Das österreichische Justizministerium und das österreichisch-ungarische Aussenministerium verneinen die Exterritorialität des Prinzen Alfred Alois von Liechtenstein


Maschinenschriftliches Schreiben des k.k. Justizministeriums an das k.u.k. Ministerium des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äussern [1] 

1.2.1907, Wien

In dem samt Beilage anverwahrten Berichte [2] hat das Bezirksgericht in Deutsch-Landsberg in einer bei ihm erhobenen Klage gegen Seine Durchlaucht den Prinzen Alfred [Alois] von und zu Liechtenstein wegen Schadenersatzes im Betrage von 200 K [Kronen] angefragt, ob der Prinz infolge seines im Jahre 1902 erfolgten Austrittes aus dem österreichischen Staatsverbande und Erwerbung der Liechtenstein'schen Staatsbürgerschaft [3] als exterritorial zu betrachten und demnach die Kompetenz der inländischen Gerichte im gegebenen Falle ausgeschlossen sei.

Das Justizministerium glaubt, diese Frage verneinen zu sollen.

Während nämlich mit der Allerhöchsten Entschliessung vom 30. Juli 1851, R.G.Bl. Nr. 183, [4] und vom 3. Oktober 1880, R.G.Bl. Nr. 134, [5] nur bestimmten Mitgliedern der fürstlich Liechtenstein'schen Familie, worunter Prinz Alfred nicht fällt, die Exterritorialität zuerkannt wurde, beschränkt sich die Allerhöchste Entschliessung vom 1. Dezember 1902 lediglich darauf, zur Kenntnis zu nehmen, dass dem Prinzen Alfred von und zu Liechtenstein sowie seiner Gemahlin [Henriette] und 4 Kindern [Prinzessin Franziska, Prinz Franz, Prinz Alois, Prinzessin Maria Therese] infolge seiner Ausscheidung aus dem österreichischen Staatsverbande und Erwerbung des Liechtenstein'schen Staatsbürgerrechtes als Mitgliedern eines fremden souveränen Fürstenhauses am Allerhöchsten Hofe alle jene Rechte und Vorzüge zukommen, welche den Mitgliedern der übrigen souveränen Fürstenhäuser zuerkannt sind. [6] Es wird hiebei, anders als es in den früheren Entschliessungen der Fall war, von ihrer Exterritorialität oder ihrer Unterstellung unter das Obersthofmarschallamt keine ausdrückliche Erwähnung getan.

Für die Frage, ob Prinz Alfred von und zu Liechtenstein als exterritorial zu betrachten sei, kommt daher lediglich das gemeine Völkerrecht in Betracht, wornach die Exterritorialität nur dem Haupte der souveränen Familie und den in seiner väterlichen oder ehelichen Gewalt stehenden Personen zusteht.

Das Justizministerium beabsichtigt demnach, dem Bezirksgericht in Deutsch-Landsberg zu eröffnen, dass Prinz Alfred von und zu Liechtenstein weder als exterritorial zu behandeln ist, noch der Jurisdiktion des Obersthofmarschallamtes untersteht.

Da jedoch die Exterritorialität aus internationaler Courtoisie mancherlei Ausdehnung erfahren hat und in dieser Beziehung die Anschauung des Ministeriums des Äussern vor Allem massgebend ist, glaubt das Justizministerium, das löbliche k.u.k. Ministerium um die Abgabe seiner Wohlmeinung ergebenst ersuchen zu sollen. [7]

Um Rückstellung der Kommunikate wird gebeten.

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[1] AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Karton 53, Liechtenstein (Aktenzeichen des Justizministeriums: 1353/7) sowie als Kopie unter LI LA SgK 012. Unterschrift unleserlich, möglicherweise Justizminister Franz Klein.  
[2] Liegt nicht bei.
[3] Vgl. dazu etwa das Schreiben des liechtensteinischen Landesverwesers Karl von In der Maur an die Ortsvorstehung der Gemeinde Vaduz vom 5.12.1902 unter Bezugnahme auf die fürstliche Entschliessung von Johann II. in der Sache (LI LA SF 01/1902/029; LI GAV A 01/085/1).
[4] Vgl. den Erlass des Justizministeriums vom 10.8.1851, wirksam für den ganzen Umfang des Reiches, womit die Allerhöchste Entschliessung vom 30.7.1851 kundgemacht wird, mittelst welcher dem souveränen Fürsten von Liechtenstein [Alois II.] für sich und seine Familie und den Gliedern des Hauses Bourbon älterer Linie der Gerichtsstand des Obersthofmarschall-Amtes bewilliget wird, öst. RGBl. 1851 Nr. 183.
[5] Vgl. die Kundmachung des Justizministeriums vom 5. November 1880, betreffend die Zuerkennung des Rechtes der Exterritorialität an die Prinzessin Therese von Liechtenstein und den Prinzen Franz von Liechtenstein, öst. RGBl. 1880 Nr. 134.
[6] Vgl. hiezu insbesondere das Schreiben des österreichisch-ungarischen Aussenministers  Agenor von Goluchowski an den kaiserlichen Ersten Obersthofmeister Rudolf von Liechtenstein vom 6.12.1902 (AT ÖStA, HHSTA, Obersthofmarschallamt, Neue Zeremoniell Akten, R. III, Karton 235, Z. 33 (Aktenzeichen des k.u.k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äussern: 79238/1); als Kopie unter LI LA SgK 055). Vgl. ferner AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Karton 53 bzw. LI LA SgK 042.  
[7] Das österreichisch-ungarische Aussenministerium pflichtete am 26.2.1907 der Rechtsauffassung des Justizministeriums in dieser Frage bei: Nach der Völkerrechtslehre, mit welcher im Allgemeinen auch die Staatenpraxis übereinstimme, gebühre das Recht der Exterritorialität mit den daraus fliessenden Privilegien, worunter auch die Exemtion von der Territorialgerichtsbarkeit begriffen sei, nur den wirklich regierenden fremden Souveränen und ihren Gemahlinnen. In der Völkerrechtsdoktrin herrsche aber schon eine Verschiedenheit der Meinungen darüber, ob selbst fremden Thronfolgern eine exterritoriale Behandlung zustehe. Den übrigen Migliedern auswärtiger Herrscherfamilien stehe das Vorrecht der Exterritorialität, sofern sie nicht selbst Träger der Souveränität seien, nicht zu. Bei dieser Sachlage und in Übereinstimmung mit der einschlägigen Praxis gab das Aussenministerium seiner Meinung Ausdruck, dass es an einer Grundlage fehle, den Prinzen Alfred Alois als exterritorial zu betrachten (AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Karton 53, Liechtenstein (Aktenzeichen des Justizministeriums: 1353/7) bzw. LI LA SgK 012).