FBP-Landtagsabgeordnete beantragen die Durchführung einer Volksabstimmung über den vorläufigen Verbleib von Josef Peer als Regierungschef


Maschinenschriftliche Eingabe dreier FBP-Abgeordneter an den Landtag, ungez. [1]

o.D. (vermutlich vor dem 8.3.1921), o.O.

Antrag

des Abgeordneten Peter Büchel und Genossen [2]

Wie wir aus dem Munde des Herrn Regierungschefs [Josef Peer] vernommen haben, ist dieser gewillt, in Gemässheit der im September 1920 mit der Volkspartei getroffenen Abmachungen [3] und des Handschreibens [4] Seiner Durchlaucht [Johann II.] schon in der zweiten Hälfte März dieses Jahres seine hiesige Wirksamkeit als beendet zu betrachten und von seinem Posten zurückzutreten.

Nach dem, was wir gehört haben, glaube ich annehmen zu dürfen, dass die zeitliche Abkürzung der Berufung des Herrn Dr. Peer zur Leitung der Regierungsgeschäfte mit seinem Einverständnisse vom Fürsten deshalb genehmigt worden ist, weil jene Herren, [5] die damals für die Volkspartei die Unterhandlungen führten, diese Abkürzung als dem Willen des Volkes oder doch eines grossen Teiles desselben entsprechend hingestellt haben.

Es liegt mir ferne, an der Entschliessung Seiner Durchlaucht eine Kritik zu üben und Herrn Dr. Peer rechne ich es zur Ehre an, wenn er ein gegebenes Versprechen nun mit seinem Rücktritte einlösen will.

Dies kann und darf uns aber nicht hindern, im Interesse des Landes zu dieser für letzteres so wichtigen Frage Stellung zu nehmen, da gerade jetzt eine durch den Rücktritt des Herrn Dr. Peer sich ergebende, neuerliche Aufrollung der Landesverweserfrage eine schwere Gefährdung der mühsam angebahnten, dem Lande so notwendigen Ruhe und Ordnung bedeuten würde.

Wir haben auch ein gutes Recht, uns mit dieser Frage jetzt und hier zu befassen, da wir – ich meine damit jene Abgeordneten, die entweder nicht der Volkspartei angehören oder doch nicht mit Allem einig gehen, was damals ausgemacht wurde – nicht nur im September nicht gefragt worden sind, ob wir damit einverstanden seien, sondern auch weder damals, noch seither Gelegenheit hatten, zu dieser Sache Stellung zu nehmen. Wir haben ja den Inhalt der Abmachungen erst aus den Oberrheinischen Nachrichten [6] und heute vom Regierungschef [7] erfahren müssen!

Wir können ruhig behaupten, dass es schon im September vorigen Jahres nicht der Wille der Mehrheit des Volkes war, Herrn Dr. Peer nur auf ein halbes Jahr hier als Regierungs-Chef zu sehen und noch weniger ist es der Wille des Volkes heute, ihn schon so bald von seinem Posten scheiden zu lassen. Herr Dr. Peer hat sich in den wenigen Monaten seines hiesigen Wirkens durch seine streng rechtliche, ruhige und unvoreingenommene Art, die Regierungsgeschäfte zu führen, nicht nur den Beifall derjenigen gesichert, die seine Berufung gewünscht haben, sondern auch die Anerkennung und Sympathie sogar vieler solcher erworben, die voriges Jahr noch nichts von seiner Berufung wissen wollten.

Heute kann man ruhig sagen, dass der weitaus überwiegende Teil des Liechtensteiner-Volkes absolut nichts davon wissen will, dass Herr Dr. Peer uns jetzt schon verlassen soll.

Wenn heute das Volk befragt wird, ob es in seinem Willen gelegen sei, dass Herr Dr. Peer als Chef der fürstl. Regierung hier bleiben soll, so wird die übergrosse Mehrheit des Volkes darauf mit "Ja" antworten.

Ich glaube auch, dass der Landtag sich fast einhellig im gleichen Sinne äussern wird.

Weil wir im Scheiden des Herrn Dr. Peer von seinem Posten gerade jetzt eine Gefahr für die Ruhe und Ordnung im Lande erblicken und weil wir sein vorläufiges Verbleiben auf seinem Posten als eine Notwendigkeit für das Land ansehen, endlich weil wir der sicheren Überzeugung sind, dass auch unser Fürst, gerade so wie er damals dem vermeintlichen Willen des Volkes Rechnung trug, nun auch dem wirklichen Willen des Volkes Rechnung tragen und Herrn Dr. Peer auffordern wird, noch auf seinem Posten zu bleiben, so stelle ich den

Antrag:

1. Seiner Durchlaucht dem Fürsten die Bitte zu unterbreiten, die wahlfähige Bevölkerung des Fürstentums im Wege einer von der fürstlichen Regierung durchzuführenden Volksabstimmung befragen zu lassen, ob sie mit dem vorläufigen weiteren Verbleiben des derzeitigen Hofrates Dr. Peer auf seinem Posten einverstanden sei;

2. Aufgrund des Ergebnisses dieser Volksabstimmung sodann neuerdings an den Fürsten mit der weiteren Bitte heranzutreten, Seine Durchlaucht geruhen, den Regierungschef Dr. Peer mit der vorläufigen Fortführung seines bisherigen Amtes zu betrauen.

Der zweite Teil dieses Antrages wird natürlich nur für den, von mir als sicher erwarteten Fall gestellt, dass die Volksabstimmung eine beträchtliche Mehrheit für das Verbleiben Dr. Peer’s auf seinem Posten ergibt.

Ich empfehle diesen Antrag dem Landtage zur Annahme. [8]

Ausserdem bitte ich, diesen Antrag im Wortlaute dem Sitzungsprotokolle beizuschliessen.

______________

[1] LI LA LTA 1921/L19. Der begründete Antrag wurde publiziert in: L.Vo., Nr. 20, 12.3.1921, S. 1-2 ("Landtag"). Der Antrag - ohne Vorspann - wurde publiziert in: O.N., Nr. 20, 12.3.1921, S. 1 ("Landtagssitzung vom 8. März 1921").
[2] Der Antrag Büchels wurde von den Abgeordneten Johann Hasler und Johann Wanger unterstützt (LI LA LTA 1921/L19).
[3] Nach Ziff. II Abs. 1 der Entschliessung von Fürst Johann II. in den "Schlossverhandlungen" vom 15.9.1920 wurde Josef Peer provisorisch auf die Dauer von 6 Monaten zum Leiter der Regierungsgeschäfte bestellt (LI PA VU, Schlossabmachungen, o.Nr.). Peer trat sein Amt am 23.9.1920 an.
[4] Vgl. das fürstliche Bestellungsdekret für Josef Peer vom 15.9.1920 (LI LA SF 01/1920/125).
[5] Es waren dies Wilhelm Beck, Gustav Schädler, Anton Walser-Kirchthaler, Felix Hasler, Alois Frick und Andreas Vogt.
[6] Vgl. z.B. O.N., Nr. 76, 22.9.1920, S. 1 ("Zur Entwirrung der Landeskrise").
[7] Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Josef Peer zur Verfassungsrevision in der öffentlichen Landtagssitzung vom 8.3.1921 (LI LA LTA 1921/S04/2, insbesondere S. 6).
[8] Der Antrag von Büchel und Konsorten wurde in der öffentlichen Landtagssitzung vom 8.3.1921 mit 12 gegen 1 Stimme angenommen (LI LA LTA 1921/S04/2, S. 13). In der Volksabstimmung vom 28.3.1921 sprachen sich 993 gegen 615 Stimmberechtigte für den Verbleib von Peer als provisorischer Regierungschef aus. Dieser stellt sich jedoch nicht mehr zur Verfügung.