil, zuständig nach Ruggell, Chauffeur in Vaduz, katholisch, ledig, unbescholten,

4. Röckle Franz, des Baptist und der Isabella geb. Seger, geboren am 15. Dezember 1879 in Vaduz, zuständig nach Vaduz und Frankfurt a.M., Architekt in Frankfurt a.M., katholisch , verheiratet, nicht vorbestraft,

sämtliche derzeit in Vaduz in Haft, die

Anklage:

1.) Rheinberger habe ohne Vorwissen und Einwilligung der rechtmässigen f.l. Obrigkeit am 5. April lf. J. auf Gaflei sich der Brüder Alfred [Schaie] und Fritz Schaie, genannt Rotter, der Ehefrau des Alfred Schaie [Gertrud Schaie] und der Witwe Julie Wolf durch List und Gewalt zu bemächtigen versucht, um die drei erstgenannten Personen wider ihren Willen der deutschen Strafjustiz, der sie sich durch Flucht wegen Konkursverbrechens entzogen hatten, mithin einer auswärtigen Gewalt, zu überliefern, und er habe zum gleichen Zwecke eine deutsche Angriffsgruppe vorsätzlich veranlasst, zur Ausführung der Straftat und zu deren sicherer Vollstreckung mitzuwirken.

Rheinberger habe sich dadurch der Täterschaft, sowie zur Anstiftung zum Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch versuchten Menschenraub im Sinne von §§ 90, 8, 5 [StG] [2] schuldig gemacht und sei gemäss §§ 91, 54 StG und Art. 31 Ziff. 9 der Novelle vom 1. Juni 1922 betr. Abänderung des Strafrechts, der Strafprozessordnung und ihrer Nachtrags- und Nebengesetze zu bestrafen. [3]

2.) Schädler habe die sub Ziff. 1 geschilderte Straftat des Mitbeklagten Rheinberger und der deutschen Überfallsgruppe durch Anraten und Unterricht eingeleitet, den Mitbeklagten Frommelt und die deutsche Angriffsgruppe vorsätzlich zur Ausführung und Mitwirkung veranlasst und zur Ausführung des Deliktes durch die eigene Organisierung des Angriffs, durch das Gewähren des Verstecks der Angreifer in dem ihm gehörenden Kurhaus Gaflei, durch Mitnahme von Betäubungsmitteln, durch Transport der Deliktsobjekte an den Überfallsplatz Vorschub gegeben, Hilfe geleistet und zur sicheren Vollbringung beigetragen.

3.) Frommelt habe durch Auskundschaftung der Fahrverhältnisse am Überfallsort am Vortage der Tatausführung, durch Begleitung des Beklagten Schädler an die Grenzposten von Tisis und Lindau zwecks Erkundigung über freien Durchgang des Transportes der Opfer durch Österreich, durch Begleitung Schädlers am 5. April nach Gaflei, durch Anwesenheit bei der dortigen Orientierung der deutschen Überfallsgruppe und durch Postenstehen beim Überfall, durch die Übernahme der Rolle des Hilfs-Chauffeurs zu der sub Ziff. 1 erwähnten Straftat Rheinbergers und seiner deutschen Mittäter Vorschub gegeben, Hilfe geleistet und zu ihrer sicheren Vollstreckung beigetragen.

4.) Röckle habe durch Anraten, Unterricht und Lob die in Ziff. 1 erwähnte Straftat eingeleitet und sie vorsätzlich veranlasst, indem er mit Schädler und Rheinberger das Delikt besprach, dazu ermunterte, moralische Bedenken des Mitbeklagten Schädler zerstreute und zur Auswahl geeigneter Hilfskräfte mahnte.

Schädler, Frommelt und Röckle haben sich dadurch der Teilnahme am Verbechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch versuchten Menschenraub, und zwar Schädler als Anstifter und Gehilfe, Frommelt als Gehilfe, Röckle als Anstifter, im Sinne von §§ 90, 8, 5 StG schuldig gemacht und seien gemäss §§ 91, 54 StG und Art. 31 Ziff. 9 der Novelle vom 1. Juni 1922 betr. Abänderung des Strafrechts, der Strafprozessordnung und ihrer Nachtrags- und Nebengesetze zu bestrafen.

Beantragt wird die Vorladung der Zeugen bzw. Privatbeteiligten:

Schaie Fritz in Vaduz,

Wwe. Julie Wolf geb. Sadavker in Vaduz.

Zur Verlesung wird beantragt:

ONr. 2, 3, 9, 13, 17, 18, 19, 25, 26, 33, 44, 45, 56, 58, Einvernahme Rheinberger zu Akt. ad 58, 60, 61, 69, und zu 69, 76 bis 78, 79, 80, 82, 89, 90. [4]

Begründung:

I. Tatbestand

Im Oktober 1931 wurden die Gebrüder Fritz und Alfred Schaie, genannt Rotter, in Mauren eingebürgert, nicht ohne dass zuvor Informationen über ihren Leumund eingeholt worden waren, welche günstig gelautet hatten. Sie galten als Grossunternehmer auf dem Gebiete des Theaterwesens in Berlin.

Im Januar l.J. machten sich die beiden Schaie in Berlin, ihrem geschäftlichen Wirkungskreis, flüchtig unter Hinterlassung einer grossen Schuldenlast. Beide flohen in ihren Bürgerstaat Liechtenstein und hielten sich seither im Waldhotel in Vaduz auf. Das Amtsgericht Berlin-Mitte erliess gegen sie einen Haftbefehl wegen Konkursverbrechens und ebenso erging ein Haftbefehl gegen Gertrud Schaie geborene Leers wegen Beihilfe zum Konkursverbrechen. Der Unterfertigte stützt sich mit dieser Feststellung auf das Deutsche Kriminalpolizeiblatt, herausgegeben vom Polizeipräsidium Berlin, vom 27. Januar 1933, No. 1462, Ziff. 18, und vom 1. März l.J., No. 1490 Ziff. 13.

Die Domizilnahme der drei gesuchten Personen in Vaduz blieb der deutschen Justiz und Polizei nicht unbekannt. So findet sich in der zitierten Ausschreibung vom 1. März 1933 der Passus: "Sie (sc. Frau Schaie) ist mit Alfred und Fritz Schaie gen. Rotter in Vaduz in Liechtenstein. Sie soll von Vaduz ständig in die Schweiz nach Buchs und Zürich fahren, um von den Banken Geld zu holen." An das Fürstentum Liechtenstein wurde aber bis zur Stunde dieser Anklage-Erhebung kein Gesuch um Verhaftung oder um Übernahme der Strafverfolgung unter Delegation des deutschen Strafanspruches gestellt. Bis jetzt sind die Gründe dieses Verhaltens der deutschen Justiz nicht bekannt geworden. Sei es, dass sie zunächst selbst in Berlin, dem Zentrum des angeblichen deliktischen Wirkungskreises der Brüder Schaie, ein naturgemäss weitschichtiges Ermittlungsverfahren durchführen wollte, um erst später unter Vorlage eines bereits gesichteten Untersuchungsmaterials mit dem Gesuch um Übernahme der Strafverfolgung an das Fürstentum Liechtenstein heranzutreten, sei es, um die eigene Kontumazialbeurteilung der Schuldigen einer fremdländischen Abwandlung des Straffalles vorzuziehen, oder sei es, um die Angelegenheit zu sistieren in der Erwartung, die Ausgeschriebenen werden mit der Zeit gelegentlich schon aus ihrem geographisch engen liechtensteinischen Versteck herauskriechen und hierauf in Deutschland vor Schranken gezogen werden können, amtsnotorisch ist und die Tatsache besteht, dass das Fürstentum Liechtenstein bis zur gegenwärtigen Stunde nicht um internationale Rechtshilfe in irgendwelcher Form angegangen wurde. So erklärt sich juristisch einwandfrei die Erscheinung, dass die Schaie in Liechtenstein nicht in Haft genommen wurden, sondern sich dort frei bewegen konnten. Es ist diese Tatsache von Belang, weil sie den da und dort von einem Teil der Beklagten erhobenen Anwurf (siehe besonders Akt. 43) widerlegt, als ob das Fürstentum Liechtenstein die schützende Hand über das Rechtsbrechertrio habe halten wollen.

Diese durch die Konstellation der Dinge bedingte Freiheit der Schaie sollte ihnen zum Verhängnis werden!

Motiv und Plan der Angeklagten war es nämlich, sich der Brüder und der Frau Schaie gewaltsam zu bemächtigen und sie mit Brachialgewalt den deutschen Strafbehörden zuzuführen. Die Täter waren teils Angehörige des Fürstentums Liechtenstein, teils deutsche Reichsbürger. Erstere wollen die Tat begangen haben, um ihr Land von drei lästig fallenden Elementen, die das Ansehen Liechtensteins geschädigt haben sollen, zu säubern. Die deutschen Teilnehmer wollen sich bei der geplanten Verschleppung beteiligt haben, um der sühneheischenden Gerechtigkeit zu dienen. Weniger reine Tatmotive lehnen die Beklagten ab, insbesondere bestreiten sie, dass irgendwelche Hoffnung auf eine Prämie für die Ergreifung der Beweggrund ihres Verhaltens war. In den beiden zitierten deutschen Kriminalpolizeiblättern ist auch keine Prämie für die Festnahme ausgesetzt. Einzig beim Beklagten Schädler als Kurhausbesitzer soll sekundär mitbestimmend gewesen sein die lt. Akt. 85 wohl nicht ganz unbegründete Furcht, es könnte der deutsche Fremdenverkehr nach Liechtenstein bei weiterer Beherbergung der Schaie im kommenden Sommer erheblich leiden.

Die Tatausführung geschah am 5. April 1933. Zunächst nur ganz summarisch skizziert war der Gang der kritischen Geschehnisse folgender:

Die Brüder Schaie alias Rotter, die Frau des Alfred Schaie und Wwe. Julie Wolf wurden, nachdem die Tatausführung von den Beklagten in allen Einzelheiten zuvor besprochen und organisiert worden war, vom Beklagten Schädler, der zuvor ihr Vertrauen erschlichen hatte, mit dem Kraftwagen nach Gaflei hinaufgeführt, woselbst der Beklagte Rheinberger und Frommelt mit einer geworbenen deutschen Gruppe zum Überfall bereitstunden. Kaum entstiegen die Opfer auf Gaflei dem Wagen, stürzte sich die deutsche Gruppe aus dem Versteck. Die Angegriffenen sollten mittelst Gaspistolen betäubt werden, um ihnen hernach widerstandslos Handschellen anlegen und sie fesseln zu können. Dann sollten sie in den bereitstehenden deutschen Kraftwagen geschleppt und auf dem kürzesten Weg über Österreich nach Deutschland verbracht werden. Wegen Funktionsstörung der Gaspistolen gelang die Betäubung nicht. So kam es zum Handgemenge, bei welchem die Brüder heftigsten Widerstand leisteten und auch vom Stock Gebrauch machten.

Fritz Schaie schildert in Akt. 25 den ihm geltenden Angriff wie folgt: [5]

"... Schon vor der Wagen stillstand, sprangen hinter dem ersten Haus Männer hervor, hielten Revolver hoch und riefen: "Hände hoch, wir schiessen!" Sie haben auch gleich geschossen, ich weiss jedoch nicht mit was.

Ich glaube mit irgend einem Pulver, denn es schmerzten mich die Augen noch den ganzen Tag. Es entstand dann ein Handgemenge, da wir uns wehrten und wie wild mit den Fäusten um uns schlugen. Im Verlauf dieses Gemenges wurde ich abgedrängt, man schleppte mich in einen Vorraum vor dem Saal und hier ging die Keilerei von Neuem los. Sie kamen mit Handschellen und wollten mich fesseln, die Hände auf den Rücken bringen, das gelang ihnen jedoch nicht vollständig. Sie konnten mir zwar die Handschelle um die rechte Hand bringen, die zweite Handschelle hing daran. Sie konnten mich nicht fesseln, weil ich mich immer noch wehrte. Als ich noch einige feste Hiebe gegen die Stirne bekommen hatte, sodass ich blutete, fuhr ein Auto vor mit deutschen Nummern und der Chauffeur sagte einsteigen. Es war gut, dass sie gingen, denn ich war am Ende meiner Kräfte.

Nach einiger Zeit kam dann Schädler und gab sich den Anschein, als wollte er sich um mich bemühen. Ich fragte zunächst, wo der Bruder und die Schwägerin und die Frau Wolf seien. Er erklärte, die seien în Sicherheit, er habe schon der Polizei telephoniert.

In dem Auto von Schädler lag noch der Mantel meiner Schwägerin, ich glaubte ihm deshalb eher. Da half er mir einsteigen und sagte, er wollte mich nach Vaduz bringen, ich sagte, es genüge nach Masescha, dort könne man schon Hilfe bekommen, damit war er einverstanden. Er fuhr dann schnell abwärts, in Masescha fuhr er mit rasendem Tempo vorüber, ich sagte, "um Gotteswillen, halten sie doch", er meinte, er könne nicht, sonst würden wir verunglücken. Er hatte offenbar Angst, weil ich hinter ihm sass. Richtiger sagte er, wenn sie mir etwas tun, dann verunglücken wir. Dann kam der andere Wagen wieder in Sicht, da habe ich dann die Nummer des Wagens feststellen können. Dann kamen wir in das Waldi, er fuhr dort mit dem gleichen schnellen Tempo vorüber, dort arbeiteten 3 Männer auf der Strasse, das gab mir den Mut, die Türe des Wagens aufzureissen und aus dem fahrenden Wagen hinauszuspringen. Dabei stürzte ich und schlug mir die linke Achsel entzwei. Ein Fräulein Schauer hat das vom Waldi aus gesehen und war mir behilflich. Dann habe ich mich im Haus gewaschen und wie ich mich dann etwas erholt hatte, habe ich dann telephoniert. Es galt dies auch meinem Bruder, der Schwägerin und der Frau Wolf, es wurde mir klar, dass diese nicht in Sicherheit seien, da es jetzt offenbar war, dass Schädler mit den andern im Bunde war.

Seltsamerweise konnte er jetzt 50 - 100 Meter vom Waldi weg anhalten.

Er kam auch ins Haus hinein und sagte, er brächte jetzt Hilfe. Er fuhr dann wieder Gaflei zu und nach kurzer Zeit wieder mit einem Herrn rasenden Tempos abwärts, ohne beim Waldi zu halten.

Ich werde die einzelnen Leute, die uns überfallen haben, wieder erkennen, besonders diejenigen mit denen ich gekämpft habe und gegen deren Waffen ich mich gewehrt hatte. Jeder hatte irgend etwas in der Hand, einen Schlauch, eine Handschelle, eine Pistole oder auch Stricke. Einer wollte mir auch ein Tuch in den Mund stecken."

Frau Julie Wolf berichtet über den gegen sie gerichteten Angriff in Akt 26:

"Ich sass rückwärts in der Mitte im Wagen. Der Wagen fuhr in Gaflei vor; wie er stille stand, kamen mehrere Männer auf den Wagen. Sie haben auch geschossen, sie hatten kleine Pistolen und schossen daraus. Weil ich in der Mitte im Wagen sass, war ich die letzte beim Aussteigen. Ich bin dann gleich geflohen. Das Haus war rechts und ich bin links ausgestiegen und weggelaufen. Ein Mann lief mir nach und hielt mir eine kleine Pistole vor das Gesicht. Ob er geschossen hat, weiss ich nicht. Ich habe ein Geräusch allerdings gehört, ich habe am linken Auge auch eine Verletzung, doch weiss ich nicht, ob der Mann mir sie zugefügt hat. Es ist auch möglich, dass er mir den Revolver ins Gesicht gestossen hat, ob er aber wirklich gestossen hat, weiss ich nicht.

Ich fiel zur Erde, da lief der Mann fort, wieder dem Hause zu.

Ich sah nun, dass Alfred Rotter und seine Frau vor der Türe des Hotels sich wehrten und dann frei kamen. Ich sah inzwischen einen andern Mann kommen und wie dann Alfred Rotter und seine Frau bei mir waren, schrien wir um Hilfe und gingen auf den Mann zu. Der trug ein Zeissglas umgehängt. Ich hatte eine schwarze Jacke in der Hand. Wir schrien um Hilfe, er zog mich an der Jacke und sagte, kommen Sie doch eben mit oder so ähnlich. Er musste sehen, um was es sich handle, er sah, dass wir flohen und dass Rotter am Halse blutig war. Ich liess dann die Jacke laufen und wir flüchteten weiter abwärts. Der genannte Mann war etwas älter als der erste. Er trug einen Hut und ging langsam wie ein Spaziergänger. Er kam nicht am Wege selbst, sondern oberhalb des Weges. Die zwei Rotters [6] liefen dann vor mir her bergab. Wir getrauten uns nicht, der Strasse nach zu gehen, weil wir dachten, es kämen noch andere Männer, oder die andern könnten uns wieder nachgehen. Es war dort sehr steil und ich ging immer auf die Bäume zu, um mich halten zu können. Ich kam so mehr nach rechts und die beiden Rotters mehr nach links, ich habe dann noch gesehen, wie Alfred Rotter den steilen Hang hinuntergerollt ist und mir war auch, als hätte ich die Frau Rotter schreien hören, dann sah ich sie nicht mehr und ich selbst bin dann gestürzt. Ich weiss nicht, ob ich ohnmächtig war oder nicht, aber ich sah dann einen kleinen Weg, der aufwärts ging. Es kamen dann zwei junge Leute, ein Herr und eine Dame. Ich hatte auch einen Schuh verloren. Sie stützten mich und halfen mir. Der Herr hat mich dann auch teilweise getragen. Sie haben mich dann auf die Samina gebracht.

Mehr kann ich nicht sagen, es ging alles so schnell und dazu kam die Angst, dass wir verfolgt wurden.

Alfred Rotter war am Halse, wie ich schon gesagt habe, verletzt, es war alles voll Blut, die Frau war totenblass, ob sie verletzt wurde, weiss ich nicht, gesehen habe ich nichts davon.

Ich bin am ganzen Körper verletzt und es ist wohl fast ein Wunder, dass ich am Leben geblieben bin."

Alfred Schaie und seine Frau konnten im Gedränge, und weil wegen der Hilfeschreie Uneingeweihte herzukamen, sodass die deutsche Gruppe sich zur Flucht veranlasst sah, den Angreifern entwischen. Sie flüchteten in grossem Schrecken einen benachbarten steilen Abhang hinunter, kamen zu Sturz und ins Rollen, verloren Geld und Notizbüchlein und stürzten über einen Felsen in eine Rüfe hinunter, wo sie als Leichen gefunden wurden (Akt. 5, 6).

Die Totenschau ergab lt. Akt 18 folgende Verletzungen: [7]

Frau Schaie:

"Ausgedehnte Quetschungen an beiden Armen und Beinen, besonders an den Hüften beiderseits.

Mehrere Quetschwunden im Gesicht, ferner in der behaarten Kopfhaut, neben einer kleineren Quetschwunde eine ganz grosse, verlaufend vom Hinterkopf bis vorn auf der Stirn. Die Wunden klaffen, der Schädel liegt zum Teil bloss. Eine Fraktur des Schädelknochens ist nicht nachweisbar. Frakturen an Brust und Extremitäten sind nicht vorhanden.

Todesursache dürfte vermutlich eine schwere Gehirnschädigung sein, sei es eine schwere Gehirnerschütterung oder eine Blutung."

Alfred Schaie:

"Linke Toraxhäfte ist eingesenkt. Mehrere Rippen auf der linken Seite sind frakturiert. Am Kopfe und im Gesicht sind ausgedehnte Schürfungen und an der behaarten Kopfhaut eine Quetschwunde. Schürfungen am ganzen Körper, an den Extremitäten und am Rücken besonders.

Schussverletzungen sind nicht vorhanden.

Hier ist die Todesursache zweifellos in der Toraxverletzung und Schädigung der Lunge und des Herzes zu suchen. Diese Verletzung dürfte sofort zum Tode geführt haben.

Nach der ganzen Lage ist es sicher, dass die Beiden über den Felsen herunter gestürzt sind und an der steilen Halde noch weiter gestürzt sind und dass sie sich dabei diese Verletzungen, die zum Tode führten, zugezogen haben.

Die Frau hätte vielleicht, wenn sie frühzeitig gefunden worden wäre, gerettet werden können."

Ausnahmslos bestreiten die Beklagten, eine tödliche Waffe besessen und gebraucht zu haben. Lt. Beilage zu Akt. 69 wurden in ihrem Besitz vorgefunden: 2 Gaspistolen, ein kleiner Karton mit 4 Reservegaspatronen "Lacrimae-Spezial", eine Injektionsspritze und eine Schachtel beinhaltend 8 Phiolen mit der Aufschrift "Sterile Lösungen in Ampullen zur subcutanen Injektion" und mit der Aufschrift "Morph. hydrochloric 0.02".

Es fehlt ein prozedurlicher Nachweis, dass Alfred Schaie und seine Frau bei ihrer tödlichen Flucht, nachdem sie den Angreifern ausreissen konnten, von letzteren noch immer verfolgt worden waren. Vielmehr muss angenommen werden, dass sie zur Zeit des verhängnisvollen Sturzes über den Felsen keine Verfolger hinter sich hatten. Aber die durch den massiven Überfall verursachte Panik witterte wohl Verfolger, und diese Panik trieb sie in raschem Tempo blindlings den Abhang hinunter und dem Tode entgegen. Nach der Darstellung der sämtlichen Beklagten war auch weder eine Tötung noch auch bloss eine schwerere Körperverletzung geplant, sondern lediglich Verschleppung nach Deutschland. Gewalt sollte ausschliesslich im Umfang des Widerstandes angewendet werden.

Nach dem Misslingen ihres Planes flohen die Teilnehmer Rheinberger, Witt, Trommetter, Graetz, Lehmann und Wieser mit dem Kraftwagen nach Österreich, um schleunigst die deutsche Grenze zu erreichen. Sie wurden aber festgenommen. Das anfänglich gestellte Auslieferungsbegehren an Österreich wurde bezüglich der dort inhaftierten deutschen Mitbeteiligten lt. Akt. 54, 56, 60 zurückgezogen, nachdem die Staatsanwaltschaft Konstanz das Strafverfahren gegen die deutschen Beteiligten durchzuführen versprach und auch bereits einleitete. Einzig Rheinberger wurde als Bürger des Fürstentums Liechtenstein von Österreich nach Vaduz ausgeliefert. Die einheimischen Beklagten mit Einschluss Röckles wurden hier verhaftet.  

Innerhalb dieses nur in den grossen Umrissen geschilderten, allgemeinen Tatbestandes war die Anteilnahme und die Rolle der einzelnen Beklagten, welche durch die fürstl. liechtensteinischen Gerichte beurteilt werden, in den Details folgende:

1.) Rheinberger Peter. Er ist zuständig nach Vaduz, studierte jedoch in Konstanz. Hieraus ergab sich seine Stellung des Mittelmannes zwischen den Arrangeuren in Liechtenstein und der deutschen Ausführungs- und Überfallsgruppe. Der Beklagte schildert seine Rolle in der Beilage zu Akt. ad 58:

"Der Entführungsplan ging einzig und allein von mir und meinem Onkel Rudolf Schädler, Besitzer des Hotels Gaflei, aus. Genau so wie alle übrigen anständigen Leute, die seit längerer Zeit von der Regierung in Liechtenstein geduldete, ja sogar geförderte Invasion von Verbrechern, Steuerflüchtlingen - meist jüdischer Herkunft - ein böser Dorn im Auge ist, so empörte diese Tatsache auch meinen Onkel und mich schon vor langer Zeit und wir empfanden es als arge Verletzung unseres Heimatgefühles, solchen Elementen überhaupt nur die Möglichkeit der Einbürgerung zu geben. Die Sache wurde im Jänner durch die Aufnahme der Rotter in den liechtenstein'schen Heimatverband auf die Spitze getrieben und nationales Empfinden und Liebe zur Heimat - Liechtenstein ist doch ein deutsches Fürstentum - quälten uns und trieben uns, durch eine kühne Tat diesem vor dem Volke nicht zu verantwortenden Treiben ein Ende zu setzen. So entschlossen Schädler und ich mich, die Brüder Rotter, diese Betrüger, zu packen und über die Grenze zu stellen, einerseits um diese unsauberen Elemente wieder aus dem Lande zu haben, anderseits um diese Feiglinge vor Gericht zu bringen, damit sie ihrer verdienten Strafe zugeführt werden! Wie gesagt, beschäftigte uns dieser Plan schon länger. Es war uns natürlich vorweg klar, dass die Durchführung ausserordentlich schwer sein wird, da wir wussten, dass diese Leute nur zu sehr auf ihre persönliche Sicherheit bedacht sind und keinen Schritt machen, ohne sich vorher zu vergewissern, ob die Luft wohl rein sei. Gerade in letzter Zeit waren sie doppelt vorsichtig, weil es ihnen zweifellos wiederholt schon zu Ohren gekommen war, dass der grösste Teil der Bevölkerung gegen sie eingestellt ist.

Wir hatten, was ich vorweg betone, nicht die Absicht, den Leuten ein Leid zuzufügen, sondern unser Plan ginge eben dahin, sie so sanft es eben ging, aus Liechtenstein hinauszubefördern!

Wider Erwarten ergab sich für uns plötzlich eine günstige Gelegenheit zur Durchführung des Planes. Am 3. 4. hatte mein Onkel im Waldhotel, woselbst die Brüder Rotter wohnten, geschäftlich zu tun. Bei dieser Gelegenheit lernten wir (mein Onkel und ich) diese Leute kennen und die Brüder Rotter erklärten meinem Onkel, sie hätten Interesse, das Hotel Gaflei zu besichtigen, da sie die Absicht haben, im Sommer einige Zeit im Hotel zu bleiben. Es wurde der Ausflug auf den ersten schönen Tag festgelegt. Und zudem wurde vereinbart, dass Schädler die Leute mit seinem Wagen zum Hotel führt. Schädler und ich legten uns dann sogleich den Entführungsplan zurecht, wie er nachträglich zur Durchführunbg gelangen sollte. Da ich in Konstanz studiere und dort eine Reihe bekannter Leute unter den Nationalsozialisten habe, fuhr ich am 4.4. nach Konstanz, um einige Leute zur Teilnahme zu werben. In Konstanz traf ich meinen Verbindungsbruder Götz, den ich damals erstmals in meinen Plan einweihte, und der gleich bereit war, mitzuhalten. Auch die übrigen Teilnehmer warb ich. [8]

Der Plan kam dann also zur Durchführung, wie ich schon angegeben habe.

Ich stelle wiederholend fest, dass wir keine Schusswaffen hatten!

Bezüglich des unbekannten Liechtensteiner Herrn, von dem die anderen Beschuldigten sprechen, geb ich an: Es handelt sich um den Liechtensteiner Frommelt, der ebenfalls von mir und meinem Onkel in den Plan eingeweiht worden ist und der sogleich damit einverstanden war. Schädler brachte ihn mittags in das Hotel und er blieb dann bei uns.

...

Bezüglich der Frage, wer das Unternehmen finanziert hat, kann ich nur sagen, dass wir ja nur Geldauslagen bezgl. der Autofahrt und des Ankaufes der Gaspistolen hatten. Weitere Ausgaben hatten wir ja keine. Weder ich, noch meine Kollegen haben von irgendjemanden einen Pfennig bekommen. Die Autofahrt wollte Grötz bezahlen. Eine Gaspistole habe ich aus meiner eigenen Tasche bezahlt. Woher die andere Gaspistole stammt, weiss ich nicht.

Bezüglich der mir vorgelegten Frage, wer den Plan für das Unternehmen gemacht hat, verweigere ich jede Auskunft, ebenso bezüglich der Frage, wann Rudolf Schädler, Arch[itekt] Röckle, Eugen Frommelt und ich beisammen waren.

Was für eine Rolle der Chauffeur Frommelt gespielt hat, weiss ich nicht, ich bin darüber nicht informiert.

Ich möchte wiederholend feststellen, dass wir keine Schusswaffen verwendet haben."

Ähnlich lautet das Geständnis des Beklagten in Akt. 79. Bemerkenswert ist seine dortige Zugabe, dass er persönlich dem Fritz Schaie an der einen Hand die Handschelle anlegte, sich also an der eigentlichen Bemächtigung in eigener Person beteiligte.

Mit seiner eigenen Sachdarstellung stimmt überein die Sachdarstellung der deutschen Überfallsgruppe (z.B. Theo Grötz, Akt. 58).

Zusammengefasst lässt sich demnach feststellen, dass der Inculpat bei der Zurechtlegung des deliktischen Planes aktiv dabei war, dass er den Überfall mitorganisierte, die deutsche Angriffsgruppe gewann, das Auto Trommeters mietete, einen Teil der Instrumente (Handschelle und Gaspistole) beschaffte und dass er bei der Überfallscene auf Gaflei persönlich sich beteiligte (Akt. 2, 8, 17, 32, 39, 45, 58, ad 58, 62, 67, 71, 76, 79).

2.) Schädler Rudolf. Er war ein Hauptinitiant und wirkte auch stark mit bei der Organisation und Durchführung der Straftat. Er suchte, um das Vertrauen der Schaie zu gewinnen bzw. um jedes Misstrauen derselben als Hinderungsmoment für die geplante Tat auszuschalten, schon einige Tage vor dem Überfall die Opfer im Waldhotel in Vaduz auf, zugleich mit Rheinberger, und lud sie zu einer gelegentlichen Autotour nach Gaflei ein. Er erkundigte sich bei den Grenzposten Tisis und Lindau über einen ungehemmten Durchlass des Autos durch Österreich. Am Vortage des Überfalls fuhr er mit Frommelt nach Gaflei, um sich zu vergewissern, ob die Schneeverhältnisse die Autofahrt bis zur Höhe erlauben. Er übergab der deutschen Überfallsgruppe die Schlüssel zu seinem Kurhaus, wo sie sich verstecken konnte. Am kritischen 5. April fuhr er mit Frommelt nach Gaflei und avisierte die bereitstehende Agriffsabteilung darüber, dass er schon am Nachmittag die Schaie heraufbringen werde. Er pflog bei diesem Anlass die letzten Besprechungen über die Art der Ausführung der Verschleppung. Er schaffte Morphium und Morphiumspritze herbei. Am Nachmittag führte er die Opfer mit seinem Wagen von Vaduz nach Gaflei und trieb sie so der Überfallsabteilung in die Arme. Er verbrachte auch nach dem Überfall auf Gaflei unter weiterer Ausnützung des erlisteten Zutrauens in der Maske des Retters und Helfers den Fritz Schaie talwärts. Letzterer wünschte nur Verbringung bis Masescha. In schleunigem Tempo fuhr aber Schädler weiter, bis Fritz Schaie die wahre Rolle des Schädlers durchschaute und in der Verzeiflung aus dem schnellfahrenden Wagen durch die aufgerissene Türe hinaussprang, wobei er sich einen Achselbruch zuzog.

Charakteristisch für die intensive Beteiligung Schädlers ist die Deposition des Theo Grötz in Akt. 58:

"Der Plan, die Brüder Rotter nach Deutschland zu schleppen, ging von einem liechtensteinischen Zirkel aus, dessen Haupt meines Dafürhaltens der Besitzer des Hotels Gaflei, Rudolf Schädler, ist."

Ebenso illustrativ ist die Deposition Rheinbergers in Akt. ad 58: "Der Entführungsplan ging einzig und allein von mir und meinem Onkel Rudolf Schädler aus."

Der Beklagte Schädler selbst ist im wesentlichen geständig (besonders Akt. 2, 17, 45). Einzig bestreitet er, dass die Verbringung des Fritz Schaie von Gaflei herab im Anschluss an den missglückten Überfall auf der Bergeshöhe noch immer einem aufrecht erhaltenen Verschleppungsplan gegolten habe. Diesen habe er bei dieser Talfahrt aufgegeben gehabt (Akt. 2, 13, 17, 25, 45, 58, ad 58, 80, 81).

3.) Frommelt Eugen. Er war von Schädler in den Entführungsplan eingeweiht und von Schädler für die Mitwirkung gewonnen worden. Er begleitete Schädler nach Tisis und Lindau, um sich bei den dortigen Grenzorganen über die freie Durchfahrt des Schaie-Transportes durch Österreich zu erkundigen. Im Vortage des Überfalles kundschaftete er auf Gaflei die Schneeverhältnisse aus. Am 5. April stund er auf Gaflei Wachtposten während des Überfalls der deutschen Gruppe. Bei der Bemächtigung selbst beteiligte er sich hingegen persönlich nicht. Ihm war die Rolle des Hilfschauffeurs und des Wachtpostens auf Gaflei zugedacht, und er hätte schutz- und verstärkungshalber der deutschen Eskorte beim Gelingen der Verschleppung im zweiten Wagen nachfahren sollen (Akt. ad 58, 13, 17, 44, 58, 79, 86).

4.) Franz Röckle. Die Hauptbelastung dieses Mitbeklagten stammt aus dem Munde des Inculpaten Schädler. Nachdem er ihn schon in Akt 17 in ähnlicher Weise belastet hatte, schildert Schädler die Rolle Röckles in Akt. 45 wie folgt:

"Ich hatte ursprünglich den Plan, eine Zusammenkunft von sämtlichen Kurhausbesitzern, ferner von andern Geschäftsleuten zu veranstalten, dazu auch den Herrn Regierungschef [Josef Hoop]einzuladen und dann zu beraten, wie man etwa vorgehen könnte, um auf das Ausland einzuwirken. Es sind doch seit Monaten die wüstesten Artikel gegen Liechtenstein geschrieben und wie ich schon früher sagte, haben mir alte Kurgäste geschrieben, man könne nicht mehr nach Liechtenstein kommen und dergl.

Ausserdem sollte man beraten, wegen dem Falle Rotter, wie man da etwa vorgehen könnte, denn der Fall Rotter hat in Deutschland riesiges Aufsehen erregt, auch von Holland habe ich diesbezügl. Nachricht erhalten.

Es sollten auch die hier ansässigen Reichs-Deutschen in diese Aktion einbezogen werden und deshalb habe ich auch mit Herrn Heidweiler gesprochen. Ich wollte auch den Arch. Röckle beiziehen, weil ich ihn sehr schätze und weil er ja doch öfters ins Land kommt, weil er hier das Rathaus in Vaduz baut.

Wie ich dann hörte, dass Röckle im Land sei, habe ich ins Café Real telephoniert und wollte ihn sprechen. Er ist dann am gleichen Tage noch zu mir ins Haus gekommen und ich habe ihm den Plan wegen einer Versammlung dargelegt. Er war von der Sache jedoch nicht begeistert und betrachtet sie als zwecklos. Er sagte mir dann auch noch, er habe schon im Jänner den Plan gefasst, die Rotter irgendwie aus Liechtenstein hinaus zu bringen und zwar sollte das von Liechtenstein aus geschehen, er sagte, es habe in Deutschland schon ein Plan bestanden, die Rotters mit Gewalt von Liechtenstein nach Deutschland zu bringen. Aber die Sache hätte sich als zu schwierig erwiesen, und es müsste jetzt von Liechtenstein aus gemacht werden. Man sagte auch, es ginge von hier aus einfacher zu machen und sei zudem für das Land auch besser.

Peter Rheinberger studiert in Konstanz, seine Mutter ist eine Schwester von mir. Er hat mir einmal mitgeteilt, dass auch in Konstanz ein Plan bestehe, die Rotters von Liechtenstein wegzuholen. Vermutlich war das unter den Leuten, die jetzt in Feldkirch verhaftet sind. Er sagte mir, es seien verschiedene Leute bereit, die Rotters zu entführen. Ich sagte dann, es sei besser, wenn es vom Lande aus gemacht werde.

Am Sonntag waren Röckle und ich in Gutenberg, da hat man beschlossen, dass man etwas unternehme, um die Rotters hinauszuschaffen und Peter [Rheinberger] sagte, er habe die Leute in Konstanz schon an der Hand.

Ich machte ihm gegenüber ganz ausdrücklich die Bedingung, es dürfen nur Leute in Betracht kommen, die die Rotter körperlich nicht schädigen wollten, es dürfe ihnen körperlich nicht das geringste geschehen. Rheinberger sichert mir das auch zu.

Ich habe von verschiedenen Leuten sagen gehört, wenn sich nur jemand fände, de die Brüder Rotter aus dem Land schaffte. Arch. Hinderer war auf der Basler Mustermesse, er erzählt mir, Schweizer hätten ihm sogar gesagt, wie Liechtenstein dazukomme auszustellen, das alle Lumpen und Verbrecher aufnehme.

Jedoch muss ich, wenn ich die volle Wahrheit sagen will, mitteilen, dass das bestimmende schliesslich die Einflussnahme Röckles auf mich war, dass ich zur Ausführung des Planes mitwirkte. Röckle war nicht nur einverstanden, dass man es machte, sondern er hat auf mich und Rheinberger eingewirkt, dass wir es machen sollten. Ich glaube, es ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass wird den Plan ausführten.

Ich kenne den Architekt Röckle als ein besonnener erfahrener Mann, der die Welt kennt und der wissen muss, was er macht.

Herr Röckle war übrigens auch informiert über die Einzelheiten des Planes, dass nämlich mit Gas geschossen werde, man dachte, sie werden dann betäubt, gefesselt und geknebelt und dann entführt.

Ich versichere, dass andere Leute in unserem Plan nicht eingeweiht waren, auch die Frau Ramin hat von der Sache nichts gewusst, von mir aus wenigstens. Ich war wohl am Montag im Roten Haus, Peter war damals bei seiner Tante Emma. Frommelt hat mich sofort ins Herrenzimmer hinaufgeführt und die Frau Ramin war nicht dabei.

Wir haben uns sehr in Acht genommen, dass niemand von der Sache etwas erfahre. Den Frommelt habe ich beigezogen, weil er ein sehr guter Autofahrer ist und auch sonst ein Sportmensch und bekannt als Draufgänger."

Über Vorhalt der Aussage Fritz Rotter:

"Die Darstellung über die Art, wie ich sie kennen lernte, ist richtig.

Ich muss bei dieser Gelegenheit noch wiederholen, was ich schon bei meiner früheren Vernehmung sagte. Es war mir furchtbar, dass ich das machen musste, dass ich mich in ihr Vertrauen einschleichen und dasselbe missbrauchen musste. Ich habe das dem Röckle zweimal auch gesagt, es falle mir furchtbar schwer, es sei mir sehr widerlich, aber er munterte mich auf, das mache alles nichts, der Zweck heilige die Mittel.

Ich habe mir das Gleiche übrigens auch selbst eingeredet. Es ist nicht so, dass ich etwa alle Schuld auf Röckle schieben will, das will ich nicht und kann ich nicht. Ganz sicher ist das eine, wenn Röckle gesagt hätte, "das wird nicht gemacht", dann hätten wir es unterlassen."

Demgegenüber stellte Röckle in Akt. 61, nachdem er bereits zuvor in Akt. 3 protokollarisch einvernommen worden war, seine Rolle im eingeklagten Straffalle wie folgt dar:

"Im Januar, als ich ins Land kam, wurde überall davon gesprochen, es sei eine Schande, dass man Leute wie die Rotter als Bürger im Lande dulden müsse. Verschiedene sprachen darüber, wie man sie etwa über die Grenze schaffen könnte. Irgend ein fester Plan war jedoch nicht ausgemacht. Fast überall, wo man sprach, war man darüber einig, dass etwas unternommen werden sollte, die Rotter gehörten nicht ins Land. Mir war am nächsten gelegen immer die Idee, sie mit List nach Buchs zu bringen oder nach Feldkirch und sie dort verhaften zu lassen.

Als ich das letzte mal nach Liechtenstein kam, hat Schädler mich überraschenderweise im Adler aufgesucht und hat auch ins Café Real mir telephoniert. Es ist auch möglich, dass ein Telephongespräch dem Besuch vorausging. Ich habe ihn dann am Abend in seinem Haus besucht.

Ich kann mich nicht erinnern, dass Schädler von einem Plan gesprochen hätte, die Kurhausbesitzer und Geschäftsleute und die Regierung zu einer Versammlung einzuberufen. Ich kann daher auch nicht gesagt haben, dass ich so etwas für zwecklos hielte. Man hat wohl darüber gesprochen, dass wohl die ganze Saison für das Land nichts werde und dass die Reichsdeutschen nicht kämen.

Nicht richtig ist, dass ich sagte, es sei von Deutschland aus ein Plan bestanden, die Rotter wegzuschaffen. Ebenso unrichtig ist, dass ich gesagt hätte, ich selbst hätte schon im Januar einen Plan gefasst, sie wegzubringen.

Wohl sprach ich davon, Deutschland hätte ein Interesse daran, die Rotter zu bekommen, und Liechtenstein hätte das Interesse, die Rotter loszuwerden. Von konkreten Plänen war nicht die Rede.

Am Sonntag in Gutenberg ist eigentlich kein bestimmter Plan gefasst worden. Es war alles noch locker, man wusste noch nicht, wie es gemacht werden sollte. Ich habe wieder darauf verwiesen, wenn Deutsche die Sache unternehmen wollten, müssten die Leute sehr gut angeschaut werden, dass es Leute wären, die Verantwortung dafür tragen könnten, was sie machten. Ich habe gesagt, die Liechtensteiner sollten nicht die Hand dazu hergeben, wenn die Sache von der andern Seite nicht gut vorbereitet sei. Dabei war im Vordergrund immer noch der Plan, die Rotters nach Buchs zu bringen.

Man sprach dann auch wieder darüber, die Schweizer würden vielleicht die Rotters wieder zurückschicken, wenn sie auf ungehörigem Wege nach der Schweiz gebracht worden wären. Wie gesagt, ein fester Plan, wie es gemacht werden sollte, war damals noch nicht vorhanden. Darüber waren wir uns allerdings immer im Klaren, dass die Rotters körperlich nicht beschädigt werden dürften. Ich hatte auch deswegen besonders darauf hingewiesen, dass Detektive verwendet werden sollten, Fachleute, die eine Verhaftung leicht technisch vornehmen könnten.

Es war sicher nicht meine Absicht, den Leuten zu einer ungeschickten Tat Mut zu machen. Es ist nicht möglich, dass ich der Veranlasser der ganzen Sache bin. Schädler widerspricht sich denn auch in diesem Punkt selbst. Er hat mich antelephoniert, er hat mich aufgesucht, er ist in dieser Sache an mich herangetreten und nicht ich an ihn. Wie gesagt, ich kam von Frankfurt und hörte hier in Liechtenstein von solchen Plänen.

Am Dienstag, dort wo Schädler und Frommelt nach Gaflei fuhren, sagten bei der Rückkehr beide, die Stelle bei Gaflei sei nicht günstig zur Ausführung des Planes. Ich habe sie damals noch aufmerksam darauf gemacht, dort, wo ihr etwas macht, seht euch richtig vor, dass nichts dem Zubringer und den Tätern unbekannt ist.

Von dem Momente ab, wo sie selbst sagten, Gaflei sei ungünstig, war auch wieder offen, ob und was und wann geschehen sollte, es war wie abgeblasen.

Am Mittwoch sagte dann Schädler, es seien Leute von Konstanz mit Rheinberger gekommen, und ich fragte ihn, ob auch alles in Ordnung sei. Was sollte ich dann machen, ich habe den Schädler noch aufmerksam gemacht, warum es denn jetzt gehen sollte, wo sie doch gestern eine andere Auffassung gehabt hätten. Wenn man mir den Vorwurf macht, ich hätte selbst jetzt noch die Sache verhindern können, so ist das vielleicht richtig, aber ich hatte dann nicht gewusst, was geschehen wäre. Man muss bedenken, dass ich ja mit den Deutschen keine Fühlung hatte, auch nicht mit ihren Vorbereitungen, ich war nicht ihr Kommandeur, ich habe die Sache nicht geplant und die Ausführung des Planes nicht vorbereitet. Ich habe den Leuten nichts zu befehlen gehabt. Ich hätte ihnen nur glückwünschen können. Wenn ich die Sache selbst in die Hand genommen hätte, das wäre etwas anderes gewesen, dann hätte ich mir auch die richtigen Leute ausgesucht und hätte sie eingeübt, dass es nicht leicht hätte fehl gehen können.

Auch die Darstellung Schädlers, dass ich ihm die Bedenken, er müsse sich in das Vertrauen der Rotter einschleichen und es nachher missbrauchen, vertrieben hätte, ist nicht richtig. Der Plan ist ja nicht von mir, Schädler hat mir erzählt, er habe Gelegenheit, die Rotter kennen zu lernen, er hat gesagt, sie sollen sich Gaflei ansehen, es gäbe sich dabei Gelegenheit. Natürlich ist es klar, wenn jemand etwas unternimmt, muss er auch einen gewissen Mut haben und muss sich über verschiedene Bedenken hinwegsetzen.

Die Beweggründe zur Sache habe ich schriftlich dem Gerichte überreicht."

Trotz dieser Abschwächungsversuche des Beklagten Röckle hielt Rudolf Schädler seinerseits an der Belastung fest. So vor allem in Akt 82, in dem insbesond. der Passus bemerkenswert ist:

"... Dagegen muss ich daran festhalten, dass Röckle ausdrücklich sagte: "Der Zweck heiligt die Mittel", und man müsse solche Bedenken, wie ich sie äusserte, dass ich nämlich das Vertrauen der Rotter gewinnen und dann missbrauchen müsste, um der Sache willen überwinden."

In Form eines Konfrontationsverhöres (Akt. 87) sollten die Widersprüche behoben werden. Es gelang aber nicht restlos. In Gegenüberstellung deponierten die beiden Beklagten:

Deposition Röckle:

"Ich kann mich erinnern, dass Schädler einmal, als wir nachts nach Hause gingen, seine Bedenken äusserte, dass er das Vertrauen der Rotter missbrauchen müsse. Richtiger war das ein anderesmal, ich glaube am Dienstag. Es war jedenfalls damals, als er mir erzählt hatte, die Rotters hätten den Wunsch geäussert, nach Gaflei zu fahren. Da habe ich nun, soviel ich mich erinnere gesagt, wenn sie an einem Baum hinauf wollen, dann müssen sie auch eine Hose riskieren. Dagegen ist mir der Ausdruck: Zweck heiligt die Mittel, gar nicht geläufig."

Deposition Schädler:

"Es ist richtig, dass Röckle nicht den direkten Ausdruck: Zweck heiligt die Mittel, verwandte, aber dem Sinne nach hat er das gesagt.

Ich muss wiederholen, dass letzten Endes der Einfluss Röckles zur Ausführung einer Tat bestimmend war. Dieser Einfluss hat einmal darin bestanden, dass es eben Röckle war, und andererseits in gewissen Gesprächen, deren Wortlaut ich aber heute nicht mehr sagen kann."

Deposition Röckle:

"Wie weit der subjektive Einfluss reichte, konnte ich nicht wissen. Das kann mich ja eigentlich nicht belasten. Man kann nur das nehmen, was ich direkt gemacht und gesagt habe."

Deposition Schädler:

"Wir waren beide einverstanden, dass man es auch in Gaflei machen könne, wenn tüchtige Leute die Sache ausführten.

Röckle hat im Allgemeinen auch auf mich eingewirkt, dass man es machen solle."

Deposition Röckle:

"Ich möchte den letzten Satz Schädlers dahin richtigstellen, das man die Rotter ausser Landes schaffen solle. Darauf habe ich hingewirkt, doch hatte ich, wie gesagt, mit dem letzten Plan sozusagen nichts mehr zu tun."

Ausser Schädler belastet aber auch Rheinberger den Mitbeklagten Röckle. So z.B. in Akt. 79, wo er deponiert:

"Ich weiss, dass Röckle in den Plan eingeweiht war, Rudolf hat mir gesagt, noch am Mittwoch Mittag, Röckle wisse von der ganzen Sache. Ich selbst habe mit Röckle so wenig gesprochen, dass ich nicht sagen kann, wie weit er auf Rudolf eingewirkt hat. Das eine weiss ich, dass Röckle zur Vorsicht mahnte, man solle vorsichtig vorgehen, man solle die Leute ja nicht verletzen. Sicher ist das eine, dass Röckle für den Plan war und dass er ihn befürwortete und die Ausführung empfahl. Ob er gerade jede Einzelheit des Planes wusste, ist mir nicht bekannt."

(Akt. 3, 13, 17, 19, 43, 45, 61, 79, 82, 87).

Persönliches

Rheinberger, Schädler und Frommelt sind nicht vorbestraft und gut beleumdet (Akt. 76, 77, 78). Bis zur Stunde fehlt beim Aktendossier ein Leumundsbericht über Röckle.

Rechtliches

Der Angriff auf die Gebrüder und Frau Schaie, beherrscht von dem Willen, sie aus derm Lande Liechtenstein mit List und Gewalt zu verschleppen und der sie verfolgenden deutschen Strafjustiz zuzuführen, charakterisiert sich rechtlich als Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch versuchten Menschenraub nach §§ 90 und 8 StG.

Die konstitutiven Elemente des genannten Deliktes sind nach der Legaldefinition folgende:

1.) Bemächtigung eines Menschen durch das Mittel der List oder Gewalt.

2.) Diese Bemächtigung muss ohne Vorwissen und Einwilligung der rechtmässigen Obrigkeit erfolgen.

3.) Die subjektive Absicht des Täters muss bei der Bemächtigung dahingehen, den Angegriffenen gegen dessen Willen einer auswärtigen Macht zu überliefern.

Unter dem Begriff des "Sich-Bemächtigens" ist zu verstehen die Aufhebung und Verhinderung der Bewegungsfreiheit und des freien, örtlichen Selbstbestimmungsrechtes des Deliktsobjektes und die Verbringung desselben in den Herrschafts- und Dispositionsbereich des Angreifers.

Das Mittel der "List" liegt dann vor, wenn Irrtumserregung und Täuschung zur Erreichung des strafbaren Zweckes benützt wurden. List ist Täuschung des Handelnden über die verursachende Bedeutung seines Tuns.

Der Begriff der "Gewalt" ist dahin auszulegen, dass Anwendung erheblicher Kraft zur Überwindung eines erheblichen Widerstandes erfolgen muss, mag dieser Widerstand durch einen Menschen oder durch einen Gegenstand geleistet werden, mag er sofort gebrochen oder längere Zeit hindurch fortgesetzt worden sein (Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 16. u. 17. Auflage, § 98, pag. 347 u. 349).

Als "rechtmässige Obrigkeit" im SInne des § 90 StG ist diejenige fürstl. liechtensteinische Behörde anzusehen, welche zur Entscheidung, ob jemand festgenommen und an das Ausland ausgeliefert werden soll, gesetzlich berufen ist (Note 1 zu § 90 StG, 22. Auflage von Löffler, Analogieschluss).

"Auswärtige Gewalt", von welcher § 90 spricht, ist die fremde Staats- und Justizhoheit.

Auf Grund dieser Begriffs-Analyse kann festgestellt werden, dass die ratio des § 90 ganz eindeutig dahin geht, zum Schutz und zur Garantierung des internationalen Auslieferungsrechtes durch Strafsanktionen die Möglichkeit zu treffen, dass ein sich in die heimatliche Rechtsordnung flüchtender Verbrecher durch private Eigenmächtigkeit der ihn suchenden, fremdstaatlichen Strafjustiz zugeführt wird.

Das aber ist das Charakteristikum des hier eingeklagten Verbrechens, welches alle dargelegten Wesensmerkmale des § 90 auf sich vereinigt.

Mit List (zB. Erschleichung des Zutrauens der Schaie durch die Beklagten Schädler und Rheinberger, Einladung zu einem freundschaftlichen und harmlosen Spaziergang nach Gaflei), noch mehr aber durch robuste Brachialgewalt und durch Benützung von Betäubungs- und Fesselungsmitteln wollte der Verschleppungsversuch auf Gaflei bezwecken ohne Vorwissen und Einwilligung der fürstl. liechtensteinischen Gerichte und Verwaltungsbehörden die drei in Deutschland flüchtig gegangenen Rechtsbrecher dem Rechtsschutz ihres Heimatstaates zu entreissen und sie der deutschen Strafgerichtsbarkeit auszuhändigen.

Nun ist allerdings der Plan misslungen. Trotz bereits stattgefundener Anwendung von List und erheblicher physischer Gewalt war die Entführung nach Deutschland nicht geglückt. Ursache der Vereitelung des strafbaren Vorhabens war das Versagen der Gaspistole, sowie der starke tätliche Widerstand der Angegriffenen und deren Flucht. Die Vollendung des Verbrechens war in casu also lediglich unterblieben wegen der Unvermögenheit, bzw. Dazwischenkunft eines fremden Hindernisses. Ihrerseits hatten die Beklagten alles getan, um den fertigen Erfolg zu erreichen. Es handelt sich nach der strafrechtlichen Doktrin um ein Beispiel des sog. vollendeten Versuchs, den § 8 StG im Auge hat. Auch der Versuch ist demnach strafbar. Nur als Milderungsgrund nach § 47 lit. a StG kann der Versuch hier seine Berücksichtigung finden.

Auch der subjektive Tatbestand nach §§ 90 u. 8 StG ist erfüllt. Nach dem Geständnis der meisten Beklagten gingen Wille und Vorsatz direkt auf die Verwirklichung dessen, was § 90 verpönt, nämlich der dolus directus hatte zum Ziele, mit List und Gewalt ohne behördliche Einwilligung einen liechtensteinischen Staatsbürger der fremden Strafjustiz zuzuführen unte Einbruch in die Regelungen des internationalen Auslieferunsgrechtes.

Über die Schuldrepartition auf die einzelnen Beklagten folgendes:

Als Täter. die das Delikt der §§ 90 und 8 StG selbständig verübten, fallen in Betracht alle diejenigen Beklagten, die sich in eigener Person auf Gaflei mit Verschleppungsabsicht am Überfall und am Bemächtigungsversuch aktiv beteiligten. Daraus ergibt sich, dass als Täter vor allem die Mitglieder der deutschen Überfallsgruppe in Betracht fallen, welche jedoch nicht durch die f.l. Gerichte beurteilt werden und deren Straftaten demzufolge hier nicht näher juristisch auszulegen sind.

Von den herwärtigen Beklagten war einzig Rheinberger direkter Täter, insofern er sich persönlich bei der Fesselung des Fritz Schaie lt. seinem Geständnis in Akt. 79, also an dem Versuch der physischen Bemächtigung persönlich beteiligte neben seine deutschen Complicen.

Darüber hinaus hat der Beklagte Rheinberger aber auch als Anstifter im Sinne von § 5 StG am Verbrechen des versuchten Menschenraubes sich schuldig gemacht, insofern er die deutsche Angriffsgruppe für das strafbare Vorhaben beeinflusste und gewann, auch den Chauffeur warb, mithin Dritte zur Verbrechensausführung vorsätzliche veranlasste und bestimmte. Anstiftung ist ja ihrem Wesen nach bewusste und gewollte Bestimmung eines fremden Willens zur Begehung einer strafbaren Handlung.

Der Beklagte Rudolf Schädler war gemäss § 5 StG mitschuldiger Teilnehmer am versuchten Menschenraub. Er hat zur Tatbegehung angestiftet (zB. durch Werbung des Eugen Frommelt, durch Einwirkung auf die deutsche Angriffsgruppe bei der Organisation des Überfalls auf Gaflei). Er war aber auch Gehülfe, weil er durch Überlistung der Opfer durch seine Einladung zum Spaziergang, durch Führung derselben in die Arme der im Versteck lauernden Angreifer, durch Avisierung der Ankunft der Opfer, durch Mitnahme von Morphium und Injektionsspritze u.a.m. das Verbrechen durch Rat und Tat erleichterte und beförderte, zu seiner Verübung stark Vorschub leistete und zu dessen sicherer Vollstreckung ganz erheblich beitrug.

Frommelt hat ebenfalls im Sinne von § 5 StG strafbar als Gehülfe am Versuch des Menschenraubes mitgewirkt, so durch Auskundschaftung über die Schnee- und Auffahrtsverhältnisse auf Gaflei am Vortage der Tat, durch Begleitung Schädlers zu den Grenzposten von Tisis und Lindau zwecks Erfragung des freien Durchlasses der Verschlepperkolonne durch Österreich, durch Wachtpostenstehen auf Gaflei anlässlich der Bemächtigungs-Scene der Täter und durch seine Hergabe als Hilfschauffeur für die Sicherung des geplanten Abtransportes der Opfer nach ihrer Betäubung und Fesselung. In verschiedenen Betätigungsformen hat Frommelt demzufolge zum Verbrechen Vorschub geleistet und zur sicheren Vollstreckung beigetragen.

Der Beklagte Röckle hat sich zu verantworten als mitschuldiger Teilnehmer im Sinne von § 5 StG am eingeklagten fremden Verbrechen des versuchten Menschenraubes. Trotz seiner etwas vagen Abschwächungs- bzw. Bestreitungsversuche muss das Vorliegen eines rechtsgenüglichen Schuldbeweises auf Grund der doppelten, uninteressierten und glaubwürdigen Belastung durch die Mitbeklagten Schädler und Rheinberger gegenüber Röckle bejaht werden. Er betätigte sich als Anstifter, insofern er durch seine Besprechungen mit Schädler und Rheinberger auf die Beiden Einfluss gewann, der Ausführung der Straftat Impulse gab. Vor allem hat er in Schädler aufgetauchte Bedenken und Skrupeln wegen der Unehrenhaftigkeit des Erschleichens und nachherigen Missbrauchs des Vertrauens der Opfer zerstreut, durch Mahnung, taugliche Kräfte anzuspannen, mithin durch Rat und Unterricht und Lob die Übeltat eingeleitet und vorsätzlich veranlasst, wobei zur psychologischen Bewertung des grossen Einflusses und der starken Impulse auf das Ansehen und Übergewicht seiner Persönlichkeit hingewiesen werden muss.

Was das Strafmass anbelangt, greift § 91 StG Platz. Hier finden sich die gesetzlichen Strafandrohungen für das Verbrechen des Menschenraubes. § 91 StG stuft in den Straffixierungen ab je nachdem bei Menschenraub "der Misshandelte einer Gefahr am Leben, oder an Wiedererlangung der Freiheit ausgesetzt" worden ist oder nicht. Der Entscheid über die Frage, ob dieses Qualifikationsmoment bzw. dieser Straferhöhungsgrund zutreffe oder nicht, ist schwierig. Es gibt gute Gründe für beide Auslegungsmöglichkeiten. Für die Bejahung des genannten Qualifikationsgrundes spricht die, übrigens auch von den Beklagten von Anfang an leicht anzustellende Überlegung, dass eine komplottmässige und in ihren Angriffsinstrumenten und in ihrer Ausführungsart brutale und draufgängerische Attacke auf Bergeshöhe gewiss grössere Risiken für Leib und Leben in sich berge, namentlich für den Fall, dass die Abwehrkraft der angegriffenen Personenmehrheit sich stark erweisen sollte. Bei einem solchen konfliktsmässigen Zusammenprall von Personenmehrheiten kann nicht einfach die friktionsfreieste Durchführung des Planes erwartet werden. Fatale Folgen für Leib, ja selbst für das Leben mussten für den Eventualfall der Komplikation von Anfang an nicht als ausgeschlossen gelten.

Der faktische Gang der Ereignisse hat denn auch dementsprechend zum Tod von zwei Menschenleben und zur Verletzung anderer Personen geführt. - Das ist allerdings retrospektive Betrachtungsweise.

Für die Verneinung des Qualifikationsgrundes der Lebensgefahr beim versuchten Menschenraub spricht die übereinstimmende Darstellung der Beklagten, dass keineswegs die Vernichtung des Lebens der Opfer geplant war. Gegenteils sei die Vereinbarung dahingegangen, die Opfer bestmöglich zu schonen. Der Zweckgedanke lief ja in andere Richtung. Zuführung der in Deutschland flüchtig gegangenen Verbrecher an den deutschen Richter. Auch die für den Überfall mitgenommenen und benützten Instrumente und Mittel (Gaspistolen, Chloroform, Handschelle und Strick) waren ihrer Natur nach nicht zugeschnitten auf Tötung, sondern offensichtlich berechnet für Betäubung und Widerstandslähmung mit anschliessender Fesselungs- und Verschleppungsmöglichkeit. Ausschlaggebend erscheint uns aber vor allem der Mangel eines rechtsgenüglichen, stringenten Beweises für die Weiterverfolgung des Alfred Schaie und seiner Frau auf der tödlichen Flucht über die Abhänge hinunter. Nachdem der Überfall auf Gaflei selbst misslungen war, konnten Alfred Schaie und dessen Frau ausreissen. Es war kein Verfolger hinter ihnen her bei ihrem Sprung in den Tod, auch wenn anderseits die Panikstimmung durch den anfänglichen Überfall ausgelöst worden war. Nur in weitgehender Anwendung des "in dubio pro reo" lässt die Anklage den genannten Qualifikationsgrund der Lebensgefahr fallen.

Der weiterhin in § 91 StG genannte Qualifikationsgrund der Gefahr "an Wiedererlangung der Freiheit" kann deswegen kaum bejaht werden, weil nach Sach- und Rechtslage und nach den Gedankengängen der Beklagten die Deliktsobjekte (Schaie) nur einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe in Deutschland zugeführt werden sollten, nach deren Vollzug sie schlimmstenfalls die Freiheit wiedererlangt hätten.

Weiterhin gelangt für das gesetzliche Strafmass Art. 54 StG in Verbindung mit Art. 31 Ziff. 9 des Gesetzes vom 1. Juni 1922 "betreffend Abänderung des Strafrechtes, der Strafprozessordnung und ihrer Nachtrags- und Nebengesetze zur Anwendung.

Unter den aus der Beschaffenheit des Täters sich herleitenden Milderungsgründen des § 46 StG trifft angesichts der Vorstrafenlosigkeit und guten Leumde der Beklagten lit. b zu und unter der Beschaffenheit der Tat in § 47 StG herausfliessenden Milderungsumständen ist lit. a zu berücksichtigen, weil das Verbrechen im Stadium des Versuchs steckengeblieben war.

Ganz allgemein wird vom Richter entlastend zu berücksichtigen sein die Tatsache, dass die Tatmotive nicht gemeiner, sondern fast durchwegs politischer Natur waren und dass eine starke Beeinflussung durch Erscheinungen und Ideengänge der Gegenwart vorhanden war. Insbesondere dem erst knapp über 20 Jahre alten Beklagten Rheinberger ist dieser psychologische Umstand entlastend anzurechnen. Auch das Geständnis ist beachtenswert.

Auf der anderen Seite ist belastend zu würdigen die Folgenschwere der Tat, die zum Tod von zwei Menschenleben und zur Körperverletzung anderer Personen geführt hat, auch wenn solche Folgensdimensionen von den Tätern nicht beabsichtigt und vorhergesehen waren. Belastend fällt auch in die Wagschale, dass die Straftat eine schwere Erschütterung der Rechtsordnung, insbesondere auf dem Gebiet des Auslieferungsrechtes, darstellte.

Auf Grund dieser Überlegungen ist die Anklage gerechtfertigt.

Der a.o. fürstliche Staatsanwalt: 

 

 

______________

[1] LI LA J007/S066/043/098. Die Anklageschrift wurden den vier Beschuldigten am 5. Mai 1933 zugestellt.
[2] Siehe Einführungs-Verordnung vom 7. November 1859 anläßlich der Rezipierung des österreichischen Strafgesetzes vom Jahre 1852 sowie das Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen mit Kaiserlichem Patent vom 27. Mai 1852, Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das Kaisertum Österreich 1852 Nr. 117.   
[3] LGBl. 1922 Nr. 21.
[4] Die hier und unten angeführten Dokumente befinden sich in der Akte LI LA J007/S066/043.
[5] Siehe das gerichtliche Protokoll der Zeigeneinvernahme vom 7. April 1933 (LI LA J007/S066/043/025).
[6] Alfred und Gertrud Schaie.
[7] Gerichtsprotokoll betreffen die Totenschau durch Dr. Felix Batliner vom 6. April 1933 (LI LA J007/S066/043/018).
[8] Es handelt sich um Theo Gretz, Adolf Wieser, Max Witt, Erich Lehmatt und Gotthild Trommeter. Vgl. LI LA J007/S066/043/010.