Fürst Franz Josef II. erklärt vor dem Landtag, weshalb er es für notwendig erachtet, eine Gesandtschaft in Bern einzurichten


Erklärung von Fürst Franz Josef II. vor dem Landtag [1]

14.12.1944

Die gegenwärtige kritische Lage in Europa lässt sich mit der Vorkriegsperiode nicht vergleichen. Demzufolge kann es im höchsten Interesse des Landes sein, dass manche Verhältnisse, die sich bis jetzt bewährt haben, der Notwendigkeit einer Revision unterzogen werden. Als Souverän, Oberhaupt des Staates und Vertreter dieses, in allen Verhältnissen zu anderen Staaten, ist es Sache meiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Verhältnisse des Landes zu anderen Staaten in Ordnung sind.

Unser Land liegt an der Grenze eines der Kriegführenden Länder.

Die Schweiz, mit der uns so viele Verträge eng verbinden, vertritt uns zwar wohl bei anderen Staaten, doch besteht kein richtiger Vertrag diesbezüglich zwischen uns. - Weder sind die schweizerischen Gesandten im Ausland auch für Liechtenstein akkredidiert, noch sind die Gesandtschaften ausländischer Staaten in der Schweiz für Liechtenstein beglaubigt. Diese Tatsachen schaffen ein sehr unklares Verhältnis, das gegenwärtig nicht gefahrlos ist.

Das Fürstentum ist unabhängig und, trotz seiner engen Verträge, völkerrechtlich kein Glied der Schweiz.

Die Fürstliche Regierung ist für die Schweiz eine Regierung im Ausland, wenn keine Vertretung Liechtensteins in Bern besteht, so hat die Bundesregierung keinen inländischen, sondern nur einen ausländischen Kontakt mit uns.

Vom völkerrechtlichen Standpunkt aus gesehen, bin ich demzufolge zur Überzeugung gelangt, dass angesichts der jetzigen Situation, unsere Gesandtschaft in Bern wieder in Tätigkeit gesetzt werden muss, damit für die Aussenwelt unser Verhältnis zur Schweiz abgeklärt wird. [2]

Ich hatte mich bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres mit dem Herrn Regierungschef [Josef Hoop] mit dieser wichtigen und dringenden Sache beschäftigt. Bei Sondierungen bei der Bundesregierung fand ich volles Einverständnis und Zustimmung. [3]

Im August, im Zeitpunkt einer der kritischesten Phasen des Krieges, hat mir der Bundesrat mitgeteilt, dass die Bundesregierung die Wiederingangsetzung der Gesandtschaft mit Genugtuung annehmen würde und mein Bruder Prinz Heinrich als Geschäftträger willkommen wäre.

Ich habe übrigens dafür gesorgt, dass keine Störungen, Verzögerungen oder Verwicklungen für die innere Verwaltung und Wirtschaft des Landes, oder eine finanzielle Last für dieses aus der Wiedereröffnung der Gesandtschaft entstehen können.

In Bezug auf die von mir geschilderte Lage und Tatsachen, ist mir kein einziger vernünftiger und stichhältiger Grund bekannt, der gegen die Wiederherstellung unserer Diplomatischen Verbindung mit der Schweiz spricht. Wenn solche Gründe für eine diesbezügliche Opposition bestehen, so bedauere ich sehr, dass sie mir bis jetzt nicht mitgeteilt worden sind.

Der Sturm, der jetzt über diese Frage ausbricht, ist mir unbegreiflich und die Hintergründe unersichtlich. Es ist vor allem gefährlich für unsere Beziehungen zu engbefreundeten Schweiz. - Wird vielleicht gewünscht, dass man von uns sagt, wir wollten es den Russen nachmachen? [4]

Ich habe durchaus verfassungsgemäss gehandelt und habe nur die höchsten Interessen unseres Staates und des Landes vor Augen gehabt. Die Kriegsereignisse haben sich im Laufe des Sommers überstürzt, die Heere der kriegführenden Mächte warten nicht auf unsere Verfügungen. Von unserem friedlichen Tal hört man bereits den Donner der tobenden Schlachten.

Nach Artikel 10 unserer Verfassung [5] soll ich in dringenden Fällen das Nötige zur Sicherheit und Wohlfahrt des Staates vorkehren.

Ich habe volles Vertrauen, dass der Landtag in Seiner weisen Einsicht sich hinter seinem Fürsten zusammenschliessen wird und dafür Verständnis haben wird, dass der Landesfürst rechtzeitig und bevor es zu spät war, nur das getan hat, was ihm seine Pflicht und sein Gewissen angesichts der kritischen Besonderheit der Lage geboten haben. [6]

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[1] LI LA LTP 1944/063 (irrtümlich nach der Landtagssitzung vom 21.12.1944 eingebunden). Die vorgebrachten Argumente gehen z.T. auf Vorschläge von Maurice Arnold de Forest zurück, vgl. LI HALV, Karton 630, Akt Errichtung der liechtensteinischen Gesandtschaft Bern 1944 (e); de Forest an Franz Josef II., 29.11.1944.
[2] Die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern wurde vom Landtag in der Sitzung vom 22./23.3.1933 (LI LA LTP 1933/034) aufgehoben.
[3] Zu den Verhandlungen mit der Schweiz vgl. LI HALV, Karton 630, Akt Errichtung der liechtensteinischen Gesandtschaft Bern 1944 (b).
[4] Die Sowjetunion lehnte im Nov. 1944 die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der Schweiz ab (DDS, Bd. 15, Nr. 277).
[5] LGBl. 1921 Nr. 15.
[6] Der Landtag sprach sich trotz dieser Erklärung des Fürsten gegen die Errichtung einer Gesandtschaft aus (LI LA LTP 1944/057).