Der Landtag führt eine Grundsatzdebatte über die Einbürgungspraxis


Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags, ungez. [1]

11.1.1939

1. Einbürgerungsgesuche:

a/ Dr. [Friedrich] Kempner in Schellenberg [2]

b/ Dr. Georg Solmssen in Gamprin [3]

c/ Dr. Ing. [Siegfried] Arndt in Triesen [4]

Dr. [Alois] Vogt: Ich möchte ein paar grundsätzliche Erwägungen zur Einbürgerungspraxis festlegen. Seinerzeit ist beschlossen worden, dass die Einbürgerungsgesuche vor der Erledigung in der Gemeinde dem Landtag vorgelegt werden müssen. Dieser Modus muss inskünftig eingehalten werden. Zukünftig soll ein Gesuch überhaupt nicht mehr behandelt werden, das zuerst in der Gemeinde behandelt wird. Es ist für den Landtag ausserordentlich schwer, bei den heutigen Verhältnissen ein fast einstimmig angenommenes Gesuch durch den Landtag abzulehnen. Der frühere Beschluss des Landtags muss wieder wirksam gemacht werden. Der Landtag soll die Möglichkeit haben, Einbürgerungen abzuschneiden, bevor sie die Gemeinde passiert haben. Auch Seine Durchlaucht der Fürst [Franz Josef II.] kommt so in eine schwierige Lage. Es ist auch Tatsache, dass wir dauernd von draussen bezw. mehr von schweizerischen Behörden gefragt werden, was bezgl. Einbürgerung geschieht. Die Situation wird für das Land dauernd schwieriger und wir verlieren zusehends auch das Vertrauen in Bern. Ich gehe so nicht mehr nach Bern, weil diese Frage immer wieder dort gestellt wird. Ich verstehe die finanziellen Interessen der Gemeinde, aber diese dürfen nicht mehr massgebend sein, sondern aussenpolitische Belange müssen für den Landtag wesentlich bestimmend sein. Es ist für den Landtag ausserordentlich schwer, ein Gesuch, das in der Gemeinde fast einstimmig angenommen worden ist, abzulehnen. Ich sehe hier schwarz. Wenn man so weiter macht, verlieren wir da und dort den Boden.

Präsident [Anton Frommelt]: Ich habe nachgesehen in den Protokollen wegen des letzten Beschlusses in dieser Sache. Er ist seinerzeit von mir angeregt worden und die Formulierung des Beschlusses ist seinerzeit so erfolgt. [5] Ich würde begrüssen, dass dieser Beschluss erweitert wird, dass die Einbürgerungsgesuche den Landtag präliminar durchgehen, bevor sie in die Gemeinden gehen.

Dr. [Otto] Schädler: Ich erinnere mich noch an den seinerzeitigen Beschluss, dass Emigranten oder Juden nicht eingebürgert werden sollen, wenn nicht ein eminentes wirtschaftliches Interesse des Landes vorhanden sei. Was die Judenfrage als solches anbelangt, glaube ich, ist eine grundsätzliche Klärung notwendig, die im Landtage nicht immer eindeutig war und zwar deshalb, weil hier das Konfessionelle mehrfach in den Vordergrund geschoben wurde. Diese Einstellung ist falsch, weil nicht die konfessionellen Rücksichten im Ausland berücksichtigt werden, sondern ihre Abkunft. Unsere Einbürgerungen werden unter diesem Gesichtspunkte beurteilt werden müssen. Ich glaube, dass diese Zustände im Ausland genau schwer beurteilt werden, ob er Israelit, Protestant oder Katholik ist. Wenn man in Bern schon wie auch im deutschen Reich unsere Einbürgerungspraxis mit Argwohn verfolgen, dann sind wir aus aussenpolitischen Gründen verpflichtet, hier unsere Konsequenzen zu ziehen und uns auf diese Fälle zu beschränken, wo ein eminentes wirtschaftliches Interesse des Landes vorliegt. Ich würde empfehlen, diese grundsätzliche Frage bezgl. der Abkunft abzuklären, ob Konfession oder jüdische Abkunft ausschlaggebend ist. Andererseits muss abgeklärt werden, wie weit sich das eminente Interesse des Staates erstreckt.

[Ferdinand] Heidegger: Ich bin sehr einverstanden mit den Ausführungen dieser Herren, dass die Sache zuerst durch den Landtag soll, bevor es an die Gemeinden kommt. Aber wie stehen die Gemeinden draussen da. Wenn einer eine so arme Gemeinde hinter sich hat. Ich wüsste mir keinen anderen Ausweg als durch Einbürgern. Wenn das eingestellt wird, so soll man uns helfen vom Lande. Wie sollen wir es machen.

Präsident: Seinerzeit war die Meinung so, dass wenn ein Fall unschuldig aussieht, so z.B. bei einer alten Dame usw., so würde er eine separate Behandlung erfahren. Ich bin auch der Meinung, dass nach aussen nicht die Taufe, sondern das Blut angesehen wird. Für inländische Interessen ist das für mich nicht zu übersehen. Ein Jude, der sich zum Zwecke der Erreichung eines Zieles taufen lässt, erachte ich viel schlechter als jener, der die Religion beibehaltet. Was Bern anbelangt, so würde Bern weniger Ingerenz genommen haben, wenn nicht wir ausdrücklich das gegenüber Bern betont hätten. Ich bin für die Einbürgerungen nie begeistert gewesen. Sie sollten eine Ehrensache sein und es sollten nur solche eingebürgert werden, die für unser Land ganz wünschbar sind. Nun hat sich aber die wirtschaftliche Not eingestellt und aus dieser heraus ist es geschehen und zudem war früher die deutsche Grenze nicht so nah. Ich bin sehr dafür, dass man die äusserste Vorsicht walten lässt. Für die meisten sind die Franken, die sie bezahlen müssen, wieder leicht hereinbringlich, sie bürgern sich nur aus wirtschaftlichen Vorteilen ein.

Dr. Vogt: Ich möchte noch darauf verweisen, dass auch in der Schweiz der Antisemitismus sowohl in Behörden wie im Volke stark im Wachsen ist. Das Judentum macht den Schweizern starke Konkurrenz im Kleingewerbe, Industrie und überall. In der Schweiz wird nicht mehr lange untersucht, sondern der Name entscheidet schon beim Juden. Es geschieht dies aus der Sorge für die Schweiz. Was die finanzielle Sache anbelangt, begreife ich den Standpunkt der Gemeinden, besonders von Triesen. Aber wir müssen hier Mittel und Wege suchen, um nicht alles an den Nagel Einbürgerungen zu hängen. Jeder muss auf die Mentalität des anderen Rücksicht nehmen aus Existenzgründen. Dies umsomehr als Liechtenstein klein ist und einem aussenpolitischen Druck viel stärker unterliegt. Wir müssen unsere Volkswirtschaft auf eigene Füsse stellen und suchen, unser Land zu industrialisieren. Es wird möglich sein, ohne jüdisches Geld unsere Arbeiter zu beschäftigen. Wenn in Triesen genügend Arbeit ist, dann wird es in der Lage sein, aus sich selbst heraus die Schulden zu verzinsen und amortisieren.

Vogt Basil: Der Reg.Chef [Josef Hoop] hat schon oft betont, dass in erster Linie das Land Schwierigkeiten bekommt mit den Einbürgerungen. Vielleicht könnte nur mehr der Staat einbürgern und nicht mehr die Gemeinden.

Präsident: Das widerspräche den heutigen Gesetzen und an der gesetzlichen Grundlage würde ich heute nicht rütteln. [6]

Reg.Chef: Die Ausführungen von Dr. Vogt und Dr. Schädler stimmen vollständig. Wir haben in Bern erklärt, vorläufig bürgern wir nicht mehr ein. [7] Ich habe darauf hingewiesen, dass die Gemeinden gezwungen waren und wenn wir von der Schweiz jene Hilfe haben, dass die Arbeiter abgenommen werden, verzichten wir auf die Einbürgerungen und auf Gründung von Industrien. Leider ist das auch nicht eingetreten bis heute. Die Zulassung der Arbeiter in der Schweiz ist wieder gescheitert am Widerstande der lokalen Behörden. Ich kann mir fast nicht vorstellen, wie die Gemeinden ihren Haushalt bestritten hätten, wenn sie diese Gelder nicht gehabt hätten. Ich habe kein Einbürgerungsgesuch befürwortet, aber auch keinen Widerstand geleistet. Die Gemeinden haben viel Geld eingenommen, ebenso auch das Land und die Sparkasse war auch froh um diese Gelder. Es ist schwierig. Bürgern wir nicht ein, so riskieren wir den finanziellen Zusammenbruch der Gemeinden und Schwächung der Landesfinanzen. Bürgert man ein, so können wir mit der Schweiz und Deutschland eine unangenehme Auseinandersetzung bekommen, das vermieden werden sollte. Es ist bisher in unserer Finanzwirtschaft ein wichtiger Faktor gewesen. Vielleicht kann man sich überlegen, von jetzt ab von Einbürgerungen abzustehen.

[Peter] Büchel: Ich würde einen bezgl. Beschluss dem nächsten Landtag überlassen.

[Johann Georg] Hasler: Gamprin hat eine grosse Schuldenlast. Ich würde glauben, wenn diese Leute legal aus Deutschland ausgewandert sind, würde Deutschland das gleich sein.

Dr. Schädler: Es ist klar, dass sich der Vertreter der Gemeinde Gamprin rührt, da er die Lage der Gemeinde kennt. Immerhin aber kann man diese Not nicht mit untauglichen Mitteln bekämpfen, sondern mit tauglichen. Ich glaube, es sollte, wenn Einbürgerungsgesuche kommen, der Landtag die Frage prüfen, ob nicht jenen Gemeinden solche zugewiesen werden sollen, die in einer unmittelbaren Notlage sind. Die Zuweisung sollte durch die Regierung selbst erfolgen und nicht durch einen Rechtsanwalt. Auch Luxemburg hat in diesen Belangen strenge Vorschriften gemacht. Auch bei der Niederlassung haben sie dort strenge Vorschriften.

Reg.Chef: Das stimmt, aber hier stehen wir hinter Luxemburg nicht zurück. Wir haben ein paar Juden hereingelassen, aber seit einiger Zeit haben wir regelmässig abgewiesen und lassen keinen mehr herein. Ferner haben wir auch den Beschluss des Landtages insofern angewendet, dass wir getrachtet haben, die Juden abzuschieben. Es wird allmählich eine Säuberung geben.

Dr. Vogt: Wir können bei solchen, die hier sind, nur einen ständigen Druck ausüben, dass sie langsam verschwinden. Man kann sie nicht einfach an die Grenze stellen.

Präsident: Der Antrag des Dr. Schädler wegen Zuweisung der Einbürgerungen durch die Regierung, so würde ich den Antrag nicht so formell nehmen, sondern sagen, die Regierung soll sich besprechen mit den Gemeinden. Es würde sicher zu Konsequenzen führen. Intern kann man das regeln, aber beschlussmässig lässt das wegen der Konsequenzen nicht festlegen.

Dr. Schädler: Man kann so abschwächen, dass man sagt, die Regierung kann die Zuweisung vornehmen.

Der Landtag beschliesst einstimmig, dass jedes Einbürgerungsgesuch abgewiesen und nicht mehr behandelt wird, das nicht vorher von der Regierung und vom Landtage vorbehandelt worden ist.

Präsident: Ferner wäre noch die von Dr. Schädler angeregte Klärung bezgl. der Juden abzuklären, ob sie im Sinne des Blutes oder der Konfession als solche anzusehen sind. Ich würde empfehlen, dass der Landtag unter Jude das versteht, was politisch unter Jude zu verstehen ist und dann ist es der Blutjude. Ich möchte nicht sagen, dass man einfach sagt, unmöglich, es kann ein Fall eintreten, wo man es verantworten kann. Wenn eminente befürwortende Umstände vorhanden sind, würde ich nicht ein absolutes Nein sagen.

Dr. Schädler: Ich stelle mit vor, wenn einer Arbeit in grossem Umfange beschafft, das wäre als eminentes Interesse zu werten.

[Philipp] Elkuch: Ich würde dem künftigen Landtag hier nicht den Weg weisen.

Präsident: Ich würde empfehlen, diese drei Fälle noch zu erledigen und dann soll für diese Periode keiner mehr eingebürgert werden. Der neue Landtag soll sich dann die neuen Normen schaffen. Es wird schwer sein, Verpflichtungen an den neuen Landtag zu geben, wenn man nicht weiss, wie sie aufgefasst werden. Ich würde dem künftigen Landtag freie Hand lassen.

Dr. Schädler: Ich wollte nur den seinerzeitigen Beschluss des Landtages erneut wissen. Der neue Landtag kann dieses eminente wirtschaftliche Interesse wieder anders interpretieren. Ich gebe mich mit dem Hinweis auf diesen Landtagsbeschluss zufrieden und auch damit, dass man sich mit diesem Beschluss befasst hat.

Sodann behandelt der Landtag die vorliegenden drei Einbürgerungen.

  1. Fall Solmsson wird vom Landtage mehrheitlich befürwortende Weiterleitung an den Landesfürsten beschlossen.
  2. Fall Dr. Friedrich Kemper wird ebenfalls mehrheitlich angenommen.
  3. Fall Dr. Ing. S. Arndt wird ebenfalls mehrheitlich aufgenommen unter der Voraussetzung, dass die Informationen entsprechend sind und sich nichts Nachteiliges ergibt, anderenfalls müsste der Fall nochmals den Landtag passieren.

 

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[1] LI LA LTP 1939/008.
[2] Vgl. das Einbürgerungsdossier in LI LA V 004/1939/02.
[3] Vgl. das Einbürgerungsdossier in LI LA V 004/1939/04.
[4] Vgl. das Einbürgerungsdossier in LI LA V 004/1939/06.
[5] LI LA LTP 1938/004.
[6] Gesetz vom 4.1.1934 über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechtes (LGBl. 1934 Nr. 1).
[7] An der liechtensteinisch-schweizerischen Konferenz in Bern vom 16.3.1938 (LI LA RF 179/130/022-025).