Gustav Schädler erkundigt sich im Landtag, weshalb die neue Verfassung noch nicht vorliegt


Handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung, gez. Schriftführer Gustav Schädler [1]

22.3.1920

Nachdem die Tagesordnung erschöpft ist, ersucht Abg. [Gustav] Schädler noch um das Wort zu einer Anfrage bezüglich der Verfassungsänderung. Im Jahre 1918 habe man doch versprochen, diese in 6 Wochen zu erledigen und heute sei noch keine Spur von Vollendung. Seinerzeit sei eine Verfassungskommission gewählt worden, aber diese habe seit Monaten nicht mehr getagt. Wohl habe Abg. Dr. [Wilhelm] Beck anfangs 1919 einen Entwurf ausgearbeitet, [2] aber er habe manchen nicht gepasst. Dann sei der Herr Gesandte in Bern [Emil Beck] mit der Revision betraut worden, [3] aber, als die Sache nicht vorangehen wollte, hätten immer schärfere Reklamationen eingesetzt. Im Dezember vorigen Jahres sei dann bekannt geworden, dass Herr Prof. Dr. Beck die Arbeit nicht machen könne, weil man ihm keine Schreibkraft bewillige. Endlich im Januar dieses Jahres sei in Gegenwart des Herrn Wiener Gesandten [Prinz Eduard] anlässlich einer Versammlung in der Brauerei in Schaan eine Resolution vorgeschlagen worden, dass mit der Verfassungsänderung endlich schleunigst Ernst gemacht werde. [4] Beide Parteien hätten dies dort verlangt. Prinz Eduard habe sich jedoch anerboten, die Angelegenheit dem Fürsten [Johann II.] persönlich zu unterbreiten. Aber schon wieder seien 2 Monate verstrichen. Da dürfe man sich nicht mehr wundern, dass viele Leute sehr unzufrieden seien. Es herrsche im Volke Misstrauen. Wenn man die Verfassungsrevision wolle, so lade er die Regierung ein, hier zu erklären, dass dieselbe in spätestens 4 Wochen vorgelegt werde, wolle man sie aber nicht, so wünschen viele, dass die Regierung zurücktrete.

Der Präsident [Friedrich Walser] erwähnt hierauf, dass die Art und Weise, wie diese Sache von einem fürstlichen Abgeordneten vorgebracht worden sei, bedauert werden müsse, zumal doch am heutigen Tage die Schenkung des Fürsten verdankt worden sei. [5]

Der Reg.-Chef Prinz Karl sagt, Abg. Schädler bezichte ihn indirekt des Wortbruches. Er habe hier doch schon einmal dargelegt, wie es sich mit der Verfassung verhalte. Es habe über einen Punkt Volksabstimmung gegeben [6] und es brauche zu einer Änderung Stimmeneinheit. Der Gesandte in Bern habe viel Arbeit. Abg. Dr. Beck habe sich geäussert, die Valuta-Angelegenheit und die wirtschaftlichen Fragen seien dringender. Übrigens habe er einen Entwurf [7] gemacht, er sei bereit diesen vorzulegen.

Abg. Schädler wendet sich entschieden gegen die Angriffe von Seite des Präsidenten. Er weise die Anklage, als sei er dem Fürsten für das Darlehen nicht dankbar, zurück, er habe nur das gesagt, was ein grosser Teil des Volkes denke und äussere. (Zwischenruf des Präsidenten, das sei zu bezweifeln; andere Abgeordnete rufen nein). Ein künftiger Jurist hätte ihm mitgeteilt, er würde die ganze Arbeit in 3 Tagen fix und fertig machen. Übrigens habe ihm der Landesfürst selbst gesagt, dass er die Revision wolle.

Der Vorsitzende findet, dass sich das, was Abg. Schädler jetzt anschneide, mit dessen ersten Ausführungen nicht decke; er bleibe bei seiner Ansicht bezüglich des Vorgehens des Abg. Schädler.

Abg. Peter Büchel unterstützt den Präsidenten. Einem im Volke hochangesehenen Mitglied des Fürstenhauses ein solches Misstrauen auszudrücken, dafür finde er keinen Ausdruck. Friede sei erforderlich und die Valuta-Änderung sei das erste.

Abg. [Emil] Risch fügt bei, dass man sich über die strittigen Punkte geeinigt hätte, bevor man dem Berner Gesandten den Auftrag gegeben habe.

Abg. Schädler dankt dem Abg. Peter Büchel für die Befürwortung des Friedens. Den wolle auch er, aber wenn man ein Haus baue, brauche es ein Fundament, das Fundament zum Frieden im Lande sei u.a. auch die Verfassungsänderung.

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[1] LI LA LTA 1920/S04, S. 9-12.
[2] Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck von Mitte Januar 1919 wurde im Juni 1920 in den "Oberrheinischen Nachrichten" veröffentlicht (O.N., Nr. 47, 12.6.1920, S. 1; Nr. 48, 16.6.1920, S. 1; Nr. 49, 19.9.1920, S. 1; Nr. 50, 23.6.1920, S. 1f.; Nr. 51, 26.6.1920, S. 1; Nr. 52, 30.6.1920, S. 2 ("Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein")).
[3] Die "Oberrheinischen Nachrichten" berichteten am 24.5.1919, Emil Beck sei mit Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs beauftragt worden (O.N., Nr. 37, 24.5.1919, S. 2 ("Die Verfassungskommission")), Beck selbst erklärte allerdings, keinen solchen Auftrag erhalten zu haben (LI LA V 003/0843, Prinz Eduard an Johann II., 7.6.1919).
[4] Am 18.1.1920 fand im "Bierkeller" in Schaan eine Veranstaltung statt, an der Prinz Eduard über seine Tätigkeit als liechtensteinischer Gesandter in Wien informierte (L.Vo., Nr. 21.1.1920, S. 1 ("Eine denkwürdige Versammlung")).
[5] Der Landtag hatte zu Beginn der Sitzung das Gesetz über die Rückzahlungsbedingen des Darlehens des Fürsten von 550'000 Franken genehmigt und eine Dankesadresse an den Fürsten beschlossen (LI LA LTA 1920/S04).
[6] Am 2.3.1919 wurden eine Vorlage zur Erhöhung der Zahl der Abgeordneten und eine zur Herabsetzung des Grossjährigkeits- und Wahlfähigkeitsalters mit jeweils 44 % Ja gegen 56 % Nein verworfen.
[7] LI LA V 003/0890, Verfassungsentwurf Prinz Karl, o.D.