Regierungschef Josef Ospelt informiert Landesvikar Johann Baptist Büchel über die Beschlüsse des Landtags zu den die Verfassungsrevision betreffenden Forderungen des Churer Bischofs Georg Schmid von Grüneck


Maschinenschriftliches Scheiben von Regierungschef Josef Ospelt an Landesvikar Johann Baptist Büchel [1]

27.8.1921

Hochverehrter Herr geistlicher Rat!

Mit Bezug auf die von Euer Hochwürden an die fürstl. Regierung und an mich persönlich gerichteten Schreiben in der Verfassungsfrage [2] erlaube ich mir angeschlossen die Abschrift eines an den hochwürdigsten Herrn Bischof in Chur [Georg Schmid von Grüneck] gerichteten Schreibens [3] zu Ihrer gefälligen persönlichen Kenntnisnahme zu übermitteln.

Ich glaube, dass durch die Beschlüsse des Landtages [4] und die bereits früher in der Verfassung vorgesehenen, das Verhältnis zur Kirche berührenden Stellen der Verfassung den berechtigten Wünschen entsprechend Rechnung getragen ist und darf wohl zuversichtlich hoffen, dass ein Grund zu irgendeiner Misshelligkeit mit kirchlichen Stellen nicht vorliegt.

Euer Hochwürden persönlich möchte ich nicht verheimlichen, dass sowohl Herr Dr. [Eugen] Nipp als ich selbst es uns grosse Mühe kosten liessen, in den Art. 16 und 38 die nun beigefügten Ergänzungen durchzubringen und auch die entgegenkommendere Fassung des Art. 37 war nicht ohne weiteres zu erreichen.

Bei der Besprechung der Vorschläge des hochwürdigsten bischöflichen Ordinariates [5] im engeren Kreise wurde mir seitens Abgeordneter wiederholt entgegengehalten, dass weises Mass halten in Erfüllung der bischöflichen Wünsche umso notwendiger sei, als sich der hochwürdigste Herr Bischof schon wiederholt in Dinge gemischt habe, die ihn eigentlich nichts angingen, so z.B. durch seinen Vorschlag [Johann] Bossis [6] und auch dadurch, dass er auch in Bern in politischen und finanziellen Fragen des Landes sich hineingemischt habe, dabei allerdings wahrscheinlich wenig erreicht habe.

Sie werden begreifen, dass solchen Argumenten gegenüber schwer anzukämpfen ist und ich bin überzeugt, dass Sie, hochverehrtester Herr Kanonikus, meine Stellungnahme voll würdigen werden und das erreichte Ergebnis nicht gering einschätzen werden.

Im Übrigen bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass die Gesinnungen des Fürstenhauses und der Bevölkerung weit wichtiger sind als noch so schöne Verfassungsartikel.

Ich will nur hoffen, dass der hochwürdige Klerus mit Gottes Segen unser Volk in gut-katholischer Gesinnung erhalte und stärke, anstatt sich allenfalls wegen doctrinärer Fragen mit der Bevölkerung und seiner Behörden auseinanderzusetzen, solange kein zwingender Grund vorliegt.

Ich bitte Sie, in diesem Sinne auf die hochwürdige Geistlichkeit einzuwirken und meine und des Landtages Stellungnahme auch beim hochwürdigsten Bischof gegebenenfalls zu unterstützen.

Mit der Versicherung meiner besonderen Wertschätzung und Anhänglichkeit begrüsse ich Sie ergebenst

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[1] LI LA SF 01/1921/ad 141.
[2] LI LA RE 1921/3693 ad 963, Büchel an Regierung, 20.8.1921; LI LA SF 01/1921/ad 141, Büchel an Ospelt, o.D.
[3] LI LA RE 1921/3693 ad 963, Ospelt an Schmid von Grüneck, 27.8.1921.
[4] Der Landtag hatte am 24.8.1921 der Verfassung zugestimmt (LI LA LTA 1921/S04/2).
[5] LI LA RE 1921/3690 ad 963, bischöfliches Ordinariat Chur an Ospelt, 17.8.1921.
[6] Schmid von Grüneck hatte den Bündner Anwalt und Politiker Johann Bossi als Berater der Regierung oder als Regierungschef vorgeschlagen (LI LA V 002/0461, Notiz von Kabinettsdirektor Josef Martin über die Besprechung vom 13.5.1921 mit Schmid von Grüneck, 21.5.1921).