Liechtenstein schliesst sich den Wirtschaftsabkommen zwischen der Schweiz und den Alliierten an


Amtsvermerk, ungez., von Regierungschef Josef Hoop [1]

20.2.1945

Amtsvermerk

Dienstag und Mittwoch, den 13. und 14.2.45, war ich in Bern und übergab in Anwesenheit des Geschäftsträgers Prinz Heinrich Legationsrat Dr. [Carl Theodor] Stucki den Regierungsbeschluss vom 7. Februar über verstärkten Schutz unserer Grenzen. [2] Legationsrat Dr. Stucki äusserte sich bei diesem Anlass in gleicher Weise wie bei den früheren Demarchen. Die Angelegenheit werde mit den beteiligten Departementen geprüft und neuerlich Fühlung mit uns genommen werden. [3]

Als ich nachts heimkam, war ein Telephon von Prinz Heinrich angekommen, nach welchem ich Donnerstag wieder nach Bern kommen sollte wegen der gegenwärtig laufenden Verhandlungen mit den Alliierten. [4] In Anbetracht der Wichtigkeit des Gegenstandes legte ich Wert darauf, dass auch zur Behandlung der juristischen Seite und für die Behandlung von eventuellen industriellen Fragen Regierungschefstellvertreter Dr. [Alois] Vogt mitkäme. In Anwesenheit des Geschäftsträgers hatten wir sodann mittags eine Besprechung mit dem Vorsitzenden der Konferenz Minister [Walter Otto] Stucki. Er gab uns vertraulich Kenntnis von folgender Sachlage:

Die Alliierten hätten weitgehende und harte Forderungen gestellt. Sie seien nur noch bereit, Lebensmittel, Futtermittel und industrielle Rohprodukte zu liefern, wenn die Schweiz

a) ihren Export nach Deutschland sofort aufgebe,

b) den Transit von der Schweiz nach von Deutschland besetzten Ländern sofort einstelle und

c) die Massnahmen treffe, die in der Resolution 6 der Konferenz von Bretton Woods von den Alliierten wegen Vermögensverschiebungen aus Deutschland vorgesehen sei. [5]

Letzte Forderung sei eine conditio sine qua non für weitere Verhandlungen. Von allem Anfang sei auch seitens der Alliierten verlangt worden, dass Liechtenstein die gleichen Massnahmen treffe wie die Schweiz. Minister Dr. Stucki hätte deshalb uns zur Besprechung eingeladen, um den Standpunkt Liechtensteins in dieser Frage zu hören.

Auf die Frage, was eintreten würde, wenn Liechtenstein abseits der Regelung bliebe, erklärte Minister Dr. Stucki, dass er es für ganz selbstverständlich halte, dass dann die Schweiz zur Aufgabe der Wirtschaftsbeziehungen mit Liechtenstein gezwungen würde, was bedeuten würde, dass Liechtenstein in kürzester Zeit schwerwiegende Folgen hinsichtlich der Versorgung zu tragen hätte. Auf die weitere Frage, welche Reaktion voraussichtlich in Deutschland gegen die Beschlagnahme der deutschen Guthaben in der Schweiz ergriffen würde, erklärte Minister Dr. Stucki, dass er hierüber begreiflicherweise nichts sagen könne, immerhin glaube er, dass gewisse Reaktionen erfolgen werden.

Nach Abschluss der Besprechung, bei der wir Dr. Stucki bis Freitag mittags die Entscheidung Liechtensteins bekanntzugeben versprachen, beschlossen wir, sofort mit dem Fürsten [Franz Josef II.] in Zürich die Angelegenheit zu besprechen. Der Fürst vertrat die Auffassung, dass Deutschland möglicherweise Repressalien gegen seinen Besitz vornehmen könnte, wobei sich Liechtenstein wegen seiner Schutzlosigkeit schwer wehren könnte. Er wünschte deshalb, dass die Alliierten veranlasst würden, eine Erklärung abzugeben, dass sie die Wiedergutmachung der von Deutschland Liechtenstein eventuell zugefügten Schäden garantieren. Wir erwiderten hierauf, dass wir es für ausgeschlossen halten, dass die Alliierten eine solche Verpflichtung eingehen, denn einmal seien die alliierten Delegierten nicht ermächtigt, eine solche Garantierklärung abzugeben - Herr [Lauchlin Bernard] Currie erklärte in seiner einleitenden Ansprache, dass sie mit scharfumrissenen Instruktionen kämen -, andererseits sei die Annahme der Resolution 6 wie schon erwähnt eine condition sine qua non für weitere Verhandlungen. Nach längerer Diskussion einigte man sich auf folgende Erklärung, die in Form nachstehender Note an das Politische Departement gerichtet werden soll:

"Die Gesandtschaft des Fürstentums Liechtenstein beehrt sich, dem Eidgenössischen Politischen Departemente unter Bezugnahme auf die Besprechung der Herren Regierungschef Dr. Hoop, Regierungschefstellvertreter Dr. Vogt und Geschäftsträger Prinz Heinrich Liechtenstein mit Herrn Minister Dr. Stucki zur Kenntnis zu bringen, dass die fürstliche Regierung nachstehenden Beschluss gefasst hat:

Das Fürstentum Liechtenstein schliesst sich allen eidgenössischen Vereinbarungen und Massnahmen an, die schweizerischerseits im Zuge der gegenwärtigen Verhandlungen in Bern mit den Regierungen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs getroffen werden.

Indem die fürstliche Regierung bittet, hievon zur weiteren Gebrauchsnahme Kenntnis nehmen zu wollen, benützt sie ..."

Bei der Übergabe dieser Note sollte sodann Prinz Heinrich Minister Stucki die Erklärung abgeben, dass das Fürstentum Liechtenstein erwarte, dass die Alliierten dem Umstande Rechnung tragen, dass Liechtenstein von Deutschland vermehrte Repressalien evtl. zu gewärtigen hätte und zu einer Wiedergutmachung behilflich seien. Es soll allerdings Minister Stucki überlassen bleiben, von dieser Beifügung in der ihm gutscheinenden Form Gebrauch zu machen.

Freitag vormittags, den 16.2., beschloss die Regierung Vorstehendem zuzustimmen und zur genehmigenden Kenntnis zu bringen. Prinz Heinrich ersuchte ich noch telephonisch, er möchte trachten, dass bei einer Publikation des in Aussicht genommenen Bundesratsbeschlusses der Beitritt Liechtensteins als aus dem Zollvertrage erfliessend hingestellt werde. In der Pressemitteilung ist dies nicht der Fall, hingegen bei der Veröffentlichung des Bundesratsbeschlusses im Bundesblatt. [6]

 

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[1] LI LA RF 229/418/008. Ein weiteres Exemplar in LI LA RF 230/043a/020.
[2] LI LA RF 230/043a/018-019.
[3] Zur schweizerischen Haltung vgl. DDS, Bd. 15, Nr. 375.  
[4] Zu den Verhandlungen zwischen der Schweiz und den Alliierten vom Februar/März 1945 in Bern vgl. DDS, Bd. 15, Nr. 358, 360, 372, 377, 379, 391, 402.  
[5] In der Konferenz von Bretton Woods (1.-22.7.1944) wurden die Grundlagen für die Schaffung des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung geschaffen. Artikel 6 der Schlussakte schlägt Massnahmen vor im Umgang mit "Enemy Assets and Looted Property" (Proceedings and Documents of the United Nations Monetary and Financial Conference. Bretton Woods, New Hampshire, July 1-22, 1944, Washington 1948, Bd. 1, S. 939-941).
[6] Der Bundesrat erliess am 16.2.1945 eine Vorläufige Regelung des Zahlungsverkehrs zwischen der Schweiz und Deutschland, mit der die deutschen Guthaben in der Schweiz gesperrt wurden (AS, 1945, Bd. 61, S. 85-90; DDS, Bd. 15, Nr. 367). In Art. 12 des Beschlusses wird festgehalten, dass dieser Beschluss "gemäss dem Zollunionsvertrag vom 29. März 1923 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein" auch Anwendung auf Liechtenstein findet. Liechtenstein übernahm den Beschluss mit Verordnung vom 17.2.1945 (LGBl. 1945 Nr. 6).