Emil Schoch warnt vor einem Liquiditätsengpass bei der Sparkasse


Revisionsbericht von Aufsichtsrat Emil Schoch [1]

9.9.1938, St. Gallen

Bericht über meine Revision bei der Sparkasse für das Fürstentum Liechtenstein, Vaduz, vom 6. September 1938

Aus begreiflichen Gründen habe ich in erster Linie die Frage der Liquidität aufgegriffen. Auf diesem Gebiet sieht es augenblicklich nicht gut aus. Die Situation erfordert rasches Handeln.

Am 1. Januar 1938 standen zur Verfügung:

KassamittelFr. 233'000.-
Freie BankguthabenFr. 1'532'000.-
Liquidität I. Grades totalFr. 1'765'000.-
WertpapiereFr. 1'660’000.-
TotalFr. 3'425’000.-

Man war beim Jahresabschluss auf diesen glänzenden Stand der Dinge nicht wenig stolz; die Bilanz der Sparkasse konnte jeden kritischen Vergleich aushalten. Und heute – kaum sechs Monate später – ist es schon wieder die Liquiditätsfrage, die als einzige einige Sorgen bereitet. Die Auswirkungen der internationalen politischen Ereignisse haben die Sparkasse auf eine harte Probe gestellt. Sie hat sie – Dank der eben geschilderten starken Zahlungsbereitschaft – wohl bestanden, aber sie ist dabei sehr geschwächt worden.

Es sind seit 1. Januar folgende wesentliche Veränderungen auf der Passivseite zu vermerken:

Abnahme der SparkasseFr. 250'000.-
Abnahme der KreditorenFr. 2'300'000.-
ZusammenFr. 2'550'000.-
Zuwachs der ObligationenFr. 220'000.-
Total AbgangFr. 2'330'000.-

Zufolge der Rückzahlung dieser grossen Summe sind die liquiden Mittel stark zusammengeschrumpft. Es stehen per 31. August noch zur Verfügung:

KassabestandFr. 16'000.-
BankenFr. 250'000.-
Davon gesperrtFr. 150'000.-
Für Rechnung DritterFr. 20'000.-Fr. 80'000.-
Direkt verfügbare Mittel knappFr. 100'000.-
BankschuldFr. 100'000.-
Effektiv vorhandenFr. -.-

Die Liquidität ruht also auf dem Rest–Bestand an Wertpapieren von Fr. 1'200'000.-. Anfänglich behalf man sich im Sinne meines früheren Vorschlages mit einigen Effektenverkäufen. Da man den Rest der Papiere, speziell die relativ kurzfristigen, behalten möchte, hat man zum Mittel der Kreditaufnahme Zuflucht genommen. Aus verschiedenen Überlegungen bot eine Lombardierung bei der Nationalbank keine Konvenienz. Die Schweizerische Volksbank stellte gegen Verpfändung von Fr. 425'000.- in Effekten einen Kredit von Fr. 400'000.- zu 3% netto zur Verfügung. [2] Er ist bereits mit Fr. 200'000.- beansprucht. Nichts deutet darauf hin, dass die Abzüge zum Stillstand kommen. Dass die Emigranten eine "Frontveränderung" vornehmen ist schliesslich zu verstehen, dass aber auch die alte angestammte Kundschaft ihr Heil im Rückzug sucht, ist wahrscheinlich nur einer etwas tendenziös anmutenden Stimmungsmache zuzuschreiben, die ihren Ausgangspunkt auch wieder bei den Emigranten haben dürfte. Item, die Sparkasse hat ihrer Zahlungspflicht zu genügen, also auch die Mittel dazu bereitzustellen. Auf ihre guten Wertpapiere hin erhält sie natürlich überall Geld, aber man muss sich davor hüten, die ganze Effekten–Reserve ins Pfand zu geben. Eine "eiserne Ration" muss erhalten bleiben. Die Geld–Aufnahme gegen Schuldbriefe wird bei der ganzen schweizerischen Bankwelt auf Widerstand stossen. Ich rate nicht einmal einen Versuch zu machen.

Es ist deshalb zu begrüssen, dass die fürstliche Regierung es übernommen hat, auf dem Weg über das Bundeshaus der Sparkassa den Zutritt zu schweizerischen Bank–Institutionen zu ebnen. Ich meine damit die Mitgliedschaft bei der Schweizerischen Bankiervereinigung in Basel und einer der beiden Pfandbriefzentralen. [3] Aus vertraulich internen Informationen muss ich leider den Schluss ziehen, dass die Erfüllung der Sparkassa–Wünsche nicht im ersten Anhieb zu gelingen scheint. [4] Schon heute muss man sich daher überlegen, was bei einer Ablehnung vorzukehren ist.

Der Herr Regierungschef [Josef Hoop] hat mich wissen lassen, dass er am 15. September Gelegenheit habe, mit massgebenden Mitgliedern des schweizerischen Bundesrates zu sprechen. [5] Man wird ihm bei diesem Anlass die Haltung der schweizerischen Hochfinanz eröffnen. Hoffentlich haben sich die Dinge in der Zwischenzeit zum Guten gewendet. Bleibt der Sparkassa die Mitgliedschaft zu einer Pfandbriefstelle jedoch versagt, so wird der hohe Bundesrat selbst zum rechten sehen müssen. Seine Intervention kann folgende Formen haben:

a) Positiver Wunsch des Bundesrates an die Pfandbriefbank der schweizerischen Hypothekar–Institute um Zulassung der Sparkassa zur Aufnahme eines Pfandbrief–Darlehens von 2 Millionen Franken. Eventuell Währungsgarantie des Bundes gegenüber der Pfandbriefanstalt.

b) Anweisung an die Darlehenskasse der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Bern – also jener Institution, die ausgesprochen zur Hülfe für illiquid gewordene Bankhäuser geschaffen wurde – der Sparkassa ein Darlehen von 2 Millionen Franken zu gewähren. Die Darlehenskasse pflegt ihre Vorschüsse nur gegen Solawechsel zu geben. Für die Sparkasse wäre eine Sonder–Regelung zu treffen. Einmal darf sie laut Gesetz keine Schuld–Wechsel ausstellen. Zweitens laufen die Wechsel nur 3 Monate. Wohl wäre die Zusicherung zur fortlaufenden Verlängerung erhältlich. Aber die Sparkasse hätte doch die Pflicht, einen Dreimonats–Vorschuss unter die kurzfristigen Verbindlichkeiten einzureihen. Ihre Dezember–Bilanz würde damit eine sehr schlechte Figur machen. Die Darlehenskasse sollte ihr Geld auf wenigstens zwei Jahre gegen Schuldschein geben. Der Zins kann trotzdem vierteljährlich bezahlt werden.

c) Anweisung an die Schweizerische Nationalbank zur Gewährung eines Lombard–Kredites von 2 Millionen Franken gegen liechtensteinische Hypotheken. Das Geschäft müsste als langfristige Operation (wenigstens 3 Jahre) aufgezogen werden. – Ideal wäre folgende Lösung: Die Sparkasse gibt eine Spezialserie von 3%igen Pfandbriefen auf 3 oder besser 5 Jahre im Betrag von 2 Millionen Franken aus. Die Schweizerische Nationalbank nimmt diese Pfandbriefe zu pari in ihr eigenes Wertschriften–Portefeuille. Nach Gesetz ist die Pfandbrief – Deckung auszuscheiden und unter Verschluss der Treuhänder zu stellen. Auf Wunsch könnte der Schweizerischen Nationalbank das ganze Deckungs–Hypotheken–Paket übergeben werden. Ob die Titel in Vaduz oder in Zürich liegen, ist für die Sparkasse belanglos.

d) Wenn die unter a, b & c skizzierten Formen nicht durchführbar sind, weil sich der Bundesrat nicht für kompetent hält, weder der Darlehenskasse noch der Nationalbank "Direktiven" zu geben, so bleibt als letzte Möglichkeit ein Darlehen des Eidgenössischen Finanzdepartements an das Land mit Verpfändung der Zollpauschale. In diesem Fall sollte das Geschäft auf 10 Jahre abgeschlossen werden. Das Land könnte seinerseits den Vorschuss zu Originalbedingungen an die Sparkasse weitergeben, während die Frist ihr gegenüber nur auf 5 Jahre erstreckt werden sollte.

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Die Sparkasse braucht dringend flüssige Mittel. Sie darf das legitime Hypotheken–Geschäft nicht abstoppen und die Auszahlungen in keiner Weise beschränken. Jede Beunruhigung der Bevölkerung auf dem Gebiet des Geldwesens ist zu vermeiden.

Sie braucht auch Geld, um die österreichischen Guthaben heimzuzahlen. Es darf und soll in Bern gesagt werden, dass die Sparkasse spontan ihre Fr. 300'000.- österreichischen Einlagen zur Grenzbanken–Kompensation bei der Schweizerischen Nationalbank angemeldet habe. [6]

Und schliesslich muss man auch daran denken, die "schwimmenden" Titel der Sparkasse aus dem Markt zu nehmen. Es hat hüben wie drüben Eigentümer von Obligationen und Pfandbriefen, die sich ihres Besitzes entledigen möchten. Wenn nirgends eine Verkaufsmöglichkeit besteht tritt eine Entwertung ein, die dem Ruf der Sparkasse abträglich ist. Doch muss dieses Gebiet mit Sorgfalt und Geschick beackert werden.

Möge am 15. September ein guter Stern über den Berner Verhandlungen schweben. Eine frohe Nachricht wird nicht nur den Verwaltungsrat sondern auch den Aufsichtsrat von manchen Sorgen befreien. [7]

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[1] LI LA RF 185/101/007-010. Der Revisionsbericht ging an Prinz Hans von Liechtenstein, Mitglied des Aufsichtsrats der Sparkasse, an die Regierung, an Verwaltungsratspräsident Josef Ospelt sowie an Josef Steger, Mitglied des Aufsichtsrats.
[2] LI LA RF 181/017/002/001.
[3] Liechtenstein ersuchte am 19.7.1938 um eine engere Einbeziehung der Sparkasse ins schweizerische Bankensystem (LI LA RF 185/101/002-003).
[4] Tatsächlich lehnte die Schweiz die Aufnahme der Sparkasse in die schweizerischen Bankeninstitutionen ab (LI LA RF 185/101/017).
[5] Josef Hoop traf am 15.9.1938 u.a. mit Peter Feldscher vom Eidgenössischen Politischen Departement und Eduard Kellenberger von der Eidgenössischen Finanzverwaltung zu einer Unterredung zusammen (LI LA RF 181/101/017).
[6] Die Schweizerische Nationalbank schloss Anfang September 1938 ein Abkommen mit der Deutschen Reichsbank ab, das es "schweizerischen Grenzbanken" ermöglichte, Forderungen an Schuldner in Österreich mit österreichischen Guthaben zu verrechnen. 
[7] Die Regierung stellte am 19.9.1938 das Gesuch um einen schweizerischen Kredit von 2 Mio. Fr. (LI LA RF 185/101/017). Nach weiteren Verhandlungen zwischen Hoop und der Eidgenössischen Finanzverwaltung (LI LA RF 185/101/022, 024, 025-030, 034-037, 039, 041, 042) genehmigte der Bundesrat am 12.12.1938 den Kredit gegen Hinterlegung von Pfandbriefen der Sparkasse sowie Abtretung des noch nicht verpfändeten Teils der Zollpauschale (LI LA RF 181/101/045).
[8] Es folgen einige Anmerkungen über die "eigentliche Revisionstätigkeit".