Die fürstliche Kabinettskanzlei nimmt Stellung zu den österreichisch-ungarischen Funktionsbezeichnungen und Ordensdekorationen verschiedener Prinzen des liechtensteinischen Fürstenhauses im „Gothaischen Hofkalender“


Maschinenschriftliches Schreiben der fürstlichen Kabinettskanzlei, gez. Kabinettsdirektor Josef Martin, an die Regierung [1]

7.11.1923, Wien

Gothaischer Almanach 1924, Bürstenabzug

Hochgeschätzter Herr Regierungschef [Gustav Schädler]!

Das dort. Dienstschreiben vom 18. Oktober [2] wurde im Höchsten Auftrage am 26. des gleichen Monates an die fürstl. Zentralkanzlei als in deren Kompetenz fallend zur dringlichen Erledigung nach durchzuführendem Vortrage des Herrn Geheimrates Dr. [Ignaz von] Hauschild[-Fritsch] bei Seiner Durchlaucht [Johann II.] übermittelt. Auf Grund dieses Vortrages und nach mündlichem Einvernehmen mit der Kabinettskanzlei hat sich hinsichtlich Behandlung des Bürstenabzuges für den Gothaischen Almanach pro 1924 folgendes ergeben: 

Bezüglich der Anführung des militärischen Ranges wurde keine Änderung vorgenommen, da es seit jeher üblich war, dass Mitglieder souveräner Häuser auch in fremden Staaten gedient haben. Überdies wäre zur Streichung der bezüglichen Anführungen die Zustimmung der einzelnen Herren Prinzen erforderlich, die Zeitmangels halber nicht mehr eingeholt werden konnte. Nur bei Seiner Durchlaucht Herren Prinzen Johannes geruhten Seine Durchlaucht die Streichung der Anführung „u. Mar. Att. am Kgl. Ital. Hofe“, [3] wie Seine Durchlaucht zu bemerken geruhten, „auf meine Verantwortung“ anzuordnen.  

Hinsichtlich des Zivilstaatsdienstes geruhten Seine Durchlaucht mit inzwischen mündlich erteilter Zustimmung Seiner Durchlaucht des Herrn Prinzen Franz sen. die Streichung der Anführung „K.u.k. Botschafter a.D.“ [4] mit Rücksicht auf die Stellung Hochdesselben als Thronfolger anzubefehlen.

Bei Seiner Durchlaucht Herrn Prinzen Karl wurde über Höchsten Auftrag die Anführung „K.k. Min. Sekr. a.D.“ gestrichen, da dieselbe mit der folgenden Anführung „eh. Landesverweser …“ nicht gut zusammenstimmt. [5]

Was die Orden anbelangt, so muss darauf hingewiesen werden, dass das Goldene Vliess nicht zu den staatlichen Verdienstorden zu zählen, sondern als Habsburg-Lothringischer Hausorden anzusehen ist, welcher auch jetzt noch besteht und weiter verliehen wird.

Die Bezeichnung „österr.“ kann nicht weggelassen werden, um Verwechslungen mit dem geringerwertigen span. Orden vom Goldenen Vliesse zu verhindern. [6]

Im Zusammenhange wird schliesslich ergänzend darauf hingewiesen, dass die spezifisch staatlichen Ordensauszeichnungen der ö.-u. Monarchie in dem Artikel über das fürstliche Haus überhaupt nicht vorkommen. So bei Seiner Durchlaucht das Grosskreuz des Stephansordens, [7] bei Seiner Durchlaucht Herrn Prinzen Franz sen. das Grosskreuz des Leopoldsordens, [8] ferner die bei mehreren Mitgliedern des fürstl. Hauses vorhandenen militärischen und zivilen Auszeichnungen.

Die Kabinettskanzlei dankt hochverehrtem Herrn Regierungschef für die im Gegenstande gemachten Anregungen und erlaubt sich noch beizufügen, dass der nach Vorstehendem korrigierte Bürstenabzug am 6.d.M. durch die fürstl. Zentralkanzlei an den Verlag [Justus] Perthes expediert wurde.

Mit der Versicherung vorzüglicher Hochachtung

ergebenster

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[1] LI LA RE 1923/3644 ad 3288 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabienttskanzlei: No. 279). Das Schreiben wurde von Regierungschef-Stellvertreter Alfons Feger am 20.11.1923 ad acta gelegt.
[2] In diesem Schreiben hatte Regierungschef Gustav Schädler unter Verweis auf die liechtensteinische Selbständigkeit, Souveränität und Neutralität kritisiert, dass mehrere Mitglieder des Fürstenhauses im „Gothaischen Hofkalender“ als ehemalige k.u.k. Offiziere und Beamte aufgeführt würden (LI LA RE 1923/3288).
[3] Prinz Johannes (1873-1959) war in den Jahren 1912 bis 1915 österreichisch-ungarischer Marineattaché in Rom.
[4] Prinz Franz (1852-1938), der spätere Fürst Franz I., war von 1894 bis 1898 österreichisch-ungarischer Botschafter in St. Petersburg. 
[5] Prinz Karl (1878-1955) war nach seinen rechtswissenschaftlichen Studien im österreichischen Verwaltungsdienst tätig, u.a. als Bezirkshauptmann von Mistelbach (Niederösterreich). 1919/1920 fungierte er als liechtensteinischer Landesverweser.
[6] Der 1430 in Brügge gegründete Orden vom Goldenen Vlies ging nach dem Aussterben der Burgundischen Herzöge 1477 an die Habsburger über. Als 1700 der letzte spanische König aus dem Haus Habsburg starb, teilte sich der Orden in einen österreichischen und einen spanischen (bourbonischen) Zweig.
[7] Der Königlich-Ungarische St. Stephans-Orden wurde 1764 gestiftet. Grossmeister war der jeweilige König von Ungarn.
[8] Der Österreichisch-Kaiserliche Leopold-Orden wurde 1808 von Kaiser Franz I. gestiftet.