Die Schweiz verlangt von Liechtenstein die Einführung der eidgenössischen Kriegsgewinnsteuer


Protokoll einer liechtensteinisch-schweizerischen Konferenz in Bern, nicht gez. [1]

8.8.1944

Anwesend: Direktor [Paul] Amstutz, Dr. [Oskar] Wyss und als Vertreter des Politischen Departementes Dr. [Felix] Schnyder, sowie Dr. [Josef] Hoop, Dr. [Alois] Vogt und Steuerkommissär [Alexander] Frick.

Direktor Amstutz erklärte, die Einführung der Kriegsgewinnsteuer in Liechtenstein sei zu einer unbedingten und rasch zu verwirklichenden Notwendigkeit geworden. Das Departement werde nächstens dem Bundesrate den Antrag stellen, die Ausdehnung des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer eidg. Kriegsgewinnsteuer auf Liechtenstein zu beschliessen oder in einer anderen Form in Liechtenstein zur Durchführung zu bringen. Die Tatsache, dass über Liechtenstein die schweizerische Steuerpflicht auf diesem Gebiete umgangen werde, sei unerträglich geworden:

  1. für den Bund, der 6 Milliarden Mobilisationskosten habe und Geld brauche und der keine Lücken dulden könne, durch welche man sich der Steuerpflicht entziehen könne,
  2. für die Kantone, deren Finanzdirektoren ebenfalls sehr ungehalten über die Entweichungsmöglichkeiten seien und
  3. für jene schweizerischen Steuerträger, die willig ihre Steuern bezahlen, es aber weder verstehen noch hinnehmen, dass sie unter erschwerten Bedingungen gegenüber den liechtensteinischen Unternehmern und Gewerbetreibenden arbeiten müssten.

Der Ertrag der Steuer komme selbstverständlich Liechtenstein zu, soweit der Kriegsgewinn in Liechtenstein erzielt wurde.

Die Forderung nach Einführung der Kriegsgewinnsteuer bedeute keinen Vorwurf an die liechtensteinische Regierung, dass sie etwa die Steuerflucht nach Liechtenstein begünstigt habe. Im Gegenteil, er habe immer wieder die liechtensteinische Regierung verteidigt, sie hätte eine loyale Haltung in dieser Frage eingenommen, indem sie Interessenten auf das Unerwünschte einer Steuerflucht von der Schweiz nach Liechtenstein aufmerksam gemacht habe.

Aber unbeachtet dessen, aus grundsätzlichen Erwägungen und ohne einzelne Fälle im Auge zu haben, müsse der Möglichkeit der Verbuchung von Geschäften über liechtensteinische Gesellschaften oder andere Formen der Umgehung der schweiz. Steuerpflicht raschestens begegnet werden. Dir. Amstutz bezeichnete es als eine Notwendigkeit, in einem Communique die schweizerische Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, dass ein Missbrauch Liechtensteins weiterhin nicht mehr den Pflichtigen vor der Kriegsgewinnsteuer schütze.

Die Form der Einführung der Steuer in Liechtenstein könne noch geprüft werden, sie sei sekundärer Natur. Ein Zurwehrsetzen Liechtensteins, die Steuer zu übernehmen, müsste die Schweiz nur veranlassen, umso eher die Einführung zu verlangen, da dies den Eindruck erwecken würde, Liechtenstein wolle durch günstigere Bedingungen einen Anreiz zur Steuerflucht bieten. Die ganze Frage sei so wichtig, dass selbst der Fortbestand des Zollvertrages für die Schweiz an Interesse verliere, wenn Liechtenstein sich weigern sollte, dem schweizerischen Begehren Rechnung zu tragen.

Sie hätten aber immerhin der liecht. Regierung Gelegenheit geben wollen, in der Frage Stellung zu nehmen, zu welchem Zwecke die heutige Besprechung vereinbart worden sei.

Reg. Chef Dr. Hoop verweist vorerst auf die Herrn Legationsrat Dr. Stucki übergebene Aktennotiz, in welcher die grundsätzliche Stellungnahme der liecht. Regierung zum vorliegenden schweizerischen Begehren niedergelegt seien (diese Aktennotiz ist der Steuerverwaltung nicht zur Kenntnis gebracht worden und die Abschriften liegen noch bei den Akten des Vertreters des Politischen Departementes). Er nimmt diese Aktennotiz zur Grundlage seiner Darlegungen und [2] führte sodann aus, dass Liechtenstein in keiner Weise Hand bieten wolle zu einer Steuerflucht nach Liechtenstein, dass aber die Art der Unterbindung derselben durch Übernahme der eidg. Bestimmungen über die Erhebung der Kriegsgewinnsteuer von Liechtenstein nicht als annehmbar empfunden würde. Die Begründung für diese Erklärung wurde an Hand der diesem Protokoll beigelegten „Bemerkungen von der von Herrn Legationsrat Dr. Stucki übergebenen Notiz betreffend Übernahme der Kriegsgewinnsteuer auf Liechtenstein" geführt und wie folgt ergänzt. Ein Vergleich des liechtensteinischen Unternehmertums mit dem schweizerischen sei nicht stichhaltig. Tatsache sei vielmehr, dass das liecht. Unternehmertum in der Schweiz fast durchgängig als ausländisches angesehen werde und vielfach aus diesem Grunde mit Schwierigkeiten in der Schweiz zu kämpfen habe. Auch die liechtensteinische Finanzpolitik sei gezwungen, eigene Wege zu gehen, da dem Fürstentum eine volle Gleichstellung mit schweizerischen Kantonen auf wirtschaftlichen und finanziellen Gebiete vorenthalten sei.

Dr. Hoop erinnerte an die ungleiche Behandlung Liechtensteins in Transferfragen, in der Frage des Anschlusses liechtensteinischer Geldinstitute an die schweizerische Darlehenskasse und die Pfandbriefzentrale usw. Hinsichtlich der Rückwirkung erklärte Dr. Hoop, dass eine solche allen bisher geübten Grundsätzen widersprechen würde und der liecht. Regierung untragbare Unannehmlichkeiten verursachen würde.

Aber er wiederhole, dass Liechtenstein keinerlei Steuerflucht Vorschub leisten möchte, das Finanzdepartement aber ersuche, intern jene Massnahmen zu ergreifen, die eine Steuerflucht unterbinde, nicht aber dem Lande ein psychologisch nicht erklärliches und wirtschaftliche verhängnisvolles Gesetz aufzudrängen.

Direktor Amstutz verweist auf die grosse Erregung anlässlich einer Finanzdirektorenkonferenz der Kantone in der liechtensteinischen Steuerpraxis. Er habe immer wieder Gelegenheit genommen, Liechtenstein anlässlich solcher Konferenzen zu verteidigen. Die Finanzdirektoren werfen Liechtenstein vor, Nutzen aus der Steuerflucht aus der Schweiz zu ziehen. Er habe jedoch darauf hingewiesen, dass sie zuerst unter sich Ordnung machen müssten, bevor sie Liechtenstein Vorwürfe machen können.

Dr. Vogt bemerkt dazu, dass sich die Herren Finanzdirektoren und die Kantone in einer Zeit, da es Liechtenstein schlecht gegangen sei, kaum gekümmert haben, ob Liechtenstein durch die Abschnürung durch die Schweiz zugrundegehe oder nicht. Abgesehen davon hätten verschiedene Kantone Liechtenstein in seiner Steuerpraxis nichts vorzuwerfen, da sie genau dieselbe Praxis eingehalten hätten.

Im übrigen verweist Dr. Vogt auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes seit dem Jahre 1914. Im Jahre 1914 sei Liechtenstein industriell besser gestanden als während der Zeit des Zollvertrages mit der Schweiz. Liechtenstein habe damals 4 Fabriken gehabt, die gegen 200 Arbeiter [3] beschäftigten und ausserdem sei an der Grenze in Tisis eine Fabrik gestanden, die ausschliesslich von liecht. Arbeitern und Arbeiterinnen beschickt worden sei. Die Kriegsereignisse in den Jahren 1914-1918 hätten Liechtenstein eines Grossteiles seiner Industrie verlustig gemacht und die restlichen Industrien hätten nur in beschränktem Umfang ihre Arbeit wieder aufgenommen, das Barvermögen des Volkes und des Staates sei zu Grunde gegangen, das liechtensteinische Gewerbe sei kaputt gegangen, es hätte an Barmitteln und Rohstoffen und Werkzeugen gefehlt, der liechtensteinische Bauer sei gezwungen gewesen, seinen ganzen Viehbestand bis zu 90% mit Schulden vollständig umzustellen. So hätte Liechtenstein nicht nur den Anschluss an das Jahr 1914 nicht mehr gefunden, sondern hätte mit Nichts im Jahre 1924 neu anfangen müssen. In den zwanziger Jahren seien die liecht. Arbeiter in die Schweiz gegangen und hätten dort ihr Brot verdient. Bei Eintritt der Krise im Jahre 1930 seien sämtliche liecht. Arbeiter aus der Schweiz herausgeflogen. Das verarmte Land hätte sich gezwungen gesehen, diese Arbeiter selbst zu beschäftigen und aus diesem Grunde sei der Staat unter allen Umständen gezwungen gewesen, Geldmittel sich zu beschaffen und er hätte dies gemacht durch die Steuerpraxis, die die Schweiz ihm immer wieder vorwerfe, trotzdem verschiedene Kantone dieselbe Praxis eingehalten hätten, dann durch Markenverkauf, der ebenfalls in der Schweiz auf Unverständnis gestossen sei, durch Einbürgerungen aus fiskalischen Gründen. Die Schweiz hätte in dieser Beziehung gegenüber Liechtenstein ebenfalls nie Verständnis gezeigt. Liechtenstein hätte jedoch darauf nicht Rücksicht nehmen können, weil es seine Arbeiter unter allen Umständen hätte beschäftigen müssen. Es sei Liechtenstein trotz allen Bestrebungen und Bemühungen nicht möglich gewesen, während der 20 Jahre Zollvertragsgeschichte Industrien ins Land zu bringen und den Anschluss an das Jahr 1914 wieder zu gewinnen. Liechtenstein sei sowohl industriell wie gewerblich stark von der Schweiz abgeschnitten worden und die liechtensteinischen Produkte hätten als ausländische gegolten in der Schweiz und seien nicht gekauft worden. Erst die Kriegsereignisse hätten es Liechtenstein ermöglicht, zwei Betriebe in Liechtenstein zu eröffnen mit ca. 300 Arbeitern. Die Übernahme der Kriegsgewinnsteuer würde die ganze industrielle Entwicklung nicht nur stoppen, sondern vielmehr Liechtenstein wieder in der Zustand der 1930–iger Jahre zurückwerfen, da beide Betriebe schliessen müssten. Insbesondere gelte dies für einen Betrieb, der rein liechtensteinisch aufgebaut sei und finanziell noch schwach fundiert sei. Aus diesen Gründen sei es durchaus begreiflich, dass sich Liechtenstein dagegen wehre, durch die Übernahme der eidg. Kriegsgewinnsteuer, die in Liechtenstein selbst durch nichts motiviert sei, seine Wirtschaft wieder dem Ruin entgegenzuführen. Es sei wohl im Jahre 1941 ein Abkommen getroffen worden, wonach der liecht. Arbeiter in der Schweiz Anspruch auf Aufenthalts– und Arbeitsbewilligung habe, sollten jedoch wieder Krisenzeiten in der Schweiz eintreten, so sei diese Übereinkommen vom Jahre 1941 sehr wahrscheinlich wieder problematisch und Liechtenstein könne seine Arbeiter wieder selbst beschäftigen nach einer wieder ruinierten Industrie. Es sei unumgänglich notwendig, dass Liechtenstein in die Lage versetzt werde, eine gewisse Kapitalbildung zuzulassen und zu ermöglichen, um es für die kommenden Jahren und die bevorstehenden schweren Zeiten halbwegs krisenfest zu machen. Weiters verweist Dr. Vogt darauf, dass nach seiner Auffassung Art. 4 und 10 des Zollvertrages nicht hinreichten, um die eidg. Bestimmungen der Kriegsgewinnsteuer in Liechtenstein als annehmbar zu erklären, da der Steuerzweck bestimmt sei und unmöglich auf dem Wege über den Zoll von Liechtenstein übernommen werden könne. Es wäre nach seiner Auffassung ein förmlicher Staatsvertrag notwendig.

Schliesslich erklärte Dr. Vogt, Liechtenstein sei heute nicht in der Lage, die eidg. Kriegsgewinnsteuer zu übernehmen und vor allem sei es ausgeschlossen, dass die Kriegsgewinnsteuer rückwirkend übernommen werden könnte. Es fehle jede gesetzliche Voraussetzung dazu.

Auf die Ausführungen der liechtensteinischen Vertreter erwiderte Direktor Amstutz: Auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Erhebung der Kriegsgewinnsteuer in Liechtenstein könne keine Rücksicht genommen werden. Er halte sie auch nicht für so schwerwiegend. Es sei noch kein Betrieb wegen der Kriegsgewinnsteuer eingegangen und wenn eine solche Gefahr bestünde, sehe das Gesetz Nachlass der Steuer vor. Auf den Einwand, dass die Kriegsgewinnsteuer eine Steuer zur Deckung der schweizerischen Mobilisationskosten sei, entgegnete er, dass die Warenumsatzsteuer auch diese Zweckbestimmung habe und Liechtenstein habe gegen deren Einführung auch keine Einwendungen erhoben. Die schweizerische Wehrbereitschaft sei indirekt auch Liechtenstein zugute gekommen. Wenn der Schweiz wegen mangelnde Wehrbereitschaft etwas passiert wäre, wäre auch Liechtenstein mitgerissen worden. Immerhin erklärte sich Dir. Amstutz bereit, die Frage zu prüfen, ob durch andere Massnahmen z.B. dem Abschluss eines Rechtshilfevertrages eine Umgehung der schweizerischen Bestimmungen verhindert werden könnte.

Dr. Wyss gibt der Auffassung Ausdruck, dass mit einem Rechtshilfevertrag die schweizerischen Interessen in keiner Weise gewahrt werden könnten und vertritt ebenso nachdrücklich die Einführung der Kriegsgewinnsteuer in Liechtenstein.

Den gleichen Standpunkt nahm ebenso eindeutiger Weise Dr. Schyder als Vertreter des Eidgenössischen Politischen Departementes ein, der weiterhin noch ausführte, dass seiner Meinung nach eine Möglichkeit weitgehender Anlehnung Liechtensteins an die Schweiz erreicht werden sollte. Ein Gefälle nach der einen oder anderen Seite sei unerwünscht. Liechtenstein müsse sich sagen, dass durch die Über[nahme] der Steuer nur eine Gleichstellung mit der Schweiz eintrete, nicht aber eine Benachteiligung. Eine Gleichstellung aber dürfte Liechtenstein umso eher in Kauf nehmen, als unser Land tatsächlich durch das Aufgehen im schweizerischen Zoll– und Wirtschaftsgebiet auch die Vorteile des Letzteren besitze. Auch er unterstreicht, dass die Wehrausgaben der Schweiz Liechtenstein indirekt zugute kommen.

In der darauf folgenden Diskussion, in welcher von den Beteiligten und von Steuerkommissär Frick insbesondere gewisse technische Einzelheiten erörtert wurden, kam schweizerischerseits wieder neuerdings zum Ausdruck, dass die Steuer übernommen werden müsse, gleichgültig in welcher rechtlichen Form.

Abschliessend wurde sodann vereinbart, dass

  1. die schweizerischen Behörden prüfen werden, ob in anderer Form z.B. durch Abschluss eines Rechtshilfevertrages in Steuersachen, die Steuerflucht aus der Schweiz nach Liechtenstein unterbunden und dann von der Einführung der Kriegsgewinnsteuer in Liechtenstein abgesehen werden könne und dass
  2. die liechtensteinische Regierung bezw. der liecht. Landtag, der für Beschlüsse in dieser Angelegenheit zuständig wäre, den ganzen Fragenkomplex ebenfalls prüfen werden, da nach Auffassung der liechtensteinischen Delegation die heutige Besprechung nur informativen Charakter haben könne.
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[1] LI LA RF 224/460a. Handschriftliche Anmerkung: "Seiner Durchlaucht".
[2] Handschriftliche Einfügung: "Er nimmt diese Aktennotiz zur Grundlage seiner Darlegungen und".  
[3] Handschriftliche Anmerkung: "600".