Das "Liechtensteiner Vaterland" zeigt sich entrüstet über ein Interview von Regierungschef Josef Hoop in einer nationalsozialistischen deutschen Zeitung


Artikel im "Liechtensteiner Vaterland" [1]

4.11.1936

Einführung des freiwilligen Arbeitsdienstes in Liechtenstein

Aufsehenerregende Erklärungen des Herrn Regierungschefs Dr. [Josef] Hoop – Liechtenstein erfährt aus dem Ausland, was die Regierung plant

Es dürfte etwas Ungewöhnliches und im liechtensteinischen Staatsleben noch nie Dagewesenes sein, dass das Ausland lange schon über die Absichten der liechtensteinischen Regierung orientiert ist, während die liechtensteinische Bevölkerung noch vollkommen im Dunkeln tappt. Es ist gewiss üblich, dass Staatsmänner Interviews geben. Aber nicht üblich ist es, dass ein Staatsmann einem ausländischen Journalisten etwas anvertraut, was erst geplant, aber noch nicht einmal den engsten Mitarbeitern der Regierung bekannt ist. Diese neue Methode, die liechtensteinische Bevölkerung vom Ausland her über so wichtige Angelegenheiten wie die Schaffung eines freiwilligen Arbeitsdienstes zu orientieren, scheint sich nurmehr Herr Regierungschef Dr. Hoop angeeignet zu haben. Anlässlich der Ausgabe der neuen Marken befand sich auch Herr Werner Voss, der Beauftragte des Propagandaministeriums für Pressewesen für das Land Thüringen, in Liechtenstein. Herr Regierungschef Dr. Hoop gab diesem bekannten Journalisten ein Interview, in welchem er sich als glühender Bewunderer des nationalsozialistischen Deutschlands vorstellte, und in welchem er sich auch über die Frage der Arbeitslosigkeit für die Schaffung eines freiwilligen Arbeitsdienstes in Liechtenstein aussprach.

Wir bringen in der Folge den Liechtenstein besonders interessierenden Teil dieses Interviews, das am 30. Oktober in Nr. 255 der "Thüringer Gauzeitung: Der Nationalsozialist" (Amtliches Organ der Gauleitung Thüringen der N.S.D.A.P. und der Thüringischen Staatsregierung) veröffentlicht wurde.

Nach allgemeinen Bemerkungen über liechtensteinische Fragen wendet sich Dr. Hoop dem Arbeitsdienst und dem Verhältnis zu Deutschland zu. Frage: "Genügen Ihre Massnahmen, um die Arbeitslosen unterzubringen?" "Wir haben noch eine Art Arbeitsdienst vorgesehen. Wir richten namentlich für Ledige Arbeitsstätten ein, wo sie tagsüber schaffen können, Mittagessen und bescheidenen Lohn von 3-4 Franken am Tag erhalten. 80’000 bis 100’000 Franken sind dafür vorgesehen. [2] Auch Strassenbau und andere Notstandarbeiten sind im Betrage von 400’000 Franken geplant."

Hiebei kamen wir auf deutsche Verhältnisse zu sprechen, und hiebei legte Dr. Hoop ein Bekenntnis zu Deutschland ab. Er führte aus: "Ich habe jetzt die 1849er Akten durchblättert, die den Titel tragen: 'Unruhen und Kuriosa'. Dort sind Schreiben an Liechtenstein, das bis 1866 deutscher Bundesstaat war, aufbewahrt. Das Bewusstsein dieses Deutschtums ist in Liechtenstein nicht untergegangen. Liechtenstein ist deutsch, fühlt deutsch und legt auf herzlichste Beziehungen zum neuen Deutschland grössten Wert. Wenn im Weltkriege jemand in Liechtenstein gegen Deutschland Stellung genommen hätte, so wäre ihm das nicht gut bekommen."

Frage: "Und wie steht Liechtenstein zum nationalsozialistischen Deutschland?"

"Zunächst 1933 war eine gewisse Reserve sichtbar vorhanden. Das ist aber völlig geändert. Die Erfolge Deutschlands haben Bewunderung hervorgerufen. Liechtensteiner reisen viel nach Deutschland und erzählen daheim vom Ordnungsstaat. Niemand glaubt mehr die Lügen der ausländischen Zeitungen, die durch die Tatsachenberichte widerlegt sind. Ich selbst kenne Deutschland", sagt Dr. Hoop, "kenne auch Thüringen, wo Weimar mir eine der liebsten deutschen Städte ist. Ich war u. a. zur Goethefeier dort."

"Ich habe mich selbst umgesehen in Deutschland und bewundere, wie man die Arbeitslosigkeit dort vernichtet hat." Werner Voss.

(Fettdruck von uns. Die Schriftleitung.)

Rein politisch gesehen, fällt an diesem Interview zunächst die Bewunderung auf, die Herr Regierungschef Dr. Hoop dem Nationalsozialismus zollt. Diese "Bewunderung" nimmt sich angesichts verschiedener Vorkommnisse in Liechtenstein etwas sonderbar aus. Wir wollen es vorläufig vollkommen dahin gestellt sein lassen, wie weit es Herrn Regierungschef Dr. Hoop ernst war mit seiner plötzlichen "Bewunderung" für das braune Deutschland, nachdem er seinerzeit gegen den Heimatdienst bekanntlich immer mit der "braunen Gefahr" operierte. Aber es soll auch in der Natur Fälle plötzlicher Farbänderungen geben. Wir wollen deshalb zunächst an ein solches Naturphänomen glauben. Für das "Liechtensteiner Volksblatt" ergibt sich nun allerdings die unangenehme Situation, auch seine Farbe wechseln zu müssen. Es steht jedoch zu erwarten, dass es sich mit einem etwas schwächeren und nur oberflächlichen Anstrich begnügt. Aber immerhin geht ihm sein bekanntes Schlagwort gegen die Opposition flöten. Es dürfte sich für das "Volksblatt" nunmehr empfehlen, uns konsequent als kommunistische Räuberbanden hinzustellen, wenigstens so lang, bis nicht irgend ein Hoher Herr der Bürgerpartei aus "staatsmännischer Klugheit" sich als glühender Kommunist bekennt. Dann bliebe immer noch der Ausweg, die Opposition als verruchte Bourgeoise zu verschreien. Es geht halt doch nicht über gute Farben. Man kann immer wieder überstreichen.

Doch interessiert uns die Schwenkung des Herrn Regierungschef eigentlich wenig. Was uns aber mehr interessiert und worüber wir Rechenschaft verlangen, das ist das ungewöhnliche Vorgehen des Herrn Regierungschefs, dass er über Pläne der Regierung in so bestimmter Form, wie es kürzlich geschehen ist, berichtet, ohne dass die liechtensteinische Öffentlichkeit, ja nicht einmal der Landtag darüber informiert ist. Herrn Regierungschef Dr. Hoop hat, nach Werner Voss, erklärt, ein Arbeitsdienst wird errichtet und es werden 80-100’000 Franken zur Verfügung gestellt, wir denken daran 3-4 Franken als Arbeitslohn zu bezahlen. Der Landtag aber hat sich weder mit dem Arbeitsdienst im grundsätzlichen noch aber mit einer zur Verfügungstellung von 80’000-100’000 Franken beschäftigt. Herr Regierungschef Dr. Hoop stellt aber die Schaffung des Arbeitsdienstes als bereits perfekte Sache hin. Ist da nicht die Frage am Platz:

Fühlt sich Herrn Regierungschef Dr. Hoop bereits als

Diktator,

dass er sich um den Landtag nicht mehr kümmert und dessen Stellungnahme in einer so wichtigen Angelegenheit wie die Schaffung des Arbeitsdienstes und die Ausschüttung von ungefähr 100’000 Franken einfach vorweg nimmt? Dies ausserdem noch dem Ausland gegenüber. Es kann nicht verschwiegen werden, dass wir uns mit derartigen Methoden des obersten Staatsbeamten nie und nimmer einverstanden erklären können. Wir erheben an den Herrn Regierungschef Dr. Hoop in aller Form die Fragen:

Warum erfährt das Ausland von diesen Plänen, nicht aber das liechtensteinische Volk?

Warum wird so etwas veröffentlicht, bevor der Landtag Gelegenheit hatte, Stellung zu beziehen?

Ist wenigstens die Regierung in der Sache begrüsst worden? Liegt ein Regierungsbeschluss vor?

Sollten diese Fragen nicht befriedigend beantwortet werden und sollte vor allem das Regierungskollegium sich nicht gründlich über das Problem des Freiwilligen Arbeitsdienstes in der vom Regierungschef Dr. Hoop vorgeschlagenen Form beschlossen haben, werden wir uns überlegen müssen, ob es für uns noch einen Wert hat, unseren Regierungsvertreter weiterhin in der Regierung zu belassen. Wir können unserem Regierungsrat nicht zumuten, die Verantwortung zu tragen für "Beschlüsse" des Herrn Regierungschef Dr. Hoop, ohne dass er Gelegenheit hatte, sich überhaupt zu äussern. Wir haben für solche "vollendete Tatsachen" kein Verständnis. Ohne uns über die Sache selbst zu äussern, müssen wir klar und eindeutig erklären, dass wir uns zukünftig ein derartiges Vorgehen nicht werden gefallen lassen.

Wir werden später Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen und wollen und zunächst mit dieser Erklärung begnügen. An Herrn Regierungschef Dr. Hoop ist es nun, dem liechtensteinischen Volk über sein "ungewohntes" Vorgehen Aufschluss und befriedigende Erklärung zu geben.

 

 

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[1] L.Va., Nr. 90, 4.11.1936, S. 1.
[2] Tatsächlich waren die Vorbereitungen zur Schaffung eines Arbeitsdienstes noch nicht sehr weit gediehen. Vgl. dazu LI LA RF 156/434.