Die Polizei untersucht Bölleranschläge gegen Juden in Schaan


Bericht des Sicherheitskorps, gez. Wachtmeister Josef Brunhart, an das Landgericht [1]

2.12.1938

Boshafte Sachbeschädigung u. Gefährdung der körperlichen Sicherheit. Unbekannte Täter

Tatgeschichte

Am 28.11.1938 um ca. 22 Uhr wurde beim Gasthaus Dux von unbekanntem Täter ein Papierböller zur Explosion gebracht, derzufolge drei Fensterscheiben, zwei kleine und eine grosse, dicke (1.50 x 1 m) zum Nachteile des Alois Kranz, Gastwirt, demoliert wurden. [2] Sachschaden zirka 30.- Fr.

Am 29.11.1938 um 21.50 Uhr explodierte unmittelbar vor der Haustüre des Hauses Nr. 292 der Frau Sophia Pleines in Schaan eine Sprengstoffladung. Durch die Detonation wurden vier Kellerfensterscheiben und das grosse dicke Farbglas in der Haustüre z.N. der Frau [Diederika Sophia] Pleines zertrümmert. Sachschaden zirka 40.- Fr. Täter unbekannt. Durch dieses Vorkommnis, das vor dem Hause der Frau Pleines zum wiederholtenmale sich zutrug, sind die Bewohner des Hauses, Familie Fiori-Kirschenblüt und Familie Leopold Goldstaub, in Furcht und Unruhe versetzt. Ebenso die Familie Heinrich Karl Steffens, die unmittelbar neben dem Hause der Pleines wohnt.

Beweismittel

Am 29.11.1938 unmittelbar nach der Explosion erstattete Hermann Fiori-Kirschenblüt der hiesigen Polizei die telefonische Anzeige. Bei der durch Schtzm. [Hermann] Meier um 22.20 Uhr durchgeführten Tatbestandsaufnahme wurde festgestellt: Die Sprengladung wurde ca. 2 Meter vor der Haustüre direkt im Wege zur Haustüre hingelegt und dort zur Explosion gebracht. An dieser Stelle wurde ein Loch in den Weg gerissen von 10 cm Tiefe und ca. 30 cm Durchmesser. Die Sprengstoffladung explodierte auf der östlichen Seite des Hauses. An dieser Front des Hauses wurden drei Fenster demoliert, zwei Kellerfenster und das Fenster in der Haustüre. Auf der nördlichen Seite des gleichen Hauses wurden zwei Kellerstockfenster zertrümmert. Die Glassplitter lagen im ganzen Garten herum. Von der Sprengstoffladung waren keine Überreste vorhanden und es kann sich somit um keinen Papierböller gehandelt haben, zumal die Wirkung eine viel grössere war, als es bei Papierböller der Fall war. Bei der Haustüre wurde auch ein Stück des Fensterrahmens weggerissen.

Angaben der Zeugen

Hermann Fiori-Kirschenblüt gab an: "Die Wirkung der Explosion war eine furchtbare. Herr Rechtsagent [Louis] Seeger und dessen Frau [Hildegard, geb. Bereitter] sowie meine Frau und unser Kind waren in der Stube. Seger und dessen Frau waren gerade im Begriffe aus dem Hause zu gehen und wir verabschiedeten uns gerade im Wohnzimmer. Zwei Minuten früher wäre Seger und die Frau sicher auf die Zeit der Explosion in den Garten gekommen. Alle sind wir furchtbar erschrocken und speziell die Frauen. Zudem haben wir ein kleines Kind und ich befürchte, dass bei einem derartigen Knall das Kind das Gehör verlieren könnte."

Die Frau Fiori-Kirschenblüt erklärte, dass sie in Angst und Schrecken lebe und sie befürchte, dass man ihnen bald eine Ladung in ein Zimmer werfe.

Heinrich Karl Steffens und dessen Frau erklären, dass sie ob dieser Explosion ebenfalls furchtbar erschrocken seien. Sie befürchten, dass auch bei ihnen die Fenster einmal einfliegen werden, denn die Wirkung sei eine furchtbare. Kaum 5 Minuten vor der Explosion sei Steffens mit seinem Auto nach Hause gekommen.

Louis Seger, Rechtsagent in Schaan, gab an: "Meine Frau und ich waren gerade bei Kirschenblüt und schickten uns an wegzugehen. Als wir uns verabschiedeten, erfolgte die Explosion. Sie hatte eine furchtbare Wirkung und sah, wie die Frau Kirchschenblüt totenbleich wurde. Auch meine Frau ist furchtbar erschrocken, sie ist nämlich herzschwach. Ein solcher Schrecken könnte ein Herzschlag zur Folge haben. Auch Herr Fiori-Kirschenblüt und ich sind erschrocken. Derartige Machenschaften sind ganz unverantwortlich und können katastrophale Folgen haben."

Die Frau Sophia Pleines stellt Antrag auf gerichtliche Verfolgung und Bestrafung des Täters und verlangt Schadenersatz.

Der Geschädigte Alois Kranz stellt ebenfalls Strafantrag und verlangt Schadenersatz.

Die Erhebungen nach dem oder den Tätern werden fortgesetzt und bei Ermittlung von Positivem wird Nachtragsanzeige erstattet.

NB. Beim Gasthause Dux in Schaan wurde ein aus Zeitungspapier angefertigter Böller verwendet, ebenso eine ein Meter lange Zündschnüre. Es war also ein Böller wie derjenige, der erstmals beim Hause der Frau Pleines zur Explosion gebracht worden war (Siehe ENr. 1432). [3]

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[1] LI LA J 007/S 071/327 (a). E.Nr. 1435. Eingangsstempel des Landgerichts vom 5.12.1938. Auf der Rückseite Vermerke zum weiteren Geschäftsgang: Landrichter Julius Thurnher leitete den Bericht am 7.12.1938 an die Staatsanwaltschaft weiter. Staatsanwalt Ferdinand Nigg sandte ihn am 31.1.1939 mit Antrag auf Einleitung eines Strafverfahrens gegen unbekannte Täter zurück ans Landgericht, wo er am 6.2.1939 einlangte. Thurnher ordnete darauf am 9.2.1939 die Vorladung von Hermann Fiori-Kirschenblüth und Alois Kranz als Zeugen an. Die entsprechenden Vorladungen wurden von Xaver Frick am 9.2.1939 ausgefertigt.
[2] Alois Kranz gab gegenüber der Polizei an, dass zum Zeitpunkt des Anschlags jüdische Gäste bei ihm logiert hätten, gegen die "die Böllerei" sich "jedenfalls" gerichtet habe  (LI LA J 007/S 071/327, Zeugeneinvernahme Alois Kranz, 14.2.1939).
[3] LI LA V 005/1938/1432, LI LA RF 184/369/001.