Das "Liechtensteiner Volksblatt" wehrt sich gegen Vorwürfe, Liechtenstein sei eine Zufluchtsstätte für Nationalsozialisten


Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

28.7.1945

Zweite, verschlechterte Auflage

Wir erleben heute in Liechtenstein eine tour d'horizon neuer Auflage. Eine schlechte Auflage allerdings, die wir im Hinblick auf unseren Beitrag im Kampf um die Freiheit der Völker nicht erwartet hätten. Denn wenn wir auch nicht mit den Waffen auszogen, die faszistische Idee niederzuringen, so haben wir in unserem entlegenen Alpendasein doch einen geistigen Kampf gegen die nationalsozialistische Ideologie mit all ihren Sparten durchgefochten. Er war oft nicht weniger zäh als der auf den Schlachtfeldern, weil wir klein und wehrlos dastanden, einzig auf die geistige Verteidigung unseres Gutes angewiesen. Aus den politischen Gesprächen in der internationalen Presse über Liechtenstein spüren wir den schlechten oder sagen wir den miserablen Verleger der Geschichte unseres Kampfes.

Liechtenstein wird als Zufluchtsstätte von Nationalsozialisten, so gleichsam als Refugium peccatorum, das auszuheben sich der Mühe lohnen würde, bezeichnet. Ausgerechnet dieses Liechtenstein wird im Londoner "Daily Telegraph" als Stätte gepriesen, wo politische Desperados und andere zweifelhafte Naturen mit Hilfe der Behörden ihr Unwesen treiben können. [2] Die Nationalsozialisten werden vor Hausdurchsuchungen benachrichtigt, aus der Kriegswirtschaft hervorgegangene Werte rechtzeitig verschleppt oder Einheimischen zur Verwahrung gegeben, um sie vor dem Zugriff der gesetzlichen Hand zu retten. Und an oberster Stelle steht als Cooperationist mit Deutschland Dr. Jos. [Josef] Hoop.

Eine kleine Kostprobe aus dem "Daily Telegraph":

"Dieses kleine Fürstentum zwischen dem österreichischen Vorarlberg und der Schweiz wird von einer politischen Krise bedroht, deren Bedeutung mehr als lokal ist. So friedlich und langweilig dieses alpine Reservat äusserlich erscheinen mag: es besitzt einige Merkmale eines ländlichen Idylls, in welchem Intriguen und Korruption mit einzigartiger Beharrlichkeit blühen.

Nun hat der Kampf eingesetzt zwischen den früheren Nazistützen und denen, die eine vollständige politische Erneuerung vornehmen wollen. Während des Krieges war Liechtenstein das Zentrum der Achsenspione. Jetzt ist es noch immer ein Zufluchtsort für Schieber, für Nazis und für deutsche Vermögenswerte."

Wer erkennt in diesem Schrifttum nicht die zweite verschlechterte Auflage der Ausgabe 1934, als die nationalsozialistische Presse des aufstrebenden Dritten Reiches unser Fürstentum als Schlupfwinkel des Plutokratentums und internationale Schieber angeiferte! Eine Strömung im Lande stützte sie eifrig. Die Pornographie [Julius] Streichers im "Stürmer" fand eifrige Nachäffer im Schrifttum eines Baron [Carl von] Vogelsang. Die niederste Stufe nationalsozialistischen Kämpfertums hatte bei uns den Nährboden gefunden für die spätere Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein und deren schmutzigen Ableger, den "Umbruch". Heute vollzieht sich eine Agitation mit umgekehrten Vorzeichen, denn das in der Monarchie demokratisch organisierte Liechtenstein, das in seinem harten Existenzkampf der letzten Jahre seine Stellung trotz des Druckes von seiten des Nationalsozialismus eindeutig bezogen hat, soll heute Zufluchtsstätte des Nazismus sein. Paradoxer könnte eine zweite Auflage schamloser Verleumdung nicht erscheinen.

Aber eine englische Zeitung schrieb es. Ausgerechnet ein englisches Blatt, während wir Liechtensteiner in den Kampfjahren als Englandhörige und unsere Jungen im Pfadikleid als Churchillknaben von denen angefeindet wurden, die wir heute im warmen Neste sorglich hüten sollen. Das ist denn doch zu sehr gelogen, als dass sich nicht die Wellen des Rheins nach oben kehren wollen. Und Regierungschef Dr. Hoop, der mit uns im Kampfe stand, mit der einen Hand den Nazismus wehrend, mit der anderen geschickt die Aussengeschäfte des Staates ordnend, wird als Kollaborationist bezeichnet. In einer in Stuttgart gehaltenen Rede habe er seine Politik als volle Kooperation mit Deutschland definiert. Verluderter könnte die ganz im Dienste des Fürsten und des Heimatlandes gestandene politische Tätigkeit dieses um das Land verdienten Mannes kaum geschildert werden.

Schnöder könnte ferner die Wahrheit nicht behandelt werden, als dies in der Angelegenheit Minister [Otto] Köchers im Artikel des "Telegraph" geschehen ist, Köchers, der bis 31. Juli die Schweiz zu verlassen hat. Es werde dem Blatt glaubwürdig versichert, hiess es, dass über dessen Einbürgerung in Liechtenstein verhandelt würde. Als Preis würden 50'000 bis 100'000 Franken genannt. Die Absicht einer solchen aus der Luft gegriffenen Darstellung eines in der Schweiz anhängigen Nazifalles ist offenkundig.

Noch eine wörtliche Wiedergabe:

"Liechtenstein beherbergt eine Menge von Leuten, die es vorziehen, einen Namen anzunehmen, der nicht mehr an ihren ursprünglichen Namen erinnert, in der Hoffnung, damit die alliierten Besetzungsbehörden jenseits der Grenze täuschen zu können. Die Verhältnisse in Liechtenstein sind für Uneingeweihte so verwickelt und rätselhaft, dass solche Versuche zuweilen erfolgreich sind. Leute mit dunkelster Vergangenheit bringen es fertig, sich als alte Freunde der alliierten Sache oder gar als Häupter der österreichischen Widerstandsbewegung auszugeben. Solche Manöver wären unmöglich ohne die Mithilfe einiger Regierungsmitglieder."

Was ergibt sich aus solchen Darlegungen für uns Liechtensteiner? Wir können dementieren und protestieren, einen schmutzigen Kanal in die fremde Presse kann es immer wieder geben, wenn auch die Wäsche noch so sauber ist. Wir hätten uns die neuesten Ergüsse vielleicht ersparen können, wenn mit der Säuberung rascher und planvoller durchgegriffen worden wäre. Anstatt dessen verlieren wir uns in einer Regierungskrise und speisen, wenn auch ungewollt, die Gerüchtemacherei im Ausland. Der Artikel des "Daily Telegraph" ist Beispiel dafür. [3] Wir wenden uns selbstverständlich gegen solche Verleumdungen von übelwollender Seite, sie unterbinden werden wir am besten, wenn die neu zu bildende Regierung in Bälde ihre Tätigkeit aufnehmen kann.

Dass wir in Liechtenstein für Sauberkeit sind, sei denen gesagt, die glauben, sich unberufen um unsere Verhältnisse kümmern zu sollen.

 

 

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[1] L.Vo., Nr. 86, 28.7.1945, S. 1.
[2] Daily Telegraph And Morning Post, Nr. 28'094, 3.7.1945, S. 1, 5 ("Crisis in Nazis' Bolt-Hole"). Eine deutsche Übersetzung des Artikels in LI LA RF 230/478a/I.
[3] Artikel mit ähnlicher Stossrichtung erschienen auch in der Schweizer Presse, so in der freiwirtschaftlichen Zeitung "Freies Volk", Nr. 26, 29.6.1945, S. 3 ("Was geht in Liechtenstein vor?") und in der sozialdemokratischen "Volksstimme", Nr. 168, 21.7.1945, S. 1-2 ("Die Regierung Liechtensteins zurückgetreten"). Das "Liechtensteiner Volksblatt" hatte sich bereits am 24. Juli 1945 gegen solche Artikel zur Wehr gesetzt, vgl. L.Vo., Nr. 84, 24.7.1945, S. 1 ("Auslandstimmen und deren Urheber"). Am 4. Aug. 1945 nahm auch das "Liechtensteiner Vaterland" Stellung, vgl. L.Va., Nr. 63, 4.8.1945, S. 1 ("Die Auslandpresse und wir").