Das „Liechtensteiner Volksblatt“ warnt die liechtensteinischen Arbeiter vor Kommunismus bzw. Bolschewismus und wirft den liechtensteinischen Arbeitervertretern vor, „sich mit Haut und Haar der schweizerischen roten Gewerkschaft verschrieben zu haben“


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

 3.11.1920 

Der böse Kommunismus

Was ist das, Kommunismus? Wie mancher aus uns hat schon dieses wüste Fremdwort gelesen oder in Vorträgen und Gesprächen gehört. Er wusste mit dem besten Willen nicht, was anfangen damit. Es war und blieb ihm etwas Spanisches. Dem geheimnisvollen Schleier über diesem Fremdwort hat vor einiger Zeit ein Arbeiter in Paris gelüftet.

Da war mal eines schönen Tages eine Versammlung in der grossen, leichtlebigen Seinestadt. So eine Arbeiterversammlung ist ja auch anderswo gar nichts seltenes. Auf der ganzen runden Erde gibt es ja unzählige solche Versammlungen. Aber selten wird so etwas Gescheites herauskommen wie bei jener Versammlung in Paris. Was war das?

Man sprach über den wüsten Kommunismus. Jedenfalls war er vielen Franzosen auch etwas Spanisches. Kurz und gut: ein Arbeiter donnerte und wetterte gegen dieses Scheusal, was er aus dem Hals brachte.

Einem Genossen war das doch zu dick. Er fragte ihn, weisst du denn auch was Kommunismus ist?

Doch der Gefragte war nicht verlegen. Er zog seine Bluse aus und zerriss sie in zwei, dann in vier, in acht und mehr Stücke, worauf er jedem seiner Kameraden einen Fetzen hinwarf und sagte: „Der Kommunismus, meine Freunde, bezweckt, aus dem Ganzen, das jemandem nützen kann, einen Haufen kleinere Stücke zu machen, mit denen niemand etwas anzufangen weiss!“

Verstehst du, lieber Leser, was Kommunismus ist? Eine zerrissene Bluse, ein zerrissenes Bauerngut, eine aufgeteilte Gemeinde, ein zerstückeltes Land, und für uns Liechtensteiner ein zerschlagenes Fürstentum, mit dem niemand was anzufangen weiss.

Du siehst also, der Pariser Arbeiter war nicht so dumm, wenn er gegen diesen Kommunismus aufgetreten ist. Er meinte es gewiss gut mit seinen roten Genossen.

Wenn du jetzt vielleicht noch nicht klar bist, was Kommunismus ist, so will ich dir noch ein kleines Gedicht hersetzen. Das stammt wahrscheinlich auch aus dem schönen liederlichen Paris, wo einmal vor fast 50 Jahren ein paar verrückte Köpfe alles teilen und zerreissen wollten. [2] Da hat ihnen ein kluger Mann den folgenden schönen Sinnspruch gewidmet:

Was ist Kommunismus?

Wenn jeder mähet und keiner sät!

Wenn jeder zerreisst und keiner näht!

Wenn jeder jagt und keiner hegt!

Wenn keiner forstet und jeder schlägt!

Wenn jeder sudelt und keiner fegt!

Wenn jeder trinkt und keiner braut!

Wenn jeder zerstört und keiner baut!

Wenn alle schreien und keiner hört!

Wenn keiner lernt und jeder lehrt!

Wenn keiner was hat und jeder verzehrt!

Hat der gute Mann recht gehabt oder nicht? Sag es selbst, hört man nicht dieses Jammergedicht in allen Zeitungen vom Land der Kommunisten, von Russland heute herübertönen? Jetzt weisst du was Kommunismus ist. Oder? Gelt, das ist ein garstiges Tier. Das ist etwas wüstes. Das darf nie kommen, solange noch ein Tropfen gesundes liechtensteinisches Blut in deinen Adern rollt!

Ja, fragst du, müssen wir in unserem Ländle auch Angst haben vor diesem wüstem Kerl? Meinst nicht? Gib acht! Hast nicht gehört, dass unsere liechtenstein. Arbeiterverführer sich mit Haut und Haar der schweizerischen roten Gewerkschaft verschrieben haben? [3] Und was ist denn das? Gerade in dieser roten Gewerkschaft der Schweiz gibt es viele, ja nur allzuviele, die alle Nächte vom seligen Reich Kommunismus träumen, wo jeder mähet und keiner säet - wo jeder zerstört und keiner baut - wie im traurigen Sowietrussland hinter den Karpathen drunten. Heute lieber als morgen möchten diese schweizerischen Bolschewiken den kommunistischen Himmel auch über den Rhein in die biedere Eidgenossenschaft einschmuggeln. Die Herren Nationalräte [Ernst] Nobs und [Robert] Grimm, die im sozialistischen Lager der freien Schweiz die grosse Trommel schlagen, und nach deren Rhytmus alle die sozialistischen Weiblein und Männlein tanzen, diese zwei tonangebenden schweizer. Oberbolschewiki möchten, wie schneller wie lieber, das russische Arbeiterparadies auch den Schweizern einrichten. Und unsere liechtensteinischen Arbeiter, organisiert im schweizerischen Bolschewikibund – werden die dann anders tanzen? Keine Spur! Die wird man dann auch den bolschewistischen Tanz lehren! Dann aber gute Nacht!

Darum, liechtensteinischer Arbeiter, trau, schau, wem! Schau dir deine Führer an, bevor es zu spät ist. Lauf nicht diesen roten Leithammeln nach, die dir die Sterne vom Himmel herunter versprechen, die dir aber Steine statt Brot geben.

Liechtensteinischer Arbeiter bist du katholisch oder nicht? Ja! Also dann folge deiner altbewährten Führerin, der katholischen Kirche, die dich heil und zufrieden durch viele Jahrhunderte geführt, folge ihr auch in der jetzigen unheilvollen Zeit. Du wirst es nie bereuen müssen.

-er

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[1] L.Vo., Nr. 88, 3.11.1920, S. 1. Vgl. L.Vo., Nr. 87, 30.10.1920, S. 1 („Liechtensteiner Volk sei auf der Hut!“) und L.Vo., Nr. 90, 10.11.1920, S. 1 („Die Arbeiterfrage“). Vgl. auch O.N., Nr. 90, 13.11.1920, S. 1 („Schweizer-Brief“) und O.N., Nr. 91, 17.11.1920, S. 1 („Liechtensteinischer Arbeiterverband“).   
[2] Anspielung auf die Pariser Kommune von 1871.
[3] Zum Anschluss der Bauarbeiter des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes an die schweizerische sozialdemokratische Bauarbeitergewerkschaft vgl. L.Vo., Nr. 83, 16.10.1920, S. 1 („Der liechtensteinische Arbeiterbund“) und O.N., Nr. 84, 20.10.1920, S. 1-2 („Zur Arbeiterbewegung“).