Dem Schweizer Bundesrichter Hans Steiner zufolge hat Regierungschef Josef Hoop im Rahmen der "Spitzelaffäre" nicht kompetenzwidrig gehandelt


Gutachten von Bundesrichter Dr. Hans Steiner zuhanden der Regierung [1]

1.7.1937, Lausanne

Hochgeachteter Herr Regierungs-Chef!

Hochgeachtete Herren Regierungsräte!

Sie haben mich ersucht, die Frage zu prüfen, ob Ihr Hr. Regierungs-Chef [Josef Hoop] nach der Verfassung & den Gesetzen des Fürstentums Liechtenstein jene Massnahmen treffen durfte, die er in der Spitzelangelegenheit „von Vogelsang" vor der Regierungssitzung vom 26. Januar 1937 getroffen hat. [2]

1.) Der Hr. Regierungs-Chef hat, nachdem ihm gegen Ende des Monats November 1936 die an deutsche Amtsstellen gerichteten, den Stempel der Landesleitung des Liechtensteiner Heimatdienstes tragenden Briefe zugestellt worden waren, zunächst geprüft, ob ein nach liechtensteinischem Rechte strafbarer Tatbestand vorliege, & ob die ihm zugesandten Briefe echt seien. Diese Prüfung ergab einerseits, dass ein nach liechtensteinischem Rechte strafbares Delikt nicht vorlag & andererseits, dass die Briefe echt waren, d.h. von Baron [Carl] von Vogelsang, dem Redaktor & Landesführer des Liechtensteiner Heimatdienstes, stammten. Hernach ordnete der Regierungs-Chef am 23. Januar 1937 bei Baron von Vogelsang eine polizeiliche Hausdurchsuchung an, die weiteres, den Baron belastendes Material zu Tage förderte. Der Hausdurchsuchung vorgängig, übergab der Regierungs-Chef einen jener Briefe, die ihm zu Ende November 1936 zugestellt worden waren, dem Liechtensteiner Volksblatt zur Veröffentlichung. In der Regierungssitzung vom 26. Januar 1937 erstattete dann der Regierungs-Chef Bericht über die Spitzelangelegenheit & speziell auch über die Hausdurchsuchung.

2.) Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass die vom Regierungs-Chef angeordneten Massnahmen in den Kompetenzbereich der Regierung (- ob der Gesamtregierung oder des Regierungs-Chef's allein soll später unter Ziff. 3 untersucht werden -) fielen.

a./ Das Gesetz vom 30. Mai 1933 „betreffend die Erteilung besonderer Vollmachten an die Regierung" [3] bestimmt in Art. 1: „Der Landtag erteilt der fürstlichen Regierung Vollmacht zur Vornahme aller Massnahmen, die für die Aufrechterhaltung von Ruhe & Ordnung sowie zur Wahrung des Ansehens & der wirtschaftlichen Interessen des Landes erforderlich sind." Eine solche Massnahme war, - wie Hr. Prof. [Walther] Burckhardt in seinem Gutachten vom 27. Febr. 1937 [4] anerkennt, - die Aufdeckung & Unterdrückung von Verrätereien, wie sie sich Baron von Vogelsang zu schulden kommen liess. Die Zuständigkeit einer andern Behörde kam nicht in Frage. Dem Untersuchungsrichter (vergl. § 33 liechtenstein. Strafprozessordnung) konnte die Angelegenheit nicht überwiesen werden, da damals im Fürstentum Liechtenstein noch keine Strafnorm bestand, unter die die Spitzeltätigkeit des Baron von Vogelsang subsumiert werden konnte.

b./ Zwecks genauer Feststellung von Umfang & Tragweite der Spitzeltätigkeit durfte bei Baron von Vogelsang eine Hausdurchsuchung angeordnet werden. Nach Art. 32 der Verfassung ist zwar eine Hausdurchsuchung nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen zulässig. Doch die gesetzliche Grundlage für die am 23. Jan. 1937 durchgeführte Hausdurchsuchung war vorhanden.

aa./ Sie kann schon in Art. 1 des Gesetzes vom 30. Mai 1933 erblickt werden; denn dieses Gesetz erteilt der Regierung die Vollmacht zur Vornahme aller im Interesse des Landes erforderlichen Massnahmen, also auch die Vollmacht zur Vornahme einer Hausdurchsuchung, sofern sich eine solche „für die Aufrechterhaltung von Ruhe & Ordnung" oder „zur Wahrung des Ansehens & der wirtschaftlichen Interessen des Landes" als erforderlich erwies. Diese Voraussetzung war aber im vorliegenden Falle gegeben. Selbst jene, die neben Baron von Vogelsang der Landesleitung des Liechtensteiner Heimatdienstes angehörten, billigten im Januar 1937 die Hausdurchsuchung im Interesse einer allseitigen Abklärung der die Landesinteressen schwer gefährdenden Verrätereien.

bb./ Ausser dem Gesetze vom 30. Mai 1933 fällt als weitere gesetzliche Grundlage für die Hausdurchsuchung auch noch das Gesetz vom 21. April 1922 „über die allgemeine Landesverwaltungspflege" (LVPG) in Betracht. [5] Auf Art. 130 Ziff. 5 dieses Gesetzes kann freilich die Anordnung der Hausdurchsuchung nicht gestützt werden, da sich diese Bestimmung, wie Hr. Prof. Burckhardt zutreffend bemerkt, auf das Verwaltungszwangsverfahren, d.h. die zwangsweise Durchführung vollstreckbarer Verfügungen bezieht & eine solche Verfügung am 23. Jan. 1937 nicht vorlag. Dagegen fällt als gesetzliche Grundlage der im Abschnitt über „das einfache Verwaltungsverfahren" stehende Art. 67 (insbes. Abs. 1 & 2) in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine Hausdurchsuchung zulässig zwecks „Abwendung von Gemeingefahren für Leib, Leben, Gesundheit & Eigentum". Die Spitzeltätigkeit des Baron von Vogelsang war gemeingefährlich & konnte zur Folge haben, dass Bürger oder Bewohner des Fürstentums Liechtenstein, die sich nach Deutschland begaben, mit Freiheits- oder Vermögensstrafen belegt wurden, also an Leib oder Eigentum Schaden litten.

3.) Die in die Kompetenz der Regierung fallenden Geschäfte werden zum Teil „kollegial", d.h. durch das dreigliedrige Regierungskollegium, & zum Teil „ressortmässig", d.h. durch die einzelnen Regierungsräte, behandelt. Welche Geschäfte „kollegial" & welche „ressortmässig" zu behandeln sind, bestimmt Art. 94 der Verfassung, der folgendermassen lautet:

„Damit der Gang der Geschäfte nicht nachteilig verzögert werde, sollen die laufenden Angelegenheit nicht bis zum Sitzungstage aufgeschoben, sondern auf Grund eines von der Regierung zu Beginn eines jeden Jahres kollegial aufzustellenden Geschäftsverteilungsplanes vom Regierungs-Chef, bezw. den Regierungsräten bis zur endgültigen, der kollegialen Behandlung vorbehaltenen Entscheidung (Art. 90) einzeln ressortmässig behandelt werden. Unter laufenden Angelegenheiten sind alle Gegenstände (zu verstehen), welche an sich minder wichtig sind oder blosse vorbereitende Verfügungen betreffen, wodurch noch Berichte abverlangt, Beweise gefordert, kommissionelle Erhebungen gepflogen oder Bestimmungen getroffen werden, die vorbehaltlich der Enderledigung nur den Zustand festsetzen, im welchem die Sache bis zur erfolgenden endgültigen Entscheidung verbleiben soll."

a./ In dieser Verfassungsbestimmung wird nicht nur angegeben, welche Geschäfte ausnahmsweise „ressortmässig" zu behandeln sind (die laufenden Angelegenheiten), sondern es wird auch gesagt, aus welchem Grunde diese ressortmässige Behandlung vorgesehen wird (zwecks Vermeidung einer nachteiligen Geschäftsverzögerung). Die Beifügung der Begründung ist auffallend, da Verfassungsbestimmungen möglichst kurz & klar abgefasst sein sollten & daher durchwegs keine Begründungen enthalten. Wenn Art. 94 der liechtensteinischen Verfassung eine Ausnahme macht, so hat dies seinen Grund darin, dass diese Bestimmung erst im Laufe der Beratungen durch die Verfassungskommission aus der „Amtsinstruktion für die Landesbehörden des Fürstentums Liechtenstein" (Art. 16) übernommen wurde. Hiebei lehnte man sich beim zweiten Satze sogar so enge an die Vorlage an, dass nicht einmal die schon in der Vorlage fehlenden Worte „zu verstehen" ergänzt wurden.

Da die Beschleunigung des Geschäftsganges nicht die Voraussetzung, sondern die Begründung der ressortmässigen Behandlung ist, so unterliegen die Geschäfte, die nach der in Art. 94 Abs. 2 gegebenen Umschreibung zu den laufenden, d.h. den minder wichtigen & bloss vorbereitenden Verfügungen gehören, der ressortmässigen Behandlung auch dann, wenn im konkreten Fall durch diese Art der Behandlung keine Beschleunigung des Geschäftsganges bewirkt wird. Die Beifügung der Begründung kann nur von Bedeutung werden, wenn Zweifel darüber besteht, ob eine gewisse Art von Geschäften zu den „laufenden Angelegenheiten" des Art. 94 Abs. 2 der Verfassung gehört. In einem solchen Falle ist auch der vom Verfassungsgesetzgeber mit der Einführung der ressortmässigen Behandlung verfolgte Zweck mitzuberücksichtigen. Art. 94 kann auch nicht den Sinn haben, dass laufende, d.h. minder wichtige oder bloss vorbereitende Verfügungen nur dann ressortmässig behandelt werden dürfen, wenn zwischen der Anhängigmachung des Geschäftes & dessen Behandlung keine Sitzung des Regierungskollegiums stattgefunden hat. Es würde zu einer vom Verfassungsgesetzgeber zweifellos nicht gewollten Überlastung der Regierungssitzungen & damit auch zu einer Verzögerung in der Geschäftserledigung führen, wenn die Regierungsräte alle „minder wichtigen" Geschäfte, die sie vor einer Regierungssitzung nicht mehr erledigen können, dem Kollegium zur Entscheidung vorlegen müssten, oder wenn die Regierungsmitglieder über die bei ihnen anhängigen Geschäfte auch dann, wenn deren Vorbereitung noch nicht abgeschlossen ist, in jeder Sitzung zu referieren & über das weitere Vorgehen die Weisungen der Gesamtregierung entgegenzunehmen hätten.

Den besten Beweis dafür, dass minder wichtige oder vorbereitende Verfügungen stets & ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Einzelfalle durch diese Art der Behandlung eine Beschleunigung des Geschäftsganges erzielt wird, & ob inzwischen Regierungssitzungen stattfanden, ressortmässig erledigt werden dürfen & sollen, leisten jene Vorschriften des Landesverwaltungspflegegesetzes, die als Ausführungsvorschriften von Art. 94 der Verfassung anzusprechen sind. Das Landesverwaltungspflegegesetz ist in direktem Anschluss an die Verfassung erlassen worden: die Verfassung datiert vom 2./5. Oktober 1921 & das Landesverwaltungspflegegesetz vom 21. April 1922. Können auch Gesetze die Verfassung nicht abändern, so kann es doch für die Auslegung einer Verfassung kaum ein zuverlässigeres Interpretationsmittel geben, als die Gesetze, die in direktem Anschlusse an die Verfassung zwecks deren Ausführung von den gleichen Organen wie diese (Landtag & Fürst) erlassen worden sind. Im Landesverwaltungspflegegesetz werden die Begriffe „minder wichtige Verfügung" (vergl. Art.77; 78; 152 Abs.4; 158) & „bloss vorbereitende Verfügungen" (vergl. die Art. 54 Abs. 1 & 2; Art. 57 Abs. 2; Art. 58 Abs. 3; Art. 64 Abs. 5; Art. 67 Abs. 1 & 2; Art. 73 Abs. 1 & 2, Art. 76 Abs. 1; Art. 78; Art. 155 Abs. 3) erörtert & zwar zum Teil unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 94 der Verfassung (vergl. Art. 54 Abs. 1 & 2; Art. 73 Abs. 1 & 2). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich aber einwandfrei, dass die Verfügungen, die „minder wichtig" oder „vorbereitend" sind, der ressortmässigen Behandlung unterliegen, ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Fall durch diese Art der Behandlung eine Beschleunigung der Geschäftsführung bewirkt wird oder nicht, & ob im Laufe des Verfahrens Regierungssitzungen stattfanden oder nicht; denn in keiner dieser Gesetzesstellen wird hierauf Bezug genommen.

Die Kompetenz des Regierungs-Chef's zur Vornahme der von ihm in der Spitzelangelegenheit Vogelsang vor dem 26. Januar 1937 angeordneten Massnahmen kann daher nicht mir der Begründung bestritten werden, dass in dieser Angelegenheit die ressortmässige Behandlung nichts zur beschleunigten Erledigung beigetragen habe oder dass in der Zeit zwischen Ende November 1936 & Ende Januar 1937 wiederholt Regierungssitzungen stattfanden. Sofern die vom Regierungs-Chef angeordneten Massnahmen „minder wichtige" oder „bloss vorbereitende" Massnahmen waren, durften sie ressortmässig vorgenommen werden.

b./ In einer minder wichtigen Angelegenheit darf das Regierungsmitglied, in dessen Ressort die Angelegenheit fällt, nicht nur die Instruktion vornehmen, sondern auch den Entscheid fällen. Um eine solche minder wichtigen Angelegenheit handelte es sich bei der Spitzeltätigkeit des Baron von Vogelsang nicht. Der Regierungs-Chef konnte daher in dieser Angelegenheit keinen Entscheid fällen, zumal des Landesverwaltungspflegegesetz (Art. 77) den Art. 94 der Verfassung in der Weise einschränkt, dass es die ressortmässige Erledigung der weniger wichtigen Verwaltungssachen nur bei Zustimmung der Interessierten zulässt & diese Zustimmung im vorliegenden Falle nicht eingeholt wurde.

c./ Dagegen fallen die vom Regierungs-Chef in der Spitzelangelegenheit Vogelsang vor dem 26. Jan. 1937 getroffenen Massnahmen unter den Begriff der „vorbereitenden Verfügungen" im Sinne von Art. 94 der Verfassung. Zu den vorbereitenden Verfügungen gehören nach dieser Bestimmung alle Akte des Instruktions- oder Ermittlungsverfahrens & zwar – wie Art. 1 dieses Artikels sich ausdrückt – „bis zur endgültigen, der kollegialen Behandlung vorbehaltenen Entscheidung" oder – wie es in Abs. 2 heisst – bis zur „Enderledigung" oder bis zur „erfolgenden endgültigen Entscheidung".

Im Landesverwaltungspflegegesetz wird die Abgrenzung zwischen Ermittlungsverfahren & Entscheidung in Art. 54 Abs. 1 & 2 & Art. 76 folgendermassen vorgenommen:

Art. 54: „(1) Das auf Antrag oder von amteswegen einzuleitende Ermittlungsverfahren mit Parteienverhandlung (kommissionelle Erhebung) bezweckt die genauer Erforschung der Beteiligten, die Feststellung der allfälligen Streitpunkte, die allseitige Abklärung der tatsächlichen & rechtlichen Verhältnisse einer Verwaltungssache, die Sammlung & Erhebung der beantragten oder zur Fällung einer Entscheidung oder Erlassung einer Verfügung von amtswegen nötig erachteter Beweismittel durch den prozessleitenden Beamten (Verhandlungsleiter) unter Vorbehalt der endlichen Erledigung, soweit eine Ausnahme nicht besteht (Art. 63 & 77) durch das Regierungskollegium.

(2) Prozessleitender Beamter ist in der Regel der Regierungs-Chef oder ein anderes von der Regierung beauftragtes Mitglied (Art. 94 der Verfassung) ..."

Art. 76: „(1) Nachdem der untersuchende Beamte nach seinem Ermessen das Ermittlungsverfahren als abgeschlossen & die Sache [für] spruchreif erachtet, hat er die Akten zum Entscheide an das Regierungskollegium, allenfalls mit einem übersichtlichen schriftlichen Berichte abzutreten."

Danach kann es meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, dass der kollegialen Behandlung nur der nach durchgeführtem Instruktions-Verfahren zu fällende Endentscheid vorbehalten ist.

Die Auffassung Burckhardt's, dass auch die Einleitung des Verwaltungsverfahrens nur durch einen Beschluss des Regierungskollegiums verfügt werden könne, findet nicht nur in Verfassung & Gesetz keine Stütze, sondern steht damit in Widerspruch. Ein Beschluss auf Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens ist weder ein endgültiger Entscheid oder Endentscheid im Sinne von Art. 94 der Verfassung, noch eine endliche Erledigung im Sinne von Art. 54 des Landesverwaltungspflegegesetzes. Der Eröffnungsbeschluss ist ja das gerade Gegenteil: er ist der Anfang & nicht das Ende. Ob ein Verwaltungsverfahren zu eröffnen ist, mag freilich unter Umständen nicht leicht zu entscheiden sein & kann grundsätzliche Bedeutung haben. In einem solchen Falle kann das Regierungsmitglied, in dessen Ressort die Angelegenheit fällt, einen Beschluss des Regierungskollegiums veranlassen (vergl. Art. 73 LVPG); es ist aber hiezu nicht verpflichtet, sondern kann die Verantwortung selbst übernehmen & die Instruktion durchführen. Im vorliegenden Falle durfte der Regierungs-Chef die Verantwortung für die Eröffnung eines Instruktionsverfahrens ruhig übernehmen. Wenn es sich auch um die erste Spitzelangelegenheit im Fürstentum Liechtenstein handelte & daher die Frage, ob deren Aufdeckung & Unterdrückung in die Kompetenz der Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden falle, genau zu prüfen war, so ergab doch diese Prüfung mit aller Bestimmtheit die Zuständigkeit der Exekutive. Auch Prof. Burckhardt anerkennt in seinem Gutachten, dass „die Aufdeckung & Unterdrückung von Verrätereien, wie sie sich Vogelsang hat zu schulden kommen lassen", die „selbstverständliche" Pflicht der Regierung war.

In das Instruktions- oder Ermittlungsverfahren gehört auch die Anordnung einer Hausdurchsuchung. Das Landesverwaltungspflegegesetz räumt denn auch überall, wo es vom Recht zur Hausdurchsuchung & zur Anordnung anderer sichernder Massnahmen spricht (vergl. Art. 67 Abs. 1 & 2; Art. 130; Art. 155 Abs. 3), dieses Recht dem Regierungs-Chef oder dem prozessleitenden Beamten, nicht aber dem Regierungskollegium ein.

Ob die Anordnung zur Hausdurchsuchung im vorliegenden Falle „dringlich" war, braucht nicht untersucht zu werden; denn das Ermittlungsverfahren erfolgte ressortmässig, ohne Rücksicht darauf, ob die zwecks Feststellung des Sachverhalts angeordneten Erhebungen „dringlich" seien oder nicht.

Das Auseinanderhalten von Instruktion & Entscheidung mag, wie Prof. Burckhardt behauptet, Schwierigkeiten bereiten, wenn man – mit diesem Begutachter –annimmt, dass unter Entscheidung jede „Entschliessung" zu verstehen sei. Solche Schwierigkeiten können aber kaum entstehen, wenn man dem Instruktionsverfahren den auf Grund dieses Verfahrens gefassten Endentscheid gegenüberstellt. Auch im vorliegenden Falle bereitet, wenn man die Begriffe in dieser Weise auffasst, die Abgrenzung von Instruktionsverfahren & Entscheidung keine Schwierigkeiten. Die Anordnung & Durchführung einer Hausdurchsuchung ist ganz zweifellos kein Endentscheid, sondern eine Instruktionshandlung; denn unter den Begriff der Instruktionshandlung fällt jede Massnahme, die bezweckt: „die genaue Erforschung der Beteiligten, die Feststellung der allfälligen Streitpunkte, die allseitige Abklärung der tatsächlichen & rechtlichen Verhältnisse einer Verwaltungssache, die Sammlung & Erhebung der beantragten oder zur Fällung einer Entscheidung oder Erlassung einer Verfügung von amteswegen nötig erachteter Beweismittel" (Art. 54 Abs. 1 LVPG). Die Hausdurchsuchung wird denn auch im Landesverwaltungspflegegesetz unter dem Abschnitt „Ermittlungsverfahren" (Art. 54 ff. LVPG) & nicht in dem vom Endentscheid handelnden „Schlussverfahren" (Art. 78 ff. LVPG) geregelt.

Prof. Burckhardt glaubt den gegenteiligen Standpunkt folgendermassen begründen zu können:

„Wenn die Behörde eine Hausdurchsuchung vorgenommen hat, kann sie es sehr wohl bei dieser Massnahme bleiben lassen, wenn sie der Ansicht ist, dass durch die gewonnen Einsicht das öffentliche Interesse genügend gewahrt sei. Die Hausdurchsuchung & Einsicht in die Privatakten kann also auch den Abschluss des Verfahrens, die eigentliche Massnahme, bilden. Wenn der Regierungs-Chef solche Massnahmen als vorbereitende Verfügung betrachten & allein vornehmen könnte, könnte er auch aus eigener Entschliessung Verhaftungen vornehmen mit der Begründung, sie dienten nur dazu, den Zustand festzusetzen, in welchem die Sache bis zur folgenden endgültigen Entscheidung verbleiben soll."

Gerade im vorliegenden Falle soll – wie Prof. Burckhardt an einer andern Stelle seines Gutachtens ausführt – die Hausdurchsuchung den Abschluss des Verfahrens bilden, so dass der Regierungs-Chef durch deren Anordnung „alles entschieden habe". Hierauf ist folgendes zu erwidern: Nach Feststellung des Sachverhaltes kann sich herausstellen, dass keine weitere Verfügung zu treffen ist, d.h. dass das Verwaltungsverfahren eingestellt werden kann. Doch deswegen verwandeln sich die zwecks Feststellung des Sachverhalts angeordneten Beweiserhebungen nicht nachträglich in Endentscheide. Sofern man in einem solche Falle von einem Endentscheide sprechen will, so kann dieser Charakter nur dem Beschlusse zukommen, durch den das Verwaltungsverfahren eingestellt wird. Das gilt auch für den vorliegende Fall. Da Baron von Vogelsang sich direkt nach der Hausdurchsuchung nach dem Auslande flüchtete, konnte die Regierung von Massnahmen gegen den Baron absehen & sich damit begnügen, dem Landtage den Erlass eines Spitzelgesetzes zu beantragen. Wäre von Vogelsang nicht geflüchtet, so hätte ihm die Regierung – ohne das Inkrafttreten des Spitzelgesetzes abzuwarten – durch geeignete Massnahmen das traurige Handwerk legen müssen. Der Umstand, dass infolge der Flucht solche Massnahmen überflüssig wurden, kann unmöglich bewirken, dass die Abklärung des Sachverhaltes nicht ressortmässig, sondern kollegialiter zu erfolgen hatte; denn eine Instruktionshandlung kann sich nicht nachträglich in einen Endentscheid verwandeln. Ob die von uns vertretene Gesetzesauslegung zu dem Resultate führt, dass das die Instruktion leitende Regierungsmitglied auch Verhaftungen vornehmen darf, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht dieses Recht einem Regierungsmitglied nur dann zu, wenn das Gesetz der Regierung das Recht zur Verhaftung einräumt (Art. 32 der Verfassung). Zahlreich werden diese Fälle nicht sein. Das Landesverwaltungspflegegesetz, das - wie oben ausgeführt wurde – wiederholt von der Hausdurchsuchung spricht & das Recht hiezu dem prozessleitenden Beamten zuerkennt, erwähnt die Verhaftung – soweit ich feststellen konnte – nur ein einziges Mal & macht sie von der Zustimmung des Landgerichtes abhängig (Art. 117 LVPG); das Recht zur Antragsstellung stehe in diesem Falle dem prozessleitenden Verwaltungsbeamten zu, wie aus dem in Klammer beigefügten Worte „Amtsperson" doch wohl geschlossen werden muss.

d./ Durften die in der Spitzelangelegenheit des Baron von Vogelsang vor dem 26. Jan. 1937 getroffenen Massnahmen „ressortmässig" erfolgen, so war zur Anordnung dieser Massnahmen zweifellos der Regierungs-Chef zuständig, dem als Ressort unter anderem auch das Polizeiwesen zugewiesen ist.

Auf die Bemerkung Burckhardt's, dass der schweiz. Bundespräsident nicht anordnen könne, was in einem Bundesgesetz dem Bundesrat anzuordnen gestattet sei, ist zu erwidern, dass der liechtensteinische Regierungs-Chef im staatlichen Rechtsleben eine ganz anderer Stellung einnimmt, als der schweizerische Bundespräsident (Ausführungen erachte ich für überflüssig) & dass insbesondere eine dem Art. 94 der liechtensteinischen Verfassung entsprechende Bestimmung in der schweizerischen Bundesverfassung nicht enthalten ist.

4.) Durfte der Regierungs-Chef die Hausdurchsuchung bei Baron von Vogelsang anordnen, so durfte er auch jene Vorkehren treffen, die er im Interesse einer ruhigen Durchführung dieser Massnahme als angezeigt erachtete. Eine polizeiliche Hausdurchsuchung beim Oppositionsblatt & die Beschlagnahme von daselbst vorgefundenen Schriftstücken konnten zu einer grossen Beunruhigung des Volkes führen, wenn es über die Gründe, die diese Massnahme veranlassten, nicht aufgeklärt wurde. Die Aufklärung aber konnte wohl kaum besser als in der Weise erfolgen, dass einer jener Briefe, die dem Regierungs-Chef zu Ende des Monats November 1936 zugestellt worden waren, publiziert wurde. Auch Prof. Burckhardt scheint die Publikation als solche nicht beanstanden zu wollen; er macht aber dem Regierungs-Chef deshalb einen Vorwurf, weil der Publikation nicht eine amtliche Erklärung beigefügt wurde, „welche die Unabgeklärtheit des Tatbestandes & die Notwendigkeit weiterer Aufklärung durch eine Hausdurchsuchung dargelegt & die Bevölkerung aufgefordert hätte, das Ergebnis der Untersuchung ruhigen Blutes abzuwarten". Doch die Frage, ob der Publikation des Briefes eine amtliche Erklärung beigegeben werden sollte, war noch mehr als die Frage, ob die Publikation des Briefes angeordnet werden sollte, eine Frage des Ermessens & der Zweckmässigkeit, die meines Erachtens mit der Frage, ob der Regierungs-Chef in dieser Angelegenheit die ihm laut Verfassung & Gesetz zustehenden Kompetenzen überschritten habe, nichts zu tun hat. Übrigens scheint mir die Unterlassung einer amtlichen Erklärung zweckmässiger gewesen zu sein, als irgend welche amtliche Erklärung. Eine Behörde tut wohl besser, wenn sie vor Abschluss einer Untersuchung keine Erklärungen abgibt. Der publizierte Brief erweckte freilich den Anschein, als ob an den Verrätereien nicht nur Baron von Vogelsang persönlich, sondern auch die Landesleitung des Liechtensteiner Heimatdienstes, als solche, beteiligt sei. Doch hierfür ist nicht der Regierungs-Chef verantwortlich, sondern Baron von Vogelsang, der seine verräterischen Schreiben nicht persönlich unterzeichnete, sondern mit dem Stempel der Landesleitung des Liechtensteiner Heimatdienstes versah. Gegen Baron von Vogelsang & nicht gegen den Hrn. Regierungs-Chef sollen daher jene, die der Landesleitung des Liechtensteiner Heimatdienstes angehörten & vom verräterischen Treiben des Barons keine Kenntnis hatten, ihr Vorwürfe richten. Auch eine Erklärung, wie sie Hr. Prof. Burckhardt nun nachträglich in Vorschlag bringt, hätte den Verdacht nicht beseitigt & der Presse auch nicht das Recht genommen einen Kommentar zum publizierten Briefe zu schreiben. Da der im Liechtensteiner Volksblatt vom 23. Jan. 1937 erschiene Zeitungsartikel nicht vom Regierungs-Chef stammt, so ist nicht näher zu untersuchen, ob damit die Grenzen der Pressfreiheit überschritten wurden. Es möge in dieser Hinsicht die Bemerkung genügen, dass dies nach der vom schweiz. Bundesgericht in Auslegung Art. 55 der Bundesverfassung entwickelten Praxis nicht der Fall ist. Der liechtensteinische Staatsgerichtshof würde wohl bei Auslegung von Art. 40 der liechtenstein. Verfassung kaum Grundsätze aufstellen, die wesentlich von jenen abweichen würden, die das schweiz. Bundesgericht aufgestellt hat.

5.) Der Hr. Regierungs-Chef hat somit in der Spitzelangelegenheit den Rahmen der ihm laut Verfassung & Gesetz zustehenden Kompetenzen nicht überschritten; sein Vorgehen ist in keiner Weise zu beanstanden. Als der Regierungs-Chef in der Regierungssitzung vom 26. Jan. 1937 über die von ihm getroffenen Massnahmen Bericht erstattete, ist seine Kompetenz zur Anordnung der getroffenen Massnahmen von keiner Seite bestritten worden. Auch der Landtag hat in seiner Sitzung vom 12. Febr. 1937 das Vorgehen des Regierungs-Chefs gebilligt. [6] Damit haben die zuständigen Organe die Verfassungs- & Gesetzesauslegung des Regierungs-Chefs gebilligt. Nicht die Auslegung, die ausländische Begutachter der liechtensteinischen Verfassung geben, ist schliesslich massgebend & verbindlich, sondern die Auslegung, die sich aus der übereinstimmenden Stellungnahme von Regierung & Landtag ergibt oder – wenn diese Übereinstimmung nicht erzielt werden kann – vom liechtensteinischen Staatsgerichtshof festgelegt wird (Art. 112 der Verfassung).

Ich hoffe, damit die mir zur Begutachtung vorgelegte Frage allseitig erörtert zu haben. Sollten Sie über irgend einen Punkt weitern Aufschluss wünschen, stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit vorzüglicher Hochachtung!

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[1] LI LA RF 169/170/002/055. Aufgrund des Landtagsbeschlusses vom 24. April 1937 hatte die Regierung Anfang Mai den eidgenössischen Bundesrichter Hans Steiner sowie den Staatsrechtslehrer Hans Nawiasky beauftragt, das Vorgehen von Regierungschef Josef Hoop in der "Spitzelaffäre" zu begutachten (siehe LI LA LTP 1937/061). Die Regierung liess die Gutachten, die am 1. Juli 1937 abgeliefert wurden, drucken und an alle Haushaltungen verteilen.  
[2] Siehe insbesondere den Durchsuchungsbefehl vom 23. Jänner 1937 (LI LA RF 169/170/002/001).  
[3] LGBl. 1933 Nr. 8.   
[4] Siehe LI LA RF 169/170/002/041A-H.  
[5] LGBl. 1922 Nr. 24.    
[6] Siehe LI LA LTP 1937/008