Johann Baptist Büchel wird als Zeuge über die Ereignisse des Novembers 1918 vernommen


Maschinenschriftliches Protokoll der Zeugeneinvernahme des Landtagsabgeordneten Johann Baptist Büchel vor dem Landgericht, gez. ders. sowie Amtsschreiber Alois Ospelt [1]

3.6.1919

Vor dem fürstlichen Landrichter Dr. Julius Thurnher und dem Amtsschreiber Alois Ospelt.

Über Vorladung erscheint Johann Baptist Büchel, 66 Jahre alt, kath., ledig, Landesvikar und Kanonikus in Vaduz und gibt nach Wahrheitserinnerung als Zeuge vernommen an:

Am 6. November kam Sanitätsrat Dr. [Albert] Schädler zu mir und sagte, sie hätten heute eine ernste Sitzung gehabt. Einer der Abgeordneten – ich weiss nicht mehr Fritz Walser oder Dr. [Wilhelm] Beck – habe den Rücktritt des Landesverwesers [Leopold von Imhof] verlangt und es werde bei der Sitzung am 7. November jedenfalls irgend etwas gehen.

Am nächsten Tage ging ich zur Landtagssitzung, [2] der Zuhörerraum des Landtagssaales war bereits gefüllt, im Gang vor dem Saal standen eine Menge Leute, es war also etwas vorbereitet. Baron Imhof kam dann und äusserte sich mir und dem Sanitätsrat gegenüber, er werde sich nicht mehr lange ärgern lassen, er werde zurück treten. Ich widerriet ihm dies. Bei der Sitzung gab der Landesverweser dann eine schriftlich aufgesetzte Erklärung ab, [3] worin er zurück zu treten und die Regierung einem vom Landtag zu wählenden Vollzugsausschuss zu übergeben sich bereit erklärte. Er schlug auch vor, es solle ein Liechtensteiner zum Vorsitzenden dieses Ausschusses gewählt werden. Nachdem dann der Landtag dem Baron für seine Person das Vertrauen ausgesprochen hatte, wurde über Vorschlag Fritz Walsers der Rücktritt zur Kenntnis genommen und Dr. [Martin] Ritter zum Vorsitzenden, Dr. Beck und Emil Batliner zu Mitgliedern des Vollzugsausschusses gewählt.

Ich war von der ganzen Sache derart überrascht, dass ich mich selbst an der Wahl beteiligte. Nachher erklärte ich dann allerdings, der Vorgang sei verfassungswidrig, wenn der Fürst [Johann II.] von der Änderung nichts wisse, denn nach der Verfassung werde der Landesverweser vom Fürsten ernannt.

Die im Landtag anwesenden Zuhörer mischten sich durch Zurufe, Bravo Rufe, klatschten und dgl. in die Verhandlung ein, während ich sprach, wurden Zurufe laut und hörte ich nachher, dass man mir Schimpfnamen zugerufen habe.

Ich hatte den Eindruck, dass verschiedene der Abgeordneten eingeschüchtert und überrascht waren. Neben mir sass einer, der zitterte.

Ich bin in der Folge nicht mehr zu den Landtagssitzungen gegangen, da ich mein Mandat niederlegte, um den Protest gegen den Verfassungsbruch nach aussenhin in Erscheinung treten zu lassen. [4]

Ich fuhr dann mit Sanitätsrat Dr. Schädler nach Wien, um den Fürsten über die wahre Stimmung im Lande aufzuklären. Die Mitglieder der Hofkanzlei legten uns unter anderem auch einen Bericht Baron Imhofs [5] aus der Zeit nach seinem Rücktritt vor, worin, wie ich selbst las, geschrieben stand, Dr. Ritter drohe mit der Veräusserung der fürstlichen Güter, wenn er vom Fürsten nicht als Landammann bestätigt werde. Der nähere Inhalt ist mir jedoch nicht bekannt.

Baron Imhof hat mir nachträglich über Frage bestätigt, dass Dr. Ritter diese Drohung ihm gegenüber ausgesprochen habe.

Soviel mir noch erinnerlich ist, sandte Dr. Ritter drei Telegramme nach Wien, [6] in welchen er die Anerkennung und Bestätigung als Landammann vom Fürsten verlangte. Die ersten zwei waren von Innsbruck datiert, vom dritten kann ich dies nicht mehr bestimmt sagen. Während wir mit den Herren der Hofkanzlei sprachen, brachte ein Diener das dritte Telegramm, der Inhalt deselben war ungefähr der: Die Gährung unter der Bevölkerung Liechtensteins sei derartig, dass nur die sofortige Anerkennung und Bestätigung des Vollzugsausschusses die Situation noch zu retten vermöge.

Ich bemerke, dass Baron von Imhof bei diesen Beratungen in Wien gleichzeitig mit uns zugegen war.

Seine Durchlaucht hatte nämlich den Vollzugsausschuss nicht anerkannt, sondern hatte dessen Bestellung nur unter Vorbehalt zur Kenntnis genommen [7] und wurde dann später Baron von Imhof provisorisch mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragt. [8]

Es ist mir bekannt, dass zu der sogenannten Volkspartei auch Leute gehören, die republikanischer Gesinnung sind oder wenigstens eine solche zur Schau tragen. So äusserte sich mir gegenüber ein Mann aus Balzers einige Zeit nach dem 7. Nov., richtiger am 7. November selbst, jetzt käme bei uns dann auch Repuplick, wenn er zwei Stunden mit mir spräche, würde ich seine Anschauung teilen.

Gefertigt.

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[1] LI LA J 007/S 046/047/17. Die Zeugeneinvernahme erfolgte im Rahmen der Untersuchungen zur Privatklage Martin Ritters gegen Eugen Nipp, Redakteur des "Liechtensteiner Volksblatts", wegen angeblich ehrverletzender Äusserungen im "Liechtensteiner Volksblatt".
[2] Vgl. LI PA Quaderer, Nachlass Wilhelm Beck, handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung vom 7.11.1918; ebd., stenographisches Protokoll der Landtagssitzung vom 7.11.1918; L.Vo., Nr. 46, 15.11.1918, S. 3f. ("Zur Landtagssitzung vom 7. des Monats"). Ein offizielles Protokoll existiert nicht.
[3] LI LA PA 001/0021/08, Text der Rede Imhofs in der Landtagssitzung vom 7.11.1918.
[4] LI LA RE 1918/4870 ad 4851, Albert Schädler, Johann Baptist Büchel und Johann Wohlwend an Regierung, 7.11.1918.
[5] LI LA V 003/1198, Imhof an Fürst, 18.11.1918.
[6] Nicht aufgefunden. Die Telegramme waren bereits 1919/20 weder bei der Hofkanzlei, noch bei der Gesandtschaft Wien oder unter den Privatpapieren des Fürsten auffindbar (LI LA J 007/S 046/047/34, Landgericht an Appellationsgericht, 20.10.1918; LI LA J 007/S 046/047/35, Appellationsgericht an Landgericht, 29.12.1918; LI LA J 007/S 046/047/35, Landgericht an Gesandtschaft Wien, 22.1.1919; LI LA V 003/1198).
[7] Vgl. LI LA PA 001/0021/08, Telegramm Johann II. an Imhof, 13.11.1918; LI LA J 007/S 046/047/30, Telegramm Hofkanzlei an Albert Schädler, 18.11.1918.
[8] LI LA PA 001/0021/08, Erlass Johann II. an provisorischen Vollzugsausschuss, 23.11.1918.